Lukas 11,5-13
5 Und [Jesus] sprach zu ihnen: Wer unter euch hat einen Freund und ginge zu ihm um Mitternacht und spräche zu ihm: Lieber Freund, leih mir drei Brote; 6 denn mein Freund ist zu mir gekommen auf der Reise, und ich habe nichts, was ich ihm vorsetzen kann, 7 und der drinnen würde antworten und sprechen: Mach mir keine Unruhe! Die Tür ist schon zugeschlossen und meine Kinder und ich liegen schon zu Bett; ich kann nicht aufstehen und dir etwas geben. 8 Ich sage euch: Und wenn er schon nicht aufsteht und ihm etwas gibt, weil er sein Freund ist, so wird er doch wegen seines unverschämten Drängens aufstehen und ihm geben, so viel er bedarf.
9 Und ich sage euch auch: Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan. 10 Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan. 11 Wo bittet unter euch ein Sohn den Vater um einen Fisch, und der gibt ihm statt des Fisches eine Schlange? 12 Oder gibt ihm, wenn er um ein Ei bittet, einen Skorpion? 13 Wenn nun ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben zu geben wisst, wie viel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist geben denen, die ihn bitten!
Liebe Gemeinde,
ich bin gut im Kopfkino: Wenn ich weiß, ich muss ein schwieriges Gespräch führen, spiele ich in Gedanken alles schon mal durch – die ganze Szene: Ich überlege, was ich sagen werde. Ich stelle mir vor, wie der andere reagieren könnte. Leider läuft in meinem Kopfkino oft der Worst-Case-Film, also: ich male mir aus, wie alles schlimmstenfalls ablaufen könnte. Das ist dann nicht immer hilfreich. Sondern manchmal auch ziemlich entmutigend.
Der Psychologe Paul Watzlawick hat pointiert beschrieben, wozu das Kopfkino führen kann. Vielleicht kennen Sie seine „Geschichte mit dem Hammer“: Ein Mann bräuchte einen Hammer, um einen Nagel in die Wand zu schlagen. Er überlegt, einen bei seinem Nachbarn auszuleihen. Aber dann fällt ihm ein, dass der Nachbar ihn im Treppenhaus immer nur flüchtig grüßt. Womöglich mag ihn der Nachbar nicht. Womöglich hält er sich für etwas Besseres. So ein arroganter Typ! Der würde ihm vermutlich kein Werkzeug borgen. Am Ende rennt der Mann ins Treppenhaus, klingelt beim Nachbarn und brüllt ihn an: „Behalten Sie doch Ihren verdammten Hammer!“
Der falsche Film im Kopfkino kann einen Menschen völlig ausbremsen, ja ihn von dem abhalten, was er eigentlich tun möchte und auch tun sollte. Der falsche Film im Kopfkino – der hält Menschen womöglich auch vom Beten ab.
Beten hat ja viel mit dem zu tun, was wir uns vorstellen. Wir sprechen zu einem unsichtbaren Gegenüber. Wir reden dabei oft über Dinge, die uns beschäftigen, obwohl sie erstmal nur in unseren Gedanken existieren. Über Wünsche, Befürchtungen und Phantasien. Welcher Film läuft da ab?
Jesus erzählt im Zusammenhang mit dem Beten drei kurze Beispiele, die davon handeln, wie jemand einen anderen um etwas bittet und damit böse auf die Nase fällt. Wir haben das eben gehört:
Ein Mensch bittet einen Freund spätabends um etwas Brot, um einen unerwarteten Gast zu bewirten. Aber der Freund liegt schon im Bett und hat keine Lust, die Tür nochmal aufzumachen. Ein hungriger Sohn bittet seinen Vater um einen Fisch – aber der gibt ihm eine Schlange. Oder er bittet ihn um ein Ei – und bekommt stattdessen einen Skorpion. Alles Worst case-Fälle, die Jesus als unmögliche Möglichkeit vor Augen malt.
Die drei Beispiele sollen so absurd sein, wie sie scheinen. Jeder erkennt gleich: Dieser Film ist falsch. Es gibt keinen Grund, sich vor einer solchen Situation zu fürchten. Und zwar deshalb nicht, weil die Menschen, die hier handeln, in einer Beziehung miteinander verbunden sind: Freund und Freund; Vater und Sohn. Wer in einer solchen Beziehung steht, kann sich beim Bitten etwas trauen. Der darf ehrlich sagen, was er braucht. Der kann mit Verständnis oder zumindest Loyalität rechnen. Das gilt schon im Zwischenmenschlichen, obwohl – wie am Ende mit einem kleinen Seitenhieb vermerkt wird – Menschen grausam und hart sein können. Um wie viel mehr aber gilt es dann bei Gott!
Gott um etwas bitten:
Vielen Menschen fallen tausend Dinge ein, warum man das gleich sein lassen kann. Beim Stichwort Gebet läuft der Film in ihrem Kopf ab:
- Es hat noch nie geholfen.
- Ich rede da bloß mit mir selbst.
- Ich mache mich lächerlich.
- Ich kenne die richtigen Worte nicht.
- Warum gibt es soviel Leid, wenn Gott auf Gebete hören würde?
- Oder: Warum soll ich beten, wenn Gott doch sowieso schon alles weiß?
Wenn man lang genug in diesen Schleifen denkt, möchte man schreien: Gott, behalt doch deinen Hammer! Oder genauer: Man sagt und bittet nichts. Und natürlich passiert dann auch nichts.
Das Schwerste beim Beten ist – meiner Erfahrung nach – damit anzufangen! Es zu wagen. Das war vermutlich schon zur Zeit Jesu so, aber heute erst recht. Beten ist vielen fremd geworden, unselbstverständlich, mit abschreckenden Bildern und Urteilen behaftet. Wo kommen andere Bilder her?
Ich selbst habe viel gelernt bei den großen alten Lehrerinnen und Lehrern der christlichen Tradition. Ignatius von Loyola, der Gründer des Jesuitenordens, hat geistliche Übungen entworfen, die auch eine Schule des Gebets sind. Dabei schlägt er vor, sich Jesus möglichst bildlich und konkret als Gegenüber vorzustellen; als den Menschen voller Freundlichkeit und Wohlwollen, dem man rückhaltlos vertrauen kann. Das ist nicht einfach ein Trick. Auch in unserem heutigen Predigttext, der Gebetsermutigung Jesu an seine Jünger, liegt das ganze Gewicht ja auf der Beziehung zu Gott. Gott meint es uneingeschränkt gut mit mir. Besser als jeder Freund. Mindestens so gut wie Vater und Mutter. Wer betet, vertraut sich dieser Beziehung an. Wer betet, ergreift die ausgestreckte Hand Gottes.
Und was passiert dann?
Bei genauerem Hinsehen benutzt Jesus in seinen Beispielgeschichten Bilder und Vergleiche, die uns auch etwas darüber verraten, was das Gebet eigentlich ist. Was es für die, die sich darauf einlassen, bewirkt.
Ein neues Bild fürs Gebet ist das Brot, das ich empfange: Ich weiß nicht, was genau mein Gebet bringt, aber erwarten darf ich: Stärkung.
Ein neues Bild fürs Gebet ist die geöffnete Tür: Ich weiß nicht im Voraus, was mir dahinter begegnet, aber sicher sein kann ich: Es geht weiter.
Ein neues Bild fürs Gebet ist der Geist, der mich erfüllt: Es verändern sich nicht unbedingt die Verhältnisse um mich herum, aber ich gehe neu und anders mit ihnen um.
In solchen Bildern sagt Jesus seinen Jüngerinnen und Jüngern zu: Das Beten lohnt sich.
Weil Gott Gebete erhört. Nicht auf die einfache, scheinbar unmittelbare Weise: in der Erfüllung unserer Wünsche, in der Lösung unserer Probleme. Dass es so einfach nicht ein kann, ist nicht erst eine Erkenntnis unserer Zeit. Das wusste man schon immer. Das weiß auch Jesus.
Gott reagiert auf unser menschliches Beten, wie es der notorischen Liebe eines guten Vaters oder einer guten Mutter für die eigenen Kinder entspricht: In Weisheit, Solidarität und Fürsorge ist er für uns da. Und nicht zuletzt in Geduld. Bei ihm kann man auch mitten in der Nacht noch ankommen und klingeln. Er öffnet die Tür, wenn alle anderen Türen verschlossen sind. Von ihm bekomme ich, was ich zum Leben wirklich brauche.
Jesus will die Programmänderung im Kopfkino:
Das Gebet – es ist kein schwieriges oder riskantes Gespräch. Man kann es wagen. Es ist ganz leicht.
Es braucht keine ausgefeilte Theologie.
Keine angelernten Worte.
Keine aufgeladenen Erwartungen.
Es reicht ein einfaches, spontanes Du.
Und schon läuft ein anderer Film.
Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Eine volkskirchlich-kleinstädtische Gemeinde, in der viele Gottesdienstbesucherinnen und -besucher sich auch aktiv einbringen. Über die persönliche Glaubenspraxis, insbesondere über das eigene Beten, wird dabei aber selten gesprochen.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Schwierigkeiten mit dem Gebet sind in meiner Erfahrung kein unbedingt aktuelles, aber „zeitloses“ Thema. Die bekannte Watzlawick-Geschichte brachte mich auf die Idee, dass wir uns auch beim Beten oft selbst im Weg stehen. Beflügelt hat mich der Gedanke, dass unsere Beziehung zu Gott unter ähnlichen Kommunikationsstörungen leiden könnte wie manche zwischenmenschliche Beziehung.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Entdeckt habe ich, dass Jesus nicht nur Karikaturen enttäuschten Bittens erzählt, um die Befürchtungen seiner Zuhörer*innen zu entkräften. Neben den negativen Zuspitzungen enthält die Perikope auch positive Bilder für das, was ein Gebet sein kann: Brot, das sättigt, eine Tür, die sich öffnet, Geisteskraft, die einen Menschen erfüllt. Diese Bilder führen viel weiter als die Frage der Gebetserhörung, die ich primär mit dem Text verbunden hatte.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Ich habe versucht, die oben beschriebene Entdeckung noch nachvollziehbarer zu machen, wohl wissend, dass sie gegenüber meiner ursprünglichen Predigtidee, negative Vorurteile gegenüber dem Gebet als falsche Blockaden zu erkennen, im Grunde einen zweiten Strang darstellt.