Sind wir gemeint? – Predigt zu Offenbarung 2,8-11 von Helmut Dopffel
2,8-11

Sind wir gemeint? – Predigt zu Offenbarung 2,8-11 von Helmut Dopffel

Liebe Gemeinde,

wir leben in einem der reichsten Länder dieser Erde, selbst die Armutsgefährdeten bei uns sind reich im Vergleich zu vielen Millionen Menschen in Afrika, Asien oder Südamerika. Wir selbst gehören vermutlich zu den 10% reichsten Menschen der Welt. Auch unsere Kirchen sind reich. Wir leben in einem der sichersten Länder dieser Erde, das Risiko, durch eine Epidemie oder einen Krieg das Leben zu verlieren ist minimal. Die Kirchen sind angesehen. Der heutige Predigttext ist ein Brief, geschrieben vom Seher Johannes im Namen Jesu an eine der ärmsten Gemeinden der damaligen Kirche, an Menschen, die nicht wussten, wie es morgen weitergehen soll, ob das Essen reichen wird und ob sie noch ihres Lebens sicher sind.

Am Ende dieses Briefes steht: Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden zu sagen hat. – Den Gemeinden, heisst es, offenbar sind alle Gemeinden gemeint, also auch wir. Was hat ein Brief an eine armselige, höchst gefährdete Gruppe von Christen vor 2000 Jahren uns heute in unserem reichen, sicheren Wohlstand zu sagen?

Ich lese Ihnen diesen Brief nun vor, er findet sich im 2. Kapitel der Offenbarung des Johannes:

Und dem Engel der Gemeinde in Smyrna schreibe: Das sagt der Erste und der Letzte, der tot war und ist lebendig geworden: Ich kenne deine Bedrängnis und deine Armut – du bist aber reich – und die Lästerung von denen, die sagen, sie seien Juden, und sind's nicht, sondern sind die Versammlung des Satans. Fürchte dich nicht vor dem, was du leiden wirst! Siehe, der Teufel wird einige von euch ins Gefängnis werfen, damit ihr versucht werdet, und ihr werdet in Bedrängnis sein zehn Tage. Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben. Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt! Wer überwindet, dem soll kein Leid geschehen von dem zweiten Tode.

Was sagt der Geist uns?

Es sind auf jeden Fall zwei Aussagen, die direkt zu uns herüberreichen:

Die eine ist die Rede von den Juden und der Versammlung des Satans. Bis zur Überarbeitung der Lutherbibel 2017 wurde da wörtlich übersetzt: Synagoge des Satans. Viele von uns wissen, und alle können sich vorstellen, was für ein grauenvolles Unheil dieser Satz angerichtet hat, wie er den Judenhass der Christen und der Kirchen befeuert hat bis in die Zeit, an die uns der heutige Volkstrauertag erinnert, die Jahre 1933 bis 1945. Dieser Satz war das Todesurteil für Unzählige. Wenn man allerdings genau liest, dann merkt man, dass in dem Brief ausdrücklich steht, dass die Leute, die da gemeint sind, gar keine Juden sind, dass sie es nur vorgeben. Um wen es sich handelt wissen wir schlicht nicht, wir können nur spekulieren. Wir wissen nur, dass sie rufmordend gegenüber den Christen unterwegs waren. Der Satz wurde dann selbst über Jahrhunderte grauenvoll, rufmörderisch und mörderisch missbraucht.

Das passiert, wenn einzelne Bibelworte oder Verse aus dem Zusammenhang gerissen und als angebliche biblische Belege gegen dies und das, gegen diese oder jene Menschen, benutzt werden. Das ist Missbrauch, immer. Das ist schlimmer als schlechter Journalismus. Das führt im Besten Fall in die Irre, im schlimmsten in Hass und Mord.

Immerhin haben wir gelernt: Nicht nur, dass jede Form von Antisemitismus, und darüber hinaus jede Form von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, mit dem christlichen Glauben unvereinbar ist. Nicht nur, dass Toleranz und Anerkennung dem Geist Christi entsprechen. Sondern dass Juden unsere erstgeborenen Brüder und Schwestern sind, die Wurzel, die uns trägt, wie Paulus schreibt. Und das wird ja gerade im November in vielen unserer Städte und Dörfer auch erfreulich deutlich.

Die andere Aussage, die bis zu uns reicht: Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben. Wir lesen diesen Satz in Stein gemeißelt auf tausenden von Kriegerdenkmälern, manchmal auch Ehrenmäler genannt. Vielleicht stehen Sie nachher vor einem. Vermutlich ist das auch der Grund, warum dieser Brief heute Predigttext ist. Viele Kriegerdenkmäler sind steinerne Verherrlichungen des Krieges. Und der Satz aus der Bibel wird dann gleichbedeutend mit dem alten römischen „Nichts ist süßer als für das Vaterland zu sterben.“ Was für ein makabrer, perverser Missbrauch eines Bibelwortes! Wieder ist er aus dem Zusammenhang gerissen. Denn hier geht es doch nicht um die Treue zu irgendeinem Vaterland, einem Herrscher oder einer Ideologie. Hier geht es um die Treue zu dem, der der Erste und der Letzte ist, der tot war und nun lebt, der uns liebt über alles und uns treu ist. Und was immer das bedeuten mag, klar ist, dass diese Treue weit hinausreicht über Familie, Vaterland, Politik und eigene Überzeugungen.

Was sagt der Geist uns? Was hören wir Reichen und Sicheren mit unseren Ohren?

Wir hören, ganz wie die Christen damals und zu allen Zeiten, einen hohen hellen Klang in diesen Worten. Der Erste und der Letzte ist es, der zu uns spricht. Der, von dem alles herkommt, der, auf den alles hinausläuft, der die ganze Welt und also auch uns in seinen Händen hält. Der uns kennt, unser Herz, und bei Namen. Bei dem nichts und niemand verloren ist. Der alles kennt, was uns angeht, auch den Tod, und der das Leben bringt und den Glanz und den Lichtkranz, und die Musik und den Geschmack der Ewigkeit. Und den wir kennen, sogar bei seinem Namen. Der hält uns, der tröstet uns, der macht uns Mut.

Und in der Mitte des Briefes steht deshalb: Fürchte dich nicht. Habt keine Angst. Nichts ist nur, was es ist. In allem steckt noch mehr, anderes, eine Botschaft des Ersten und Letzten. Im Leid ebenso wie im Glück. In Gefahr wie in Sicherheit, in Armut wie im Reichtum.

Und deshalb: Sei treu, auch wenn es dich das Leben kostet. Sei dem treu, der der Erste und der Letzte ist. Dann hat in deinem Herzen der Tod keinen Platz.

Der Erste und der Letzte, der die ganze Welt umfasst und uns in seinen Händen hält. Der unser Herz mit Wärme und Zuversicht füllt und uns stark macht. Im Blick auf ihn wissen wir: Es kann uns nichts geschehen, was immer auch geschieht. Das gilt allen. Da ist es zunächst, für einen winzigen Augenblick, egal, ob wir arm oder reich sind, in sicheren oder unsicheren Zeiten leben.

Aber nur für einen Wimpernschlag ist es egal. Dann kommen die Unterschiede schnell wieder ins Spiel.

Klar ist, was der Erste und der Letzte den Armen und Bedrängten damals zu sagen hat. Wir erfahren zwar nichts über die äußeren Verhältnisse dieser Gemeinde, wie groß sie war, wer zu ihr gehörte, wie sie lebte, welche Aktivitäten sie vielleicht entfaltet. Wir erfahren nur, wie es innen aussah. Wir lesen, dass die Menschen unter einem ungeheuren Druck leben mussten, der mürbe macht. Angst, Verleumdung, Unsicherheit, Traurigkeit prägen ihr Leben. Mobbing könnte man sagen. Mobbing, das jederzeit auch in körperliche Gewalt und Verlust der Freiheit umschlagen kann. Der Boden, auf dem das Leben gebaut ist, bebt. Da ist nichts mehr, auf das man sich verlassen könnte.

Diesen Christen sagt der Erste und der Letzte: Fürchte dich nicht. Ich halte meine Hand über dir. Du gehörst zu mir. Deshalb bist du reich an Glauben, Hoffnung, Liebe. Deshalb musst du selbst den Tod nicht fürchten.

Was sagt der Geist uns? Was könnte denn in einem Brief stehen, der an uns reiche Christen in einem reichen und sicheren Land gerichtet wäre? Ich will das versuchen. Und ich werde den Brief positiv formulieren, voll des Lobes, so wie der Brief an die arme und gefährdete Gemeinde in Smyrna voll des Lobes ist:

„Ich kenne deinen Reichtum – nicht nur an Geld und Vermögen, sondern an Einfluss und Ansehen. Du weißt, dass das nicht selbstverständlich ist, sondern nichts als Gnade Du weißt, dass alles was du hast und kannst, Gnade ist, Geschenk, Liebe. Du bist mir dafür täglich dankbar. Du übernimmst deinen Teil an Verantwortung für diese Welt, für ihre Gegenwart und ihre Zukunft. Du teilst mit den Armen und Elenden und bereitest den Heimatlosen einen freundlichen Empfang und ein Bett. Du weißt mit den Müden und mit den Verirrten und Hasserfüllten zu reden. Du weißt dich geborgen bei mir und geliebt, und du lässt das andere spüren und sagst ihnen freimütig und ohne Scheu, dass auch sie bei mir geliebt und geborgen sind. Und wenn du selbst traurig und belastet bist, weißt du, dass ich an deiner Seite bin, dich tröste und dir Kraft gebe.“

So könnte der Brief an uns lauten. Ist er wahr? Was wäre, wenn er wahr wäre? Nur einige wenige Beispiele.

Du bist täglich dankbar, denn alles ist Geschenk: Auch dieser Volkstrauertag. Er erinnert ja nicht nur an Krieg und Zerstörung und Millionen Tote, sondern auch an Jahrzehnte des Friedens und der Sicherheit. Und ist deshalb nicht nur ein Tag der Trauer und der Mahnung, sondern auch des Dankes und des Glücks.

Du übernimmst Verantwortung:  Es fallen einem die Christen vor allem in den Kriegs- und Gewaltgebieten des Nahen Ostens ein, Syrien, Irak, Libanon, Palästina. Sie sind ja nicht weit weg. Und manche kommen zu uns. Und Jesus hat diese Verantwortung für die Armen und Elenden und Verfolgten dieser Welt ja ausdrücklich geöffnet für alle – in großer Kühnheit hat er sogar die Feinde einbezogen, was uns bis heute oft ratlos macht. Es geht mir hier nicht um die Einzelheiten der deutschen Migrationspolitik. Aber wenn wir dem treu sind, der der Erste und der Letzte ist, dann muss auch und gerade in der Migrationspolitik dies die Grundlage sein, dass alle Menschen Ebenbild Gottes, von Gott geliebt, und unsere Brüder und Schwestern sind.

Du teilst deinen Reichtum: In einer kleinen Stadt wird, gegen viele Widerstände und mit wenig Zuschüssen ein Frauenhaus gegründet. Das Haus wird mit großem Einsatz umgebaut. Eines Tages steht eine Frau in der Tür, der die große örtliche Fabrik gehört. Was brauchen Sie? Eigentlich alles, Möbel, Vorhänge, Lampen, Küchengeräte….Gut, bestellen Sie was Sie brauchen und schicken die Rechnungen an mich. – Auch wenn wir in einem reichen Lande leben, gibt es genug Arme bei uns und genug zu teilen. Und wenn wir nicht wissen, wie und mit wem: Im Zweifel für die Armen. Man kann ja gar nicht genug Tränen abwischen.

Du weißt zu reden und fürchtest dich nicht: Haben wir nicht oft Gelegenheit davon zu reden, was uns hält und trägt im Leben und auch anderen Halt und Kraft und Trost geben kann? Sie haben das doch sicher auch schon erlebt, wenn wir uns als Christin, Christ, Kirchenmitglied outen, dann gibt es zuerst eine kleine Pause, als ob die Anderen Luft holen müssen. Und dann werden wir gefragt. Manchmal findet man sich blitzschnell in einem tief persönlichen Gespräch, als habe der andere nur gewartet, endlich einmal diese Frage stellen zu können oder diese Last loszuwerden. Manchmal geht es einfach darum: Warum glauben Sie an Gott? Und häufig ist es so, dass Menschen einfach zuhören wollen, als wären sie froh, dass Jemand dazu etwas zu sagen hat. Ich meine keine dogmatischen Vorträge, sondern schlicht erzählen aus der eigenen Lebensgeschichte. Und manchmal schenkt Gott es dann, dass auch die zuhören, die sonst nur Hass und Misstrauen verbreiten.

Und unsere eigene Trauer und die all der Menschen, die nach wie vor leiden an all dem, das vor 70, 80 Jahren geschah, die die Erinnerung an so viel zerstörtes Leben, soviel Schmerz und Misshandlung nicht loswerden: Wir bringen all das vor Gott, in jedem Gottesdienst, im Gebet, in Liedern. Er hält uns an der Hand, und wir halten einander und können vielleicht auch einander Worte leihen, Worte für den Schmerz, und vielleicht Worte der Liebe und der Hoffnung. Und wenn all das nicht zu sagen gelingt, dann doch dies: dass wir Gottes geliebte Töchter und Söhne sind.

Dann, liebe Gemeinde, kann uns der Tod nicht ins Herz dringen. Dann tragen wir schon jetzt die Krone des Lebens, den Lichtkranz, im Haar.

Amen.

Liedvorschläge:

EG 374            Ich steh in meines Herren Hand

EG 149            Es ist gewisslich an der Zeit

EG 378            Es mag sein, dass alles fällt

EG 347            Ach bleib mit deiner Gnade