Lasst uns nun durch Christus Gott allezeit das Lobopfer darbringen, das ist die Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen.
Gutes zu tun und mit andern zu teilen, vergeßt nicht; denn solche Opfer gefallen Gott.
Liebe Erntedank-Gemeinde!
Liebe frucht-bringende Mitmenschen, geboren aus der Liebe des Schöpfers!
Liebe Gottes-Menschenkinder!
Erntedank ist ein Fest für Augen, Ohren, Mund und Nase, wie wir heute deutlich wahrnehmen. Ein geschmackliches Fest für alle Sinne. Vor unserem Altar leuchten glänzend-rote Tomaten, dicke Kürbisse in sonnigem Orange. Ich stelle mir vor, wie die Äpfel saftig knacken, wenn jemand kräftig hineinbeißt. Angenehm zarte Blumendüfte durchziehen den Altarraum. Darunter schwebt – fast noch warm – das Aroma eines backfrischen Brotes.
Erntedank berührt nicht nur die Seele oder unseren Geist, vielmehr den ganzen Körper, sinnlich und belebend. Vielleicht kommen wir auch deshalb so gern zu diesem Fest zusammen, um einmal mehr als nur Worte zu genießen. Mehr als die schöne Orgelmusik und den Klang der vielen Stimmen. Um das Gefühl von Dankbarkeit von innen nach außen sprudeln zu lassen – mit betenden Worten, die leuchten wie die wärmende Herbstsonne; mit Gesang, der aus unseren Herzen strömt, uns verbindet mit Gott und untereinander. Wir feiern Gemeinschaft, Zusammenhalt, Einigkeit – zumindest für diesen kostbaren Moment.
Erntedank ist ein Dankesfest mit allen Sinnen zu Ehren des Schöpfers und zur Freude seiner Geschöpfe.
„Gott sei Dank!“ atmet die junge Frau erleichtert auf, als alles gut ausgegangen ist. Ein böses Schicksal wurde abgewendet. Wie ein schwer-drückender Stein fällt die Sorge von ihrem Herzen, leicht fließt ihr Atem ein und aus. „Gott, ich danke dir!“ jubelt sie innerlich mit dankbarem Blick zum Himmel. Aber dann ist bald wieder alles vergessen. Lieber den Blick vorausrichten auf die Zukunft; was war, wegwischen, als hätte es die Angst, Sorge, Furcht nicht gegeben. Wo bleibt ihr Dank? Wie wachsen Früchte aus dem, was mit der Lobeshymne in ihr aufgeblüht war?
„Gott sei Dank!“ flüstert der alte Mann und nimmt seinen Sohn nach langer Zeit der Trennung in die Arme. Endlich können sie sich gegenseitig ihre Herzen ausschütten, mit einander sprechen, sich gegenseitig mitteilen, wie es ihnen ergangen ist. Mit dem Streit, den Schuldzuweisungen, den eigenen Schuldgefühlen. Endlich aufdecken und ablegen, was an Trennendem solange zwischen ihnen währte. Samenkörner der Dankbarkeit – wo finden sie einen Raum, sich weiter zu entwickeln, damit ihr strahlendes Leuchten nicht einfach verlöscht, sondern Funken sprüht auch im Leben der Mitmenschen?
GOTT sei Dank! Für diese und viele weitere Geschenke, die wir uns nicht selbst machen können. Und bitte nicht vergessen, diesem Gefühl und dem Wissen um die eigene Dankbarkeit auch äußerlich einen Raum zu geben! Einen Ort, an dem die Dankbarkeit ihren festen Platz hat, und uns erinnert an erfreuliche Erfahrungen, die sich wiederholen können.
So schreibt der Autor des Hebräer-Briefes kurz vor Schluss in altertümlich klingenden Worten, die ihren aktuellen Sinn dennoch nicht verloren haben: Lasst uns nun durch Christus Gott allezeit das Lobopfer darbringen, das ist die Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen.
Lob aussprechen, positive Gefühle, freudige Erfahrungen, gefühlte Dankbarkeit nicht für sich behalten, sondern offen „darbringen“. In aller Öffentlichkeit von guten Erfahrungen berichten; einmal loben anstelle der sonst eher nach vorn geschobenen Kritik. Gewiss, auch sie hat ihren berechtigten Platz. Doch, wenn es etwas Gutes zu loben gibt, warum dann nicht – ohne Einschränkung, Abwertung – das Gelungene, Erfreuliche, das Lebensfördernde einfach ehrlich und frei bekennen? Gott will es hören und sich daran freuen, wie jeder Mitmensch ebenso.
Durch Christus – GOTT das Lob „opfern“. Wobei ich das Verb „opfern“ in Anführungszeichen setze. Lob und Dankbarkeit sollen uns keine Mühe kosten; sie wollen nicht als Leistung verstanden und mit Anstrengung erbracht werden. Vielmehr sollen sie wie von selbst aus uns herausströmen, weil das Herz übervoll ist, die Freude überfließt und nicht bei sich selbst bleiben kann. Loben aus Lust und Lachen heraus. Von unserer Dankbarkeit gegenüber Gott sprechen: „Lieber Mitmensch, weißt du, wie felsenfest ich davon überzeugt bin, dass Gott mir in dieser Situation geholfen hat! Unsichtbar ist sein Wirken, aber spürbar seine Kraft. Als ob meine Seele Flügel bekommt, Aufwind, um alles Schwere hinter sich zu lassen.“ Lob wirkt ansteckend positiv, tut mir und meinem Nächsten gut.
Durch Christus – opfern. Wir können uns an Jesus ein Vorbild nehmen; an seiner Unmittelbarkeit und Leichtigkeit im Umgang mit seinen Mitmenschen. An seiner offenen Direktheit. Er lacht mit den Glücklichen; er weint mit den Traurigen; er diskutiert ernsthaft mit den Fragenden. Er kritisiert auch Menschen, wenn sie unrecht handeln. Aber auf eine Weise, die sie nicht als Person verdammt, sondern lediglich ein falsches Verhalten hinterfragt und in eine lebensfördernde Richtung verweist.
Lob „opfern“ bedeuten keinen Verzicht, keinen Verlust, sondern Überfluss. Wenn jemand sagt „Ich opfere mich auf für dich“, höre ich darin nicht die Erwartung „nun musst du mir dafür dankbar sein“. Sondern die Betonung der Wertschätzung: „Merkst du, wie sehr ich dich liebe?! Ich gebe mich ganz und gar für dich hin, und es macht mir Freude!“ Wir verlieren nichts; wir geben her, um zu danken für das, was uns längst geschenkt ist. Sei es ein Gefühl der Liebe oder des Glücks, das uns innerlich ausfüllt. Oder sei es das Bewusstsein, dass uns alles Wichtige für das Leben schon immer gegeben ist.
Durch Christus – GOTT das Lob „opfern“. Unser Glaube an Christus bedeutet, dass wir grundsätzlich frei sind von jeder Art von Opferungen, freiwillig oder nicht. Gegenüber den Mächten dieser Welt, die uns einschüchtern, Gewalt antun, erniedrigen und Gehorsam einfordern – ob in Realität oder nur in unseren Befürchtungen – gilt ein für allemal: Wir brauchen ihnen nichts zu opfern, keine Zeit, keine Unterwerfung und erst recht keine Liebe; wir sind frei von erzwungenen oder selbstgewählten Opferungen.
Denn GOTT, der Einzige, der wirklich Macht über uns und die Welt besitzt, hat sich für uns und alle Welt selbst am Kreuz geopfert. Christus ist Opferlamm, Lebensbrot und Weinstock. Von seinen Früchten zehren wir. Und wenn wir mit Herz und Mund bekennen, was wir ihm verdanken, dann ist das unser Lob-Opfer. Gott loben – für den Sonnenschein dieser Herbsttage. Für die Freundlichkeit des Nachbarn, der mir heute einen Sitzplatz an seiner Seite angeboten hat. Für den tiefen, gesunden Schlaf der letzten Nacht. Für das Lachen der Kinder, das keineswegs selbstverständlich ist. Für die Luft, die ich noch immer atmen und riechen kann; für alles, was mich glücklich macht: meine Augenweide, den Nervenkitzel, die Gaumenfreude. Für alles, was mich spüren lässt, ich lebe: Gott sei Dank!
Aus dem Bewusstsein, wie reich beschenkt ich bin, wächst das Mit-Fühlen mit jenen, denen so viel Gutes mangelt. Wächst das Mit-Leiden, die Sym-Pathie mit der unheilen Welt, mit den schmerzhaft Verwundeten, den Trauernden, den Zerbrochenen. Dann blicke ich über unseren reichgedeckten Tisch hinaus zu den leergeräumten Regionen der Hungernden – an Leib und Seele. Aus Dankbarkeit wächst auch das Mitgefühl für jene, die keine Freude spüren, keinen Dank kennen. Wir arm sind sie dran! Wie nötig meine Hilfe – und wie bereichernd für mich, wenn ich helfen kann!
Es ist nur folgerichtig, wenn dann das Herz überfließt, um andere am Reichtum unseres Lebens teilhaben zu lassen. Gutes zu tun und mit andern zu teilen, vergesst nicht; denn solche Opfer gefallen Gott. Schreibt der Hebräerbrief am Ende. Leicht und locker plätschern seine Worte dahin, genauso leicht und einfach soll es uns von der Hand gehen: Das Teilen, Hergeben, Verschenken, Freude bereiten. Die Fürsorge um andere. Die ausgleichende Gerechtigkeit gegenüber jedem erkennbaren Mangel. Wo genau und auf welche Weise wir Gutes tun können, sagt uns sehr schnell das persönliche Gewissen; sofern wir ehrlich mit uns selbst umgehen. Wem wir helfen sollten – und helfen können, entdecken wir, wenn wir aufmerksam werden. Und kostbar ist alles, was wir schenken. Denn es fließt aus einem übervollen Herzen.
Gutes zu tun und mit andern zu teilen, vergesst nicht! Erntedank ist ein Fest für unsere menschlichen Sinne, für unsere Dankbarkeit gegenüber Gott; aber auch ein Fest gegen die Vergesslichkeit. Wir leben nicht ohne die anderen, nicht ohne jene, die wir lieben. Erst recht nicht ohne jene, die uns nerven, ärgern, zornig machen oder auf sonstige Weise nicht in unser Menschenbild passen. Wir leben nur gemeinschaftlich – oder wir bleiben einander etwas schuldig. Vergesst nicht Gutes zu tun! Nicht um irgendwelcher Verdienste willen, sondern, weil wir es selbst brauchen. Wenn es meinem Nachbarn gut geht, bin auch ich entlastet von Sorgen, frei, das Leben zu genießen. Wenn ich der jungen Frau geduldig zuhöre, wie sie von den schweren Steinen erzählt, die ihr vom Herzen fielen, spüre ich diese beglückende Erfahrung in meiner eigenen Seele. Ihre Worte stärken meine Zuversicht, dass wirklich alles gut werden kann; dass Gott immer wieder unerwartet nahe ist.
Wenn ich den alten Mann und seinen Sohn, Arm in Arm eingehakt, durch die Straße gehen sehe, entdecke ich, dass Versöhnung möglich ist. Und frage mich, ob ich nicht auch mal wieder anrufen, auf jemanden zugehen soll. Ob es mich nicht auch glücklicher macht, wenn ich es schaffe, über meinen Schatten zu springen …
Gutes zu tun und mit andern zu teilen, vergesst nicht; denn solche Opfer gefallen Gott. Der Hebräerbrief legt uns ans Herz, wie wir Danke sagen können gegenüber Gott – im stillen Kämmerlein, in unserer Kirche, wie in der Öffentlichkeit des alltäglichen Lebens. Er ermuntert uns, dass wir miteinander teilen – unsere Zeit, unsere Zuwendung, unsere materiellen Güter und die vielen Ideen, die uns durch den Kopf gehen.
Denn das Ziel ist: Leben für alle Welt. Gott gefallen solche Opfer, die das Leben fördern. Damit bleibt das Leben für alle Geschöpfe ein wunderbares Geschenk unseres Gottes.
AMEN
Predigttext zu Hebräer 13,15-16 von Karin Klement
13,15-16
Perikope