Selig sind die Barmherzigen - Predigt zu Matthäus 25,31-46 von Katharina Wiefel-Jenner
25,31-46

Selig sind die Barmherzigen - Predigt zu Matthäus 25,31-46 von Katharina Wiefel-Jenner

Selig sind die Barmherzigen

Wenn aber der Menschensohn kommen wird in seiner Herrlichkeit und alle Engel mit ihm, dann wird er sitzen auf dem Thron seiner Herrlichkeit, und alle Völker werden vor ihm versammelt werden. Und er wird sie voneinander scheiden, wie ein Hirt die Schafe von den Böcken scheidet, und wird die Schafe zu seiner Rechten stellen und die Böcke zur Linken.

Da wird dann der König sagen zu denen zu seiner Rechten: Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt! Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen. Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich gekleidet. Ich bin krank gewesen und ihr habt mich besucht. Ich bin im Gefängnis gewesen und ihr seid zu mir gekommen.

Dann werden ihm die Gerechten antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und haben dir zu essen gegeben, oder durstig und haben dir zu trinken gegeben? Wann haben wir dich als Fremden gesehen und haben dich aufgenommen, oder nackt und haben dich gekleidet? Wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen? Und der König wird antworten und zu ihnen sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.

Dann wird er auch sagen zu denen zur Linken: Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln! Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir nicht zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir nicht zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich nicht aufgenommen. Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich nicht gekleidet. Ich bin krank und im Gefängnis gewesen und ihr habt mich nicht besucht.

Dann werden sie ihm auch antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig oder durstig gesehen oder als Fremden oder nackt oder krank oder im Gefängnis und haben dir nicht gedient? Dann wird er ihnen antworten und sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr nicht getan habt einem von diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht getan. Und sie werden hingehen: diese zur ewigen Strafe, aber die Gerechten in das ewige Leben.

Der Tag der Urteilsverkündigung kommt. Das Verfahren ist langwierig und schwierig. Misstrauenserklärungen gegen den Richter gehören zum guten Ton. Täglich werden neue Unterstellungen über ihn verbreitet. Vor seinem Haus wird demonstriert. Man wirft seine Fenster ein, legt Brandsätze in seiner Garage, bedroht seine Familie. Die Kinder seiner Schwester haben Angst zur Schule zu gehen. Bomben fallen auf das Haus seines Bruders. Sein Cousin wurde verschleppt. Seine Cousine hielt es nicht aus und floh übers Meer. Mit ihrem Kind auf dem Arm hofft sie auf den Engel, der ihr erzählt, dass sie wieder nach Hause könnte.

Der Tag der Urteilsverkündigung kommt. Bis jetzt war das Verfahren quälend. An manchen Tagen zum Verzweifeln. Unglaublich, mit welchen Unverschämtheiten sich der Richter auseinandersetzen muss. Er wurde durchbohrt. Sein Anblick war zum Erschreckenden. Aber die Demütigungen gegen ihn haben ihn nicht gebrochen. Die Drohungen und Anschläge sind ins Leere gegangen. Er ist geblieben. Er ist lebendig. Er ist der Richter.

Der Tag der Urteilsverkündigung kommt. Der Andrang ist groß. Alle Welt wird da sein. Auch aus dem Ausland werden sie kommen. Der Große Saal wird bis auf den letzten Platz gefüllt sein. Niemand wird es verpassen. Alle werden dabei sein.

Erhebt euch, denn der Richter kommt, in seiner Robe, weiß wie der Schnee. Erhebt euch für den Menschensohn.

Der Tag der Urteilsverkündigung kommt - hört das Urteil!

„Kommt her“, sagt der Menschensohn. „Kommt her! Euch hat mein Vater gesegnet. Nehmt das Reich in Besitz, das Gott seit der Erschaffung der Welt für euch bestimmt hat.“ Was ist das für ein seltsames Urteil? Der Menschensohn richtet, als wolle er belohnen.

Er ist ein aufmerksamer Richter. Er hört genau hin und sieht genau hin. Keine Bewegung, keine Handlung, nicht ein Wimpernschlag bleiben vor ihm verborgen. Er sieht, wer arm ist, wer leidet, wer sanftmütig ist, hungrig und durstig. Er findet die Barmherzigen und die Friedfertigen. Unter den Vielen entdeckt er die mit dem reinen Herzen und auch die Verfolgten.

Der Große Saal ist voll. Alle sind da und verwundert reiben wir uns die Augen.

„Kommt her! Setzt euch zu meiner Rechten“, sagt der Menschensohn. „Das ist euer Platz. Bleibt in meiner Nähe. Bleibt an meiner Seite!“ Der Menschensohn richtet also, indem er sich seine Menschen an die Seite holt und sie mit seiner Nähe belohnt.

Er kennt uns Menschen. Dieser Richter ist ein großer Menschenkenner. Er weiß es, dass wir ohne diesen Lohn zu nichts Gutem in der Lage wären. Und der Menschensohn weiß, wie schlimm es ohne diesen Lohn um die Welt aussähe. Das möchten wir uns nicht vorstellen, wenn es niemanden gäbe, dem er zuriefe: Kommt her, seid an meiner Rechten. Was wäre das für eine Welt?

Es gäbe keine Tafeln, keine Suppenküche, kein echtes Saatgut für die Bäuerinnen in Kenia. Was wäre, wenn niemand zur Rechten des Menschensohnes säße? Niemand hätte mit Wasserflaschen am Bahnhof gewartet. Niemand würde darauf achten, dass die Alten genug trinken. Es gäbe keine Brunnen in der Sahelzone. Niemand würde sich um die Klimaveränderung scheren. Was wäre, wenn der Platz zur Rechten leer bliebe? Niemand würde sagen: Wir schaffen das! Die Kleiderkammern wären leer und die Flüchtlinge würden in Flipflops durch das zusammengekehrte Laub laufen. Was wäre, wenn niemand zur Rechten säße? Die Kranken schrien vor Schmerzen, die Gefolterten würden in ihren Kerkern vergessen und kein Verfolgter könnte hoffen. Was wäre, wenn zur Rechten Gottes Leere herrschte? Niemand würde Unrecht beim Namen nennen. Niemand hätte den Mut, die Mächtigen zur Rechenschaft zu ziehen. Die Tyrannen und Diktatoren könnten weiter morden und niemand wäre da, vor denen sie sich in ihren Träumen und in der Stunde ihres Todes fürchten. Was wäre wenn, die Rechte Gottes leer bliebe? Keine Träne wäre um die Millionen auf den Schlachtfeldern Getöteter geweint worden, sie wären verloren und vergessen. Der Friede wäre ein Luftgespinst, nach dem sich niemand sehnt und für das niemand einen Finger krümmen würde.

„Kommt, setzt euch an meine Seite“, sagt der Menschensohn. „Euer Tun zeigt, wie die Welt eigentlich sein soll. Ihr seid gesegnet. Ihr zeigt den Weg zum Leben.“

Im Großen Saal ist alle Welt versammelt. Hinter uns die Presse. Sie wird festhalten, was hier passiert und die Sensation auf der Startseite bringen. Wir aber brauchen die fettgedruckten Schlagzeilen nicht. Wie sind dabei. Aus erster Hand erfahren wir es. Wir sehen mit eigenen Augen, wen der Menschensohn an seine rechte Seite ruft.

Das ist schon erstaunlich, wer dazu gehört. Das hätten wir nicht gedacht! Mit denen, die immer zu ihm gehalten haben, konnte man ja rechnen. Das wäre auch nicht fair, wenn sie nicht dazugehören würden. Sie haben sich in den Gemeinden abgekämpft, miteinander das wenige geteilt, was da war. Wenn nicht der Menschensohn zu ihnen stehen würde, wer würde es dann tun. Da sind aber auch die, von denen wir es nicht geahnt haben, dass sie sich schützend vor die Verfolgten gestellt haben. Wussten die überhaupt, wem sie geholfen haben? Wussten sie, wem sie Wasser und eine warme Jacke gereicht haben, die Anwalts- und Arztkosten bezahlt und eine Aufenthaltsgenehmigung besorgt haben? Gehören die überhaupt zu uns? Dem Menschensohn scheint es egal zu sein, woher sie kommen. Offensichtlich fragt er nur danach, ob sie barmherzig und sanftmütig sind, ob sie nach der Gerechtigkeit dürsten und dem Frieden dienen. Sie dürfen sich an seine Seite setzen, denn er weiß, wie gefährlich es ist, von denen Brot zu bekommen, die es nicht gut mit einem meinen. Sie sind nicht so. In ihnen erkennt er die, die seine Scham verstanden haben, als er nackt vor den Knechten der Mächtigen saß und verspottet wurde. In ihnen sieht er die, die ihm nicht Essig zu trinken gegeben hätten, als er durstig war. Sie sind für ihn die, die ihn aufnehmen, ohne dass sie wussten, wer er ist.

Der Tag der Urteilsverkündigung kommt. Der Große Saal wird bis zum letzten Platz gefüllt sein. Die Presseleute werden das Geschehen in Bildern festzuhalten versuchen. Diejenigen, die links liegen gelassen werden, interessieren niemanden mehr. Sie werden wie betäubt und ratlos sein, werden ihre Gesichter verbergen, vielleicht weinen. Wichtig wird nur das Urteil des Menschensohnes sein: „Die Gerechten werden in das ewige Leben eingehen!“ Das ist das letzte Wort des Richters. Er hatte oft genug gesprochen, immer wieder erklärt, was not ist. Jetzt braucht es keine weiteren Worte. Mehr gibt es nicht zu sagen. Für heute erhebt sich der Richter.

Der Tag der Urteilsverkündigung kommt. Es ist Zeit, an die Hecken und Zäune zu gehen, sanftmütig und reines Herzens zu sein, demütig mit Gott mitzugehen und barmherzig zu werden. Der Menschensohn wird wiederkommen. Aber wir kennen das Urteil schon heute.  Als wolle er belohnen, so richtet er die Welt.