Predigt zum Internationalen Frauentag – Predigt zu Hohelied 1, 15 - 2, 17 von Elke Markmann
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Predigt zum Internationalen Frauentag – Predigt zu Hohelied 1, 15 - 2, 17 von Elke Markmann

 

Predigt zum Internationalen Frauentag. Predigttext: Hohelied 1, 15- 2, 17

Der Predigttext wird vorher in verteilten Rollen als Lesung vorgetragen.

Angeregt zu diesem Gottesdienst bin ich durch das Materialheft der Evangelischen Frauen in Deutschland zum Frauensonntag 2019 „du bist schön“ und durch die aktuellen Diskussionen um Vielfalt der Schönheit.

Frauen in der Bibel – in Nebenrollen und Hauptrollen

Liebe Gemeinde,

ich bin auf der Suche gewesen: Wie kommen Frauen in der Bibel vor?

Sie werden meistens in passiven Rollen beschrieben. Nur selten haben sie die aktive Rolle in einer biblischen Erzählung. Aber es gibt gute Ausnahmen. Es gibt zwei Bücher, die Frauennamen tragen: Ester und Rut – in beiden Büchern spielen Frauen aktive Rollen. Sie gestalten Geschichte. Auch im Hohelied der Liebe kommen Frauen vor. Eine Liebende Frau wendet sich an ihren Geliebten. Sie spricht mit anderen Frauen.

Hohelied der Liebe – eine Frau singt von der Liebe

Wir haben vorhin schon in der Lesung einen Auszug aus diesem Buch gelesen: Das Hohelied der Liebe. In der jüdischen Religion wird es „Das Lied der Lieder“ genannt.

Die Frau schwärmt. Sie schwärmt von ihrem Freund. Sie lockt ihn.

Oft denken wir, dass Frauen in biblischen Zeiten vor allem in untergeordneter Stellung lebten – auch und vor allem in der Partnerschaft. Hier werden wir überrascht.

Die Meinung, dass in biblischen Zeiten Frauen untergeordnet lebten, ist so allgemein nicht richtig. Die Bibel ist ein lebendiges Buch, in dem viel von dem oft gleichberechtigten Miteinander von Frauen und Männern erzählt wird. Es gibt natürlich auch anderes. Es gibt Vergewaltigungen, arrangierte Ehen, Unterdrückung und Ausbeutung von Frauen, Armut von Frauen und viele schwere Frauenschicksale mehr. Und immer wieder begegnen uns andere Frauen. Wie hier. Wie die Frau, die von und für ihren Geliebten singt.

Überhaupt überrascht das gesamte Buch. Es ist voller Erotik. Hier wird mit Nähe und Anziehung gespielt. Mit erstaunlicher Offenheit werden hier jede Menge erotische Bilder gemalt.

Hohelied in der Auslegungsgeschichte

Genau das hat im Laufe der Geschichte für Schwierigkeiten mit diesem Buch gesorgt. So viel Erotik und Direktheit – das hat doch bestimmt eine andere Bedeutung? So wurde das Buch als Sammlung weltlicher Liebeslieder von manchen Interpreten als mehr oder weniger nicht-biblisch angesehen und nicht beachtet. Im ganzen Buch ist nicht einmal von Gott die Rede. Das war ein Argument dafür, dass es hier um rein weltliche Liebeslieder geht.

Oder es wurde anders interpretiert: So, wie hier Mann und Frau umeinander werben – das ist ein Bild für das Verhältnis zwischen Gott und seinem Volk. Das Motiv kommt mehrfach bei den Propheten vor: Gott und Israel als Mann und Frau, die sich lieben, manchmal eifersüchtig übereinander wachen, umeinander werben und füreinander kämpfen.

Mittelalterliche Mystiker und Mystikerinnen benutzen ähnliche Bilder. Sie schreiben von ihrer Liebe zu Gott oder zu Jesus mit erotischen Bildern. Das Lied der Lieder scheint sie inspiriert zu haben. Das Verhältnis zwischen Gott und dem einzelnen Glaubenden wird als Liebesverhältnis, als Ehe aufgefasst. Ein Verhältnis, in dem es um gegenseitige Anziehungskraft geht.

Hohelied – ein Lied mit eigener Geschichte von Göttinnen und Menschen

Für mich ist es ein Liebeslied. Sehr menschlich – und damit ebenso göttlich.

Und es klingen alte Göttinnen an.

Dann wende dich,

gleich einer Gazelle

oder einem jungen Hirsch,

zu dir, mein Freund,

auf Bergen der Trennung.

Die Gazelle und der Hirsch waren Motive in der Bildwelt der altorientalischen Religionen. Sie gehörten zu Gottheiten und stehen für die Überwindung des Todes in der Wüste. An anderer Stelle heißt es: „Deine zwei Brüste sind wie zwei Kitze, der Hirschkuh Zwillinge, die unter Lotusblüten weiden.“ Ein doppelt starkes Bild für das nährende Leben.

Die Taube war im alten Orient die Botin der Liebesgöttin. Bei uns heute ist die Taube immer noch ein religiöses Symbol: des Friedens.

Das Lied der Lieder zieht eine Verbindungslinie zu den alten Religionen. Die alten Göttinnenbilder waren zur Entstehungszeit teilweise noch lebendig. Wer diese Worte hörte, wurde an sie erinnert.

Es sind alte Motive aus einer Zeit, in der in Israel noch nicht der EINE Gott verehrt wurde. Ich gehe davon aus, dass diese Symbole immer noch mit Göttlichkeit in Verbindung gebracht wurden. Der EINE Gott, der Gott Abrahams, hatte alle anderen Götter abgelöst und viele ihrer Symbole aufgenommen.

 

Du bist schön

Zurück zum Text: Du bist schön!

Da ist die rein körperliche Liebe zwischen Männern und Frauen.

Die gegenseitige Anziehungskraft ist groß. Wenn die Frau vom Mann schwärmt oder der Mann von der Frau, beschreiben sie sich mit ungewöhnlichen Bildern. Die Schönheitsideale scheinen andere gewesen zu sein. Die Bilder vom Lotus oder von der Lilie entsprechen ja vielleicht noch unseren Vorstellungen von Schönheit. Aber: „Ich vergleiche dich, meine Freundin, einer Stute an den Wagen des Pharao.“ Oder: „Deine zwei Brüste sind wie die Zwillinge der Hirschkuh.“ Und andere ähnliche Bilder. Vielleicht lesen Sie mal nach.

Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass ich mich freuen würde, wenn mein Mann mich mit einer Stute oder einer Hirschkuh vergliche.

 

Wer definiert, was schön ist?

Wie definieren wir Schönheit? Natürlich gab es damals auch schon bestimmte Schönheitsideale. Von Königinnen und angehenden Königinnen wird erzählt, wie wichtig eine gute Körperpflege ist. Eine weiche reine Haut und eine anmutige Gestalt waren schon damals hohe Werte. Erzählen diese Bilder von einem anderen Schönheitsideal? In der Zeit des Barock waren füllige Frauen schön. Schlanke galten nicht als schön. Ob das damals vielleicht auch anders war? Wenn die Stute und die Hirschkuh als schmeichelhaft angesehen werden, scheint ein anderes Schönheitsideal dahinter zu stehen als heute.

Werbung und bearbeitete Fotos von sowieso schon gertenschlanken Modells bauen in uns allen Bilder auf, die uns einschränken. Sie beeinflussen unser Denken. Auch selbstbewusste Frauen können sich nicht von diesen Bildern frei machen. Wir beurteilen einander nach dem äußeren Schein.

Im Lied der Lieder geht es aber nicht um das äußere Aussehen der Menschen. Vielmehr wird die Beweglichkeit und die Schnelligkeit der Liebenden mit den Bildern aus der Tierwelt beschrieben: Gazellen, Hirschkühe und Stuten waren in Bewegung. Die Liebenden erzählen davon, wie wichtig es ist, schnell zueinander zu kommen.

In der Liebe zählen die äußeren Bilder und die Schönheitsnormen nicht viel.

Wir sehen anderes. Nicht der Taillenumfang, sondern die Sehnsucht nacheinander sind wichtig.

Nicht die perfekten Brüste, sondern die Gedanken an einander stehen im Mittelpunkt.

Nicht die Muskelpakete an den Armen des Mannes sind wichtig, sondern seine Entschlossenheit, zur Frau zu kommen.

In den Augen der Liebenden gibt es keine hässlichen Körper, kein zu dick oder zu dünn, zu groß oder zu klein.

Ein liebender Mensch braucht kein Fotomodell, kein Fotoshop-überarbeitetes Bild des geliebten Menschen.

 

Liebe als Grundgefühl und Maßstab des Lebens

Als geliebte Frau bin ich schön, unabhängig von den gängigen Schönheitsnormen. Als geliebter Mann bin ich schön – ganz egal, wie ich aussehe. Dabei spielt es überhaupt keine Rolle, ob die Liebe zwischen zwei Frauen, zwischen Mann und Frau, zwischen zwei Frauen oder zwischen Menschen anderen Geschlechts blüht. Ich bin geliebt.

An dieser Stelle wird dieses Buch für mich zutiefst religiös und biblisch: Ich bin geliebt. So wie ich auch von Gott geliebt bin – völlig bedingungslos.

Vor Gott, der Gottheit, die mich liebt, muss und will niemand von uns eine Ideal-Figur machen. Da wissen wir, dass es um andere Werte geht. Zwischen Menschen geht es auch nicht um Äußerlichkeiten! Liebe macht blind. Dieser Spruch ist so blöd wie genial. Wir sind nicht blind, wenn wir hinter der äußeren Schale den Menschen erkennen. Liebe macht hellsichtig, müsste es vielmehr heißen. Hinter meiner äußeren Schale bin ich einzig und besonders. Geliebt bin ich so, wie ich bin, mit der Schale, ob schön oder nicht – und mit meinen inneren Werten.

Gott liebt mich, wie ich bin. Kann ich mich auch lieben, wie ich bin? Kann ich glauben, dass ich geliebt bin?

 

Ein Liebeslied mitten in der Biel – wie schön!

Amen.