Wisst ihr nicht, dass alle, die wir auf Christus Jesus getauft sind, die sind in seinen Tod getauft? So sind wir ja mit ihm begraben durch die Taufe in den Tod, damit, wie Christus auferweckt ist von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, auch wir in einem neuen Leben wandeln. Denn wenn wir mit ihm verbunden und ihm gleich geworden sind in seinem Tod, so werden wir ihm auch in der Auferstehung gleich sein.Wir wissen ja, dass unser alter Mensch mit ihm gekreuzigt ist, damit der Leib der Sünde vernichtet werde, sodass wir hinfort der Sünde nicht dienen. Denn wer gestorben ist, der ist frei geworden von der Sünde. Sind wir aber mit Christus gestorben, so glauben wir, dass wir auch mit ihm leben werden. (Römer 6,3-8)
Liebe Leserin, lieber Leser,
Tod und Sterben – das springt einen aus diesen Sätzen ja förmlich an. Dazu auch noch der Leib der Sünde. Nein, danach steht mir heute nicht der Sinn. Warum in aller Welt soll ich mich und andere damit belasten? Und dann fragt Paulus auch noch: Ja, wisst ihr denn nicht, dass ihr dieses schwere Gepäck seit eurer Taufe mit euch herumschleppt?
Nein, lieber Paulus, dass wir uns mit unserer Taufe den Tod Christi auf den Hals gezogen haben - das gehört nicht zum Grundwissen unseres Glaubens. Und darüber habe ich, so weit ich mich erinnern kann, auch nie in einem Taufgespräch aufmerksam gemacht. Aus gutem Grund. Denn da habe ich es mit Eltern zu tun, die heilfroh über das Leben ihres Kindes sind, und die nun alles tun, damit ihr Kind unbeschwert ins Leben hineinwachsen und sich entfalten kann. Da soll ich ihnen mit Tod und Sterben kommen und vom Sündenleib ihres Kindes reden? Eine Taktlosigkeit sondergleichen, für die es auch keinerlei theologische Rechtfertigung gibt. Denn Jesus, auf den die Taufe abzielt und mit dem sie verbindet, spricht ganz anders von der Taufe. Das ist im Evangelium dieses Sonntags ganz am Ende des Matthäusevangeliums nachzulesen (Mt 28,16-20). Da erteilt Jesus seinen Jüngern den Auftrag, in alle Welt auszuschwärmen, die Menschen vertraut zu machen mit dem, was er gesagt und getan hat und sie auf den Namen des dreieinigen Gottes zu taufen. Und dann sozusagen als sein Testament – seine Zusage: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“
So also läuft das bei uns mit der Taufe, lieber Paulus!
Das war bei uns nicht anders, würde er wohl antworten. Aber unsere Täuflinge waren keine kleinen Kinder, bei denen der Akzent natürlich auf dem Geschenk des Lebens in der Nähe Jesu liegen muss. Doch wir, die wir damals getauft wurden, hatten schon mehr als genug davon erfahren, wie sehr menschliches Leben vom Tod beherrscht ist. Das Sterben vollzog sich überall vor unseren Augen, beginnend mit dem Tod so vieler kleiner Kinder, dann Seuchen und Krankheiten, denen wir ohnmächtig ausgeliefert waren. Die Allgegenwart der römischen ausbeuterischen Besatzungsmacht, die kurzen Prozess machte mit Menschen, die ihnen in die Quere kamen. Von lebensbedrohlichen Missernten und Naturkatastrophen gar nicht zu reden. Und wenn ich dabei vom Leib der Sünde rede, dann meine ich unser Leben, das daran kaputtging, das es dem Terror des Todes nicht entkam und alle Frömmigkeit nicht half - da mochtest du dich anstrengen, wie du wolltest. Gott blieb in weiter Ferne, war offenbar nur im Jenseits erreichbar.
Und dann erfuhren wir von Jesus, dem Menschen, der das Reich Gottes mitten in der Todeswelt aufleuchten ließ. Der dem Tod auch nicht entkam, aber von ihm nicht festgehalten werden konnte, weil Gott ihn zu neuem Leben erweckt hat. Einem Leben, das nicht jenseits unserer Todeswelt liegt, sondern aus dem heraus er unser Leben umzudrehen vermag. Inmitten der Todeswelt werden wir von ihm mitgenommen in seinen Tod hinein, von dem aus wir auf sein Leben zugehen, aus gottverdammten Sündern werden Töchter und Söhne Gottes, und aus ständig um sich selbst Besorgten werden Menschen, die glauben, hoffen und lieben können.
Das Bild dieses von Grund auf umgedrehten Lebens gefällt mir. Bei jedem Kirchgang wird es inszeniert. Aus der Enge, den Zwängen und dem Lärm des Alltags dort draußen nimmt die Weite und Stille des Gotteshauses uns auf. Draußen leben und arbeiten wir vom Morgen auf den Abend zu, hier bewegen wir uns vom Abend, vom Westen zum Altarraum im Osten, zum Sonnenaufgang hin. Draußen gehen wir auf den Tod als Aus und Ende unseres Lebens zu. Kein Wunder, dass wir uns – so gut es geht – vor ihm zu verstecken und zu schützen suchen. Der Gang durch die Kirche aber geht – oft auf Stufen hinab wie in eine Grabkammer – vom Ende, vom Tod aufs Leben zu. Draußen haben allein die Lebenden das Wort, die Toten sind und bleiben stumm. Dieser Raum aber wird von dem am Kreuz Gestorbenen beherrscht. In seinem Namen werden die Menschen hier angesprochen und auf seine Spur gesetzt. In seinem Namen wird hier gebetet und gesungen, Schuld bekannt und von ihr frei gesprochen. In seinem Namen werden wir beim Empfang von Brot und Wein miteinander verbunden und für das Leben draußen gesegnet.
Wie im Tode Christi das Leben beginnt, zeigt sich in der Christus-Skulptur, die Thomas Duttenhoefer für die zum Weltkulturerbe erhobene St. Michaeliskirche in Hildesheim geschaffen hat. Hoch aufgerichtet in der Ostapsis stehend. Dort, wohin sich alle Blicke richten und wohin das erste Tageslicht fällt, stellt sie den Kirchenbesuchern die Gestalt eines gemarterten und gebrochenen Menschen vor Augen.
Er, der für die Mühseligen und Beladenen gelebt hat, ist selbst Unrecht und Gewalt zum Opfer gefallen und hat alles verloren, was dem Menschen Ansehen und Würde verleiht. Das Kreuz, das ihn kaputt gemacht hat, zeichnet sich noch ab in seiner Körperhaltung, ist aber als das, was ihn festgenagelt hält, nicht mehr zu sehen. Er hebt geradezu ab von dem Pfahl unter seinen Füßen. Wird aufgerichtet und der eben noch fixierte linke Arm erhebt sich zum Segen.
Unter seinem Segen gehen wir zurück in unsere von Tod und Gottesferne beherrschte Welt als Menschen, die – weil in seinen Tod hinein Getauften – in seiner Nachfolge auf dem Weg ins Leben sind. Amen.