Predigt zum Begegnungsfest von Einheimischen und Flüchtlingen am Diakoniesonntag von Thorsten Niehus

Liebe Gemeinde!

Wer in der Familie mit Geschwistern aufgewachsen ist, der weiß, dass sich Geschwister oft streiten, sich ärgern, ja sogar manchmal schlagen. Nicht nur als Kinder, sondern bisweilen auch als kindische Erwachsene.

Aber wer einen Bruder oder eine Schwester hat, der kennt auch die Erfahrung, dass Geschwister wie Pech und Schwefel zusammenhalten, wenn es ernst wird im Leben.

Für viele Familien ist die Lage ernst. Krieg, Flucht, Krankheiten, bittere Armut zerstörte Häuser, Tote Eltern, Kinder, Verwandte, politischer und religiöser Extremismus bedrohen das Leben.

Auch für uns als religiöse Geschwister ist das Leben ernst. Als Muslime, Christen und Juden sind wir alle Kinder des Gottes, den schon Abraham angebetet hat. Juden als älteste, Christen in der Mitte und Muslime als die jüngsten Kinder Gottes.

Wie in einer normalen Familie ist es in der Geschichte der Kinder Gottes immer wieder zu Streit und Zank gekommen. Wer hat Recht? Wer wird von den anderen Geschwistern benachteiligt? Wer hat mehr vom Kuchen abbekommen? Wer hat angefangen, sich zu hauen? Wer darf bestimmen?

Das schlimmste, was bei so einem Streit passieren kann, ist, wenn die Geschwister getrennt werden. Kluge Eltern stiften mit ernsten deutlichen Worten Frieden und geben den Kindern eine gemeinsame Aufgabe.

So ist das auch mit uns religiösen Geschwistern. Wir haben als Muslime, Christen und Juden, zusammen mit Atheisten, Buddhisten, Jessiden und anderen Gläubigen eine gemeinsame Aufgabe.

In unserem Land ist das die Aufgabe, für unsere Gäste aus fernen Ländern ein würdiges Leben zu ermöglichen. Für diejenigen, die seit einiger Zeit im Camp in Müggendorf und in anderen Erstaufnahmecamps leben ebenso, wie für diejenigen, die schon seit längerem bei uns Schutz vor Verfolgung und lebensbedrohlicher Armut suchen.

Da spielt es keine Rolle für die Gäste, dass die Johanniter, die in Müggendorf die Leitung übernommen haben, ein christlicher Orden und Vertreter der Diakonie sind. Höchstens die Rolle, dass Gott ihnen die Energie und Besonnenheit schenkt 7 Tage die Woche, 24 Stunden lang einen herausragenden Job für unsere Gäste zu machen.

Aber Gott schenkt auch den Haupt- und ehrenamtlichen Partnern die Kraft, daran mitzuarbeiten, dass es in Müggendorf nicht das Chaos gibt, das in vielen anderen Erstaufnahme- und Notunterkünften herrscht.

Dafür sollen wir Gott und den Menschen von Herzen danken.

Wenn Geschwister zusammen arbeiten, zusammen helfen, dann haben alle einen etwas anderen Grund dafür. Weil jeder Mensch anders ist als der andere. Aber wichtig ist das alle ein gemeinsames Ziel haben: Zusammen besser leben.

Damit wir uns besser kennen lernen, ist es auf diesem Weg wichtig, dass niemand seine Herkunft verleugnet. Und niemand versucht, dem anderen gegenüber aufgrund seiner Herkunft etwas Besseres zu sein.

Das ist schon im kleinen Dorf nicht einfach. Wer aus Westerwanna kommt, ist vielleicht in der Tradition aufgewachsen, dass die Leute aus Osterwanna kritisch zu betrachten sind. Und auch im globalen Dorf sind wir damit aufgewachsen, dass Menschen aus bestimmten Gegenden der Erde sich angeblich nicht vertragen können.

Doch wenn wir an einer anspruchsvollen Aufgabe zusammen arbeiten, dann spielt die Tradition des Mißtrauens plötzlich keine Rolle mehr. Dann überwindet die Liebe die Gedanken, mit denen wir uns bisweilen das Leben unerträglich machen Die Hilfe für unsere Gäste, die Schutz bei uns suchen, ist so ein Sieg der Liebe.

Dabei verleugne ich meine Herkunft nicht. Ich bin in Hannover geboren und als evangelischer Christ aufgewachsen. Da kann ich nichts dafür oder dagegen. Darum bin ich kein besserer oder schlechterer Mensch als ein Jesside oder ein orthodoxer Christ aus Syrien, ein Muslim aus dem Irak oder ein nicht-religiöser Mensch aus Montenegro.

Ich möchte „Zusammen besser leben“, weil die Familie meiner Mutter selber nach beiden Weltkriegen fliehen musste. Eine Familiengeschichte, die ich mit der Muttermilch aufgesogen habe. Außerdem glaube ich daran, dass mir seit der Flucht des Jesuskindes nach Ägypten in jedem Flüchtling ein Abbild Gottes begegnet.

Das ist Teil meines Glaubens, der mir Energie, Herz und Verstand für mein Handeln gibt. Andere Menschen haben einen anderen Glauben. Oder sie können gar nicht glauben. Wichtig ist mir das gemeinsame Ziel: Zusammen besser leben.

Uns kann das gelingen. Auch als Menschen mit unterschiedlicher Religion. Es gibt viele Beispiele, dass das funktioniert.

Zur Zeit der Mauren in Südspanien, als Muslime, Juden und Christen sich und ihre Kultur über viele Jahrzehnte gegenseitig bereichert haben.

Die vielen Jahrhunderte in Anatolien, in der griechisch Orthodoxe Christen und Muslime als Nachbarn friedliche zusammengelebt haben, bis in den 20er Jahren die Griechen aus Anatolien und die Türken aus Nordgriechenland von der Politik vertrieben wurden.

In Deutschland leben wir seit 60-70 Jahren als Menschen verschiedener Religion meist in recht guter Nachbarschaft. „Zusammen besser leben“ bleibt unser gemeinsames Ziel.

Dazu ist es wichtig, dass unser Glaube nicht politisch missbraucht wird. Das gilt für Gläubige aller Religionen. Wir müssen da ganz deutlich werden.

Der IS hat nichts mit dem Islam zu tun. Das ist eine politische Terrorbande.

Und die durchgeknallte Parolen einiger oberbayrischer Politiker wie: Abschieben nach Syrien, haben nichts mit  Christentum zu tun. Da weht der Geist nationalistischer Brandstifter, durch den schon Jesus Christus verfolgt wurde und bis zum Tod am Kreuz gelitten hat.

Wenn es ernst wird, halten Geschwister wie Pech und Schwefel zusammen. Der Terror des IS ist tödlicher Ernst. Die Worte und Taten nationalistischer Brandstifter ebenfalls. Darum lasst uns zusammenhalten, auf dass nicht die Extremisten Oberhand gewinnen, sondern wir zusammen besser leben.

Amen.

Perikope