Schaue den Himmel mit meinem Gesicht – Predigt zu Apostelgeschichte 2,1-21 von Kirstin Müller
2,1-21

Schaue den Himmel mit meinem Gesicht – Predigt zu Apostelgeschichte 2,1-21 von Kirstin Müller

Der Titel entstammt dem Paul Gerhardlied: Die güldne Sonne EG 449,1-4  

(Ob Pfingsten gesungen werden darf? Vielleicht ist es möglich, die Melodie des Liedes zu spielen und die Strophen zu lesen, vor allem die erste mit der schönen Zeile: Schaue den Himmel mit meinem Gesicht. Die Predigt hat zwei Teile, einen erzählerischen Teil 1 und einen meditativen Teil 2. Zwischen beiden Teilen kann das Lied O Heilger Geist kehr bei uns ein, EG 130,1+2, gespielt (gesungen) werden. Ich habe einen Teil für Gottesdienst drinnen und Gottesdienst draußen ersonnen. Ich setze den Bibeltext als gelesen voraus. Bibelzitate sind kursiv)

Teil 1

Drinnen

Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle beieinander an einem Ort. Wie hören Sie die Pfingstgeschichte heute – hier im Kirchraum, mit Abstand und Atemschutz? Versammelt mit manchen (wahrscheinlich nicht allen) an diesem Ort?  Die Pfingstgeschichte bringt ja einiges an Menschenmenge,  Lautstärke und Bewegung mit: volle Häuser und Straßen, lautes Stimmengewirr. Das Brausen von Geistkraft! Da ist richtig was los:  Gottes Wort will Gehör finden. Will mit Macht hinaus – in die weite Welt hinein. Etwas will neu und anders werden. Lassen wir sie heute unter uns wirken.

Draußen

Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle beieinander an einem Ort. Wie hören Sie die Pfingstgeschichte heute hier draußen? Gemischt mit dem Rauschen der Blätter und Geräuschen der Straße? Mit Augen und Ohren bei all dem, was draußen zu sehen und zu hören ist? Pfingsten erzählt eine Geschichte vom Draußen: Gottes Wort strebt nach draußen. In die Welt hinein.

Vorbei ist die Zeit des kleinen, abgeschlossenen 12er/Jünger_innenkreises. Vorbei ist die Exklusivität. 120 Menschenwesen sind es schon, die sich zu den Geschwistern zählen. Viele sind es, die 50 Tage nach Ostern in Jerusalem in einem Haus zusammenkommen. Eng stelle ich es mir vor. Aufregend. Und nicht still.  Schon recht früh am Morgen, zur dritten Stunde, um 9 Uhr also, tost und braust es gewaltig im Haus. Wie bei einem Sturm. Und auf jede und jeden im Haus setzt sich eine Feuerzunge. Da ist richtig was los – laut und machtvoll werden die Versammelten gepackt und ergriffen.  Außerdem fangen alle gleichzeitig an, in allen möglichen Sprachen drauflos zu reden. Das entwickelt eine eigene Lautstärke.  Kein Wunder, dass hier etwas aus dem Haus nach draußen dringt und gehört wird. Kein Wunder, dass viele herbeigelaufen kommen und sich wundern.

Das Gotteswort dringt nach draußen in die Straßen Jerusalems. Es ist Wochen-Ernte-Festzeit. Viele Menschen aus aller Welt sind in Jerusalem versammelt. Die herbeigelaufen sind, hören und verstehen was gesprochen wird. Jede und jeder in der ihnen vertrauten Muttersprache. Die mit Geistkraft durchwirkte Sprache der  Versammelten macht das möglich. Fantastisch!  50 Tage nach Ostern gibt es kein Zurückhalten mehr: Die Jesusnachfolgenden öffnen Mund, Herz und Verstand, alle sprechen und predigen drauflos. Sie reden von den großen Taten Gottes. Sie bringen sie – durch die Fenster und Türen des Hauses hinaus - zur Welt! Das wirkt. Viele laufen herbei, bleiben stehen, wundern sich. Nachdem sie zunächst vielleicht nur sprachlos gestaunt haben, tauchen jetzt Fragen auf: Was ist denn da los? Sind die besoffen? Das gibt’s doch gar nicht, das geht doch nicht – höre ich sie durch die Fenster und Türen in das Haus hineinrufen. „Doch, das gibt es. Doch, das geht“, sagt diese Geschichte.

Jetzt ist es Zeit, ans Fenster, an die Tür, vor das Haus zu treten. Die 12 tun das. Wie früher. Jedenfalls fast. Denn Judas ist nicht mehr dabei. Für ihn ist Matthias ausgelost worden. Diese 12 treten auf. Petrus ergreift das Wort. Ordnet das Durcheinander der Sprachen, indem er ein altes Prophetenwort zur Hilfe nimmt: (Joel 3,1-5)

„So wird es sein in den letzten Tagen – spricht Gott – da will ich meine Geistkraft ausgießen auf alle Welt. Eure Söhne und Töchter sollen prophetisch reden, Eure Jugendlichen Visionen haben und Eure Alten Träume träumen. Selbst die Unfreien, Sklavinnen und Sklaven, werden weissagen können. Am Ende der Zeit wird alles feurig und blutig, rauchig und finster werden. Dann aber wird der Tag Gottes kommen, groß und glanzvoll und die Gottes Namen anrufen, werden gerettet werden.“

Es ist in all dem Lärm und Sprachgewirr gut zu hören, dass es um Rettung geht. Um Träume und Visionen als Weg zu Gott. Geistvoll. Wirklich. Die, die Petrus zuhören, fragen: „Was sollen wir tun?“ Petrus antwortet: „Ändert Euch. Lasst Euch taufen auf Jesu Namen. Dann werden Eure Sünden von Euch genommen und  ihr werdet die Heilige Geistkraft empfangen.“ (Apg 2, 37-41) Petrus war überzeugend. An jenem Tag kamen noch 3000 Personen dazu.  So war es - erzählt die Geschichte von Pfingsten – als die Jesusnachfolgenden von Geistkraft ergriffen wurden und das geistdurchwirkte Wort Gottes nach draußen, in die Welt kam.

 

Lied: EG 130 1+2 O Heilger Geist kehr bei uns ein – auch hier ist es möglich, die Melodie zu spielen und die Strophen zu lesen

Teil 2: (meditativ - drinnen)

O Heilger Geist kehr bei uns ein und lass uns Deine Wohnung sein … Wie können wir an dieses erste Pfingstfest anknüpfen? An Gottes rettendes Wort, das der Geist verteilt.

Ein erster Anknüpfungspunkt ist ja, dass wir damit beschäftigt sind, uns um Rettung zu bemühen. Abstand, Atemschutz, Desinfektion. Neue Formen von Kontakt ausprobieren. Und wir haben in den letzten Wochen Erfahrungen gesammelt, was uns rettet, wenn uns die Decke auf den Kopf fällt, der Raum zu eng wird, wir Menschen vermissen, uns angesteckt haben oder vom Virus bedroht fühlen.

Was hat uns gerettet? Ein Telefonat, ein Winken durchs Fenster, Hausputz, puzzeln, Lieder singen…… Das kleine alltägliche Tun verbindet uns mit dem großen Traum von Rettung. „So wird es sein – spricht Gott – ich will meine Geistkraft ausgießen auf alle Welt. Eure Söhne und Töchter sollen prophetisch reden, Eure Jugendlichen Visionen haben und Eure Alten Träume träumen.“  Sind Träume gesprossen – in den letzten Tagen? Wochen? Haben sie sich verändert? Und: welche Träume nähren nicht die Angst, sondern dass Vertrauen? Finde ich in ihnen Antworten auf die große Frage im Außen der Pfingsterzählung:  Was will das werden? Wie kann ich das, was mein Vertrauen nährt, teilen? Dass etwas davon durchdringt. Von drinnen nach draußen. Vielleicht indem ich nicht aufhöre zu erwarten, dass das, was werden will, gut ist.  Von Gott her steht immer Rettung aus.  Vielleicht indem ich den Dingen da draußen ihren Lauf lasse, aber immer mal  wieder aus dem engen Raum meiner Angst und Sorge heraustrete.  Mich der Weite Gottes, die ich nicht ganz verstehe, anvertraue. Und mich der Größe des Verstehens durch Gottes Geist überlasse, in allen Sprachen der Welt und der Herzen.  Gottes Geist ermutigt mich zu träumen von Nähe und Gesang, von Begegnungen und Berührungen.

Ohne Gefahr.Und damit dem Rettenden, dem, was kommen und sein wird, von Gott her, schon jetzt in und bei mir einen Raum zu bewahren. Damit es in der Welt bleiben und wachsen kann. Ich will nicht aufhören, den Himmel mit meinem Gesicht zu schauen. Und der Friede Gottes, der größer ist als alles, was wir mit unserem Verstand begreifen können, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

Teil 2: (meditativ - draußen)

O Heilger Geist kehr bei uns ein und lass uns Deine Wohnung sein … Wie können wir an dieses erste Pfingstfest anknüpfen?

Ein erster Anknüpfungspunkt ist ja, dass wir auch draußen sind. Und mit uns das Gotteswort. Und andere Menschen. Wir zeigen unseren Gottesdienst her – andere können uns sehen und hören. Sie können sich über uns wundern oder uns nach unserem Glauben befragen (über den Zaun hinweg): „Was ist da los?“

Und wir können schauen. Wir können den Himmel mit unserem Gesicht schauen – wie es im Anfangslied hieß.  Das Schauen verbindet uns mit der alten Prophezeiung, an die sich Petrus damals gehalten hat. Schauen bedeutet biblisch gesehen auch träumen, Visionen haben, weissagen, prophezeien. Schaue den Himmel mit meinem Gesicht….

Spüren Sie: Sonne auf der Haut, Luftzug und Wind, Regentropfen… Schauen Sie sich um: Draußen gibt es viel zu sehen.  (Zeit, das konkrete Draußen wahrzunehmen. Bestimmt wird es frisches Grün, allerlei Lebensgeräusche u.ä. zu sehen geben) Gibt es ein Schauen für mich, einen Traum, einen Blick in die Zukunft,  etwas, wonach ich mich sehne? Etwas, das Lebenskraft entfalten soll. Etwas, das ich hege und pflege, damit es wächst. Oder heilt. Etwas, das mich stärkt ……

Wenn ich den Himmel mit meinem Gesicht schaue, spüre ich auch, „wohin“ Gott mich sehnt?  Eine Bewegung, in meinem Leben, auf etwas oder jemanden zu? Ein Vertrauen(können), dass es so gut weitergeht?  Was ist jetzt da?

Geistkraft verbindet das, was ich träume und sehne und wünsche mit anderen. Um mich herum.  Es wird verstehbar, besprechbar und dadurch wirksam. Selbst wenn alles durcheinander geredet wird, manches nicht klar ist und viele verschiedene Meinungen im Raum stehen. Geistkraft verbindet uns mit Gott. Und bei Gott ist es möglich, dass alles  bunt durcheinander und doch klar ist, in vielen Sprachen gesprochen, gefühlt, gehofft und doch eindeutig. Weil Gott uns zutraut, dass das, was retten kann, durch unsere Träume und unser Tun zur Welt kommt. Nicht immer fehlerfrei, nicht immer gleich zu verstehen. Aber wirksam. 

Geistkraft hält den Glauben daran lebendig, dass das geht. Und dass unser Schauen des Himmels unser gemeinsames Gebet und unser Vertrauen verbindet, sodass Kraft davon ausgeht. Und etwas nach außen dringt, was himmlisch ist und die Kraft hat, die Welt zu verwandeln. Die Kraft, der Schwung dieser Geistkraft seit damals, breite sich in uns aus und durch uns in der Welt.  Und der Friede Gottes, der größer ist als alles, was wir mit unserem Verstand begreifen können, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

 

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Pfarrerin Kirstin Müller: 

1.    Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Hilfreicher als Zahlen und Fakten zu Ihrer Gemeinde sind Hinweise dazu, welche Men-schen Sie beim Predigtschreiben vor Augen hatten. Notieren Sie bei Bedarf auch Beson-derheiten zu Anlass, Zeit oder Art des Gottesdienstes, die den Leser/innen den Zugang zu Ihrer Predigt erleichtern.

2.    Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Bitte beschränken Sie sich auf einen Gedanken; beispielsweise einen Hinweis auf Ihre Schreibstrategie, eine lebensweltliche Wahrnehmung, eine Einsicht, die Ihnen der Pre-digttext erschlossen hat.

3.    Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Es geht um die alte Einsicht: Predigende sind zuerst Hörende. Bei der Vorbereitung der Predigt gehen einem viele Entdeckungen durch den Kopf und durch das Herz. Welche ist für Sie besonders bedeutsam? Welche Erkenntnis über Gott, Ihre Gemeinde, den Gang der Dinge… wird Sie weiter begleiten?

4.    Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Predigten redigieren: Das ist ein wichtiger Arbeitsschritt beim Predigtschreiben, egal ob mit oder ohne Predigtcoach. Beschreiben Sie einen Schritt aus Ihrer Überarbeitung dieses Predigtmanuskripts, den Sie besonders hilfreich fanden.

 

 

Perikope
Datum 31.05.2020
Bibelbuch: Apostelgeschichte
Kapitel / Verse: 2,1-21