Singen nimmt vorweg: Gott hat das Böse überwunden – gegen jeden Augenschein! - Predigt zu Offb 15,2-4 von Markus Nietzke
15,2-4

Siegeslieder

Es gibt ein Thema im Ersten, im Alten Testament, das sich wie ein roter Faden durch die Erzählungen durchzieht. Immer wieder wird darauf Bezug genommen. Es ist die Erzählung vom Exodus des Volkes Gottes aus Ägypten (Exodus 14 und 15). Damals führte Mose das Volk mit Gottes Hilfe aus der Zeit der Versklavung, der Unterdrückung und Bedrohung des Lebens und Glaubens heraus.  

Die Hitze des Tages hing schwer über ihnen, als sie sich dem Ufer des Roten Meeres näherten. Der Sand brannte unter den Füßen. Der salzige Geruch des Meeres hing in der Luft. Ein Gefühl von Angst machte sich breit. Trotzdem lag ein unerklärliches Versprechen von Hoffnung in der Luft. Vor sich hatten die Flüchtenden das Tosen der Wellen, die gegen die Küste brandeten. Hinter ihnen war die Armee des Pharao ihnen dicht auf den Fersen. Ihre lauten Rufe und das Getrappel der Pferde hallten über die Wüste. Kinder drückten sich eng an die Beine der Mütter, ihre kleinen Hände suchten Trost und Sicherheit in den Händen der Väter. Die Staubwolke am Horizont war ein bedrohliches Zeichen. Die Reiter würden bald da sein. Ihre Ankunft würde das Schlimmste bedeuten. Die Herzen schlugen schneller. Die Fliehenden erkannten, dass sie in die Enge getrieben waren. Eingeengt zwischen dem unerbittlichen Meer und der grausamen Armee des Pharaos.
Plötzlich, als die Verzweiflung sie zu erdrücken drohte, geschah ein Wunder. Mose hob seinen Stab und schlug auf das Wasser. Mit einem mächtigen Brüllen teilte sich das Wasser des Meeres vor dem Volk. Die Kinder schrien vor Staunen. Zaghaft nahm das Volk den Weg über den Meeresboden, von einer unsichtbaren Hand geführt. Hinter ihnen die Armee des Pharaos, das Rufen der Männer und das Wiehern der Pferde, die versuchten, das Volk zu verfolgen. Doch nun stürzte das Wasser tosend auf die Reiter herab und die Verfolger ertränkte.
Als das Volk sicher auf der anderen Seite ankam, waren die Menschen erschöpft bis auf die Knochen. Zugleich aber unbeschreiblich erleichtert. Sie hoben ihre Augen zum Himmel und dankten dem Herrn für das Wunder, das er vollbracht hatte. Sie lobten den Ewigen für die Freiheit, die er ihnen geschenkt hatte. Da nahm Mirjam, die Prophetin, Aarons und Moses Schwester, eine Pauke in ihre Hand. Alle Frauen folgten ihr nach mit Pauken und tanzten einen Reigen. Mirjam sang ihnen vor: Lasst uns dem HERRN singen, denn er ist hoch erhaben; Ross und Reiter hat er ins Meer gestürzt. Männern, Frauen, Kinder, Alten und Jungen fiel die Angst vom Leib. Erleichterung machte sich breit. Sie jubelten, sie tanzten und sie freuten sich. So stimmten sie das Lied des Mose an.

Ihr Lieben, heute wird landauf, landab gesungen und musiziert. A Cappella oder mit Orgelbegleitung. Posaunenchöre spielen auf und da und dort sind Gitarren oder eine Band mit christlichen Popliedern zu hören. Gospelchöre laden ihre Zuhörenden beschwingt und rhythmisch zum Lob Gottes ein. Gottesdienste werden mit Chören, die Lieder vortragen liturgisch ausgeschmückt und gefeiert. Gleich ob in Kirchen oder Kathedralen oder Kapellen – selbst in kleinen und kleinsten Gemeinden in der Diaspora, überall wird mindestens von zwei, drei Menschen gesungen. Du fragst: Wird denn heute etwas ähnliches wie beim Exodus besungen? Ja! Wir singen Lieder, die das, was Ostern geschah, zum Inhalt haben. Das klingt bis Pfingsten in unseren Gottesdiensten nach, wenn wir bekennen: „Der Herr ist auferstanden! Er ist wahrhaftig auferstanden! Halleluja!“
Wisst ihr, diese Botschaft ist eine Siegesbotschaft! Wir singen von einem Sieg, der größer ist als alle anderen – dem Sieg über den Tod, jener undurchdringlichen Grenze unseres Daseins. Durch die unermessliche Macht Gottes hat Jesus Christus den Tod besiegt. Jesus Christus hat den Tod entmachtet und uns den Weg zum ewigen Leben eröffnet.

Bibeltext

Heute nun klingt in unseren Herzen eine besondere Strophe dieser Siegeshymne nach. Es ist eine triumphierende Siegeshymne! Stellt euch vor, wie ihr im Stadion seid und eure Fußballmannschaft endlich das entscheidende, das erlösende Tor schießt und einen epischen Sieg erringt. Wie sich dieses Gefühl der Freude, dieser ungezügelte Jubel – völlig losgelöst, von der Erde – bahnbricht. Genau um dieses himmlisch-überwältigende Gefühl, darum geht es im Wort Gottes für diesen Tag aus dem letzten Buch der Bibel. Offenbarung, Kapitel 15, die Verse 2-4:
Und ich sah, wie sich ein gläsernes Meer mit Feuer vermengte, und die den Sieg behalten hatten über das Tier und sein Bild und über die Zahl seines Namens, die standen an dem gläsernen Meer und hatten Gottes Harfen und sangen das Lied des Mose, des Knechtes Gottes, und das Lied des Lammes: Groß und wunderbar sind deine Werke, Herr, allmächtiger Gott! Gerecht und wahrhaftig sind deine Wege, du König der Völker. Wer sollte dich, Herr, nicht fürchten und deinen Namen nicht preisen? Denn du allein bist heilig! Ja, alle Völker werden kommen und anbeten vor dir, denn deine Urteile sind offenbar geworden.

Der Sieg über das Böse

Johannes sieht eine faszinierende Vision: Ein Meer wie aus Glas erstreckt sich vor ihm, durchzuckt von gelegentlichen Blitzen und Feuern. Auf der gegenüberliegenden Seite dieses mysteriösen Meeres steht eine beeindruckende Menge von Menschen. Sie halten Harfen in den Händen, spielen darauf und singen ein Lied, das Johannes erkennt – es erinnert an die Zeit von Mose und handelt vom Lamm Gottes, von Jesus Christus.
Diese Chorsänger sind nicht einfach nur Sänger; sie sind Helden. Sie haben einen Sieg errungen gegen etwas Dämonisches, etwas Böses. Sie haben Verluste erlitten, tragen Spuren davon als Narben am Leib. Sie wurden in ihrem Glauben an Jesus Christus behindert, ins Abseits gedrängt und öffentlich verspottet. Manche wurden körperlich angegriffen, einige gefoltert und gemartert. Ihr Bekenntnis zu Jesus als dem Herrn aller Herren wurde als Bedrohung der damaligen Politik und Herrschaft gesehen. Christen hatten Angst vor Verfolgung und Folter wegen ihres Glaubens. Aber das ist nun vorbei.
Die Chorsänger strahlen eine besondere Aura aus. Ihre Stimmen klingen nicht nur harmonisch, sondern kraftvoll und entschlossen. Sie singen vom Sieg von der Überwindung gegen das Böse. Ihre Augen glänzen. Sie sind geprägt vom unbeugsamen Glauben, während ihre Hände die Harfen umfassen. Die Last der Verfolgung ist von ihnen abgefallen. Sie haben dabei Schweres und Verlusterfahrungen in Kauf genommen. Alles an ihnen strahlt jetzt den Sieg aus über die Angst, die von ihnen genommen wurde. Ihre Haltung, ihre Bewegungen, alles an ihnen ist getragen von der Gewissheit des Sieges über das Dämonische. Sie singen ein Lied, das Trost spendet. Ihre Lippen bewegen sich, die vielfältigen Stimmen füllen den Raum aus. Ihre Worte sind das Lied des Triumphs, ein Lobgesang auf ihren Glauben und den Sieg, den sie errungen haben. Während sie singen, ist die Erleichterung mit Händen greifbar. Jedes Lächeln, jeder Ton, jeder Blick lässt das erkennen.

Johannes beschreibt ihren Gegner als Tier, das von Menschen angebetet wird. Sein Name birgt ein Geheimnis, ein Rätsel, das nach Entschlüsselung verlangt. Wer oder was könnte gemeint sein? Einige sehen darin eine Anspielung auf den grausamen Kaiser Nero, andere interpretieren es als Symbol für das Böse insgesamt oder als Hinweis auf eine antichristliche Macht. Diese dunkle Macht versucht, das Christentum zu zerstören, aber sie scheitert. Trotz Verfolgung, Verleumdung und dieser ganzen Einschüchterung, erlebten sie Sängerinnen und Sänger am Ende, dass sie das Böse überstanden, ja, überwunden hatten. Endlich! Das hat Gott getan!
Dafür wird Gott im Lied der Überwinder verherrlicht. Gott wendet das anscheinend unausweichliche Schicksal. Als Herr. Als allmächtiger Gott. Als König der Völker. Gott ist prinzipientreu. Er ist unvoreingenommen. Gott lässt sich nicht täuschen oder irreführen. Er handelt gerecht. Alles, was Gott sagt und tut, ist absolut zuverlässig. Es entspricht der Wahrheit.  Gott ist heilig, alle Welt erkennt das an. Das Böse hat keine Macht mehr. Das wird in diesem Lied anerkannt. Deswegen werden solche Lieder – und zwar ausdrücklich mit Musikbegleitung – am gläsernen Meer von den standhaften Überwindern angestimmt.

Singen als Protestform

Die Chorsängerinnen und Chorsänger aus der Offenbarung singen. Sie sind standhaft geblieben, blieben loyal gegenüber Gott, obwohl sie verfolgt wurden und gelitten haben. Vielleicht inspiriert das dich und mich? Auch gegen den Trend und Augenschein Siegeslieder anzustimmen – weil wir damit genau das vorwegnehmen: Gott hält am Ende alles in der Hand! 

Die Osterlieder, die wir singen, haben nicht nur eingängige Melodien; sie sind ein Leitfaden, der uns Klarheit und Sicherheit schenkt. Sie erinnern uns daran, wie wertvoll es ist, im Glauben Ausdauer zu zeigen und dem Bösen standhaft entgegenzutreten. Sie sind ein Protest gegen die manchmal erdrückenden und bösen Umstände unserer Zeit und schaffen Raum für Resilienz in unseren Herzen und in unserer Gemeinschaft.
In unserer Welt sehen wir viele Herausforderungen. Wir werden aufgefordert, gemeinsam mit anderen über ethische Fragen zu diskutieren. Nur ein paar Schlagworte dazu: Was ist mit aktiver oder passiver Sterbehilfe? Wie gehen wir gerecht mit dem Thema Schwangerschaftsabbrüchen um? Kann man das überhaupt? Ist Leihmutterschaft eine akzeptable Option für Menschen ohne Kinder? Und das ist nur die Spitze des Eisbergs. Weitere Themen wie soziale Not, Klimagerechtigkeit oder ethisches Handeln in Politik und Wirtschaft gewinnen immer mehr an Bedeutung. Wir leben in einer Welt, die zunehmend polarisiert erscheint. Unsere Gesellschaft ist gespalten. Fragen, die uns beschäftigen, sind komplex und werden kontrovers diskutiert. Was kommt als Nächstes? Wie werden wir diese Fragen beantworten, und wie werden wir uns als Gesellschaft weiterentwickeln? Das bleibt jetzt offen. Was ist mit uns, dem Leben mit all seinen Schwierigkeiten und Ambivalenzen? Sind wir deswegen manchmal im Glauben ernüchtert? Schmähung, Einschüchterung bis hin zu Verleumdung – manche von uns kennen solche Momente aus dem „echten“ Leben. Wie steht es dazu im Gegenüber mit der Einsicht, dass Gott im Leben und am Ende des Lebens „in Control“ ist? Oder werden wir angesichts von viel Leid, Überforderung durch die bedrohlich empfunden Umstände und Ohnmacht von solchen Gedanken ganz abgelenkt?

Ermutigung

Wenn wir Osterlieder oder Lieder wie das Lied der Mirjam oder des Lammes aus der Offenbarung anstimmen, tun wir mehr als nur zu singen. Wir protestieren. Wir protestieren gegen das, was uns überfordert, gegen Ungerechtigkeit und Spaltung. Wir setzen singend ein Zeichen für Hoffnung, Gemeinschaft und Resilienz. Eins ist sicher: Mit jedem gesungenen Osterlied setzen wir ein Zeichen und machen einen Schritt in Richtung einer anderen, einer besseren, gerechteren, von Gott gewollten Welt. Bleiben wir dran!
Es stimmt, was der Volksmund (nach Johann Gottfried Seume) vom Singen sagt: „Wo man singt, da lass dich ruhig nieder, … Bösewichter haben keine Lieder“! Das Singen, das Jubeln, der Lobpreis – das ist Ermutigung, Kraftquelle und Trost für uns. Gegen das, was uns beunruhigt. Gegen das, was unser Leben bedroht. Gegen das, was Angst macht.

Zeugnis

Das Lied aus der Offenbarung berührt mich tief und erinnert mich an die grenzenlose Gnade Gottes. Durch das Leiden und Sterben Jesu am Kreuz, gefolgt von seiner Auferstehung, ist diese Gnade für mich auf eine völlig neue Weise erlebbar geworden. Es ist mir ein Zeichen für die Gerechtigkeit Gottes, die unsere Erlösung von allem, was uns Angst macht oder bedroht, vorsieht. Mein und dein Singen nimmt vorweg: Gott hat das Böse überwunden – gegen jeden Augenschein!
An Tagen, an denen wir gemeinsam Lieder voller Freude singen, finde ich Trost und Hoffnung. Das können Advents- und Weihnachtslieder im Winter im Fußballstadion sein. An der Seitenstraße unter der Laterne vor einem Haus. Am Grab eines geliebten Menschen. Es könnten vielleicht auch Lieder sein, die bei Demonstrationen und Mahnwachen angestimmt werden, wenn sie von der Menschenfreundlichkeit und Liebe Gottes zu allen Menschen geprägt sind. Solche Lieder zu bestimmten Zeiten, an bestimmten Tagen und an bestimmten Orten bestärken mich im Glauben. Als Versprechen von Sicherheit und Geborgenheit. Sie erinnern mich daran, dass ich mich auf die Verheißungen des Evangeliums verlassen kann. Durch Jesus Christus ist der Sieg über augenscheinliche Überforderung und erlebter Ohnmacht errungen. Sie lassen mich hoffen. Sie sorgen dafür, dass ich mich geborgen weiß. Bei allen Herausforderungen spüre ich im Singen, dass sie gemeistert werden können.

Ich glaube fest daran, dass Gottes Wege gerecht und zuverlässig sind. Ich vertraue darauf, dass er gegen das Böse gerecht handelt. Ich weiß, dass Gott mich und jeden von uns zum Sieg über alles Böse führen wird. Wir können uns darauf verlassen, dass er an unserer Seite ist und uns durch alle Stürme des Lebens begleitet. Deswegen stimme ich gerne in den Jubel und die Freude ein, wie es mir im Lied aus der Offenbarung begegnet. Mein und dein Singen nimmt genau das vorweg: Gott hat das Böse überwunden – gegen jeden Augenschein!

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Pfarrer Markus Nietzke

1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Am Sonntag Kantate (28. April) wird in der Kleinen Kreuzkirche in Hermannsburg Gottesdienst mit Hl. Abendmahl gefeiert. Dazu kommt eine Einführung von zwei Kirchenvorstehern. Der Gottesdienst wird ausgeschmückt mit Musik an der Orgel, Klavier, mit Gitarren und Liedern eines Projektchores. Ein Festgottesdienst mit allerlei Gästen steht an. Die Gottesdienstbesucher sind in der Hauptsache älter als 35 Jahre, aber nicht nur. Junge Menschen und Kinder sind mit dabei – auch weil sie mit musizieren und singen.

2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
In der Vorbereitung waren mir Kommentare (Klaus Berger, Ulrich Müller [ÖTK] eine Hilfe, ebenso die Christlich-jüdischen Predigtmeditationen. Insbesondere der Bezug zum Exodus half mir, den Text zu erschließen. Der Bezug zum Siegeslied des Mose war der Impuls, meine Predigt dahingehend zu gestalten.

3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Ich singe ausgesprochen gerne: Lieder aller Art, Volkslieder, Kinderlieder, Gesangbuchlieder - insbesondere aber feiere ich gerne die liturgischen Gesänge im Gottesdienst. Vom Singen geht eine Kraft aus; das soll in der Predigt auch deutlich werden. Singen als Trostquelle, als Ermutigung und Bestärkung und als Zeichen, als Vorwegnahme des Heils Gottes mitten in unserer Zeit.

4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Ich kam in den Genuss eines Predigt-Coachings! Die Schritte zum Verstehen, bzw. der Gestaltung einer Predigt nach Felix Ritter nach TED-Talks: Beziehung, Geschichten, Erklären, Überzeugen, Offenbarung/Vision) waren mir neu und sind künftig für die eigenen Predigtarbeit hilfreich. Das Betonen des Erzählens, die aktiven Verben anstelle von Modalverben, auch das „ich“ des Predigers sichtbar werden zu lassen – das waren ebenfalls hervorragende Anregungen. Es tut gut, wenn eine Predigt professionell VOR der Durchführung begleitet wird. Dafür bin ich sehr dankbar!

Perikope
28.04.2024
15,2-4