Liebe Gemeinde,
das ist „Theologie für Liebhaber. Beim Verlesen des Textes ist mit einer hohen Abschaltquote zu rechnen“, seufzt ein Kollege nach der Lektüre dieser Verse. Und: ja, er hat Recht. Paulus und sein Römerbrief, das ist schwere Kost, manchmal auch für diejenigen, die das studiert haben. Dabei ist die Lösung des rätselhaften Textes gar nicht so schwer. Mein Vorschlag lautet so: wir lesen einfach nicht den Paulus selbst, wir lesen einen anderen, einen verwandten Brief. Wann genau er entstand, wissen wir nicht, aber er gehört irgendwie in dieselbe Epoche. Es ist der Brief, den eine junge Frau mit dem Namen Renata an ihre Freundin, eine gewisse Johanne, schreibt. Nehmen wir also an, sie lebte irgendwo in einer kleinen Stadt in Kleinasien. Aber vielleicht ist das auch gar nicht so wichtig.
Renata schreibt:
Liebe Johanne,
nun ist es passiert, die große Verwandlung. Du weißt, ich hatte den Moment schon lange herbei gesehnt, und trotzdem waren da am Ende sehr gemischte Gefühle, vielleicht sogar auch ein bisschen Angst. Es ist so schwer, das alles mit Worten zu beschreiben. Es ist ja das erste und ganz gewiss auch das einzige Mal in meinem Leben, dass sich etwas so radikal ändert. Oder richtiger gesagt: nicht etwas ändert sich, sondern ich bin es, die sich ändert, die diesen großen Schritt geht. Es ist mein größter Wunsch gewesen, und gestern war es dann so weit.
Du weißt, ich habe mich vorbereitet. Es ist mir auch nicht leicht gefallen, ich habe einige Zeit gebraucht, um zu erkennen, was es bedeutet. Alle haben versucht, mir zu helfen und mir zu erklären, was da mit mir passiert. Jede hat aber ihre eigenen Worte gebraucht, und das hat mich verwirrt.
Es ist ein bisschen wie Sterben, hat Dorothea gesagt, einen Teil von dir gibst du auf. Aber das, was da stirbt, was da in dir zu Ende geht, das wirst du niemals vermissen, weil es die dunklen Seiten deines Lebens sind. Es ist das, was du an dir gehasst hast, deine bösen Gedanken, deine negativen Seiten. Es wird abgewaschen wie im Bad, wenn du dich reinigst. Du siehst dem Schmutz hinterher und fühlst dich sauber und neu.
Es ist ein bisschen wie geboren werden, sagte Christiane. Du erblickst das Licht der Welt und du siehst alles ganz neu. Du verlässt den dunklen Raum, der dein Zuhause war, und du kommst in eine unbekannte Sphäre, in der alles klar ist und leuchtet. Du fühlst dich frei und leicht, ganz verändert. Wunderschön.
Und es ist, so sagt Felicitas, als würdest du aus einer Quelle schöpfen, die du vorher nie gesehen hast. Du warst leer und vertrocknet, du warst staubig und müde, und dann hast du das Wasser gesehen, das dich von außen und von innen erfrischt hat. Du hast es gesehen und du hast es an deinen Händen gespürt, du hast seine Kühle gefühlt und geschmeckt. Du vergisst alle Not, die davor war, du bist innen und außen erfrischt. Fühlst dich klar und gereinigt, ja, so wie die anderen es auch schon gesagt haben, du fühlst dich wie neu.
Ach Johanne, so viele Bilder, so viele Erklärungen, das war schon irgendwie verrückt.
Für mich war dann das, was Mariam gesagt hat, ganz besonders wertvoll und wichtig. Es ist, so sagt Mariam, als würdest du dich einmal komplett umziehen und deinen Kleidungsstil wechseln. Raus aus den Alltagssachen, hinein in das Festkleid. Und du wirst merken: auf einmal fühlst du dich komplett verändert. Du willst am liebsten nie mehr in die alten Sachen zurück. Und du gibst dir alle Mühe, damit die neue Kleidung auf keinen Fall schmutzig wird oder irgendwie zerreißt. Ganz von selbst geht das so, du passt einfach auf.
So haben sie auf mich eingeredet und mir noch viel mehr erzählt, aber dann war alles in mir plötzlich ganz hell und klar. Ja, ich will, habe ich laut gesagt. Ich will, dass ich getauft werde und dass auch ich dazu gehöre: zu diesem Christus-Leib, von dem ihr immer sprecht, zu diesem Körper, der davon lebt, dass wir alle miteinander seine Organe sind. Ich will dem Machtbereich des Negativen ein für alle Mal entkommen, ich will dem Guten Raum geben in meinem Leben. Und dafür soll meine Taufe ein Zeichen sein: dass ich dem widerstehe, was das Leben mies macht, und dass ich mich mit ganzer Kraft dafür einsetzen will, was Gott uns versprochen hat: dass wir zu ihm gehören.
Ja, so habe ich es dann selbst vor den anderen gesagt, es war ein komisches Gefühl, so ernst und feierlich auf einmal. Aber tief in mir dir drin, da habe ich zum ersten Mal in meinem Leben eine ganz große Klarheit gespürt, so, als wäre der Christus mir so nahe wie nie, verstehst du, wie ich das meine? Da haben die anderen Frauen gelacht und mich in den Arm genommen und haben gesagt: ja, du bist eine von uns, und jetzt spürst du es auch: wir sind heilig. Wir gehören zu Gott.
Das war letzte Woche, und gestern war es dann so weit. Jetzt bin ich getauft. Die große Verwandlung. Ein wichtiges Datum ist das für mich. Und als ich heute Morgen aufgewacht bin, da war es gleich mein erster Gedanke: Ich gehöre zu Gott. „Du bist heilig“, so haben es die anderen gesagt. Daran muss ich mich erst noch gewöhnen, glaube ich. Aber „heilig“ – das klingt doch gut.
So, nun mache ich mich wieder an die Arbeit. Auf den Markt muss ich gehen, vielleicht kann ich heute ein bisschen mehr verkaufen von meinen Stoffen. Die Geschäfte gehen im Moment nicht gut. Aber so ist das ja immer, es läuft mal besser und mal schlechter. Und dann muss ich das Haus wieder versorgen, was soll ich dir erzählen, du kennst es ja selbst. Das alles ist geblieben. Die Arbeit, der Alltag, das alles bleibt dasselbe, ob du getauft bist oder nicht. Und doch ist mein Leben ein anderes jetzt. Ich sehe mich mit Gottes Augen an. Ich fühle mich frei, das Gute zu tun, und ich denke viel positiver. Ich bin begeistert von Gott, im wörtlichen Sinn. Und mein Leben ist schön. Es grüßt dich herzlich: deine Renata.
Liebe Gemeinde,
soweit dieser Brief. Sehr privat und sehr schlicht. Vielleicht nicht auf demselben theologischen Niveau wie unser Paulus, den ich ansonsten sehr verehre. Aber inhaltlich sind sie sich einig. Wer auf Christus getauft ist, der ist tot für die Sünde, so heißt es im Römerbrief. Der lässt alles hinter sich, was mies oder schlecht ist im Leben. Wer getauft ist, der steht mit einem Bein schon im Himmel. Wir, die wir getauft sind, haben Anteil am ewigen Leben. Und das verändert die Lage. Wir sind Heilige in einem ganz bestimmten Sinn, nämlich weil wir zu Gott gehören. Unser Heilig-Sein macht uns nicht etwa besser oder wertvoller als andere, aber es erinnert uns daran, dass unser Leben mehr ist als Essen, Trinken, Arbeiten, Schlafen. Es ist die spirituelle Dimension, um die es hier geht, und sie ist mit Worten nicht ganz einfach auszudrücken. Die Taufe macht diese Dimension sichtbar und sinnlich erfahrbar. Sie macht sichtbar, wie eng wir schon jetzt mit Gottes Welt verbunden sind. Und so können wir leben als Kinder des Lichts. Es gehört gar nicht viel dazu, Papst Franziskus hat vor wenigen Tagen ein paar Vorschläge gemacht, die gar nicht neu sind. Dafür aber bemerkenswert in ihrer Schlichtheit und Klarheit. Leben und leben lassen, heißt es da, Zeit nehmen für die Familie, den Sonntag ehren. Die Umwelt schützen.
Nichts Kompliziertes also. Nur der Versuch, im Leben einfach etwas anders zu werden, jeden Tag. Ein Versuch, der sich lohnt. Und so erinnert mich der Brief der Renata an ihre Freundin Johanne heute an meine Taufe und daran, dass sie mich heilig gemacht hat. Zu Gottes Kind. Und so darf ich leben. Egal, was da kommt. Amen.