I Macht nichts, dass der Urlaub dieses Jahr ausgefallen ist, sag ich zu dir. Macht nichts. Wenn wir nur einmal ins Paradies reisen könnten. Du und ich. Nur einmal. Ins Paradies. Doch du schaust mich verständnislos an. Du sagst: Das geht nicht. Das Paradies ist verloren und viel zu weit weg. Es ist nicht hier und wir kommen da auch nicht hin. Hör auf zu träumen, sagst du. Aber ich glaube dir nicht. Nicht, dass das Paradies verloren ist. Und auch nicht, dass der Weg vergessen ist. Denn ich will träumen. Vom Paradies. Mit dir. Ich will träumen und suchen. Nach der Palme und dem Wasserlauf. Den fruchtigen Feigen. Die müssen doch zu finden sein. Ja, ich will ins Paradies mit dir. Nur einmal. Mit dir am kalten Wasser sitzen. Im Schatten unter einer Palme. Ungezwungen und frei mit dir lachen und herumalbern. Will mit dir in saftige Feigen beißen. Dort im Paradies. Am Wasser unter der Palme. Da will ich hin mit dir. Nur einmal.
II 4b Es war zu der Zeit, da Gott der Herr Erde und Himmel machte. 5 Und alle die Sträucher auf dem Felde waren noch nicht auf Erden, und all das Kraut auf dem Felde war noch nicht gewachsen. Denn Gott der Herr hatte noch nicht regnen lassen auf Erden, und kein Mensch war da, der das Land bebaute; 6 aber ein Strom stieg aus der Erde empor und tränkte das ganze Land. 7 Da machte Gott der Herr den Menschen aus Staub von der Erde und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen. 8 Und Gott der Herr pflanzte einen Garten in Eden gegen Osten hin und setzte den Menschen hinein, den er gemacht hatte. 9 Und Gott der Herr ließ aufwachsen aus der Erde allerlei Bäume, verlockend anzusehen und gut zu essen.
III Ich habe das Paradies gefunden, rufe ich. Ich renne los. Zu dir rüber. Falle dir um den Hals. Strahle dich an. Zeige auf die Bibel in meiner Hand und sage: Da ist es, das Paradies. Ich habe es gefunden! Nur eine Buchklappe weit entfernt. Die Reise ist nicht abgesagt, der Weg nicht verloren. Denn das Paradies ist da. Für uns beide. In diesen Worten ist es. In diesen Worten kommt es zu uns. In dem Atem Gottes, der in uns fließt. In dem Wasser, das nicht weit von unserem Ort fließt. Im Obst, das die Tante jeden Mittwoch auf dem Markt verkauft. Überall da ist das Paradies. Siehst du es denn nicht?
Erwartungsvoll schaue ich dich an. Doch du blickst nur schief zurück. Du seufzt und sagst: Nein, ich sehe das nicht. Im Gegenteil. Ich sehe Regenwälder, die in Flammen aufgehen. Sehe, wie eine Milliarde Tiere einfach verbrennen. Ich sehe Plastik, das im Meer schwimmt, als sei es dort ein neuer Bewohner. Sehe verhungerte Wale mit einem Bauch voller Müll. Ich sehe, wie tausende Liter Öl ins Meer fließen. Sehe Vögel, die einmal weiß waren, jetzt aber ein schwarzes Ölkleid tragen. Ich sehe riesige Schlachtanlagen, in denen sich unterbezahlte Arbeiter abrackern. Sehe, wie nicht vollständig betäubte Tiere einfach trotzdem geschlachtet und aufgehängt werden. Das sehe ich, wenn ich die Augen aufmache. Aber das Paradies sehe ich nicht. Du schüttelst den Kopf. Nein, sagst du. Das Paradies ist verloren. Es ist unerreichbar fern von uns. Eingesperrt zwischen diesen Buchdeckeln.
IV 15 Und Gott der Herr nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte. […] 18 Und Gott der Herr sprach: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei; ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm entspricht. 19 Und Gott der Herr machte aus Erde alle die Tiere auf dem Felde und alle die Vögel unter dem Himmel und brachte sie zu dem Menschen, dass er sähe, wie er sie nennte; denn wie der Mensch jedes Tier nennen würde, so sollte es heißen. 22 Und Gott der Herr baute eine Frau aus der Rippe, die er von dem Menschen nahm, und brachte sie zu ihm. 23 Da sprach der Mensch: Die ist nun Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch.
V Ja, das Paradies ist fern, sage ich. Du hast Recht. Es rückt sogar ferner. Jedes Mal, wenn wir etwas auf der Erde zerstören, statt es zu bewahren. Jedes Mal, wenn wieder ein Quadratkilometer Regenwald verbrannt ist. Jedes Mal, wenn wir ein Tier ausbeuten, statt es zu schätzen. Immer dann rückt das Paradies ferner. Aber nur weil es fern ist, ist es doch nicht verloren! Deswegen ist es doch nicht unerreichbar. Ja, vielleicht beginnt der Weg zum Paradies direkt hier. Vor unserer Haustür. Wenn wir heraustreten und die Erde spüren. Wenn wir durch den Regen hüpfen und die Regentropfen auf unseren Lippen schmecken. Einfach in der Sonne liegen und spüren wie sie unsere Haut wärmt. Wenn wir mit der Hand in die Erde greifen und fühlen, wie sie kühl durch unsere Finger rinnt. Mit bloßen Füßen durch das Gras laufen und spüren, wie es kitzelt. Wenn wir dem Fuchs im Wald in die Augen sehen, wie er auf einmal auf dem Weg steht. Wenn wir all den Tieren in die Augen sehen. Denen, die wir essen wollen. Denen, die uns im Zirkus belustigen und denen, die wir bei uns zu Hause halten.
VI Wir schweigen. Du blickst an mir vorbei aus dem Fenster. Hinaus in die Welt schaust du. Ich denke und schaue mit dir mit. Dann brichst du die Stille: Vielleicht, sagst du, vielleicht ist das Paradies ja doch nicht fern. Vielleicht ist es sogar ganz nah. Mitten in deiner Sehnsucht nach dem kalten Wasser, im Schatten unter der Palme. Vielleicht ist genau dort das Paradies. Mitten in deiner Sehnsucht.
Ja, sage ich, und vielleicht ist es sogar mitten in deinem Schmerz. Wenn du siehst, wie eben nicht alles ok ist auf der Welt. Wenn ich es dich schmerzt, dass vieles so kaputt ist. Vielleicht ist genau dann das Paradies in dir. Vielleicht ist das Paradies in uns beiden. In meiner Sehnsucht und deinem Schmerz. Mitten in unserem Mitgefühl. Und in den Vögeln. Da ist das Paradies auch. Weil sie jeden Tag singen. Immer. Egal, was auf der Welt gerade los ist. Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Gottesdienst am Sonntagmorgen unter freiem Himmel mitten im Ortskern. Daher erwarte ich sehr unterschiedliche Menschen: Von denen, die jeden Morgen kommen, bis zu denen, die der Kirche eher fernstehen. Letztere hatte ich beim Schreiben der Predigt vor allem vor Augen. Nach dem Motto: Kirche kann auch anders.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Die Hoffnung, Sehnsucht nach dem Paradies zu wecken und Menschen zu ermutigen, das Paradies zu suchen.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Keine Angst zu haben, den Predigttext zu kürzen, und mir selbst wieder mehr Raum, für etwas andere Predigtansätze zugestehen.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Ich wurde ermutigt, an dieser Predigt weiterzuarbeiten. Die Anmerkungen haben immer wieder die Hörer*innen eingespielt und damit meinen Blick für sie geschärft. So habe ich mehr Struktur in die Sprache und mehr theologische Tiefe in die Predigt insgesamt bekommen.