Predigtskizze zur Bach-Kantate "Jesus schläft, was soll ich hoffen?" von Jochen Arnold

Predigtskizze zur Bach-Kantate "Jesus schläft, was soll ich hoffen?" von Jochen Arnold

Predigtskizze zur Bach-Kantate Jesus schläft, was soll ich hoffen? BWV 81
  
  Der vorliegende Entwurf für einen Kantatengottesdienst inszeniert den Verkündigungsteil bewusst im stetigen Wechsel von Wort und Musik, dazwischen singt die Gemeinde das Psalmlied Hilf mir mein Gott. Ich empfehle denen, die auf diese Skizze zurückgreifen wollen, zur Vorbereitung die Lektüre von Alfred Dürr, Die Kantaten J.S Bachs, und die Nutzung eines Tonträgers (z.B. Koopmann; Suzuki o.ä.), da eine Ad-Hoc-Aufführung sicher kaum möglich sein wird. Bei Rückfragen biete ich eine kurze Beratung ( ) an, allerdings bitte vor Freitag 18.1.
   Auf die Lektüre des Evangeliums aus Matth. 8 würde ich ganz verzichten, da die Geschichte im Zug der Predigt erzählt wird.
  Stattdessen könnte ich mir als Epistelllesung Röm 8,19-23 oder einen Klagepsalm (Ps 69 in Auszügen) gut vorstellen. (Bezüge zum Film Schiffbruch mit Tiger sind ebenfalls denkbar. Diese Passage würde ich aus Zeitgründen aber evtl. auch komplett streichen).
  
  Predigtteil I vor Kantatensatz 1 und 2
  
  I Schläfst du eigentlich?
  Papa, schläfst du? Och, Papa, nicht schlafen!
  Erschreckt fahre ich hoch. Tatsächlich sind mir beim Vorlesen auf dem Sofa die Augen zugefallen. Meine vierjährige Tochter ist ungeduldig, ja enttäuscht. Schließlich habe ich ihr schon lange versprochen, aus ihrem Lieblingsbuch vorzulesen. Aus der Perspektive des Kindes betrachtet, eine herbe Enttäuschung. Aber auch aus meiner Sicht ist das unangenehm. Denn ich möchte doch gerne gemeinsam Zeit mit ihr erleben und mein Versprechen halten!
  Ein harmloses Beispiel, werden Sie jetzt vielleicht denken. Ja, es passieren schlimmere Dinge zwischen Himmel und Erde. Und doch: was im Kleinen anfängt, könnte sich ja im Großen fortsetzen. Ein Versprechen nicht zu halten oder buchstäblich zu verschlafen, belastet Beziehungen.
  
  Doch gibt es solche Enttäuschungen eigentlich auch mit Gott?  Kennen Sie das bohrende Gefühl, er könnte schlafen? Oder noch schlimmer: Er sei schon irgendwie da, würde aber meist wegschauen und sich gar nicht für mich interessieren? Da ist vielleicht die Sorge, den Arbeitsplatz zu verlieren, oder noch schlimmer dass mein Partner mich verlässt. Angst vor dem nahen Examen. Und der Kontakt nach oben? Scheint abgeschnitten, oder besser: Da ist Funkstille von oben. 
  Papa, Abba, schläfst du? Hast du nicht versprochen, immer und alle Tage bei uns zu sein? Johann Sebastian Bach und sein unbekannter Dichter, nehmen diese Situation in einer Kantatenmusik auf, die fast 300 Jahre alt ist. Am 30. Januar 1724 wurde sie zum ersten Mal in Leipzig gespielt und ist bis heute aktuell. Nicht nur als schöne, berührende, bisweilen dramatische Musik, sondern auch mit der Schilderung unserer Existenz, als musikalischer Gottesdienst, als Predigt in Tönen.
  Der Titel des ersten Satzes zielt genau auf die angesprochene Situation:
  Jesus schläft, was soll ich hoffen?
  Seh ich nicht
  mit erblasstem Angesicht
  schon des Todes Abgrund offen?
  
  Es gibt also Situationen, da stehen wir schon mit einem Fuß im Grab, sagt Bachs Dichter. Das fühlt sich schrecklich an.
  Hören wir, was JSB mit dieser Erfahrung macht. Streicher spielen in extrem  tiefer Lage, wir vernehmen dazu ein Pochen – gleichsam der ängstliche Herzschlag - in den Bassinstrumenten. Seufzermotive in allen Instrumenten, besonders den Blockflöten, machen die Klage sinnfällig. Und die Singstimme (Alt) gerät immer wieder ins Stocken, schnappt nach Luft.
  Schließen Sie die Augen. Jetzt ist Raum für Ihre Fragen und Sorgen, Bachs Musik nimmt sie auf. Achten Sie besonders auf die Pausen und die Liegetöne.
  
  Sätze 1 und 2
  
  II  Warum so ferne?
  Das eben gehörte Rezitativ (Satz 2) hat die Arie weitergeführt. Während das Ich im ersten Satz seine ausweglose Situation und die damit verbundene Angst vor dem Tod beklagt hat, kommt nun Gott ins Spiel. Er wird direkt angesprochen. Ein poetisch-musikalisches Klopfen an die Himmelstür.
  Herr, warum trittest du so ferne?
  Warum verbirgst du dich zur Zeit der Not?
  Der Dichter verbindet den Reim mit dem Wörtchen ferne in der ersten Zeile mit dem Stichwort Sterne,  den er ganz am Ende des Stückes platziert. Er zeigt dadurch: Der schlafende Jesus ist uns manchmal  so fern wie ein Stern im Kosmos. Und Bach? Er drückt diese Erfahrung beim Stichwort ferne durch einen kaum singbaren großen Sprung nach oben aus.
  
  Doch auf welche konkrete Situation ist diese Musik zu beziehen? In welcher Not gesprochen?
  Ist Gott denn für alle Miseren unseres Lebens verantwortlich? Für alles Leid, was in der Welt geschieht?  Nein. Ist er nicht! Denn vieles, was an Krieg und Terror, an persönlichen Verletzungen und Unrecht in dieser Welt geschieht, das ist hausgemacht. Wir sollen Gott nicht das alles in die Schuhe schieben. Am 11. September 2001 in New York etwa waren unverkennbar Menschen am Werk. Und so auch jetzt in Syrien. Um solche Erfahrungen geht es in der Kantate nicht.  Aber es gibt auch Not und Leid, die uns unverschuldet treffen: Naturkatastrophen und Krankheiten. Fragen wir deshalb: Wer spricht denn da eigentlich?  Wer klopft da an die Himmelstür?
  
  Bachs Musik bezieht sich auf eine konkrete Situation, die uns im Evangelium des Matthäus erzählt wird. Ein kleines Schiff treibt auf dem Galiläischen Meer. Eine Handvoll Fischer sind nach Einbruch der Nacht überrascht worden von einem der tückischen Fallwinde. Eigentlich sind sie ja Profis auf dem Wasser. Sie wissen, wie man mit einem Boot umgeht, auch bei Windstärke 9 oder 10. Doch dann wird es wie eine Nussschale herumgeworfen, eine Welle nach der anderen überspült sie . Das erste und dann auch das zweite Ruder gehen über Bord. Sie sind hilflos den Elementen ausgeliefert. Der Mast bricht mit einem lauten Krachen. Dann fängt einer an zu schreien, verschafft seinen Gefühlen Luft und rüttelt den schlafenden Jesus an der Schulter. „Warum schläfst du? Wir kommen alle um!“ Der Klageschrei ist bereits eine Erleichterung. Besser als alles in sich hineinzufressen. Ob er helfen kann?
  
  Gemeinsames Lied: Text: Eugen Eckert, Melodie EG 369 (4/4 Takt statt 6/4)
  Hilf mir, mein Gott! Denn Leib und Seele
  vergehen schier vor Todesangst.
  Mir reicht das Wasser bis zur Kehle –
  du, der du Sturm und Meer bezwangst,
  hilf jetzt auch mir, die Not ist groß:
  Komm, halt mich fest, und lass nicht los.
  
  Sieh, wie die Wellen tosend wühlen,
  der Boden wankt, es schwankt der Grund.
  Sieh, wie mich Gischt und Flut umspülen,
  und hör den Schrei aus meinem Mund:
  Zum Halse mir die Wasser stehn,
  lass mich, mein Gott, nicht untergehn.
  
  Du hast die Macht, mich zu erhalten,
  und hast dies wie oft schon getan.
  Dein Wort allein zähmt die Gewalten -
  Gott, schweige nicht. Gott, sieh mich an:
  mein Hals ist heiser, müde, wund,
  sprichst du ein Wort, werd ich gesund.
                                                
  Jetzt sind wir mittendrin, liebe Gemeinde, in der Seenot der Jünger, in unserer Seenot.
  Vielleicht haben Sie die Verfilmung des Bestsellers Das Leben des PI – Schiffbruch mit Tiger gesehen. Oder auch das Buch gelesen… Als einziger von über 100 Passagieren und einem ganzen Zoo von Tieren überlebt er einen schrecklichen Sturm im Pazifik. Er flüchtet auf ein kleines Rettungsboot, auf dem sich, wie er erst nach einiger Zeit merkt, auch ein wilder Tiger befindet.
  Selten habe ich schönere Bilder von Tieren und vom Ozean gesehen, aber auch mit Pi gelitten und gezittert. 275 Tage hält er es aus und spürt, was es heißt, dort zu überleben, wo der Stärkere sich durchsetzt. Er ringt zugleich mit seinem Glauben an Gott.
  Mitten in einem zweiten Sturm, der ihm samt dem gefährlichen Tiger schier vollends den Garaus macht, steht er mit erhobenen Händen da und betet. Preist Gott für seine Größe und Herrlichkeit. Allmächtig und geheimnisvoll ist er, unergründlich und anders. Könnte ich das, frage ich mich?
  Beim Nachdenken über den Film ist mir der Sturm und das wilde Tier zu einem Bild für meine Existenz geworden, für die inneren Stürme des Lebens und für den „Tiger in mir“, der faucht und zubeißt, auch dann wenn es mir nicht gefällt.
  Doch hören wir nun, wie Bach den Sturm schildert, das Getöse der Chaosmächte des Wassers eindrucksvoll inszeniert. Die Arie malt in Turnerscher Manier das dramatische Bild eines Sturmes. Zweiunddreißigstel-Koloraturen fahren wie Blitze durch die Solovioline,  Dreiklangsbrechungen besonders in der Singstimme bilden die Wellen ab, pochende Streicher das Grummeln des Donners. (evtl. vorsingen)
  Und dann? Was folgt danach? Das absolute Gegenteil. Doch hören Sie selbst…
  
  Satz 3 und 4
  
  III Warum so furchtsam? Er lässt sich hören
  Noch ist äußerlich betrachtet nicht viel passiert, noch bläst der Wind und toben die Wellen. Und doch… Das Blatt hat sich gewendet, denn Gott hat sich gewendet, uns in Jesus zugewendet. Mitten in der Nacht, inmitten des tosenden Sturms deiner Ängste kannst du ihn hören. Nicht donnernd, sondern liebevoll und freundlich: Warum bist du so furchtsam?
  Im schlichten Arioso, das wir gerade gehört haben, fragt er zwölfmal: Warum? Warum seid ihr so furchtsam? Alle zwölf Jünger sind also angesprochen, und du und ich, wir alle heute, mit ihnen. Keiner wird ausgegrenzt.
  Jesus ist auf einmal hellwach, er hat alles mitbekommen. Unsere Frage: Warumbist du so ferne? Beantwortet er mit einer Gegenfrage: Warumseid ihr so furchtsam? Ganz auf Augenhöhe mit uns ist er also.
  Ihr Kleingläubigen! Warum seid ihr so furchtsam? Das ist eigentlich keine Frage. Es ist schon eine Antwort: Ich habe eure Klage gehört, eure Todesangst gesehen. Wenn ich da bin, kann euch nichts passieren, oder besser: nichts mehr von Gott trennen.
  Seine Stimme lässt neue Hoffnung aufkeimen. Ja, solche Stimmen brauchen wir in den Seenöten und Schiffbrüchen unseres Lebens…
  Doch hören wir weiter, was dann passiert.
  
  Satz 5 bis 7 (oder nur Satz 5 und 6)
  IV Bach als Seelsorger
  Es bleibt also nicht bei der einfühlsamen Frage Jesu. Er lässt seinen Worten Taten folgen. Bachs Musik hat uns das gerade eindrucksvoll zu Ohren gebracht. Den kraftvollen Gebieter, den Schöpfer Himmels und der Erden hat sie uns präsentiert (Schweig, schweig!), aber auch - im Mittelteil der Arie - nochmals den einfühlsamen Freund. Gott ergreift durch ihn Partei für uns gegen die rohe Gewalt der Natur:
  Dir (Wind) sei dein Ziel gesetzet,
  damit mein auserwähltes Kind
  kein Unfall je verletzet.
  
  Zuerst sagt Jesus: Warum seid ihr so furchtsam, ihr Kleingläubigen? Dann erst folgt das Machtwort an den Sturm, das diesen schweigen und verstummen lässt. Nach erfolgter Rettung wäre es keine Kunst mehr, Jesus zu vertrauen. Aber wenn wir noch mittendrin sind im Schlamassel, dann schon.  Wenn der Tiger uns anbrüllt, wenn wir mit uns selbst ringen, ist und bleibt Glaube ein Wagnis.
  Bachs Musik fordert uns heraus, in der Vielzahl innerer und äußerer Kämpfe auf Jesu Stimme zu hören. In der Macht der Stürme, die uns überfallen, ihm die Wende zuzutrauen. Ja mehr noch, darauf zu hoffen, dass er uns so annimmt, wie wir sind: mit allen Zweifeln, mit unseren Ecken und Kanten, mit dem brüllenden Tiger in uns.
  Bachs Kantate ist somit ein Vademecum für Grenzsituationen unseres Lebens. Sie macht uns stark und widerstandsfähig gegen die Mächte des Bösen und des Todes auch wenn wir gerade nicht in der Krise sind.  Sie macht uns bewusst, dass unser Leben gefährdet ist und Grenzen hat. Zugleich lässt sie dich spüren:  DU bist gehalten, auch über dieses Leben hinaus geborgen in Gottes Hand. 
  Bach lädt uns ein zum Hören, zum Miterleben, zum Mitsingen und Mitbeten – es muss ja nicht gleich eine Arie sein… ein schlichtes Kyrie, ein Psalm, ein Lied des Vertrauens irgendwann auch im Alltag! Bach macht es uns vor. Bei ihm kommen Herz und Kopf, Gefühl und Verstand zusammen.
  Aber auch ohne Bach kann das gelingen: Bemerke das Lächeln deiner Kollegin! Hör das freundliche Wort des Nachbarn oder Freundes! Werde so neu empfänglich und durchlässig für die Menschenfreundlichkeit Gottes! Und dann teile sie mit Anderen. Darauf möchte ich achten. Mich darin einüben, für meine Seele sorgen zu lassen und dann auch für andere zu sorgen.
  
  Bach überrascht mal wieder. Dass Jesus zuweilen schläft, kann ich mit ihm staunend und klagend vor Gott bringen. Und dabei erfahren: Er ist plötzlich ganz für mich da, hellwach an meiner Seite.
  In allen äußeren und inneren Stürmen meines Lebens  ist er immer noch größer.  Ihm will ich vertrauen und zu ihm beten mit Bach oder auch mit Herbert Grönemeyer:
  „Der Himmel heult – die See geht hoch – Wellen wehren sich – stürzen mich von Tal zu Tal – die Gewalten gegen mich – bist ozeanweit entfernt – Regen peitscht von vorn – und ist’s auch sinnlos – soll’s nicht sein – ich geb’ Dich nie verlor’n. Geleite mich heim – raue Endlosigkeit – bist zu lange fort –mach die Feuer an – damit ich Dich finden kann – steig zu mir an Bord – übernimm die Wacht – bring mich durch die Nacht – rette mich durch den Sturm – fass mich ganz fest an – dass ich mich halten kann – bring mich zu Ende – lass mich nicht mehr los.“
  
  Satz 7 (Unter deinen Schirmen), evtl.  mit Gemeinde (s.u.)
  
  Weitere Strophen von EG 396 singen lassen (besonders die letzte!)
  
  Lesung nach der Predigt: Römer 8,31-39
  
  
  ANHANG: Jesus schläft, was soll ich hoffen?(BWV 81)
  Für den selten vorkommenden vierten Sonntag n. Epiph., dessen Evangelium die Stillung des Sturmes (zu Bachs Zeit: Mt 8,23-27, heute: Mk 4,35-41) ist, komponierte Bach für den 30. Januar 1724 eine Kantate auf den folgenden Text:
   

  
    
      
        Aria (Alt)
          Jesus schläft, was soll ich hoffen?
          Seh ich nicht
          mit erblasstem Angesicht
          schon des Todes Abgrund offen?
          
          Rezitativ (Tenor)
          Herr! Warum trittest du so ferne?
          Warum verbirgst du dich zur Zeit der Not,
          da alles mir ein kläglich Ende droht?
          Ach, wird dein Auge nicht zu meiner Not beweget,
          so sonsten nie zu schlummern pfleget?
          Du wiesest ja mit einem Sterne
          vordem den neubekehrten Weisen,
          den rechten Weg zu reisen.
          Ach leite mich durch deiner Augen Licht,
          weil dieser Weg nichts als Gefahr verspricht.
          Aria (Tenor)
          Die schäumenden Wellen von Belials Bächen
          verdoppeln die Wut.
          Ein Christ soll zwar wie Wellen stehn,
          wenn Trübsalswinde um ihn gehn,
          doch suchet die stürmende Flut,
          die Kräfte des Glaubens zu schwächen.
           
      
      
        
          Arioso (Bass)
          „Ihr Kleingläubigen, warum seid ihr so furchtsam?“
          
          Aria (Bass)
          Schweig aufgetürmtes Meer!
          Verstumme, Sturm und Wind!
          Dir sei dein Ziel gesetzet,
          damit mein auserwähltes Kind
          kein Unfall je verletzet.
          
          Rezitativ (Alt)
          Wohl mir, mein Jesus spricht ein Wort,
          Mein Helfer ist erwacht,
          so muss der Wellen Sturm, des Unglücks Nacht
          und aller Kummer fort.
          
          Choral
          Unter Deinen Schirmen
          bin ich vor den Stürmen
          aller Feinde frei.
          Lass den Satan wittern,
          lass den Feind erbittern,
          mit steht Jesus bei.
          Ob es hie gleich kracht und blitzt.
          ob gleich Sünd und Hölle schrecken.
           Jesus will mich decken.