Predigt zu Römer 9, 13-23 von Thomas Oesterle
9,13-23

Predigt zu Römer 9, 13-23 von Thomas Oesterle

Liebe Gemeinde,

EINSTIEGSGESCHICHTE

ein Pfarrer hat zu dem heutigen Predigttext einmal folgende Geschichte erzählt:

"In meiner Gemeinde lebte ein frommer Mann und treuer Bibelleser. Abend für Abend las er ein Kapitel aus seiner Bibel und er tat das Jahr für Jahr. Auf diese Weise hatte er schon mehrere Male die Bibel von vorne nach hinten durchgelesen. Und nun erzählte er eines Tages bei einem Besuch dem Pfarrer folgendes: "Es gibt da ein Kapitel Herr Pfarrer, das habe ich erst einmal gelesen." Und welches ist das, fragte der Pfarrer ihn interessiert? "Es ist das 9. Kapitel des Römerbrief. Ich habe es einmal gelesen und seither überschlage ich es grundsätzlich. Was da steht ist mir zu anstößig ich will nichts davon wissen."

Wenn ich nun den Predigttext lese, werden wir vielleicht verstehen, warum dieser Mann zu seiner Haltung kam: Ich lese Römer 9, 13-23

"Es steht von Gott geschrieben: Jakob habe ich geliebt, Esau aber gehaßt.

 Was wollen wir nun hierzu sagen? Ist Gott ungerecht?

Das sei ferne. Denn er spricht zu Mose: "Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich. So liegt es nun nicht an jemandes wollen oder laufen, sondern an Gottes Erbarmen. Denn die Schrift sagt zum Pharao: Eben dazu habe ich dich erweckt, damit ich an dir meine Macht erweise und damit mein Name auf der ganzen Erde  verkündigt werde. So erbarmt Gott sich nun wessen er will und verstockt wen er will.

Nun sagst du zu mir: Warum beschuldigt Gott uns dann noch? Wer kann schon seinem Willen widerstehen?

Ja lieber Mensch, wer bist du denn, daß du mit Gott rechten willst. Spricht auch ein Werk zu seinem Meister: Warum machst du mich so? Hat nicht zum Beispiel ein Töpfer die Macht über den Ton, um aus demselben Klumpen ein Gefäß zum Schmuck und ein anderes zum unansehlichen Gebrauch zu machen?

Gottes gutes Recht ist es also, seinen Zorn zu erzeigen und seine Macht kund zu tun. Deshalb hat er mit großer Geduld die Gefäße des Zorns ertragen, die zum Verderben bestimmt waren, damit er den Reichtum seiner Souveränität kundtue an den Gefäßen der Barmherzigkeit, die er zuvor bereitet hatte zur Herrlichkeit[1].

PROBLEMANZEIGE

Verstehen sie, liebe Gemeinde,  was dem treuen Bibelleser so aufgestoßen war, daß er diese Sätze bei seiner Bibellektüre immer überschlug? Es war ein Wort wie: "Gott erbarmt sich wessen er will, und Gott verstockt wen er will".

 Gott ist wie ein Töpfer, dem es frei steht aus demselben Material Gutes und Schlechtes zu machen. Paulus macht das an Beispielgeschichten aus dem Alten Testament deutlich:

So erweist  Gott an Mose Gnade über Gnade, während er zugleich den Pharao uneinsichtig macht, als Plagen über sein Volk kommen. Der Pharao wird nur dazu benutzt, um an ihm zu demonstrieren, wie mächtig Gott in seinem Zorn sein kann.

 Oder das Beispiel gleich zu Beginn des Predigttextes wo es um Esau und Jakob geht. Da sind zwei Brüder, sogar Zwillinge. Sie haben denselben Vater und dieselbe Mutter und gehören zum selben Volksstamm. Sie sind unter den gleichen klimatischen und geographischen Bedingungen zur Welt gekommen. Und sie sind doch voneinander geschieden. Es ist dabei nicht wesentlich, daß der Esau vielleicht begabter und selbstständiger war als der andere, der eher ein Muttersöhnchen ist. Es ist nicht wesentlich, daß Esau charakterlich besser, einliniger und sympathischer ist, als der andere. Es ist nicht wesentlich, daß Esau ein echter und ehrlicher MENSCH ist, während der andere fragwürdig ist und fragwürdige Methoden benutzt z.B. als er sich den Vatersegen mit einem Linsengericht erschleicht.

Für Paulus sind diese menschlichen Unterschiede alle unwichtig. Wichtig aber - und das ist anstößig, verletzend und ärgerlich - wichtig ist Paulus, dass es heißt: Gott hat zwischen den Beiden, und zwar noch vor der Geburt - einen grundlegenden Unterschied gemacht: "Den Jakob habe ich geliebt, und den Esau habe ich gehaßt."[2] Das was Eltern, die mehrere Kinder haben tunlichst vermeiden sollten, nämlich Unterschiede zu machen, das eine Kind zu lieben und das Andere als Kind 2. Klasse zu behandeln, genau das wird von Gott im heutigen Predigtext gesagt.

Ich denke, ich habe nun hinreichend deutlich gemacht, wo dieser Bibeltext uns Probleme bereitet. Paulus hat diese Worte aber nicht niedergeschrieben, damit wir uns darüber aufregen oder sie ablehnen können, sondern er hat einen ganz bestimmten Hintergrund vor Augen und wenn man diesen Hintergrund versteht, kann man vielleicht auch den Text besser verstehen.

JÜDISCHER HINTERGRUND

In unserem Zusammenhang geht es bei der Unterscheidung von Gottes "Erbarmen" und Gottes "verwerfen" vor allem um die Frage, wer zum Glauben an Christus findet und wer nicht. Paulus verhandelt in den Kapiteln 9-11 des Römerbriefes diese brennende Frage.

Er tut das vor dem Hintergrund, daß er selbst Jude war, und also lange geprägt davon, zu dem von Gott auserwählten Volk zu gehören. Und nun, nachdem er selbst Christ geworden ist, stellt er schmerzlich fest, daß die große Mehrzahl der Juden sich dem Evangelium verschließen. Sie glauben eben nicht, daß in Jesus Christus der Retter der Welt auf Erden gekommen ist, obwohl sie das Evangelium sehr wohl gehört haben. Christus hat mitten unter dem jüdischen Volk gelebt, ihm vorrangig verkündigt, aber er ist anscheinend auf taube Ohren gestoßen. Dagegen hat die Botschaft und das Leben Jesu unter den anderen Völkern, die um die Juden herum leben, unter Griechen und Römern, viel offene Herzen gefunden und Glauben ist gewachsen. Die Frage die sich Paulus nun stellt lautet: "Warum ist das so - warum verschließt sich das auserwählte Volk, das doch das Alte Testament und die Verheißung des Messias kennt,  der Versöhnung mit Gott durch Christus?" Paulus ist diese Frage überhaupt nicht nebensächlich  er kann schreiben: "Ich habe große Traurigkeit und Schmerzen ohne Unterlaß in meinem Herzen, ich selbst wünschte verflucht und von Christus getrennt zu sein, zugunsten meiner Brüder der Israeliten." (Röm. 9, 2-4) Trotzdem bleibt es bei der Ablehnung Christi unter dem jüdischen Volk.

DIE ANTWORT DES PAULUS

Und nun - in unserem Predigttext - gibt Paulus eine schwierige und schwer verstehbare, eine anstößige und ärgerliche Antwort auf die Frage, warum das auserwählte Volk nicht an den Gottessohn glauben kann, der auf Erden gekommen ist. Er sagt: Es ist Gottes Wille und Gottes Tun, daß das jüdische Volk den Glauben an Christus nicht findet. Glaube und Unglaube sind nicht die Folge von Gehorsam oder Ungehorsam gegenüber Gott, sondern eine Lebensform die zum Ausdruck bringt, daß Gott selbst Menschen für das Heil geöffnet oder verschlossen hat.[3] Nun können wir uns gut vorstellen, daß ein Mensch nur mit Gottes Hilfe zum Glauben kommt, daß es Gott selbst ist der einen Menschen für das Heil seiner Seele öffnet. Wenn wir über den Heiligen Geist nachdenken, wird uns das einsichtig.

Aber das problematische an der Aussage des Paulus ist, dass es auch Gottes freie Entscheidung sein kann, Menschen das Heil zu verschließen, dass Gott Menschen vom Glauben abhalten kann. Gott schenkt also nicht nur den Glauben, sondern er macht ihn auch unmöglich. Paulus erreicht mit diesem Gedanken zwar, das von ihm geliebte jüdische Volk zu entlasten - denn es ist nicht seine selbstgemachte Schuld, daß sie nicht an Christus zu glauben vermögen, sondern eine Vorherbestimmung Gottes - aber Paulus belastet mit diesem Gedanken auch das Gottesbild. Deshalb kommt es im Text auch  zu den entscheidenden Gegenfragen.

DIE DIATRIBE

Unter formalen, äußerlichen Gesichtspunkten ist der Predigttext aufgebaut wie ein Streitgespräch. So etwas war zur Zeit des Paulus besonders unter den stoischen Philosophen üblich zur Wahrheitsfindung.[4] Zweimal muß sich Paulus mit beißenden Gegenfragen auseinandersetzen.

Gleich zu Beginn, nach dieser Sache mit Esau und Jakob, tritt die erste Frage auf: "Ist Gott dann nicht ungerecht"? Und dann - nachdem Paulus deutlich gemacht hat, daß Gott sich erbarmen kann wessen er will, oder verstocken kann wen er will, kommt natürlich die zweite Frage: "Wenn alles eh' an Gott liegt, warum werden wir dann noch beschuldigt, daß wir nicht glauben können?" Wir merken beim hören sofort: Paulus ist bei seinen harten Behauptungen zumindest so fair, die zentralen Gegenfragen zu nennen und in seinem Brief auch weiterzugeben.

Und wir merken, dass diese Gegenfragen unsere Fragen sind. Von dem der da kritisch die Gottesvorstellung des Paulus hinterfragt, fühlen wir uns eher verstanden, als von Paulus selbst. Das sind die Fragen die uns bewegen: Da sehe ich in die Welt und erkenne, daß der eine immer Glück hat und in seinem Leben so vieles gelingt und daneben einer lebt, der ein ums andere Mal vom Schicksal hart geschlagen wird und ich frage mich: "Ist Gott nicht ungerecht?" Und gleich kommt mir die zweite Frage in den Sinn: "Ist es nicht egal wie ich lebe, auf Gottes Entscheidungen scheint das eh' keinen Einfluß zu nehmen, es liegt nicht an mir ob ich Glück habe oder ein hartes Schicksal."

Diese Fragen sind gut und richtig, denn sie sind Ausdruck unserer Suche nach Sicherheit. Wir wollen sicher sein, daß man das Heil des Leibes und der Seele erhält von Gott, zum Beispiel dadurch sicher, daß wir ein tadelloses Leben führt und aufgrund dessen, eigentlich auch ein gutes Schicksal verdient hätte.

GOTTES SOUVERÄNITÄT

Aber Paulus sagt an dieser Stelle sehr deutlich: "Es liegt nicht an jemandes wollen oder laufen, sondern an Gottes Erbarmen". Paulus sagt damit natürlich auch seinen jüdischen Volksgenossen: "Die Zugehörigkeit zu einer Nation begründet nicht, daß wir von Gott angenommen werden, sondern das entscheidet sich durch Gottes freien und souveränen Willen. Und jedem anderen Menschen sagt er: Gnade kannst du dir nicht verdienen oder erarbeiten, sie wird dir immer und immer wieder geschenkt. Das gibt uns dann selbst die Freiheit in unserem Glauben tolerant zu sein, weil wir ihn als unverdientes Geschenk empfangen. Paulus stellt Gottes Größe und Souveränität heraus, seine Unabhängigkeit von unserem Tun und Wollen. Vielleicht ist das gut, daß wir immer mal wieder auf solche harten Texte hören, weil wir Gott zu lieb, zu niedlich, zu nett gemacht haben und seine Größe und Macht - vor der frühere Generationen noch Ehrfurcht empfanden - immer mehr unterschlagen in unserem heutigen Denken. Und die Souveränität Gottes hat auch einen Vorteil: Bei all dem, was uns treffen kann in unserem menschlichen Leben ist Gott dann derjenige, dem wir danken können und loben dafür, daß er vieles gut gemacht hat, aber er ist auch der, vor dem wir klagen und fragen können, mit dem sich hadern läßt, den man kritisieren kann, wenn er harter Schicksalsschlag uns schier den Boden unter den Füßen nimmt. Ich muß nur bei all' dem auf ihn bezogen bleibt. Es kann entlastend sein, sich nicht selbstquälerisch fragen zu müssen, was habe  i c h  falschgemacht, sondern mit Gott zu streiten und zu rechten.

HEILSGESCHICHTE

Ein letztes Wort noch zu der Rolle des jüdischen Volkes in Römer 9-11. Wir haben vorher gesagt, daß Paulus denkt, es ist Gott selbst, der dieses Volk davor verschließt an Christus zu glauben. Er wird im weiteren Verlauf des Römerbriefes diese harte Aussage so abmildern, daß er sagen kann: Diese Verstockung Israels hat den Sinn, daß alle Völker dieser Erde von der Botschaft Jesu ergriffen werden. Es kommt dadurch zu einer Entgrenzung des guten Handelns Jesu, daß es nicht auf ein Volk bezogen bleibt, sondern nun zu allen Völkern eilt.[5] Und zugleich ist die Verstockung Israels zeitlich begrenzt. Am Ende der Geschichte kommt es zur Wiederaufrichtung und Annahme des ganzen Volkes Israel durch Christus.[6]

Ich will diese schwierigen heilsgeschichtlichen Gedanken[7] nun am Ende mit einer Erzählung verdeutlichen.

In meiner Vikariatsgemeinde kam in eine Jugendgruppe, die ich dort leitete, ein etwa 14 jähriges Mädchen, die durch die Konfirmandenzeit zur Kirchengemeinde Zugang gefunden hatte. Sie hatte einen rebellischen Kopf und in der Pubertät wehrte sie sich so gegen ziemlich alles, was die Eltern ihr vorgaben und vorlebten. Nun waren ihre Eltern sehr offensiv gleichgültig gegenüber dem christlichen Glauben. Abwertende Äußerungen über das Christentum gehörten am Mittagstisch oft zum Gespräch. Das trieb aber nun dieses rebellische Mädchen gerade in eine christliche Jugendgruppe, eben weil sie anders sein wollte als ihre Eltern. Sie ist über die Jahre zu einer engagierten und überzeugt-glaubenden Mitarbeiterin in der Gemeinde geworden. Inzwischen hat sie einen Mann geheiratet, der auch nichts mit dem Christentum anfangen kann, aber ich vermute einmal, das wird nicht lange so bleiben.

Daß das auserwählte Volk Gottes, die Juden, Christus nicht anerkannte, hat vielleicht dazu geführt, daß barbarische Germanen mit dem Christentum in Verbindung kamen. Die Souveränität Gottes geht manchmal seltsame Wege, aber sie findet zuletzt ihr Ziel. AMEN

[1] Übersetzung angelehnt an E. Käsemann, An die Römer, S.257

[2] vgl. Anm. 1

[3] vgl. O. Hofius, ZTHK 1986, S. 302-304

[4] E. Käsemann, An die Römer, sieht im Predigttext eine Diatribe vorliegen. S.257

[5] vgl. Hofius, a.a.O. S. 307-308 (Zweiter Argumentationsgang)

[6] ebd. 308

[7]  Verhältnis von Rechtfertigung und Heilsgeschichte ist die Grundfrage heutiger Exegese von Rm. 9-11 Käsemann a.a.O. S. 245 f