Predigt zu Titus 3,4-7 von Michael Plathow
3,4-7

Predigt zu Titus 3,4-7 von Michael Plathow

“Mächtig ist erschienen die Menschenliebe unseres Gottes”

1. Weihnachten - Wendezeit

Liebe Gemeinde der Weihnacht,

unser Weihnachtsfest meint einmal “Auszeit” -- “Auszeit“, angefüllt mit Sehnsucht nach Frieden in terrorbedrohten Tagen, nach Gnade in gnadevergessener Gesellschaft, nach Liebe in lieblosem Zusammenleben. Wir mit unseren persönlichen Erinnerungen freuen uns zusammen mit allen, die in Gemeinde und Zivilgesellschaft diese Festtage der Erholung und “seelischen Erbauung” genießen.

Weihnachten bedeutet zum andern “Wendezeit“; sie ist die heils- und kulturgeschichtliche Wende. Einst war es der römische Kaiser Marc Aurel, der noch im Jahr 274 eine allgemein geltende Verehrung der “unbesiegten Sonne”, “sol invictus” -- entsprechend zur göttlichen Preisung Kaiser Augustus als Hoffnungsträger des Erdkreises -- nun an der jahreszeitlichen Wintersonnenwende festlegte. Dieses Vorhaben durchkreuzend, feierten die Christen in Rom Jesus, den Heiland der Welt, als “wahre Sonne”, “verus sol”, in den Finsternissen der Welt. Im Jahr 354 bestätigte dann Papst Liberius Weihnachten als Fest der universalen Menschenliebe Gottes.. Ein frühmittelalterliches Gedicht (Sperrvogel 1190) besingt den, in dem sich die weihnachtliche Wende als die Zukunft der Menschheit vorausnehmende Sternstunde ereignet:

“Er ist gewaltig und stark,
der zur Weihnacht geboren ward.
Das ist der Heilige Christ”.

Diese Verheißung schallt als Freudenbotschaft aus dem Bibelabschnitt der heutigen Festtagspredigt; der Titusbrief, dem Apostel Paulus zugeschrieben, ruft um 130 die Gemeinden zur evangeliumsgemäßen Predigt und zum christlichen Leben im Alltag:

“Als aber erschien die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes, unseres Heilands, machte er uns selig - nicht um der Werke der Gerechtigkeit willen, die wir getan hatten, sondern nach seiner Barmherzigkeit -- durch das Bad der Wiedergeburt und Erneuerung im heiligen Geist, den er über uns reichlich ausgegossen hat durch Jesus Christus, unsern Heiland, damit wir, durch dessen Gnade gerecht geworden, Erben des ewigen Lebens würden nach der Hoffnung” (Tit 3,4 -- 7).

Gottes Liebe, konkret in der Menschwerdung Jesu Christi, wird verkündigt und gepriesen als Menschlichkeit, Menschenfreundlichkeit und Menschenliebe Gottes. Wende der Zeit. Zeitenwende.

Wende, Wechsel, Kehre, Veränderung, auch Brüche und Durchkreuzungen kennen wir im privat-persönlichen und gesellschaftlich-geschichtlichen Leben: die “kopernikanische Wende” in Astronomie und Philosophie mit ihren lebensweltlichen und weltanschaulichen Veränderungen, Paradigmenwechsel, Umwertungen. Auch sind da persönliche Damaskus- und Stotternheim-Erlebnisse, Durchkreuzungen und Kehren des Lebensweges wie etwa beim Altpräses Schneider und seiner Frau, “Wenn das Leid, das wir tragen, den Weg uns weist”, oder bei so manchem Gründer von Hilfen für andere, bei denen ohne eigene Vorteile Reden und Tun glaubwürdig zusammengehen.

2. Wende durch Gottes Menschenliebe

Liebe weihnachtliche Festgemeinde,

das Weihnachtsevangelium verkündigt mit dem Titusbrief eine uns und unsere Mitwelt verändernde Wende, das neue Wirklichkeitsverständnis: Es ist erschienen die Menschenliebe Gottes in Jesus Christus machtvoll und universal. Gott wird Mensch. Der Ewige erscheint auf Erden. Gottes Liebe erfüllt ahnende Sehnsüchte und weitet freudige Hoffnungen von Menschen und Welt. Es ist die Liebe des dreieinen Gottes, der die Welt ins Dasein liebt, der Sünder bedingungslos annimmt als Person, frei rechtfertigt, der alles neu schafft, der da ist ganz konkret “als der dasein wird” für uns, für dich und mich (Ex 3, 14). Liebe erweist sich als Gottes verborgenes Wesen. Machtvoll schließt diese Liebe Gottes Recht ein und ist auf Gerechtigkeit gerichtet. Sie überwindet das, was Nicht-Liebe ist, vereint, was Hass trennt, schafft Leben und eröffnet neu Zukunft. Und wie Gott seine Schöpfung gutheißt, so mag er vorausgehend uns Menschen leiden, ist uns näher als wir uns selbst sind.

An Weihnachten zeigt der dreieine Gott, dessen innertrinitarisches Leben Liebe ist, die Tiefe seines Wesens: Liebe, eine Himmelsmacht; und der Himmel tut sich auf, kein “Schloss und Riegel dafür” wie im Himmel so auf Erden..

Diese Himmelsmacht erhält widerständisch die geschundene Schöpfung und die korrumpierte Menschheit, nimmt sie in ihren Wärmestrom und in ihr Kraftfeld; durch den heiligen Geist erschließt sie sich uns, wenn wir uns im Glauben öffnen. “Gottes Liebe verströmt sich und schafft Gutes” (M. Luther, Heidelberger Disputation (1518), These 28). So werden wir mit unseren kleinen Lebens- und Liebesgeschichten in Gottes große Liebesgeschichte hineingenommen.

Als Geheimnis der Weihnacht wird vom Evangelium verkündigt: Gottes Menschenliebe, machtvoll sich zurücknehmend, ist da im jüdischen Menschenkind im Viehtrog zu Bethlehem. Jesus von Nazareth nimmt teil an allem, was uns Menschen eigen ist: an der Gebrochenheit unserer Existenz, an Freude und Schmerz, an Angst und Tod; er gibt sich hin “für uns” am Kreuz und erscheint in der Auferstehung als Heiland der Welt zu Leben und Seligkeit und lässt uns teilhaben daran.

Christus, der Retter aus allem, was von Gott und seiner Liebe trennt, was als Macht der Sünde, des Bösen, des Hasses Leben zerstört und Zukunft verschließt, Christus, der Lebensretter, ist da.

3. Wende in unserem Leben

Liebe weihnachtliche Gemeinde,

Gott wird Mensch, uns Menschen zugute. So geschieht Gottes Liebesgeschenk, seine “heilsame Gnade für alle Menschen” (Tit 2, 11) bedingungslos und unverdient uns, wenn wir uns ihr öffnen; “von seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade” (Joh 1, 16), wir, denen Gottes bejahend-anerkennendes “Wunderbar, schön, dass du da bist. Freude, dass es dich gibt” gilt. Das meint die Glaubens- und Lebensgewissheit des “kategorischen Indikativs” der immer schon von Gott in Jesus Christus Geliebten: “Du bist mein“, “ich habe dich in meine Hand gezeichnet” und wir in unsere Hand schreiben “Dem Herrn eigen” (Jes 44, 5). Von Gott geliebt, darum bin ich; mit Würde begabt durch den Mehrwert der Gnade im Urteil unseres Gottes, der Liebe ist, -- jetzt und für immer. Erinnern und Hoffen, als Gottes Zuschreibung und Erwartung leiten da unser Leben.

Jesus Christus, Gottes eingeborener Sohn, ist uns an Weihnachten Bruder geworden. Die Glaubens- und Geistgemeinschaft mit dem lebendigen Christus ist uns verheißen. Auch wir dürfen mit ihm, dem Sohn des Vaters, allein und in der Geschwisterlichkeit miteinander zu Gott “Abba”, “Vater”, sagen und anrufen im Gebet. Und im Abendmahl schenkt er sich uns und ruft uns als Getaufte in die Nachfolge. “Erben des ewigen Lebens” werden wir genannt, Menschen der Hoffnung, für die Leben mehr ist als “letzte Gelegenheit”, und die hier und heute “etwas sind zum Lob der Herrlichkeit Gottes” (Eph. 1, 12) in Dankbarkeit und Dienst.

In Gemeinde und Mitwelt werden wir als immer schon von Gott Geliebte Liebe leben, indem wir in der Liebe zum Anderen den ersten Schritt machen, vorausgehen.

So spiegeln wir auch nach Weihnachten im Alltäglichen durch gute Werke mit freundlichem Gesicht die Liebe Gottes in Jesus Christus wider. Weihnachten wird immer neu Advent, Ankunft, da, wo Jesus Christus als Flüchtlingskind uns in Asylsuchenden, Vereinsamten, Hilfsbedürftigen begegnet: Weihnachten vor uns; denn für uns gilt, dass heute und an jedem neuen Tag Christus uns gemacht ist “von Gott zur Weisheit und zur Gerechtigkeit, zur Heiligung und zur Erlösung” (1. Kor 1, 30). Mit Mathias Claudius gesprochen, an den wir im ausklingenden Jahr besonders gedachten: “Ich freue mich und danke Gott, wie’s Kind zur Weihnachtsgabe”, denn,

liebe Gemeinde der Weihnacht,

uns und allen Menschen ist der Heiland geboren. Mit der Botschaft des Titusbriefes wird uns dankbare Freude und gewisse Hoffnung verkündigt. Kommt, schmeckt hörend und sehend, wie menschenfreundlich unser menschlicher Gott ist.

Amen