Liebe Gemeinde,
dies sind genau sie richtigen Worte für das in wenige Stunden zu Ende gehende Jahr 2015. Ich bin gewiss, ich bin mir ganz sicher, schreibt der Apostel Paulus, dass nichts und niemand uns trennen kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn. Das am Ende des Jahres zu hören macht Mut.
Denn schauen wir zurück auf 2015, dann könnte man es unter die Überschrift „Verunsicherungen“ stellen. Viele Gewissheiten sind uns im Laufe des Jahres zerbröckelt. Gewiss, so dachten wir bisher, es gibt ein Flüchtlingsproblem; und das schon seit Jahren. Ja, es gibt einen Strom von Menschen, die vor Gewalt, Verfolgung und schierer Not Richtung Europa ziehen. Aber, so waren wir uns sicher, das ist ein Problem an Europas Außengrenzen, auf der italienischen Insel Lampedusa oder in Griechenland. Das könnten wir uns mit etwas Geld und guten Worten schon vom Leibe halten. Gewiss würde Europa da funktionieren; würden die Staaten der EU gemeinsam und solidarisch eine Lösung für den Mittelmeerraum finden.
Diese Gewissheit gibt es seit diesem Jahr nicht mehr. Nicht die, die Flüchtlinge von uns fern halten zu können; und nicht die, dass Europa sich als Gemeinschaft würde beweisen können.
Gewiss, so dachten wir: es gibt da einen schrecklichen Bürgerkrieg in Syrien und Konflikte im Irak mit unsäglicher Gewalt und furchtbarem Morden und völlig unverständlichem Fanatismus und Fundamentalismus und Terrorismus. Aber das geschieht alles im gefühlten fernen Orient, dessen Regeln und Funktionieren man sowieso nicht versteht. Gewiss würde sich das dort irgendwie regeln, wenn Assad erst einmal weg wäre oder sonst wie.
Aber dann sahen wir 2015 auf einmal die Menschen. Nicht als ferne und fremde, sondern als solche, deren Leiden uns nahe ging. Und ihre Schicksale konnten uns nicht mehr gleichgültig lassen. Wir erfuhren von Syrisch-Orthodoxen Christen, von Griechisch-Orthodoxen, Melkitisch-Katholischen, Assyrischen Christen, Armenisch-Apostolischen, Syrisch-katholische, von Chaldäischen, katholischen und protestantische syrischen Christen, von Jesiden und auch von Schiiten und Sunniten die verfolgt, ermordet und vertrieben wurden.
Hatten wir Christenmenschen in unserem Land uns vor 2015 wirklich ernsthaft gefragt, wie es ihnen ergeht? Hatten wir uns ihnen als Schwestern und Brüder im Glauben an Jesus Christus vorher wirklich verbunden gefühlt? Oder waren wir uns unserer eigenen westeuropäischen, ja deutschen und reformatorischen Tradition so gewiss, dass wir sie nicht weiter beachtet haben?
Auch das ist eine Gewissheit, die 2015 ins Wanken geraten ist: wir sind uns evangelische Kirchengemeinden in Deutschland selbst genug. Das ist jetzt vielleicht etwas überzogen und eine ungerechtfertigte Kritik. Viele Kirchengemeinde setzen sich weltweit ein, spenden an Hilfswerke oder halten partnerschaftliche Kontakte zu anderen Christengemeinden in der Welt (- an dieser Stelle der Predigt können Beispiele aus der eigenen Gemeinde genannt werden-). Viele Gemeinden und Christenmenschen verstehen sich durchaus als Teil der weltweiten Kirche, als Schwestern und Brüder im Herrn.
Und doch: wir müssen bekennen, dass wir viel zu wenig den Worten des Apostels Paulus nachempfinden: „Und wenn ein Glied der (weltweiten Kirche) leidet, leiden alle Glieder mit.“ 1. Kor. 12, 26. Das zu Ende gehende Jahr 2015 da hat einiges, hoffentlich, geändert.
Und unser Wort aus der Heiligen Schrift zum heutigen Altjahresabend ändert da einiges. Hören wir es mit den Ohren eines bedrängten Christenmenschen in Syrien, im Irak, in Ägypten; auch mit den Ohren eines von islamistisch-palästinensischen und israelischen Fundamentalisten bedrängten arabischen Christen in Israel-Palästina und mit denen bedrängter Christen weltweit. Dann hören wir sie ganz anders, diese Worte aus dem Römerbrief. Viel direkter. Viel gewisser, nach einem Jahr 2015, in dem so viele Gewissheiten ins Wanken geraten sind.
Paulus weiß, wovon er mit diesen Hinweisen schreibt. Er hat es erlebt: Trübsal, Angst, Verfolgung, Hunger, Blöße, Gefahr, Schwert. Erschütternd und erschreckend sein Zitat aus Ps. 42: „Um deinetwillen werden wir getötet den ganzen Tag“.
Und doch: ich bin gewiss, ich bin mir sicher, schreibt Paulus. Bei aller Ungewissheit, bei aller Unsicherheit: nichts und niemand kann mich trennen von der Liebe Gottes. Keine politischen Mächte und Machtspiele, keine Gewalttaten, nicht meine gegenwärtige Lebenssituation oder das, was 2016 auf mich zu kommt, keine ups and downs im persönlichen Lebenslauf.
Und auch keine Engel, sagt Paulus. Das mag zuerst verwundern, dass Paulus hier Engel erwähnt. Engel sind doch eigentlich Boten Gottes. Und wir kommen vom Heiligen Abend her mit den vielen Engeln. Ja, aber gerade weil wir von Weihnachten her kommen, wird deutlich, was Paulus meint, wenn er ausgerechnet hier Engel als Wesen erwähnt, das uns von Gott trennen kann.
Engel sind Boten Gottes. Ja. Aber 2015 hörten wir von diesen grausamen Menschen, die sich selber als Boten Gottes verstehen. Die meinen, dem Willen ihres Gottes zu folgen, so wie sie ihn verstehen, wenn sie andere bedrängen, vertreiben oder ermorden. Diese perversen Engel meint Paulus hier. Sie können Menschen von Gott trennen. Diese selbstgegründeten Fanatiker und Fundamentalisten. Sie behaupten, im Namen ihres Gottes zu handeln. Haben ihn aber nicht verstanden oder verspürt.
Die Botschaft des Engels Gottes auf dem Hirtenfeld in Bethlehem lautete aber: „Friede auf Erden“. Allein von dieser Botschaft des Weihnachtsengels kommen wir her. Mit dieser Friedensbotschaft und Friedenshoffnung, mit diesem Friedensauftrag gehen wir in das neue Jahr 2016.
Und deshalb: „Ich bin gewiss, das nichts und niemand uns trennen kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist.“ Warum? Warum ist Paulus sich da so gewiss, so sicher? Was lässt ihn mutig weiter gehen, von Jahr zu Jahr?
Und da müssen wir wieder bei der Krippe in Stall zu Bethlehem anfangen. Gott wird Mensch feierten wir an Weihnachten. Und er will uns Menschen nicht uns selbst überlassen. Sonst wären wir wirklich von allen guten Geistern verlassen. Gott verschont seinen Sohn nicht, einer von uns Menschen zu werden. Einer von den Christenmenschen in Syrien, im Irak, in Ägypten oder anderswo auf der Welt. Ja, und wir müssen das wirklich so verstehen lernen, einer von den Jesiden, Kurden, Schiiten, Sunniten oder einer anderen Menschengemeinschaft. Gott wird Mensch und nimmt das Menschenschicksal der Geschundenen, Verfolgten und Gemordeten auf sich.
Und jetzt dürfen wir mit Paulus der ganzen Heilsgeschichte folgen, die er kurz und knapp hier im Römerbrief entfaltet: von Weihnachten über Karfreitag, „er hat ihn für uns alle dahingegeben“; „der gestorben ist“, zum Ostertag Jesu: „der auch auferweckt ist“; und bis zu seiner Himmelfahrt: „der zur rechten Gottes ist“. Und: und das ist das Ziel der Heilsgeschichte, wie Paulus sie hier anführt: „der uns vertritt“. Der für das Leben eintritt vor Gott. Dafür, dass es anders werden kann. Dafür, dass Menschen sich ändern können. Dafür, dass sie loswerden können, was sie belastet. Dafür, dass sie ihre Schuld ablegen können am Kreuz. Dafür, dass sie befreit und erlöst neu in die Zukunft gehen können.
Ich bin gewiss, da ist sich Paulus sicher; da sollte sich jeder Christenmensch sicher sein, von dieser Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, kann uns nichts und niemand trennen.
Dietrich Bonhoeffer, der von den Deutschen Nationalsozialisten verfolgte und ermordete evangelische Christ, hat diese Gewissheit: „Nichts kann uns trennen von der Liebe Gottes“ in dem eindrücklichen Gedicht so gefasst:
Von guten Mächten treu und still umgeben,
Behütet und getröstet wunderbar,
So will ich diese Tage mit euch leben
Und mit euch gehen in ein neues Jahr.
Noch will das alte unsre Herzen quälen,
Noch drückt uns böser Tage schwere Last.
Ach, Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen
Das Heil, für das du uns geschaffen hast.
Das Jahr 2015, das nun zu Ende geht, mag ein Jahr voller Verunsicherungen gewesen sein. Trotzdem: 2015 galt, was auch für 2016 gilt: Nichts und niemand kann uns trennen von der Liebe Gottes. Amen.