Schneckenhaus. Blumenwiese. Auferstehn. - Predigt zu Röm 8,1-2.10-11 von Michael Greßler
8,1-2.10-11

I. Wort.

So gibt es nun keine Verdammnis für die,
die in Christus Jesus sind.

Denn das Gesetz des Geistes,
der lebendig macht in Christus Jesus,
hat dich frei gemacht
von dem Gesetz der Sünde und des Todes.
Wenn aber Christus in euch ist,
so ist der Leib zwar tot um der Sünde willen,
der Geist aber ist das Leben um der Gerechtigkeit willen.
Wenn nun der Geist dessen,
der Jesus von den Toten auferweckt hat,
in euch wohnt, so wird auch derselbe,
der Christus von den Toten auferweckt hat,
eure sterblichen Leiber lebendig machen
durch seinen Geist, der in euch wohnt.

 

II. Schneckenhaus

Manchmal wünsche ich mir ein Schneckenhaus.
Schon immer. Als ich klein war schon.
Ein Schneckenhaus zum Verkriechen.
Wo ich ganz drin sein kann.
Wo nichts Böses hinkommt. Und nichts Trauriges.
Und nichts, was weh tut.

»So gibt es nun keine Verdammnis für die,
die in Christus Jesus sind.«

»… In Christus Jesus«.

Gott weiß das.
Er weiß, dass mir manchmal
nur noch zum Verkriechen ist.
Wenn es draußen einfach zu schwer ist.
Wenn mir Leute wegsterben,
die ich noch gebraucht hätte.
Wenn andere böse zu mir sind.
Wenn meine eigene Schuld mich drückt.
Wenn ich anders will und nicht anders kann.
Wenn ich immer wieder dieselben blöden Fehler mache.
Hamsterräder. Teufelskreise.
Gott weiß das und kennt mich und versteht.
Und er sagt: Komm herein. Komm, ruh dich aus.
In mir.
Komm, Ich bin um dich herum.

»So gibt es nun keine Verdammnis für die,
die
in Christus Jesus sind.«

In Jesus sein. Geborgen. Sicher.
Wie im Schneckenhaus.
Gott zum Verkriechen.
So können wir es heute mal sagen.
Das muss manchmal sein.
Und das darf auch manchmal sein.
Weil Gott weiß, was wir brauchen.
Darum nimmt Jesus uns auf.

Hinein. Wie in ein schönes, stilles Heimathaus.
Hinein. Wie in ein warmes Nest.
Hinein. Wie unter eine warme Decke.

»In Christus Jesus …«

Da kann uns nichts mehr angreifen.
Und nichts mehr verletzen.
Und nichts mehr traurig machen.
Nichts kann mich mehr zerstören.
Ich bin sicher. In ihm.

»So gibt es nun keine Verdammnis für die,
die in Christus Jesus sind.«

 

IV. Tau und frisches Grün

Aber irgendwann verlässt die Schnecke ihr Haus.
Als kleiner Junge habe ich da manchmal ewig gewartet.
Aber sie kamen immer wieder heraus.
Das müssen sie. Sie müssen wieder heraus. Ins Leben.
Das wollen die Schnecken auch.
Und sie können das auch.
Wenn die Gefahr vorüber ist.
Wenn sie genug ausgeruht haben.
Wenn sie neue Kraft gesammelt haben.
Drinnen.
Dann möchten sie wieder heraus.
Und siehe!
Draußen ist es dann auf einmal so schön.
Draußen findet so ein Tier:
Frisches Grün. Köstliche Tautropfen.
Salatblätter und Erdbeeren.
Lauter wunderbare Sachen.
Und sie trinkt den Tau und isst die Beeren und den Salat.
Und ärgert den Gärtner.
Und findet neue Kraft und neues Leben.

Und ich verlasse mein Schneckenhaus auch wieder.
Wenn es soweit ist.
Wenn die Gefahr vorüber ist –

»… unter dem Schatten deiner Flügel
habe ich Zuflucht, bis das Unglück vorübergehe
«.
Wenn meine Seele sich genug ausgeruht hat –
»… so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen«.

Und ich gehe hinaus ins Leben.
Und draußen: O Wunder: Draußen ist Jesus auch.
Eben hatte ich mich noch in seiner Liebe verkrochen.
Und jetzt ist er da draußen.
Jetzt ist er da draußen und tut mir lauter Gutes –

»… und weidet mich auf einer grünen Aue
und führt mich zum frischen Wasser

und erquicket meine Seele um seines Namens willen.«

»Wenn aber Christus in euch ist,
so ist der Leib zwar tot um der Sünde willen,

der Geist aber ist das Leben um der Gerechtigkeit willen.«

Ich hatte mich verkrochen.
Weil draußen so viel Böses ist und Leid.
Und Schmerz und Tod.
Nun komme ich wieder heraus.
Alles ist noch da. Das Böse. Und das Traurige.
Aber er ist auch da.
Und wenn ich atme, dann atme ich Ihn.
Wenn ich schaue, dann sehe ich Ihn.
Wenn ich trinke, dann ist er da.
Wenn ich bete, dann füllt er mein Herz.

Christus in mir. Mit allem, was ich nehme,
nehme ich Ihn.
Ich nehme ihn auf wie den frischen Tau
und das köstliche Grün.
Und er ist stärker als alles,
was mich bedroht und zerstört.

»Wenn nun der Geist dessen,
der Jesus von den Toten auferweckt hat,

in euch wohnt, so auch wird derselbe,
der Christus von den Toten auferweckt hat,
eure sterblichen Leiber lebendig machen
durch seinen Geist, der in euch wohnt.«

 

V. Pfingsten

Pfingsten.
Gott um uns.
Gott in uns.
Gott über uns.

Bei ihm können wir uns verkriechen
wie die Schnecke im Haus.
Aber mit ihm können wir auch herausgehen ins Leben.
Ja, das geht.
Ich kann das. Und ihr könnt das.
Und unsere Gemeinde. Und die ganze Kirche.
Weil Er da ist.

Um uns herum ist: Er.
In uns ist: Er.
Über uns ist: Er.
Überall. Und immer.

Die frommen Israeliten nennen es Ruach –
mit einem weiblichen Wort:
Gott, die Geistkraft. Hauch. Atem. Wind.
Sturm, der uns mit Macht ergreift –
Oder auch der Sommerwind,
der uns durchs Haar streicht,
zart wie die Hand der Mutter.
Spiritus Sanctus nennt es der Lateiner:
Gott, der uns in-spiriert.
Der uns klare Gedanken gibt und zündende Ideen.
Der uns Herz und Verstand bewegt.
Und Heiliger Geist nennen wir ihn.
Gott, der um uns ist alle Tage.
Der uns geborgen macht und sicher.
Und Kraft schenkt und neuen Mut.

Gott überall.
Gott: Zum Verkriechen und zum Losgehen.
Gott: Zum Ausruhen und zum Neubeginn.
Gott: Im Leiden und zum Trösten.
Gott: Im Leben und im Sterben.
Und zum Auferstehn.

»Wenn nun der Geist dessen,
der Jesus von den Toten auferweckt hat,

in euch wohnt, so wird auch derselbe,
der Christus von den Toten auferweckt hat,
eure sterblichen Leiber lebendig machen
durch seinen Geist, der in euch wohnt.«

Das hört niemals auf.
Niemals.
Egal, ob ich mich grade verkriechen muss.
Oder ob ich tapfer ins Leben gehe:
Er ist da.
Und dann bin ich geborgen. Und stark.
Solange ich lebe.
Und auch danach.
Weil ich in ihm bin.
Und bleibe.
Und er in mir
und um mich herum.
Und über mir.
Und über euch.
Und über unserer Gemeinde.
Und über seiner ganzen Kirche.

Damit wir alle leben.
Jetzt. Und in Ewigkeit.

Amen.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Michael Greßler

1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Predigt in zahlreichen Pfingstsonntagsgottesdiensten mit Besucher*innenzahlen von 5 bis 50.

2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Wahrnehmungsübungen, Exegese, Textmeditation, Austausch mit befreundeten Kolleg*innen.

3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Der individuelle Zugang zu Rö 8 – Erlösung persönlich gesehen.

4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Die Predigt zu ‚feilen’ ist für mich Grundhandwerkszeug. Dazu gehört auch und vor allem das (laute!) Üben des Textes, möglichst in einer der Kirchen.

Perikope
05.06.2022
8,1-2.10-11