Und es geschah das Wort des Herrn zum zweiten Mal zu Jona: Mach dich auf, geh in die große Stadt Ninive und predige ihr, was ich dir sage! Da machte sich Jona auf und ging hin nach Ninive, wie der Herr gesagt hatte. Ninive aber war eine große Stadt vor Gott, drei Tagereisen groß. Und als Jona anfing, in die Stadt hineinzugehen, und eine Tagereise weit gekommen war, predigte er und sprach: Es sind noch vierzig Tage, so wird Ninive untergehen. Da glaubten die Leute von Ninive an Gott und riefen ein Fasten aus und zogen alle, Groß und Klein, den Sack zur Buße an. Und als das vor den König von Ninive kam, stand er auf von seinem Thron und legte seinen Purpur ab und hüllte sich in den Sack und setzte sich in die Asche und ließ ausrufen und sagen in Ninive als Befehl des Königs und seiner Gewaltigen: Es sollen weder Mensch noch Vieh, weder Rinder noch Schafe etwas zu sich nehmen, und man soll sie nicht weiden noch Wasser trinken lassen; und sie sollen sich in den Sack hüllen, Menschen und Vieh, und heftig zu Gott rufen. Und ein jeder kehre um von seinem bösen Wege und vom Frevel seiner Hände! Wer weiß, ob Gott nicht umkehrt und es ihn reut und er sich abwendet von seinem grimmigen Zorn, dass wir nicht verderben.
Als aber Gott ihr Tun sah, wie sie umkehrten von ihrem bösen Wege, reute ihn das Übel, das er ihnen angekündigt hatte, und tat’s nicht.
Liebe Gemeinde,
dass die jedem Sonntag zugeordneten Bibelabschnitte für die jeweilige Gemeinde vor Ort bedeutsam, hilfreich und lebensorientierend sind, ist zweifellos eine Grundüberzeugung, von der jede Predigt getragen ist. Aber nun blicken wir auf diesen für heute ausgewählten Abschnitt aus dem Jona Buch. Und da fällt es auf den ersten Blick wirklich schwer, einen Bezug zu unserer Gegenwart, zu unserem heutigen Denken oder überhaupt zu einem Leben in diesen schwierigen Kriegs- und Pandemie-Zeiten herzustellen.
Aber vielleicht hat ja dagegen der eine oder andere vor Augen, wie aufregend auch für heutige Menschen die vielen anderen Abschnitte des Jonabuches sind: Erinnern wir uns etwa doch daran, dass dieser Jona weggelaufen ist, um den Auftrag Gottes, der Stadt Ninive das Gericht anzusagen, irgendwie auszuweichen. Vermutlich können sich dabei viele unter uns in das Denken und Fühlen eines solchen flüchtigen Menschen hineinversetzen.
Oder erinnern wir uns doch an jenen Abschnitt, der Jesus sicherlich vor Augen stand, als er sagte: Es wird dem Menschengeschlecht „kein Zeichen gegeben werden außer dem Zeichen des Propheten Jona. Denn wie Jona drei Tage und drei Nächte im Bauch des Fisches war, so wird der Menschen Sohn drei Tage und drei Nächte im Herzen der Erde sein.“(Mt 12,39f.) Damit wird doch der Weg dieses Propheten Jona, sein Untergehen im Bauch des Fisches und dann trotzdem wieder ins Leben zu kommen, als Abbild des durch Christus vollbrachten Erlösungsgeschehens dargestellt. Ja, das ist doch für Christen wirklich elementar! Kein Wunder, dass sich deshalb an vielen altkirchlichen Gräbern Abbildungen des Propheten Jona finden.
Und selbst der Abschluss des Jona-Buches ist doch so eindrücklich, wo Jona mit seiner Predigt zwar erfolgreich ist, aber dann darüber bitter verzagt, dass Gott unerwarteterweise so barmherzig ist, und dass er deshalb das prophetisch angedrohte Übel einfach nicht über Ninive hereinbrechen lässt.
Also: das alles sind doch wirklich Erzählstränge, in denen wir uns als moderne Menschen gut wiederfinden können. Was spiegelt sich da nicht alles aufregend aus der Lebensgeschichte von uns so irdischen Menschen mit der aus Gottes Ewigkeit kommenden so völlig anderen göttlichen Güte!
Was jedoch nun durch diesen verordneten Predigttext angesagt ist, ist etwas ganz anderes: Und dazu werden wir nun etwas widerstrebend in dieses dritte Kapitel des Jona-Buches gezogen. Und das handelt ja nicht nur davon, dass der von Gott beauftragte Prophet beginnt zu predigen. Er kündigt allen auf dieser Welt schuldig gewordenen das Gericht an - und das sogar im Zentrum der damaligen Welt.
Was hier jetzt weiter lebendig berichtet wird, ist, dass tatsächlich auch alle aufmerksam sind, dass ihm tatsächlich auch alle zuhören und dass ihm auch erstaunlicherweise schließlich alle nachfolgen, in sich gehen und Buße tun!
Aber jetzt muss ich Sie doch alle fragen: Hand aufs Herz, haben wir so etwas in unseren Zeiten schon jemals erlebt? Dagegen weiß doch jeder engagierte Prediger davon ein Lied zu singen, wie häufig er in Gottes Namen vom Gericht gesprochen hat, von allen üblen Folgen gottlosen menschlichen Tuns - und wie das bei vielen in das eine Ohr hinein und aus dem anderen wieder herausgegangen ist. Und vor allem, dass es die, die nun wirklich betreffen sollte, nun überhaupt nicht erreichte. Geschweige denn, dass sich auch nur irgendetwas geändert hätte an dem menschlichen Handeln.
So, das ist nun einmal die Erfahrung von uns Durchnitts-Predigern in Durchnitts-Gemeinden. Aber was muss das nun für diese Predigt heißen? Einfach aufhören? Das Predigen einfach sein lassen? Oder geschickt einen anderen Bibeltext suchen, der mehr unserem gegenwärtigen Geschmack entspricht? Oder etwa gefälligst die Bibel einfach zuklappen und schweigen?
Wenn es jetzt etwa um ein kompliziertes Stück Literatur ginge oder ein vertracktes Benutzerhandbuch, dann könnte man es vielleicht so machen, und dann wäre das sicherlich angemessen. Aber völlig unangemessen wäre das doch bei einem Predigtwort! Denn wir sollen und dürfen uns doch darauf verlassen, dass uns in dem sonntäglichen Predigtwort Gottes Gegenwart für unsere Zeit hier und jetzt begegnen will. Also muss und darf ganz anders und ganz neu auf dieses Bibelwort geschaut werden.
Und bitte lassen Sie uns dazu einmal in ganz neuer und anderer Weise auf das Ereignis der Beauftragung des Propheten schauen. Immerhin ist Gott diese Beauftragung ja so wichtig, dass er sich sogar wiederholt, denn es heißt: „Und es geschah das Wort des Herrn zum zweiten Mal zu Jona: Mach dich auf, geh in die große Stadt Ninive und predige ihr, was ich dir sage!“ Und dann kommt die konkrete Ansage, dass es noch vierzig Tage seien, bis Ninive untergehen werde.
Nun dürfen unsere Gedanken bei dieser Beauftragung nicht dadurch fehlgeleitet werden, dass wir uns an einige historische Details klammern. Nein, Ninive gibt es schon lange nicht mehr. Darum ist in ihr auch nicht mehr zu predigen. Und es ist gewiss auch nicht jeder in gleicher Weise wie Jona beauftragt, als Prophet aufzutreten.
Aber wir können und dürfen uns doch auch in diesem Zusammenhang trauen, das ernstzunehmen, was uns heute im Evangelium (Lk 14,16ff.) zugesagt worden ist. Denn danach sind wir doch alle von Gott eingeladen, und darum auch beauftragt! Und weiter ist uns nach Epistel (Eph 2, 19) verbürgt, dass wir nicht mehr Gäste und Fremdlinge auf dieser Welt sind, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen, die darum auch teilhaben sollen an Gottes Wirken in der Welt! Ja, wir alle! Jeder von uns!
Noch einmal und gegen jedes Missverständnis: Bestimmt ist nicht jeder wie Jona beauftragt, in so einer großen Stadt wie Ninive inmitten von 120.000 Menschen wirksam zu werden. Aber für mich klingt vielmehr in diesem Kapitel durch, dass jeder von Gott an seinem Ort eingeladen und darum dort auch beauftragt ist, über das nicht zu schweigen, was das Entscheidende im Leben ist!
Denn, was wird etwa morgens im Büro nicht alles geredet, wobei sicherlich auch wichtig ist, nicht jedem gleich Bibelworte an den Kopf zu werfen. Aber wie könnte man darüber schweigen, dass man Christ ist, sich darum auf Gott verlässt und darum weder an übler Nachrede noch an schrägen Tricksereien teilnimmt? Oder was wird etwa abends im Sportclub nicht alles geredet. Aber wie könnte man darüber schweigen, dass man Christ ist, sich darum auf Gott verlässt und darum fair gegen jedermann ist? Oder was wird tagsüber in der Familie nicht alles geredet und es ist auch wichtig, nicht jedem die eigene Lebensweise aufzupressen. Aber wie könnte man darüber schweigen, dass man Christ ist, sich darum auf Gott verlässt und von der Geschichte des Gottesvolkes und von der eigenen Geschichte mit Gott erzählt?
Gewiss, das ist in sehr kleiner Münze aus dem Schatz des Glaubens gezahlt. Das sind nicht großtönende Gerichtsworte, bei denen anderen die Zähne klappern oder die Knie zittern. Aber insgesamt soll und darf doch die christliche Botschaft durchklingen, die für das Große wie das Kleine gilt. Und vielleicht sind das auch nur irgendwie kleine Einübungen, damit wir bei den großen Herausforderungen gut gewappnet sind.
Auf jeden Fall aber das soll und darf jeder für sich selbst durchbuchstabieren: Beauftragt ist jeder. Nein, da hilft keine Ausrede wie etwa „Ich bin zu jung“ oder „Mir geht es heute nicht so gut“ oder „Ich habe heute wirklich keine Zeit“. Nein, das wirklich Aufregende ist: Egal wie klug oder dumm ich bin, egal wie fit oder wie klapperig ich bin, egal wie verloren, vereinsamt oder missverstanden ich mich fühle, durch Christus soll ich aus allem Üblen herausgezogen sein in ein neues Leben, das bis in die Ewigkeit reicht, während alles andere vergehen muss. Und genau darin geht auf jeden Fall das Gericht über diese Welt. Und darüber kann man doch nicht schweigen!
Wenn wir uns nun trauen, anderen von diesem Entscheidenden des Lebens zu erzählen, so ist es natürlich ganz menschlich, dass man Ergebnisse dieser Rede sehen will. Und natürlich wollte Jona das auch. Wenn er schon anzusagen hat, dass es noch vierzig Tage sind, bis Ninive untergeht, dann will er es auch gefälligst sehen. Aber mit der Buße und der Umkehr der Bevölkerung von Ninive hatte er einfach nicht gerechnet. Und war dann ja auch entsprechend verbockt. Aber darüber müssen wir jetzt nicht weiter reden.
Für uns ist einerseits entscheidend, dass Gottes Barmherzigkeit und Güte größer ist als alle üble Konsequenz menschlichen Handelns. Und allein das wäre schon Grund genug, dankbar und fröhlich zu sein, dass uns dieser Abschnitt des Jona-Buches, das so nachdrücklich vor Augen führt.
Andererseits aber zeigt uns dieser Abschnitt aus dem Jona-Buch: So gern man auch Ergebnisse seiner Bemühungen sehen will, sie bleiben uns so manches Mal einfach verborgen. Und das gefällt uns nicht. Ja, wir sind so manches Mal darin gefangen, dass wir die Ergebnisse aller unserer redlichen Bemühungen, dass wir die Früchte davon, wie wir unseren Glauben weiter gegeben haben, gefälligst auch während unserer Lebenszeit selbst bemerken wollen, um uns darüber zu freuen.
Aber wie kleingläubig ist das! Wieso denn nur im Zeitraum unserer kurzen Lebensjahre denken, wenn es letztlich um Ewigkeit geht? Wieso denn nur in den Denkwelten unserer begrenzten Vorstellungen bleiben, wenn es letztlich um Gottes Wirken, Walten und Fügen geht?
Ja, es ist eben einfach nicht zu fassen: An diesem großartigen Werk Gottes in Zeit und Ewigkeit mitzuwirken, da sollen und dürfen wir um Christi willen beauftragt sein. Mäkelige menschliche Erfolgskontrolle nimmt da unseren Gott einfach nicht ernst! Aber er nimmt uns ernst, und zwar so, wie wir sind! Nein, in seinen Augen disqualifizieren uns unsere geringe Kraft, unser schlechtes Verstehen und unsere mangelhaften Verständigungsmöglichkeiten keinesfalls. Nein, er ist es, der es weiß, uns richtig einzusetzen und auszurüsten mit Kraft und guten Worten, mit gutem Mut und viel Hoffnung, mit Freude und Dankbarkeit.
Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Es ist eine Vorstadt-Gemeinde versammelt, Alt und Jung sind beieinander. Kinder sind zuerst beim Gottesdienst dabei, dann aber kommt nach dem Evangelium der Auszug der Kinder zum parallelen Kindergottesdienst.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Die unzulängliche Menschlichkeit des Propheten Jona.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
… dass die Güte Gottes größer ist als die unzulängliche Menschlichkeit des Propheten Jona und die von mir.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Ich habe gern Anregung des Predigtcoaches zur Reduzierung rhetorischer Fragen wahrgenommen.