Sehnsucht nach dem Himmlischen - Predigt zu 2. Korinther 5,1-10 von Christoph Römhild
5,1-10

Sehnsucht nach dem Himmlischen

Liebe Gemeinde,

in Dresden am Zwinger geht ein Paar vor mir auf der Straße, sie will fotografieren. Sie hält in der Bewegung inne, als die Sonne hinter einer Wolke verschwindet. Ausgerechnet jetzt verschwindet die Sonne! „Das war ja klar“, sagt sie. Ich bin überrascht, warum sagt sie dass es ja klar sei? Macht sie öfter die Erfahrung, dass ein perfekter Moment flüchtig ist? Dass ein Vorhaben, wie hier das Fotografieren, misslingt? Das war ja klar. Es ist schwer, Momente des Glücks festzuhalten. Ist das schon ein kollektives Empfinden?

Am Volkstrauertag fragen wir uns, worüber unser Land traurig ist. Worüber sind wir kollektiv traurig, was lässt uns verzagen, was lässt uns mutlos sein, was macht uns starr und bewegungsunfähig? Was lässt uns manchmal verzweifeln?

Neben der individuellen Traurigkeit durch einen Verlust gibt es eine kollektive Traurigkeit, Anlässe, die uns gemeinsam betreffen und betroffen machen. Umstände, die uns hilflos machen.

Ich nenne nur einige dieser kollektiven Anlässe:

 * Die jährlich wiederkehrende Angst vor einer weltweiten Seuche, wie jetzt Ebola.

 * Die Trauer und Verzweiflung über die Flüchtlingsdramen, die sich vor der Mauer Europas abspielen.

 * Die vage Angst vor einem Klimawandel, der durch Stürme und Überflutungen Menschen weltweit bedroht.

 * Die Traurigkeit über Kriege und Gewalt, die teilweise sogar unter dem Deckmäntelchen der Religion geschieht: der Islamische Staat (IS), Syrien, die Ost-Ukraine, Nigeria…

 * Die vage Angst vor einer erneuten Banken- oder Wirtschaftskrise.

Jeder dieser einzelnen Punkte ist Grund zu Sorge und Entsetzen, gemeinsam bilden sie eine diffuse Bedrohung. Nach Ende des Kalten Krieges wähnten wir uns in einer Phase der verbesserten Sicherheitslage, mit den Anschlägen auf New York am 11. September 2001 relativierte sich das. Mit der Ukrainekrise und ihren Machtdemonstrationen von beiden Seiten scheint der Kalte Krieg nicht mehr so lange her. Mit der Entschlossenheit und Brutalität der IS scheint die Humanität verloren zu gehen. In diesem Jahr gedachten wir des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs vor hundert Jahren, des Zweiten Weltkriegs vor 75 Jahren. Und nun flackern wieder überall Konflikte auf. Gibt es denn keinen Fortschritt? Gibt es keinen Frieden?

In diese Lage spricht unser heutiger Predigttext, aus dem 5. Kapitel des 2. Korintherbriefes, die Verse 1-10.

(Predigttext ggf. verlesen)

Unsere irdischen Häuser sind eigentlich nur Hütten, so Paulus hier. Und tatsächlich haben wir ja mit unseren irdischen Häusern so unsere Probleme. Denken wir an die Hamburger Elbphilharmonie oder den Berliner Flughafen – beides Großprojekte, die ungleich teurer werden als erwartet und die immer noch nicht fertig gestellt sind. Das griechische Wort für Haus ist oikos – es begegnet uns auch in Worten wie Ökonomie und Ökologie, deren Probleme schon angesprochen wurden.

Paulus stellt dagegen die Aussicht auf ein himmlisches, ein ewiges Haus, in dem wir geborgen sein werden. Nach diesem Haus sehnt sich Paulus. Nach diesem Haus sehnen auch wir uns. In aller Angst, in aller Sehnsucht nach Anerkennung durch andere, nach Sicherheit in dieser Welt: In unseren Herzen haben wir diese Sehnsucht nach der zukünftigen Welt, diese tiefe Sehnsucht, nach Hause zu kommen. Diese Sehnsucht ist unvergänglich in uns gepflanzt. Es ist ein Sehnen nach dem Wohnen in dem unvergänglichen ewigen Haus.

Paulus spricht davon, dass sogar unsere Körper vergehen werden; auch sie sind nur Hütten, und wir werden neue Kleider bekommen, wir werden einen neuen Leib bekommen, wir werden verwandelt werden (1. Kor 15).

Es gibt einen wunderbaren Gospel von Mahalia Jackson, in dem sie dieses Motiv der neuen Kleider aufnimmt:

Von allen Himmelsrichtungen aus allen Nationen werden die Menschen herbei strömen, in weiß gekleidet.

Die himmlischen Kleider werden strahlend weiß sein, mit Diamanten besetzt.

Im neuen Jerusalem werden wir diese Kleider tragen.

Wir werden singen und die Straßen aus Gold entlang schreiten im Heimatland der Seele.

Dort wird das große Festmahl der Völker gehalten werden und Gott wird uns in seinen Reden loben.

Unsere Seele schaut zurück in Verwunderung, wie sie das alles durchstehen konnte.

*             *             *

„How I got over“ heißt dieser Gospel, der mit der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung eng verbunden ist.

Mahalia Jacksons wundervolle Stimme erzählt von ihrer Furcht, ihrem Glauben und ihrer Hoffnung.

Dieses großartige Lied, das so oft kopiert worden ist, verbindet für mich in wundervoller Weise eine tiefe Frömmigkeit und die Sehnsucht nach dem zukünftigen Jerusalem mit der Sehnsucht nach einer gerechteren Welt im Diesseits.

Ihre Sehnsucht nach der zukünftigen Welt lässt sie die hiesige Welt nur umso genauer sehen und das Unrecht nur umso genauer wahrnehmen. Fünf Jahre nachdem dieses Lied erschien, wurde Martin Luther King erschossen.

*             *             *

Wir können uns diesen Gospel zum Vorbild nehmen. Wir können uns also nach der zukünftigen Welt strecken, wir können nach dieser zukünftigen Welt streben und dennoch das Diesseits im Blick behalten.

Bei aller Sehnsucht nach der kommenden Welt sollen wir keine Weltflucht betreiben, sondern Weltverantwortung wahrnehmen und die Probleme nicht ausblenden. Paulus weiß dies, wenn er sich intensiv um seine Gemeinden kümmert und um das gute Zusammenleben in ihnen.

Aber die Sehnsucht nach der zukünftigen Welt relativiert die Konflikt, die wir sehen, die Ängste, die wir haben: Denn alles dies sind Hütten. Alles dies steht unter dem Vorbehalt, dass ein zukünftiges, ewiges Haus auf uns wartet, das schon für uns bereitet ist. Damit relativiert sich auch die Angst und die Traurigkeit, die wir haben.

Damit vergrößern sich aber auch die Möglichkeiten in diesen Konflikten: Gewalt ist vielleicht eine ultima ratio, aber nie eine Lösung. Strukturen und Machtverhältnisse sind nie ewig oder unabänderlich, sondern sind immer Hütten, sind immer zeitlich und politisch veränderlich.

Dafür steht unser Glaube, der selbst dem Tod die Macht genommen hat. Letzen Sonntag haben wir dem 9. November 1989 gedacht. An diesem Tage, in diesen Monaten ging von den Kirchen und den Gebeten eine friedliche Revolution aus, die die Mauer zum Einsturz brachte. Auch diese Mauer, die so unabänderlich schien, war nur eine vergängliche Hütte. Wir können die Dinge zum Guten wenden, wie Bundeskanzlerin Merkel sagte.

Solche Strukturen und Machtverhältnisse stehen immer unter dem Vorbehalt, dass jede Ungerechtigkeit, jede Gewalt, jedes Wegsehen abgelöst werden wird durch ein gemeinschaftliches Wohnen in einem Haus mit vielen Wohnungen, in dem Toleranz und Dauer, Friede und Gerechtigkeit wohnen werden.

*             *             *

Der Vorschein dieser zukünftigen Welt sind für mich die Ortsgemeinden, sind unsere Gemeinden vor Ort, auch diese Gemeinde, unsere Gemeinde.

Im gemeinsamen Abendmahl zeigt sich, wie diese Gemeinde von Jesus Christus lebt und bestimmt ist. Dies strahlt aus in den Gottesdienst, in die ganze Gemeinde und den ganzen Stadtteil, die ganze Stadt. Dieses Leben von Jesus Christus her, der schon in dem zukünftigen Haus lebt, verändert alles.

Und ich möchte diese Gemeinde loben!

Sie bewahrt das Wissen um die Auferstehung Jesu Christi. Sie lebt im Abendmahl von ihm her. Sie alle hier, Sie sind diese Gemeinde, wir alle hier; Sie achten aufeinander, Sie sorgen füreinander, Sie sind füreinander da. Sie haben eine gemeinsame Vision von einem Zusammenleben in dieser Gemeinde und weit darüber hinaus. Sie lösen Konflikte nicht mit Gewalt oder Ausgrenzung, sondern im Gespräch und in Achtung voreinander. Hier finden Menschen Geborgenheit, hier verlieren sie ihre Angst und ihre Trauer, über die wir heute am Volkstrauertag nachdenken. Hier gewinnen Menschen neue Visionen in den gemeinsamen Gesprächen, hier finden Menschen neuen Mut, legen ihre Verzagtheit und Vagheit ab und gehen gemeinsam neue Schritte.

Hier leben Generationen in lebendigem Austausch miteinander. Hier sind Kinder und Jugendliche Willkommen und die Älteren ebenso. Menschen die sich einsam fühlen, werden aufgenommen, niemand ist alleine. Auf dem Basar und Flohmarkt packt jeder mit an oder bringt Kuchen und Spenden mit. Es ist Raum für Muße und Kultur. Wir lesen zusammen in der Bibel, tauschen uns aus, singen zusammen im Chor. In diakonischen Einrichtungen kümmern wir uns um Arme und Kranke. All dies strahlt aus in den Stadtteil und verändert die Welt. Unterschätzen wir das nicht.

Das wünsche ich Ihnen und uns: Das wir uns diese Gemeinschaft bewahren, sie uns immer neu geschenkt wird und wir das Ziel immer vor Augen behalten:

In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen.

Amen

 

Mögliche Lieder

398

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428

 

Perikope
16.11.2014
5,1-10