Schöpfung emotional - Predigt zu Gen 1,1-2,4a von Sonja Wiedemann
1,1-2,4a

Skepsis

Liebe Gemeinde,

Gott hat die Welt in sieben Tagen erschaffen. Und die Kinder bringt der Storch. Es sind Menschen, die sich diese Geschichten ausgedacht haben. Mit unterschiedlichen Intentionen: Die Kinder-Storch-Geschichte, um mit Kindern nicht über die menschliche Sexualität sprechen zu müssen. Den ersten Schöpfungsbericht, unseren heutigen Predigttext, um die Ordnung der Welt darzustellen und zu zeigen, dass die gesamte Schöpfung in Gottes Augen gut ist.

Was macht das mit Ihnen, liebe Gemeinde, wenn Sie die beiden Geschichten hören?
Sie könnten wütend werden. Wütend deshalb, weil wir im 21. Jahrhundert solche Märchen nicht mehr nötig haben. Weil wir mit dem Wissen um Urknall, Evolutionstheorie und Sexualität nicht durch eine Erzählung für dumm verkauft werden wollen.
Sie könnten gelangweilt sein. Weil Sie es besser wissen und die Schöpfung in sieben Tagen nun wirklich keine Relevanz mehr für unsere Gesellschaft hat.
Sie könnten amüsiert sein, leise unter Ihrer Maske in sich hineinlächeln, weil Ihnen früher auch die Geschichte vom Storch erzählt wurde und Sie sie geglaubt haben.
Oder Sie sind fasziniert. Sie fragen sich, wie und warum es solche Geschichten geschafft haben, so lange weitererzählt zu werden, wieso es gerade sieben Tage sind und nicht zehn, warum ausgerechnet der Storch die Kinder bringt und nicht das Känguru.
Was macht es mit Ihnen, liebe Gemeinde?

Licht

Zu Beginn hat Gott Himmel und Erde geschaffen. Da war die Erde Chaos und Wüste, Dunkelheit war da angesichts der Urflut, und Gottes Geistkraft bewegte sich angesichts der Wasser. Da sprach Gott: »Licht werde«, und Licht wurde. Gott sah das Licht: Ja, es war gut. Und Gott trennte das Licht von der Finsternis. Gott nannte das Licht ›Tag‹ und nannte die Finsternis ›Nacht‹. Es wurde Abend und wurde Morgen – Tag eins. (BigS Gen 1,1-5)

Ich komme aus dem Club. Der Schweiß und die stickige Luft kleben mir noch immer am Körper. Ich streife meine Jacke über. Leicht benommen von der lauten Musik, vom Tanzen schlendere ich durch die Stadt. In der Ferne sehe ich, wie sich der Himmel rosa färbt. Ich kaufe mir bei der eben öffnenden Bäckerei Kaffee und Croissant – es kommt mir vor wie das beste Frühstück, das ich jemals gegessen habe. Ich setze mich auf den Bordstein und sehe dabei zu, wie das Licht des anbrechenden Tages die Stadt langsam flutet, wie die Sonne sich zwischen den Fassaden der Häuser hindurchkämpft.

Himmel

Da sprach Gott: »Es soll ein Gewölbe mitten in den Wassern sein, so dass es Wasser von Wasser trennt.« Und Gott machte das Gewölbe und es trennte das Wasser unterhalb des Gewölbes von dem Wasser oberhalb des Gewölbes. So geschah es. Gott nannte das Gewölbe ›Himmel‹. Es wurde Abend und wurde Morgen – ein zweiter Tag. (BigS Gen 1,6-8)

Du stehst auf einem Berg, mitten in den Alpen. Unter dir erstreckt sich die Landschaft, du siehst Straßen, Bachläufe, Dörfer. Alles winzig klein. Und dann legst du den Kopf in den Nacken. Du wirst geblendet, trotzdem senkst du den Kopf nicht. Die unendliche Weite des Himmels, dieses satte, intensive Blau zieht dich an. Um dich herum ist nichts. Nur der Himmel und du.

Pflanzen

Da sprach Gott: »Die Erde lasse Grünes aufsprießen: Gewächse, die Samen aussäen, Fruchtbäume, die nach ihrer Art Früchte hervorbringen, in denen ihr Same ist, oberhalb der Erde.« Und so geschah es: Die Erde brachte Grün hervor, Gewächse, die Samen aussäen nach ihrer Art, Bäume, die Früchte hervorbringen, in denen ihr Same ist nach ihrer Art. Und Gott sah: Ja, es war gut. Es wurde Abend und wurde Morgen – ein dritter Tag. (BigS Gen 1,11-13)

Über ihr rascheln die Blätter im Wind. Ein Ast knackt unter ihrem Fuß. Sie erreicht den Rand der Lichtung. Sie zieht Schuhe und Socken aus. Setzt erst den linken, dann den rechten Fuß ins weiche Kühl des Moos‘. Schritt für Schritt läuft sie zu der Stelle, an der ihr die Sonne direkt ins Gesicht scheint. Sie schließt die Augen, fühlt die Wärme auf ihrem Gesicht, hört die Stimmen des Waldes.

(Tiere im) Wasser

Da sprach Gott: »Das Wasser unter dem Himmel soll an einem Ort gesammelt werden, so dass das Trockene sichtbar wird.« So geschah es. Gott nannte das Trockene ›Erde‹ und die Ansammlung des Wassers ›Meer‹. Und Gott sah: Ja, es war gut. […] Da sprach Gott: »Die Wasser sollen nur so wimmeln von lebenden Wesen, und über der Erde sollen Flugtiere fliegen – angesichts des Himmelsgewölbes.« Da schuf Gott die großen Seeungeheuer und jedes sich bewegende Lebewesen, von denen das Wasser wimmelt nach ihren Arten, und alle geflügelten Tiere nach ihren Arten. Und Gott sah: Ja, es war gut. Da segnete Gott sie und sagte: »Seid fruchtbar, vermehrt euch und füllt die Wasser der Meere. Die Flugtiere aber sollen sich auf der Erde vermehren.« Es wurde Abend und wurde Morgen – ein fünfter Tag. (BigS Gen 1,9-10.20-23)

Ich habe die Taucherbrille auf meiner Stirn, der Schnorchel baumelt links neben meinem Gesicht. Über mir kreischen die Möwen. Mein Körper schaukelt mit den Wellen – auf und ab. Ich schwimme zu der Boje, die den Beginn markiert. Ich lasse den Blick schweifen. Schaue zum Strand, zu den bunten Sonnenschirmen. Schaue hinaus, auf die endlose blaue Oberfläche. Ich ziehe die Taucherbrille über Nase und Augen und stecke mir den Schnorchel in den Mund. Ich atme dreimal tief ein und aus, dann tauche ich ab. Wie bunt die Welt dort unten ist: Korallen wiegen sich mit der Bewegung des Wassers hin und her. Zwischen und über ihnen wimmelt es an Fischen. Manche sind so klein wie der Fingernagel meines kleinen Fingers, manche so groß wie meine Handfläche. Sie sind gelb, grün, blau, grau. Gestreift, gefleckt, gepunktet. Manche schimmern im einfallenden Sonnenlicht.

Gewürm

Da sprach Gott: »Die Erde soll lebende Wesen hervorbringen je nach ihrer Art, Vieh, Kriechtiere, das Wild der Erde nach seinen Arten.« Und so geschah es: Gott machte das Wild der Erde nach seinen Arten, das Vieh nach seinen Arten und alle Kriechtiere auf dem Acker nach ihrer Art. Und Gott sah: Ja, es war gut. (BigS Gen 1,24-25)

Ich stehe mit dem Spaten im Garten. Die Sonne gewinnt langsam an Kraft, der Schnee ist schon lange geschmolzen. Endlich setze ich meinen Traum in die Tat um. Ich ramme den Spaten in die Erde, stelle mich mit dem Fuß drauf. Spatenstich für mein Gemüsebeet. Nach und nach lockere ich die Erde, hebe ein Loch aus. Auch dort wimmelt das Leben. Ich bin ein bisschen angeekelt. Würmer, Spinnen, Raupen, Käfer suchen das Weite. Nach dem anfänglichen Ekel erreicht der Gedanke meinen Kopf, dass das Leben im Boden notwendig ist, damit mein Gemüse wachsen kann.

Jubel

Liebe Gemeinde, heute ist Sonntag Jubilate. Jubilate – freut euch und jubelt!
Ja, wir könnten wütend sein über die Systeme und Menschen, denen ihre Umwelt egal ist. Die ihren Lebensraum mutwillig zerstören. Die das Leben ganzer Nationen auslöschen.
Ja, wir könnten gelangweilt sein von der Welt, die uns doch täglich umgibt und uns selten positiv überrascht.
Ja, wir könnten amüsiert sein über die Naivität, die uns die Schönheit der Schöpfung angesichts eines steigenden Meeresspiegels weismachen will.

Aber wir können auch fasziniert sein. Vom Ineinandergreifen des Lebens, von den Naturschauspielen der Jahreszeiten, von der Ordnung der Schöpfung. Davon, dass die Störche auf unseren Schornsteinen immer wieder ihre Nester bauen. Liebe Gemeinde, heute will ich einstimmen in den Jubel über diese Welt. Sie auch?

Und Gott sah alles, was Gott gemacht hatte: Sieh hin, es ist sehr gut. (BigS Gen 1,31)

Amen.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Sonja Wiedemann

1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Vor Augen steht mir als Predigtort ein kleines Kirchlein auf dem Dorf in Sachsen. Die Gottesdienstbesucher*innen sind altersmäßig bunt gemischt, von Konfirmand*innen bis hin zu sehr alten Menschen ist alles dabei.

2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Ich habe mich beim Schreiben immer wieder an verschiedene Situationen erinnert, in denen mir aufgefallen ist, wie schön die Welt ist, in der ich leben darf. Diese Faszination möchte ich mir durch alle Krisen hindurch bewahren.

3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Schöpfung muss nicht nur gut und schön sein, sondern sie kann auch Ängste und/oder Ekel hervorrufen. All diese Emotionen sind in der Schöpfung mitgegeben und haben ihre Berechtigung. Darüber möchte ich weiterhin nachdenken.

4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Ich habe die Zahl der Bilder reduziert, den Anspruch auf Vollständigkeit über Bord geworfen. Dadurch können die vorhandenen Bilder besser wirken. Außerdem wurde der ursprüngliche Einstieg zu einem Rahmen um diese Bilder.

Perikope
08.05.2022
1,1-2,4a