I
Etwas mulmig
scheint es dem Mann jetzt doch zu sein.
Am Telefon haben wir uns verabredet:
„Eintreten“ will er – evangelisch werden.
Als die Papiere vor ihm liegen, nur noch die Unterschrift fehlt,
holt er aber noch einmal aus,
umreißt seine Geschichte:
„Gefühlsmäßig bin ich schon immer evangelisch. Das mit dem Papst hat mir nie eingeleuchtet. Meine Mutter war auch nicht katholisch. Aber meine Oma - und wie! Das hat uns alle geprägt…
Als ich meine erste Freundin hatte, hieß es sofort: „Die ist doch hoffentlich katholisch?“
Jetzt ist sie schon acht Jahre tot - doch bis letzte Woche war ich immer noch katholisch…
Sollt man nicht glauben“, lacht er verlegen, „aber so war das einfach bei uns.“ (…)
Liebe Gemeinde - ich glaube das.
Oder besser: Ich kann es mir vorstellen. Übrigens nicht nur in die eine Richtung. In meiner norddeutsch protestantischen Heimat war es „völlig seltsam“, wenn einer katholisch war. Oder gar „methodistisch“. Das klang irgendwie nach Sekte; wie ein Makel.
Gott sei Dank - haben wir dazu gelernt. Die ökumenische Bewegung der letzten 50 Jahre hat uns nach vorne gebracht: Wir wissen, dass Methodisten keine Sekte sind und erkennen, dass es weit mehr gibt, was uns Christen verbindet als was uns trennt. Immer mehr üben wir, uns stärker zu vernetzen, um gemeinsam „der Stadt Bestes zu suchen“, „Licht für die Welt“ zu sein. So kommen wir auch ins Gespräch mit jenen, die einen ganz anderen Glauben haben und leben.
Dennoch -
kennen auch wir diese Sehnsucht, dass Menschen, die wir schätzen, lieben oder hoch achten, auch Christen, Christinnen sind – am besten doch gleich evangelisch. Dass viele gar nicht glauben oder das Evangelium verneinen, belastet und trennt.
Dies war zurzeit des Entstehens der Kirche weit schmerzlicher als heute. Trennungen belasteten nicht nur persönlich, sondern erschütterten existentiell. Leid und Verfolgung kennzeichnen die Trennungsprozesse zwischen dem alten Glauben des Volkes Israel und dem neuen Bekenntnis zu Jesus Christus.
II
Mitten hinein in diese schmerzliche Zeit der Ab-, aber auch Ausgrenzung führt uns der Predigttext für den ersten Sonntag der Vorfastenzeit, aus dem Römerbrief – Kapitel 9, 14-24:
Was sollen wir nun hierzu sagen?
Ist denn Gott ungerecht?
Das sei ferne!
Denn er spricht zu Mose: „Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig; und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.“
So liegt es nun nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen.
Denn die Schrift sagt zum Pharao:
„Eben dazu habe ich dich erweckt, damit ich an dir meine Macht erweise und damit mein Name auf der ganzen Erde verkündigt werde.“
So erbarmt er sich nun, wessen er will, und verstockt, wen er will.
Nun sagst du zu mir:
„Warum beschuldigt er uns dann noch? Wer kann seinem Willen widerstehen?“
Ja, lieber Mensch, wer bist du denn,
dass du mit Gott rechten willst?
Spricht auch ein Werk zu seinem Meister:
„Warum machst du mich so?“
Hat nicht ein Töpfer Macht über den Ton,
aus dem demselben Klumpen ein Gefäß zu ehrenvollem und ein anderes zu nicht ehrenvollen Gebrauch zu machen?
Da Gott seinen Zorn erzeigen und seine Macht kundtun wollte, hat er mit großer Geduld ertragen die Gefäße des Zorns, die zum Verderben bestimmt waren, damit er den Reichtum seiner Herrlichkeit kundtue an den Gefäßen der Barmherzigkeit, die er zuvor bereitet hatte zur Herrlichkeit.
Dazu hat er uns berufen, nicht allein aus den Juden, sondern auch aus den Heiden.
Liebe Gemeinde,
ich weiß nicht, ob Sie da noch mitkommen…, oder gerade auf „Durchzug“ geschaltet haben… Vielleicht ein weiteres Mal bei Paulus, über den ja schon Zeitgenossen seufzten: „Einiges in seinen Briefen ist allerdings schwer zu verstehen…“ (2. Petr 3, 15).
Wieder einmal
schreibt der Unermüdliche einen Brief. Seit Jahren hat er sich der Sache des Auferstandenen verschrieben. Schon zwei Jahrzehnte hetzt der Apostel von Station zu Station, um das Evangelium weiter zu sagen.
Mit diesem schonungslosen Mann befinden wir uns nun Mitte der 50er Jahre (des 1. Jahrhunderts) in Korinth. Dort verbringt Paulus den Winter. Absehbar plant er, endlich selbst in die Welthauptstadt Rom zu reisen. Aber noch steht nicht fest, wann er das schafft.
Die christlichen Gemeinden Roms sind nicht durch ihn entstanden. Doch Paulus weiß von aktiven, zahlreicher werdenden Hausgemeinden in Rom. Er hört auch, dass es schwere Zeiten für die junge Christenheit dort sind. Kaiser Claudius ordnet ihre Vertreibung an. Bei einem Zeitgenossen können wir die Begründung bis heute nachlesen: „…weil sie durch Chrestos zur Unruhe angestiftet wurden.“ (Sueton)
Die Juden Roms reagieren besorgt, wollen nicht mit den „Chrestoi“ in einen Topf geworfen werden. Denn viele Christen kommen aus jüdischen Familien. Abgrenzungen werden zur Ausgrenzung.
Die Türen der Synagoge werden geschlossen. Der Riss geht durch Familien und Freundeskreise… Er bedeutet eine unsichere Zukunft für die betroffenen Christen. So bleiben die Rechte der Synagoge bestehen…, aber in der Gemeinde wachsen die Zweifel:
Warum glauben immer mehr Heiden an Jesus - und nicht unsere jüdischen Verwandten? Warum erkennen sie nicht, dass dies doch ist, was Mose und die Propheten verheißen? Warum sind sie wie „verstockt“?
Wie kein anderer versteht Paulus die Not dieser Fragen. Er lässt den Schreiber Tertius zu sich rufen, beginnt zu diktieren… Diakonin Phöbe wird den Brief mit nach Rom mitnehmen.
Was sollen wir nun hierzu sagen?
Ist denn Gott ungerecht?
Das sei ferne!
Denn er spricht zu Mose: „Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig; und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.“
So erbarmt er sich nun, wessen er will, und verstockt, wen er will.
Glaube ist Gnade – der eine bekommt sie, die andere nicht.
Liebe Gemeinde,
fast in der Mitte, im Herzen des Römerbriefes, steht dieser Abschnitt. Wenn ich die Worte losgelöst betrachte, empfinde ich Ratlosigkeit. Sogar Luther spricht von „schwerem Wein“, „anspruchsvoller Kost“. Am Ende des langen Gedankengangs wird Paulus selbst seufzen:
„Oh, welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und Erkenntnis Gottes! Wie gar unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege!“
Paulus macht offensichtlich „Schluss mit lustig“: Schluss mit einem Gott, der letztlich nur ein aufgeblasener Mensch wäre, weil unsere „Spielregeln für ihn gelten“.
Schluss mit einem Gott, der völlig erwartbar handelt, immer und überall begreiflich ist, sich im „lieben Gott“ erschöpft.
Schluss mit einem Gott - der nicht auch ganz anders und ganz frei uns Menschen immer wieder auch verborgen ist.
Gott ist und Gott bleibt Gott. Schöpfung und Vollendung sind sein Werk. Er ist die Autorität allen Lebens. Er lenkt Zeiten und Menschen. Fremd und unbegreiflich wird uns manches scheinen, besorgniserregend und schmerzlich… Deswegen können und werden wir klagen und fragen, nach ihm suchen und beten, um ihn ringen und immer wieder Grenzen aushalten:
Ja, lieber Mensch, wer bist du denn,
dass du mit Gott rechten willst?
Spricht auch ein Werk zu seinem Meister:
„Warum machst du mich so?“
Hat nicht ein Töpfer Macht über den Ton,
aus dem demselben Klumpen ein Gefäß zu ehrenvollem und ein anderes zu nicht ehrenvollen Gebrauch zu machen?
III
Liebe Gemeinde,
vielleicht ärgern Sie sich über dieses Bild.
Auch mir ist nicht leicht gefallen, es an mich heranzulassen. Vor allem, wenn ich an die wirklich schweren Momente im Leben denke. Wenn ich ein Kind begraben muss, jemand, den ich liebe, eine schwere Krankheit, einen schweren Weg vor sich hat oder die Nachrichten mich wieder erschüttern.
Natürlich könnte ich sagen, die Probleme des Paulus, die Situation zwischen Juden und Christen in Rom, belastet mich wenig. Doch die theologische Botschaft muss ich ernstnehmen, aushalten. Nicht zuletzt in dem ich sie (wie hier in unserer Kirche) unter den segnenden Händen Christi höre:
Hat nicht ein Töpfer Macht über den Ton?
(…)
Mir fällt meine Freundin ein, die wunderschön töpfern kann. Ein paar Mal habe ich ihr bei ihrer Arbeit zugesehen. Ich habe gestaunt, wie aus einem Bollen Matsch etwas so Ansehnliches, Nützliches entstehen kann.
Beim Töpfern macht sie sich die Hände schmutzig - und lächelt dazu. Zunächst muss sie den Ton eine Weile schlagen – kraftvoll und konzentriert, keineswegs aggressiv oder gewalttätig.
Dann beginnt die eigentliche Arbeit an der Scheibe. Zärtlich zieht, formt und dehnt sie den Ton. Immer wieder ist es wie Streicheln.
Es fühlt sich gar nicht schlecht an –
mir Gott als Töpferin vorzustellen, Künstlerin an der Scheibe. Die wurde schon vor 7000 Jahren erfunden.
…damit er den Reichtum seiner Herrlichkeit kundtue an den Gefäßen der Barmherzigkeit, die er zuvor bereitet hatte zur Herrlichkeit.
Ob Gott aus mir ein Gefäß der Barmherzigkeit macht?
Barmherzigkeit ist eine Tugend in allen Weltreligionen. Thomas von Aquin nennt sie „die größte aller Tugenden“. Auch Papst Franziskus widmet ihr viele Gedanken in seinem ersten apostolischen Schreiben Gaudium Evangelii.
Ökumenisch könnten wir uns an die Werke der Barmherzigkeit erinnern, leiblich und geistig:
Die Hungrigen speisen.
Den Dürstenden zu trinken geben.
Die Nackten bekleiden.
Die Fremden aufnehmen.
Die Kranken besuchen.
Die Gefangenen besuchen.
Die Toten begraben.
Die Unwissenden lehren.
Den Zweifelnden recht raten.
Die Betrübten trösten.
Die Sünder zurechtweisen.
Die Lästigen geduldig ertragen.
Denen, die uns beleidigen, gerne verzeihen.
Für die Lebenden und die Toten beten.
Auf dieser Grundlage können wir Gott neu bitten: Erfülle uns mit Deinem Geist der Barmherzigkeit!
Ja-
liebe Gemeinde:
Gefäß der Barmherzigkeit sein –
bewahren wir diese Sehnsucht unserer Berufung.
Amen
Predigt zu Römer 9,14-24 von Claudia Trauthig
9,14-24
Perikope