Schweige und Höre - Predigt zu Jesaja 50, 4-9 von Antje Marklein
50,4-9

Schweige und Höre - Predigt zu Jesaja 50, 4-9 von Antje Marklein

Er weckt mich alle Morgen, er weckt mir selbst das Ohr. Das haben wir vorhin gesungen. Das schöne Morgenlied von Jochen Klepper… (wdh)

Wer hat Ihnen heute morgen das Ohr geweckt? Was war das erste, was ich heute morgen gehört habe? Radio NDR Kultur. Wer war der erste der zu Ihnen, zu euch gesprochen hat, und was hat er / sie gesagt? War es die Mutter beim Frühstück? Ein Telefonat am Morgen? Oder eine Audio- Nachricht bei  Whatsapp?  Oder waren die ersten Worte, die Sie gehört haben, die Begrüßung am Eingang der Kirche?

Wie wichtig ist das erste Hören am Morgen. Es kann meine Stimmung beeinflussen. Wie gut, wenn ich etwas hören kann, eine fröhliche Stimme im Radio, oder Menschen um mich, die zu mir sprechen. Nicht vorstellbar, wenn ich nichts hören würde.

Er weckt mich alle Morgen, er weckt mir selbst das Ohr.

Was hören wir alles an einem Tag. Was dürfen, ja was müssen wir alles hören? Ich nehme Sie einmal mit durch ein paar Hörerfahrungen der letzten Tage:

Am Tresen beim Bäcker habe ich die gestresste Verkäuferin gehört. Ich war im Aufzug in einem Seniorenheim und habe das kurze Gespräch zweier Bewohnerinnen gehört. In der U-Bahn haben neben mir eine Mutter und ihr Kind ganz konzentriert ‚Ich sehe was, was du nicht siehst‘ gespielt. In einem Wartezimmer habe ich eine ganze Lebensgeschichte gehört. In einer Kita den Streit zweier vierjährigen Kinder; im Fernsehen eine Frau in Mozambique, die plötzlich die Verantwortung für ihre drei Enkelkinder übernehmen muss nach dem Tod der Tochter in den Fluten. Ich habe gehört, was mir mein Mann über einen Konflikt erzählt hat. Ich habe meine Mutter von früher erzählen gehört. …

Was habt ihr gehört in der letzten Woche? Das Vogelgezwitscher am Morgen? Die Traurigkeit der Freundin nach einem Streit? Das Rauschen der Bundesstraße? Die Krankengeschichte aus der Nachbarschaft? Den Ärger über den fernen Sohn? Den Unmut anderer Ehrenamtlicher über eine frische Auseinandersetzung? Erschütternde Nachrichten aus Palästina?

Unser Ohr muss viel leisten, um all das zu hören. Manchmal hilft, sich taub zu stellen, wenn ich es nicht mehr hören kann. Aber ich frage Sie, ich frage mich: Wie kann ich all das aushalten was ich höre, woher habe ich die Kraft, hin zu hören?

HÖREN wir dazu einen alten Bibeltext, einen Abschnitt aus dem Jesajabuch im 50. Kapitel.

Gott der HERR hat mir eine Zunge gegeben, wie sie Jünger haben, dass ich wisse, mit den Müden zu rechter Zeit zu reden. Er weckt mich alle Morgen; er weckt mir das Ohr, dass ich höre, wie Jünger hören. Gott der HERR hat mir das Ohr geöffnet. Und ich bin nicht ungehorsam und weiche nicht zurück. Ich bot meinen Rücken dar denen, die mich schlugen, und meine Wangen denen, die mich rauften. Mein Angesicht verbarg ich nicht vor Schmach und Speichel. Aber Gott der HERR hilft mir, darum werde ich nicht zuschanden. Darum hab ich mein Angesicht hart gemacht wie einen Kieselstein; denn ich weiß, dass ich nicht zuschanden werde. Er ist nahe, der mich gerecht spricht; wer will mit mir rechten? Lasst uns zusammen vortreten! Wer will mein Recht anfechten? Der komme her zu mir! Siehe, Gott der HERR hilft mir; wer will mich verdammen?

Der das schreibt, ist ein Prophet. Er soll handeln im Namen Gottes. Und er muss dabei viel Leid und Schmach aushalten. 

Ein Satz klingt bei mir nach: ‚Gott hat mir das Ohr geöffnet. Und ich bin nicht ungehorsam und weiche nicht zurück.‘  (wdh)

Der Prophet muss sich viel anhören: Das Volk Israel ist unzufrieden, nach langem Exil muss es wieder im Land Fuß fassen. Das Trauma des Exils sitzt tief. Verzweiflung schlägt dem Propheten entgegen. Das alles ficht ihn an. Er muss sich abhärten, um auszuhalten, was er zu hören kriegt.

Ist das eine Lösung, um auszuhalten was wir alles hören? Uns abhärten, hart werden gegen andere, eine Fassade aufbauen, an der abprallt, was uns zu viel wird?

Ja, wenn der Prophet nur auf das jammernde Umfeld hören würde, könnte er das nicht lange aushalten. Wer nur nach außen ausgerichtet hört, brennt aus. Wer nur sein Ohr bei den Anderen hat, wird irgendwann erschöpft. Wer keine innere Kraftquelle hat, wird krank.

Gott spricht den Propheten von innen an. Gott spricht uns von innen an. Hören Sie das?

Er weckt mich alle Morgen, er weckt mir selbst das Ohr.

Es ist Gott, der mich alle Morgen weckt und mir das Ohr öffnet. Nicht der Wecker oder das Handy. Gott. Gott weckt mich alle Morgen und öffnet mir das Ohr. Gott macht es möglich, dass ich höre und handle. Eine steile Behauptung von mir, ich weiß. Kann aber entlastend sein. So ein Perspektivwechsel hilft. Gott ist der erste, der morgens zu mir spricht.

Aber hör ich das? Hören Sie das?

Vielleicht kann ich hören üben. Was höre ich von Gott? Wie spricht er zu mir? Durch wen, durch was spricht Gott zu mir? Melodie hineinspielen Schweige und höre; neige deines Herzens Ohr; suche den Frieden.

Schweige und höre – singen  (aus: freitöne, Nr. 2)

(Melodie wird weiter im Hintergrund gespielt) Die Woche die vor uns liegt, ist die Karwoche. Wir gehen an jedem Tag durch Stationen des Lebensweges von Jesus. Die Stationen seines Leidens, das letzte Abendmahl am Gründonnerstag, die Todesstunde am Karfreitag, die Grabesruhe am Samstag und dann der Jubel am Ostermorgen. Für mich ist das eine Woche, in der ich nach innen hören übe. Hören auf die Bibel, hören auf Gott und sein Wort hinter allem Leid. Ich höre gern Passionsmusik in dieser Woche. Ich höre gern in die Stille einer Andacht hinein, ich höre auch in der Gottesdienstgemeinschaft an diesen besonderen Tagen.

Eine Hörübung für die Karwoche – Schweige und höre. Neige deines Herzens Ohr. Suche den Frieden. (Ende der Musik)

Tun wir das gemeinsam – und jeder für sich in dieser Woche: Hören üben. Und dann, nach der Karwoche, wenn wir das Hören auf Gott neu gelernt habe, dann haben wir auch wieder ein Ohr für andere. Dann können wir auch wieder anderen zuhören, uns der lauten Welt aussetzen. Dann können wir auch wieder reden, vollmundig und überzeugt, wie der Prophet. Dann, nach Ostern, beflügelt von der neuen Lebenskraft, können wir Konflikte ansprechen, Menschen trösten, auch unbequeme Worte sagen und dafür auch Kritik einstecken.  Nach Ostern können wir uns wieder lautstark einsetzen für das Leben in Gottes Welt.

Heute, am Palmsonntag,  möchte ich aus dem Gottesdienst hinausgehen mit den Worten und den Tönen ‚Schweige und höre‘ auf den Lippen und im Herzen. Vielleicht tun wir das gemeinsam.

Literatur: Predigtstudien 2018/2019 1. Halbband S. 208ff