Predigt zu Römer 8,26-31 von Lucie Panzer
8,26-31

Manchmal verschlägt das Leben einem die Sprache. Dann weiß man nicht, was man sagen soll. Was gerade passiert ist, macht einen sprachlos. Man kann sich einfach nicht erklären, wie es dazu kommen konnte, was passiert ist. Warum habe ich das getan? Warum hat der andere das gemacht? Das passt doch eigentlich gar nicht zu ihm. Und wie soll es jetzt weiter gehen?
Ich weiß nicht, was ich jetzt sagen soll. Ich kann es nicht erklären, mir nicht und den anderen erst recht nicht. Ich bin auch ratlos. Wie soll es jetzt weiter gehen? Welches ist der richtige Weg. Und wie soll ich das sagen, was ich für richtig halte: Ohne mich selber zu gefährden? Manchmal ist es ja gefährlich, die eigene Meinung zu sagen. Wie soll ich es sagen, ohne die anderen zu verletzen?
Wenn das Leben einem die Sprache verschlägt, dann sagt man gar nichts. Aber nicht immer ist Schweigen das Beste. Nicht immer ist Schweigen Gold. Manchmal wäre reden auch eine Erlösung. Wenn man bloß reden könnte!

Ich erzähle Ihnen das, weil ich meine: Genauso ist das mit dem Reden mit Gott. Mit dem Beten. Auch da fehlen einem manchmal die Worte.
Und das kann ganz verschiedene Gründe haben. Erich Kästner hat in seinem wunderbaren Kinderbuch vom Doppelten Lottchen erzählt, wie das ist. Da stehen die Zwillinge Lotte und Luise vor der Tür, hinter der ihre geschiedenen Eltern sich zu versöhnen versuchen. Auf einmal, erzählt Kästner, bewegt Lotte die Lippen. „Betest Du?“ fragt Luise. Ja, sagt Lotte da und betet laut: „Komm Herr Jesus sei Du unser Gast…“ Dann bricht sie ab. „Es passt nicht“ sagt sie verzweifelt. „Aber mir fällt nichts anderes ein.“
Manchmal weiß man nicht, was man sagen soll und wie. Auch beim Beten. Ich würde gern beten, hat mir mal eine sehr kranke Frau gesagt: Aber ich habe das so lange nicht mehr getan. Da kann ich doch jetzt nicht damit anfangen.
Und auch die, die das Beten gewohnt sind, wissen manchmal nicht, wie sie beten sollen: Manch einer schämt sich vor Gott: Darf ich ihm wirklich kommen mit diesem Problem, dass ich doch selber verschuldet habe? Und wenn ich selber keine Lösung weiß, vielleicht gar nicht weiß, wo eigentlich genau das Problem liegt? Was soll ich da beten?

Der Apostel Paulus kannte das anscheinend auch, dass Menschen gern beten würden und nicht wissen wie. Für die hat er einen Rat:

Predigttext Ro 8, 26-31

Was rät Paulus denen, die nicht wissen, wie sie beten sollen? Ich höre dreierlei:
Gottes Geist hilft, wo wir Menschen zu schwach sind zum Beten
Mir sagt das: Auch wenn da nur diese Sehnsucht ist: Eigentlich würde ich gern beten. Auch wenn da nur dieser Schrei nach Hilfe ist und ich keine Worte dafür finde. Gott hört es. Er sieht mich und meinen Kummer. Und er schickt keinen weg. Gott ist nicht wie eine beleidigte Freundin, die sagt: So lange hast Du dich nicht gemeldet – dann brauchst Du jetzt auch nicht kommen, wo du Hilfe brauchst. Gottes Geist ist auch bei denen, die ihn brauchen, nicht bloß bei denen, die vorbildliche Christen sind. Gerade den Schwachen hilft er auf. Nicht bloß denen, die immer alles richtig gemacht haben. Denen, die keinen Rat wissen. Die meinen, sie seien von Gott und der Welt verlassen. Bei denen steht Gott mit seinem Geist. Martin Luther hat das in seine sehr direkten Sprache mal so gesagt: „Viele…sind der Meinung, Gott höre jemand nicht, der in Sünden liegt… So blind sind wir. Mit leiblicher Krankheit und Not laufen wir zu Gott; mit der Seelen Krankheit laufen wir von ihm weg und wollen nicht wieder kommen, wir seien vorher gesund“
Der Geist Gottes, der hilft denen auf, die zu schwach sind zum Beten.
Manchmal wächst da eine innerliche Ruhe und Kraft in einem Menschen, die man selbst gar nicht für möglich gehalten hat. Christoph Schlingensief, der an Krebs erkrankte Regisseur, der sich selber sicher nicht als standfesten Christen bezeichnet hätte, der hat in seinem „Tagebuch einer Krebserkrankung“ folgendes aufgeschrieben: Vor ein paar Tagen war ich in der Kapelle. „Da habe ich geredet, ganz leise vor mich hin geredet, obwohl niemand anderes da war. Habe gefragt, wie ich wieder Kontakt herstellen kann und wie ich begreifen kann, dass das jetzt Bestandteil vom Leben ist. … Nach einer Zeit hat mir jemand einfach die Stimme abgeschaltet. Ich bin ganz still geworden und habe hoch geguckt, da hing das Kreuz und in dem Moment hatte ich ein warmes, wunderbares, wohliges Gefühl. Ich war plötzlich jemand, der sagt: Halt einfach die Klappe, sei still, es ist gut, es ist gut.“
So ungefähr stelle ich mir das vor, wenn wir nicht wissen, was wir beten sollen und der Geist unserer Schwachheit aufhilft. Manchmal geht das vielleicht so, ganz direkt gewissermaßen und auf einmal kann ich still sein und vertrauensvoll abwarten, was kommt. Manchmal braucht Gottes Geist dazu aber auch andere Menschen, glaube ich. Jemanden, der mir Mut macht und mich erinnert: Warum solltest du nicht beten können? Gott ist keine beleidigte Freundin. Er ist für die da, die ihn brauchen. Und manchmal braucht Gottes Geist die, die sagen: Ich bete für dich. Ich habe noch nie gehört, dass jemand das nicht haben will. Im Gegenteil – schon öfter hat mir jemand gesagt: „Ich bete nicht. Ich glaube auch nicht an Gott – aber wenn Sie beten: Ja, das ist gut.“ Vielleicht ist auch das ein Weg, wie der Geist Gottes denen aufhilft, die nicht beten können. Manchmal braucht er Menschen dazu, damit ihn die auch wirklich sehen und hören und spüren können, die ihn brauchen.

Paulus erinnert die, die zu schwach zum Beten sind, an Jesus Christus.
Das ist das zweite, was mir aufgefallen ist an seinen Ratschlägen für die, die nicht beten können. Denen geht es, schreibt er, ja eigentlich so ähnlich wie Jesus. Wie das? Mir ist eingefallen, wie Jesus gebetet hat, als schon gar keine Kraft mehr hatte. Den Tod vor Augen hat er gebetet: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“. Anscheinend konnte auch Jesus in dieser Situation nicht glauben, dass Gott für ihn da ist. Schon gar nicht, dass er ihm hilft. Und das schreit er ihm entgegen! Nicht immer ist Schweigen Gold. Manchmal hilft es, auch die Enttäuschung heraus zu schreien. Manchmal hilft es, Gott Vorwürfe zu machen. Reden ist manchmal eine Erlösung. Dann ist es raus. Dann quält es nicht mehr. Jesus damals hat nicht mal mehr eigene Worte gefunden für seine Enttäuschung. Er hat Worte aus einem alten Gebet verwendet, das die Menschen damals gekannt haben. Warum hast Du mich verlassen, Gott. Das ist aus dem 22. Psalm. So haben anscheinend auch damals viele gebetet. So viele, dass man diese Worte in einer Gebetssammlung aufgeschrieben hat. Und jetzt benutzt Jesus diese Worte. Vielleicht ist ihm nichts anderes mehr eingefallen, so wie dem Lottchen vor der Wohnzimmertür, als sie die Anspannung nicht mehr aushalten konnte. Vielleicht war Jesus damals zu schwach für eigene Worte. Aber da war noch dieses Gebet, dass er auswendig kannte. Das ist ihm eingefallen. Der Geist hilft unserer Schwachheit auf! Mir fallen auch manchmal solche Worte ein, die ich irgendwann mal gelernt habe. Vielleicht kennen Sie das. Und sie trösten mich, wenn es eigentlich keinen Trost gibt. Oder sie befreien wenigstens und die Angst ist nicht mehr so bedrückend. So ähnlich ist das, wie das Erlebnis, das Christof Schlingensief aus der Zeit seiner Krankheit erzählt hat.
Die Erinnerung an Jesus übrigens und an seine verzweifeltes: Warum hast du mich verlassen, Gott – die sagt mir auch: Er hat es damals anscheinend nicht spüren können. Aber Gott hatte ihn eben doch nicht verlassen. Wir Christen jedenfalls glauben, dass er Jesus auferweckt hat. Gott war bei ihm und ist bei ihm geblieben, als alle meinten, nun sei dieser jämmerlich schreiende am Ende. Gott ist nicht nur bei den Gesunden und Starken und bei denen, die immer die richtigen Worte wissen. Er ist auch und gerade bei denen, die schwach sind und keine Hoffnung mehr haben.

Denen, die Gott lieben, werden alle Dinge zum Besten dienen
Das ist das Dritte, das Paulus denen sagt, die nicht wissen, wie sie beten sollen.
Ich glaube: Das ist wahrhaftig kein Satz, den man Menschen weitergeben kann, die verzweifelt sind. Wie sollte ich so jemandem sagen: Es ist bestimmt gut für dich. Oder jedenfalls: Es wird schon für irgendwas gut sein. So einen Satz kann man immer nur für sich selber sagen. So einen Satz kann man wahrscheinlich auch immer erst hinterher sagen. Wenn es überstanden ist. Wenn sich  - vielleicht erst nach langer Zeit – zeigt, wozu es gut war. Bei manchen Sachen, scheint mir, kann man es nie sagen. Ich habe ehrlich gesagt, schon eine ganze Liste von Dingen, die ich nicht verstehe und schon gar nicht weiß, wofür die gut gewesen sein sollen. Und ich hoffe darauf, dass ich Gott irgendwann einmal in seiner neuen Welt danach fragen kann.
Aber hier und jetzt und heute – da kann man nicht für einen anderen sagen: „Denen, die Gott lieben, werden alle Dinge zum Besten dienen.“ Aber vielleicht kann ich ihm davon erzählen, wie ich das jedenfalls schon erlebt habe. Und dass ich deshalb davon ausgehe, dass Gott es gut mit mir meint. Mit mir und auch mit allen seinen Geschöpfen – auch, wenn ich jetzt nicht verstehe, warum es so ist, wie es ist. Vielleicht kann man dann anders beten. So, wie Jesus es getan hat. Als er Verhaftung und Verurteilung auf sich zukommen sah, da hat er gebetet: „Gott, erspar mir das“. Und nach einer Weile dann: „Dein Wille geschehe, Gott“. Ich glaube, da war das passiert, wovon auch Schlingensief in seinem Tagebuch schreibt: „Ich bin ganz still geworden … und hatte ein warmes, gutes Gefühl … es ist gut. Es ist gut.“ Ich hoffe und glaube: Dieses Vertrauen - obwohl die Gegenwart ganz anders aussieht - dieses Vertrauen gibt Gottes Geist. Er hilft uns auf aus unserer Schwachheit. Er kann mir helfen, darauf zu vertrauen, dass Gott es gut mit mir meint. Er kann mir helfen, wenn ich nicht genug Kraft habe zum Beten, weil im Augenblick vieles dagegen spricht.

Das waren nun, liebe Gemeinde, die drei Ratschläge, die ich bei Paulus gefunden habe für mich und alle, denen manchmal die Kraft zum Beten fehlt. Der Geist Gottes, sagt er, der wird dir helfen, wenn du zu schwach bist.
Kann ich also nur darauf warten und hoffen, dass er das tut, dieser Geist?
Ich habe inzwischen gemerkt, dass man in der Zwischenzeit noch etwas anderes tun kann: Beten. Einfach beten, wie Jesus uns das gelehrt hat. Das Vater unser. Fertige Worte. Worte, in denen alles drinsteckt. Auch wenn manchmal nur die Lippen beten, aber nicht der Kopf und schon gar nicht das Herz. Beten. So wie Lottchen gebetet hat: „Komm Herr Jesus, sei Du unser Gast.“ So wie Jesus Worte aus dem 22. Psalm gebetet hat. Regelmäßig das Vaterunser beten. So bleibt man im Gespräch. So reißt die Beziehung nicht ab. Den Rest macht dann, auch in schlimmen Zeiten, Gottes Heiliger Geist. Und meine Erfahrung ist: Irgendwann kommen auch die anderen Worte wieder. Die, die eine Erlösung sind.
Amen.

Perikope
01.06.2014
8,26-31