Recht für die Völker - Predigt zu Jesaja 42,1-4 von Sibylle Reh
42,1-4

Recht für die Völker

Liebe Gemeinde, bei den meisten sind die Weihnachtsbäume abgeräumt. Die Weihnachtszeit im engeren Sinne ist vorbei. Allerdings steht dieser Sonntag bei uns noch im Zeichen des Epiphaniasfestes. Es steht jetzt in der Kirche aber nicht so sehr das Kind in der Krippe im Mittelpunkt, sondern das, was durch Jesus Neues in die Welt kam.
Der Predigttext für diesen Sonntag steht im Alten Testament
im Buch des Propheten Jesaja im 42. Kapitel

Jesaja 42, 1–4
Siehe, das ist mein Knecht - ich halte ihn - und mein Auserwählter, an dem meine Seele Wohlgefallen hat. Ich habe ihm meinen Geist gegeben; er wird das Recht unter die Heiden bringen. 2 Er wird nicht schreien noch rufen, und seine Stimme wird man nicht hören auf den Gassen. 3 Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen. In Treue trägt er das Recht hinaus. 4 Er selbst wird nicht verlöschen und nicht zerbrechen, bis er auf Erden das Recht aufrichte; und die Inseln warten auf seine Weisung.

Liebe Gemeinde, ein schöner, aber auch ein geheimnisvoller Text, der von einem Knecht und seinem Auftrag handelt. Seine Person und sein Auftrag hängen zusammen. Allerdings bleibt unklar, wer dieser Knecht ist.
Schon in der Apostelgeschichte fragt ein äthiopischer Kämmerer den Diakon Philippus: „Von wem redet der Prophet solches? Von sich selber oder von jemand anderem?“ (Apg. 8, 34b). Er bezieht sich allerdings auf eine andere Stelle im Jesajabuch, die auch von diesem Knecht handelt.
Der Gottesknecht könnte der Prophet sein, dann wären Texte wie dieser so eine Art Berufungsauftrag. Oder es das ganze Volk Israel könnte gemeint sein, das verstreut in der Welt lebt. Dann hätte die Zerstreuung einen Sinn, denn dadurch dass die Juden unter allen Völkern wohnen, bringen sie nun die gute Botschaft von ihrem Gott und seine Weisung in die Welt hinaus.
Man kann diese Texte aber auch auf einen zukünftigen König, hin deuten, den Messias. Das tut Philippus, und er legt dem Kämmerer dar, dass Jesus dieser König ist, der leiden musste und doch die Gute Botschaft und Gottes Weisung in die Welt gebracht hat.

Und das hat er wirklich. Zur Zeit Jesu gab es bereits im ganzen römischen Reich Juden. Das Judentum zog viele Menschen an, gerade durch die klaren Vorstellungen von Recht und Moral. Viele Menschen, die keine Juden waren, verehrten den Gott Israels und versuchten, sich an die jüdischen Gebote zu halten. Es waren so viele, dass es ein Wort dafür gab: Die Juden nannten sie „Gottesfürchtige“ oder „gottesfürchtige Fremdlinge“. Jedoch war der wirkliche Übertritt zum Judentum für Nichtjuden schwierig. Und er bewirkte durch die strengen Speisegebote eine starke soziale Abgrenzung von Nichtjuden. Die Teilnahme an Geschäftsessen und gemeinsames Essen mit nichtjüdischen Familienmitgliedern war für zum Judentum Übergetretene fast nicht mehr möglich. Und nicht zuletzt die Beschneidung dürfte viele abgeschreckt haben.
Beim Christentum war es anders. Auch für die ersten Christen war die Bibel der Juden ihre heilige Schrift. Sie stellten an sich selber auch hohe moralische Ansprüche ähnlich wie Juden. Die christlichen Gemeinschaften verlangten aber seit Paulus nicht mehr, dass neue Christen zuvor zum Judentum übertreten, und sich beschneiden lassen mussten, und auch die Speisegebote wurden gelockert.
So wurden viele der Gottesfürchtigen in aller Welt Christen.
Jetzt möchte ich aber noch mal zu der Zeit zurückgehen, in der, in der unser Text entstand, also noch mal mehr als 500 Jahre davor.
Der Prophet, dessen Worte im zweiten Teil des Jesajabuches gesammelt wurden, trat gegen Ende des Babylonischen Exils auf. Er bereitete die Israeliten auf die Rückkehr ins heilige Land vor.
Er spricht dabei aber zu Menschen, die in Babylon oder anderswo leben und tagtäglich mit Menschen zusammenkommen, die aus anderen Völkern stammen und andere Götter verehren.
Die Israeliten hatten erfahren, dass ihr Gott ein Gott ist, der mitgeht. Er hatte ihre Vorfahren zur Zeit Abrahams, Isaaks und Jakobs in der Zeit, in der sie Nomaden waren, begleitet, wo sie auch immer hingingen, bis hin nach Ägypten. Er hatte ihre Vorfahren unter Mose und Josua aus Ägypten zurück ins heilige Land gebracht. Er war bei ihren Vorfahren geblieben, als sie sesshaft wurden, Könige hatten und einen Tempel bauten. Er war bei ihren Eltern und Großeltern geblieben, als dieser Tempel zerstört wurde und sie ins Exil nach Babylon gehen mussten oder anderswohin flohen. Sie hatten gelernt, dass es für sie verboten war, die Götter anderer Völker anzubeten.
Nun kamen sie mit Menschen zusammen, die andere Götter anbeteten und fragten sie, was es mit diesen auf sich habe. Und sie waren sie zu der Erkenntnis gelangt, dass es die anderen Götter in Wahrheit gar nicht gab oder sie zumindest keine Macht hatten. Damit glaubten sie, dass auch die Menschen fremder Völker darauf angewiesen waren, den Gott Israels zu verehren, wenn sie die Hilfe eines Gottes brauchten. Darum erhielt der Gottesknecht den Auftrag, das Recht Gottes auch zu den anderen Völkern zu bringen.
Es ist schon faszinierend, das Volk Israel. Es ist im Altertum nur ein kleines Volk im nahen Osten gewesen, kein reiches, kein mächtiges. Um 1000 vor Christus, als die Großmächte der Umgebung gerade mal schwach waren, bildete sich ein Königreich heraus, das alle 12 Stämme Israels umfasste und gerade mal für 2 Generationen (unter König David und König Salomo) Bestand hatte. Danach existierten zwei kleinere, einander aber noch verbundene Königreiche. Das größere und reichere von beiden, das Reich Israel, wurde im 8. Jahrhundert erobert, die meisten Bewohner  wurden ins Exil geführt, man hörte nie wieder von ihnen. Einige konnten aber ihre Traditionen in das kleinere Bruderland Juda im Gebirge retten. Dieses blieb, wenn auch zeitweise sehr klein, noch bis Anfang des 6. Jahrhunderts vor Christus bestehen.
Dann ist aber ein wirkliches Wunder geschehen. Auch als der Staat Juda von den Babyloniern erobert wurde, ein Großteil der Bevölkerung ins Exil geführt wurde, war dies nicht das Ende für das Volk Israel.
Im Gegenteil, das Volk sammelte sich neu, nicht mehr um ein Heiligtum, sondern und die heiligen Schriften.
Und wenn Juden seitdem auch in alle Welt zerstreut wurden, so kennt doch nun auch fast alle Welt ihre heiligen Schriften. Entweder kennt man sie direkt durch Juden oder auch durch uns Christen, die wir auch ja die Bibel der Juden als heilige Schriften haben, oder man kennt sie indirekt, durch den Islam, der sich in der Tradition dieser Schriften sieht.
So wurden die heiligen Schriften eines kleinen Volkes für sehr viele Menschen aus sehr verschiedenen Völkern Weisung.

Liebe Gemeinde, das Christentum hat Gottes Weisung in die Welt gebracht. Der  Auftrag Jesu ist es nun an uns, sie weiterzugeben.
Was können wir denn der Welt geben? Als Christen sind wir in diesem Bundesland (Brandenburg) eine winzige Minderheit. Was haben wir der Mehrheit zu geben, die die Weisung und gute Botschaft Gottes gar nicht kennt?
Recht und Barmherzigkeit, sagt Jesaja:
„Er wird das Recht unter die Heiden bringen. 2 Er wird nicht schreien noch rufen, und seine Stimme wird man nicht hören auf den Gassen. 3 Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen. In Treue trägt er das Recht hinaus.“
Recht: Nicht der Stärkere siegt, auch nicht derjenige, der die besten Beziehungen hat, sondern es wird nach dem Recht und dem Gesetz entschieden, auch für Schwache (geknicktes Rohr, glimmender Docht) haben eine Chance auf Gerechtigkeit.
Barmherzigkeit: Nicht auf dem, der bereits unten liegt, auch noch rumtrampeln, ihn nicht zerbrechen und nicht auslöschen

Das sind Dinge, die wir nicht nur sagen dürfen, sondern wir müssen sie auch leben. Natürlich gelingt uns das nicht immer, weder der Kirchenleitung noch uns einzelnen Christen. Wir Christen sind ja nicht alle Heilige. Aber wir können es versuchen. Wir haben ja auch einen barmherzigen Gott, der uns vergibt, wenn wir es mal nicht ganz schaffen.
Auch das ist Teil der Botschaft.
 

Perikope
12.01.2014
42,1-4