Predigt zum Israelsonntag zu Johannes 4, 19-26 von Claudia Trauthig
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Predigt zum Israelsonntag zu Johannes 4, 19-26 von Claudia Trauthig

Liebe Gemeinde,
  
  wie ein tiefes Hinabsteigen in die Brunnen der Vergangenheit ist es,
  wenn wir hier in der Kirche
  Sonntag für Sonntag
  die alten Texte unseres Glaubens lesen und hören - zu uns sprechen lassen.
  Allesamt speisen sie sich
  -in ihrer unerschöpflichen Vielfalt-
  aus der Quelle, die Gott ist.
  Tief hinab also steigen wir,
  um dann je aufs Neue wieder aufzutauchen: ins Leben, mit den Weisheiten aus der Tiefe unser Leben tränken zu lassen.
Vom Schöpfen aus den Brunnen der Vergangenheit handelt ja ganz wörtlich auch der Predigttext für diesen Israelsonntag:
Er schildert eine Begegnung beim Wasserschöpfen. Jesus begegnet einer fremden Frau, einer Samariterin. Eigentlich vermeidet man(n) solchen Umgang – als guter Jude.
Doch Jesus geht sogar noch weiter:
Er beginnt ein theologisches Gespräch -  das eine Lebenswende einläutet: Aus einer dürstenden fremden Frau wird eine sprudelnde Quelle des Glaubens. Gott ist ihr nahe gekommen. Darum kann sie aus seiner Nähe überall leben – im Geist und in der Wahrheit - ganz egal ob sie in Jerusalem, Sichem oder sonstwo ist.
Doch bevor wir noch einmal diese wundersame Begegnung betrachten, lassen sie mich schildern, was ich für diesen Israelsonntag beim Hinabstieg mitnahm…
1.    Befreiung kommt – von den Juden
Die Osterferien hatte sich die Familie anders vorgestellt. Seit Monaten hatte man sich auf den gemeinsamen Besuch in der Bundeshauptstadt gefreut: Im April ist bestimmt schon schönes Wetter. Vielleicht blühen schon die Bäume unter den Linden, vielleicht kann man schon im Straßenkaffee sitzen…!
Doch als man Berlin endlich erreicht, findet sich auch dort keine Spur von Frühling. Der Himmel ist grau. Regenwolken und ein eisiger Wind treiben die Passanten vor sich her. Die Natur erinnert an November. Ihr erster Spaziergang macht keine Laune.
Da zeigt der Jüngste auf ein Plakat mit neongelber Schrift: Mama, guck mal: „Die Juden sind unser Unglück“, steht da doch tatsächlich an der Litfaßsäule. Mein Gott, was ist das denn?, erschrickt die Mama…, will genauer hinsehen… Da mahnt der Vater zur Eile, man verpasse sonst die U-Bahn, müsse länger noch in der Kälte stehen.
Tags drauf wieder so ein Plakat, selbe Schrift, doch ganz andere Botschaft: „Die Juden sind das auserwählte Volk“, heißt es nun  - und jetzt schaut die Familie genauer hin:
Das ist ja Werbung - für eine Ausstellung im Jüdischen Museum. „Was Sie schon immer über Juden wissen wollten“, steht da auch.
Statt ins Strassencafe geht man nun ins Museum. Und sie staunen nicht schlecht:
Da sitzt sogar ein quicklebendiger Mensch in einer Vitrine und beantwortet Fragen, die ihm Nicht-Juden stellen. Man erfährt auch, dass der Satz „Die Juden sind unser Unglück“ veröffentlicht war, bevor Hitler überhaupt geboren ward - von einem bedeutenden deutschen Historiker, dem 1879 kaum jemand öffentlich widersprach.
Hitler hat mit Sätzen wie diesem dann Jahrzehnte später seine neue Religion bestückt. Christen, die ihm in Scharen folgten, entfernten den ganz anders lautenden Vers „Das Heil kommt von den Juden“ aus dem Munde Jesu. Sie strichen ihn aus der Bibel, dem Johannesevangelium: „Das kann unser Heiland nicht gesagt haben.“
2.    Aber Jesus ist Jude - und als solcher unsere Hoffnung
„Jesusbilder“ – so steht es auf dem Arbeitsblatt im Konfi-Ordner. Melanie hat die Seite gern aufgeschlagen, denn neben wenig Text, finden sich verschiedene Bilder von Jesus. Da ist ein Foto mit dem Darsteller (hot sieht der aus!) aus dem Musical Jesus Christ – Superstar.
Daneben sieht man ein Bild, das eindeutig älter ist: ein Gemälde. Jesus sitzt an einem Tisch mit den anderen. Es sind schöne Farben und ein ganz sanfter Jesus, der sich nicht ablenken lässt. Melanie weiß, das ist das letzte Abendmahl und sie glaubt, das Bild hängt irgendwo in Mailand. Beim letzten Italienurlaub hatte die Mama es unbedingt angucken wollen. Aber dann war so eine lange Schlange vor der Kirche gewesen, dass sie doch nicht rein sind.
Dann ist da noch ein Schwarz-Weiß-Foto aus einem Film, den Melanie nicht kennt. Da sieht Jesus aber gruselig aus, das gefällt ihr nicht.
 Neben den Bildern ist ein „Steckbrief Jesu“ zum Ausfüllen. Tragt mal ein, was ihr schon wisst, sagt der Pfarrer – und Melanie weiß viel, eigentlich alles:
geboren in Bethlehem, aufgewachsen in Nazareth, Eltern: Maria und Josef und Gott (!) – Klaro!, Zimmermann, 12 Jünger, gekreuzigt und auferstanden. Auch bei „Religion?“ ist Melanie sicher. Das ist ja einfach: „Christ“ -natürlich. Die anderen haben das auch alle reingeschrieben, weiß ja jeder.
Als der Pfarrer den Steckbrief durchgeht, sagt er erst mal nichts, als Lukas „Christ“ antwortet. Dann aber widerspricht er: „Nein – das müsst Ihr jetzt alle korrigieren: Jesus war Jude.“
Nicht nur Melanie, auch die anderen sind empört: Ob der Pfarrer das wirklich richtig weiß? „Beruhigt Euch“, sagt der nur - und erklärt und erklärt.
Diese Stunde wird Melanie nicht vergessen und sie hat erkannt: Ihr Jesus, der Christus, war Jude.
3.    Durch den Juden Jesus zur Quelle gelangen und selbst zu sprudeln anfangen
Auch heute brennt die Sonne wieder, wie wenn sie den Menschen zeigen will, wer stärker ist. Heiß ist es auf den Gassen von Sychar. Die Mauern der kleinen Lehmhütten bieten längst keine Abkühlung mehr. Ausgerechnet heute hat sie sich vorgenommen, die staubigen Tücher zu waschen; auch der Durst plagt sie schon wieder. Kein Gewässer in der Nähe, der Weg zum Brunnen ist unausweichlich. Erneut muss sie sich auf den Weg machen.
Um die Mittagszeit kann sie meist in Ruhe Wasser schöpfen. Wie oft hat sie sich sonst freche Kommentare anhören müssen. Keine Ahnung haben die Leute…, wollen aber alles be- und verurteilen. Schnell macht sie sich auf: Schöpfkelle und Krug nicht vergessen. Wenn sie Glück hat, ist sie in einer Stunde zurück.
Doch es kommt anders. Schon von Ferne sieht sie die Gestalt: Wer hockt da in der Mittagsglut am Brunnen? Ist das möglich, das ist doch ein Fremder, ein Jude… Hier in Samarien -  was tut der da?
Unmerklich hält sie inne, überlegt, ob sie umkehren soll. Doch - was soll´s? Schnell wird sie ihren Krug füllen, schnell wieder gehen.
Kaum ist sie am Brunnen angekommen, spricht der Fremde sie an: Gib mir zu trinken!
Was soll das jetzt? Für die Juden sind wir doch unrein. Wenn der sich von mir Wasser schöpfen lässt, verunreinigt er sich. Will er mich provozieren?
Wie, du bittest mich um etwas zu trinken, der du doch Jude bist und ich eine samaritanische Frau?
Wenn du erkenntest die Gabe Gottes und wer der ist, der zu dir spricht: Gib mir zu trinken!, du bätest ihn und er gäbe dir lebendiges
Wasser.
Was ist das für eine Antwort, denkt die Frau. Wie ist das gemeint? Wer ist das? Geheimnisvoll klingt das: Solches Wasser… wenn es das nur gäbe!
Meinen Mann soll ich holen, sagt er jetzt… aber das kann ich doch nicht – leider.
Du hast recht geantwortet.Fünf Männer hast du gehabt, und der, den du jetzt hast, ist nicht dein Mann; das hast du recht gesagt.
Der weiß also auch Bescheid. Ja - das sind die Bruchstücke meines Lebens. Doch ER wendet sich nicht ab von mir – wie ist das erleichternd!:
Herr, ich sehe, dass du ein Prophet bist. Unsere Väter haben auf diesem Berge angebetet, und ihr sagt in Jerusalem sei die Stätte, wo man anbeten soll.
Glaube mir, Frau, es kommt die Zeit, dass ihr weder auf diesem Berge noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet. Ihr wisst nicht, was ihr anbetet; wir wissen aber, was wir anbeten; denn das Heil kommt von den Juden. Aber es kommt die Zeit und ist schon jetzt, in der die wahren Anbeter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit, denn auch der Vater will solche Anbeter haben. Gott ist Geist, und die ihn anbeten, die müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.
Spricht die Frau: Ich weiß, dass der Messias kommt, der da Christus heißt. Wenn dieser kommt, wird er uns alles verkündigen. Jesus spricht zu ihr: Ich bin´s, der mit dir redet.
Als der Mann das sagt… - wird alles neu. Es ist,  wie wenn die Welt plötzlich Farbe bekommt. Wie glücklich ist die Frau, voller Staunen noch, als da auf einmal andere Männer auftauchen: Jesus, was redest du mit der?
Den Krug und die Kelle lässt sie liegen, läuft schnell zurück in ihr Dorf. Jetzt sprudelt es aus ihr heraus: Hört, wer mir begegnet ist. Wenn das nicht der Christus ist – auch unsere Hoffnung! Schaut selbst.
Und das tun sie. Die Geschichte schließt mit den Worten: „Und noch viel mehr glaubten um seines (Jesu) Wortes willen und sprachen zu der Frau: Von nun an glauben wir nicht mehr um deiner Rede willen, denn wir haben selber gehört und erkannt: Dieser ist wahrlich der Welt Heiland.“
4.    Von der Quelle des Lebens -  ins Leben hinein
Liebe Gemeinde, so wenig, wie wir Wasser selbst herstellen können, so wenig können wir dauerhaftes Lebensglück selbst machen. Das müssen wir auch nicht, denn uns speist die Quelle des wahren Glücks: des „Heils“, wie Luther übersetzt. Wir müssen weder nach Rom pilgern, noch zum Dalai Lama fliegen. Denn Gott kommt zu uns, wie er zu den Kindern Israels immer schon kam.
Er sieht uns, wie wir sind: inmitten der Bruchstücke unserer gelingenden oder auch gescheiterten Beziehungen. Er überwindet alle Fremdheit, damit Menschen ihn erkennen: heute und gestern und morgen – im Juden Jesus – im Geist und in der Wahrheit!
Amen.