Schicksal und Gebet - Lukas 11, 5-13, Christian-Erdmann Schott
11,5
(Lk.11, 5) (Lk.11, 5) Und Jesus sprach zu ihnen: Welcher ist unter euch, der einen Freund hat und ginge zu ihm zu Mitternacht und spräche zu ihm: Lieber Freund, leihe mir drei Brote;
  6 denn es ist mein Freund zu mir gekommen von der Straße, und ich habe nicht, was ich ihm vorlege;
  7 und er drinnen würde antworten und sprechen: Mache mir keine Unruhe! die Tür ist schon zugeschlossen, und meine Kindlein sind bei mir in der Kammer; ich kann nicht aufstehen und dir geben.
  8 Ich sage euch: Und ob er nicht aufsteht und gibt ihm, darum dass er sein Freund ist, so wird er doch um seines unverschämten Geilens willen aufstehen und ihm geben, wieviel er bedarf.
  9 Und ich sage euch auch: Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan.
  10 Denn wer da bittet, der nimmt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan
  11 Wo bittet unter euch ein Sohn den Vater ums Brot, der ihm einen Stein dafür biete? und, so er um einen Fisch bittet, der ihm eine Schlange für den Fisch biete?
  12 oder, so er um ein Ei bittet, der ihm einen Skorpion dafür biete?
  13 So denn ihr, die ihr arg seid, könnet euren Kindern gute Gaben geben, wie viel mehr wird der Vater im Himmel den heiligen Geist geben denen, die ihn bitten!

  Liebe Gemeinde,
der Name des heutigen Sonntages – Rogate (Bittet, Betet)  – ist weder eine    Mahnung noch ein Befehl.  Es ist eine sehr freundliche Einladung, gestützt auf den zentralen Satz unseres Predigttextes: „Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan“. Ich halte es schon für wichtig, dass diese Ermunterung nicht in einem Leitfaden der Esoterik zu finden ist oder in einem islamischen oder buddhistischen Religionsbuch, sondern im Neuen Testament und dass Jesus es ist, der sie ausgesprochen hat. Denn wenn man den Auftrag, den Jesus in dieser Welt hatte, auf eine kurze Formel bringen will, dann kann man sagen: Er ist gekommen, um die Menschen und Gott wieder miteinander in Kontakt zu bringen. Die Worte, mit denen er uns hier dazu einlädt und ermuntert, gehören zu diesem seinem Auftrag
Wir  wissen ja wie es ist, wenn das Gespräch erstirbt. Es gibt viele  Menschen, mit denen wir uns im Lauf des Lebens viel zu sagen hatten. Dann sind wir oder sie an einen anderen Ort gezogen, und, aus  den Augen aus dem Sinn, man verliert den Kontakt, die Beziehung löst sich auf. Zuletzt bleibt nur noch eine Erinnerung. So ist das auch mit Gott. Es gibt viele Menschen, viel mehr als man meint, die durchaus mit Gott gute Erfahrungen gemacht haben, irgendwann in ihrem Leben auch gebetet haben, zum Beispiel vor einer Operation oder vor einer schweren Entscheidung, aber dann kam der Alltag und das Gespräch war abgerissen. Zurück bleibt nur die Erinnerung.
So ist es nicht nur mit einzelnen Menschen. Letztlich hat die ganze Menschheit den Kontakt mit Gott weitgehend verloren und sich dann aus dieser Gottesferne heraus auch ganz falsche Vorstellungen von ihrem Schöpfer gemacht. Die Notwendigkeit, die Menschen und Gott wieder einander näher zu bringen, ist gegeben. Jesus Christus aber ist der Hersteller, der Vermittler dieser Beziehung, im Auftrag und im Namen Gottes.
  Eine dieser falschen Vorstellungen  ist die unrealistische Einschätzung unserer Bedürftigkeit. Sie zeigt sich darin, dass wir von Gott  zu viel oder umgekehrt  zu wenig erwarten. Zu viel erwarten wir, wenn wir Gott in der Hoffnung anrufen, er möge unsere schicksalhaften Begrenzungen ändern oder aufheben – also den Tod von uns nehmen und alles, was dahin führt, -  Krankheiten, Leiden, Rückgang der Kräfte. Wir haben aus den ersten Kapiteln der Bibel, aus der vom Schöpfer verfügten Verhinderung des Zugangs zum Baum des ewigen Lebens, gelernt und dann von Jesus im Garten Gethsemane bestätigt bekommen, dass Gott unser Todesschicksal nicht aufhebt. Es ist sein Wille, dass es bleibt. Und das heißt: Wir sind und bleiben sterblich, auch wenn wir noch so bitten, er möge dieses Schicksal  von uns nehmen.

  Diese Grenze müssen wir respektieren, ob wir wollen oder nicht. Wir können sie aber sehr unterschiedlich respektieren:  Wie einen Fluch, wie eine Strafe, wie ein böses Verhängnis, das uns in Angst, Wut und Verzweiflung stürzt. Wir können  diese Grenze aber auch annehmen mit Gottvertrauen, das heißt mit dem durchgehaltenen Vertrauen in die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes. Und Jesus ermuntert uns, um diese Gott vertrauende Haltung zu bitten, wenn er sagt, es „wird der Vater im Himmel den heiligen Geist geben denen, die ihn bitten!“. Im heiligen Geist, mit dem heiligen Geist sind wir fähig, unsere existentielle Armut im Glauben anzunehmen. In der Bergpredigt nennt Jesus Christus die Menschen, die das können, sogar selig: „Selig sind, die da geistlich arm sind, denn das Himmelreich ist ihr“ (Matth. 5, 3).

  Das sind die Menschen, die den uns angeborenen Größenwahn überwunden haben und ihre Begrenztheit als Gott gewolltes Wesensmerkmal unserer Menschlichkeit ansehen, um dann in Demut den uns geschenkten Zeit-Rahmen gern und fröhlich und dankbar anzunehmen und auszufüllen. Sie sind angenehm vor Gott, aber auch für ihre Mitmenschen. Klar aber muss sein: Von uns aus fällt uns diese Einstellung sehr schwer. Wir brauchen dazu den Heiligen Geist. Er weist uns in unserer Zeit und Welt und zugleich im Reich Gottes, das heißt im Herrschaftsbereich Gottes, unseren Platz an. Wenn wir  ihn im Glauben als Geschenk dankbar annehmen, sind wir erwachsene Kinder Gottes; dann können und sollen wir zu Gott auch sprechen „Vater Unser…“

  Aber Vorsicht, hier lauert auch das andere Vorurteil. Es ist das genaue Gegenteil von dem  „Ich will alles…“,  dass wir nämlich von Gott gar nichts erwarten oder in vermeintlicher Bescheidenheit meinen, unsere Sachen wären für den großen Gott viel zu klein, viel zu unwichtig, als dass wir ihm mit ihnen kommen könnten. Jesus hat dieses Vorurteil sehr ernst genommen. Im Lukasevangelium sind uns zwei Gleichnisse überliefert, die das Ziel haben, diese Meinung zu Recht zu rücken:

  Einmal das Gleichnis von der bittenden Witwe (Lk. 18, 1-8). Hier schildert Jesus eine arme Witwe, die von ihrem Nachbarn bedrückt und bedrängt wird und nun Rechtsschutz beim Stadtrichter sucht. Dieser hat aber kein Interesse, hier tätig zu werden und stellt sich taub. Die Witwe aber lässt mit ihrem Bitten nicht nach. Und das hat die gute Folge, dass der Richter sie dann doch anhört und ihre Sache aufgreift. Der Richter in diesem Gleichnis steht für Gott, der auch scheinbar nicht hört und nicht helfen will. Die Witwe sind wir, die wir ermutigt werden, nicht nachzulassen, immer wieder vorstellig zu werden und zu Gott zu rufen und zu beten.

  Das andere Gleichnis ist unser Predigttext. Hier wird Gott geschildert  wie ein Freund, der auch hilft, als es ihm gar nicht passt. Es ist Nacht, es ist dunkel, das Haus ist verschlossen, die Kinder schlafen.  Aber er hilft. So – das will Jesus sagen - hört und hilft auch Gott. Er lässt sich durch unser Rufen, durch unser anhaltendes Gebet bewegen und hilft den Betrübten.

  Diese beiden Erwartungen – „Alles oder Nichts“ - schließen sich nur scheinbar aus. In Wirklichkeit sind sie zwei Varianten derselben Grundhaltung - Ausdruck des Vorurteils, dass es Gott nicht gut mit uns meint. Darum gönnt er uns die Unsterblichkeit nicht – darum interessiert er sich nicht für uns und unsere Sachen. Beides ist Unglaube. Gegen beides geht Jesus an, indem er uns Gott als den liebenden Vater offenbart und uns zeigt, wie wichtig wir ihm sind. So wichtig, dass er uns die Ewigkeit schenkt –  nicht als Verlängerung der irdischen Lebenszeit, sondern als Gemeinschaft in seiner Nähe, hier beginnend und über den Tod hinaus wirksam. Wir nennen das Auferstehung und in der Nach-Osterzeit ist das das große Thema. Es meint, Überwindung des Todesschicksals, nicht zu unseren Bedingungen und Erwartungen, sondern nach dem Willen und den Erwartungen Gottes. Das meint auch, dass unsere irdischen Hoffnungen mit uns sterben (müssen), damit Gott, sein Wille, seine Ziele, sein Reich sich durchsetzen und leben – uns zum Heil. Amen
Perikope
29.05.2011
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