Und als er schon nahe am Abhang des Ölbergs war, fing die ganze Menge der Jünger an, mit Freuden Gott zu loben mit lauter Stimme über alle Taten, die sie gesehen hatten, und sprachen: Gelobt sei, der da kommt, der König, in dem Namen des Herrn! Friede sei im Himmel und Ehre in der Höhe! Und einige von den Pharisäern in der Menge sprachen zu ihm: Meister, weise doch deine Jünger zurecht! Er antwortete und sprach: Ich sage euch: Wenn diese schweigen werden, so werden die Steine schreien.
Kantate, singt! Wie gerne würden wir das tun! Endlich wieder. Denn wenn sie dürfen, singen im Schnitt eine Million Gottesdienstbesucher sonntags quer durch die evangelischen Kirchen und Gemeinschaften in rund 20.000 Gottesdiensten. Menschen begeistern sich für Musik. Es gibt schätzungsweise sieben Millionen haupt- und ehrenamtliche Musiker in Deutschland. Sie musizieren in Orchestern, in Chören und solo. Musik nimmt Menschen mit, schafft Stimmungen und bewegt die Hörer durch ihre Texte. Selbst zu singen begeistert und zieht Menschen in seinen Bann.
Was für ein Drama, dass es seit einem Jahr kaum noch möglich ist. Wie sehr sehnen sich viele Menschen danach, endlich wieder im Gottesdienst gemeinsam singen zu dürfen. Nicht nur Musik konsumieren, nicht bloß hören, wie andere singen, sondern selbst singen, sich mitnehmen lassen von den Instrumenten und in das gemeinsame Singen einstimmen. Egal, wie gut man das beherrscht. Es tut vielen einfach gut.
Freude, Begeisterung, Liebe, Trauer, Klage – alles findet seinen Ausdruck in der Musik. Alles, was Menschen empfinden, drücken sie gerne und angemessen mit Tönen aus.
Im Evangelium des heutigen Sonntags steht der Lobpreis der Jünger im Mittelpunkt: Jesus hat sich mit seinen Anhängern nach Jerusalem aufgemacht. Beim Anblick der Heiligen Stadt nach dem mühseligen Aufstieg über den Ölberg wurden die Jünger von großer Freude ergriffen. Sie lobten Gott für die geschehenen Wunder. In den Wundern, die Jesus an vielen Orten Galiläas und Judäas vollbracht hatte, sahen sie die Zeichen der kommenden Gottesherrschaft.
„Bettler und Lahme sahen wir beim Tanz, hörten wie Stumme sprachen, durch tote Fensterhöhlen kam ein Glanz, Strahlen, die die Nacht durchbrachen. Zeichen und Wunder sahen wir geschehen…“ textet Diethard Zils im Lied „Wir haben Gottes Spuren festgestellt“.
Diese Zeichen und Wunder haben die Jünger mit Jesus erlebt und können von diesen Erlebnissen nicht schweigen. Jesus hat getröstet, geheilt und Menschen von ihrer Schuld losgesprochen. Die Jünger singen, damit alle hören, wie unglaublich es ist, Jesus nachzufolgen und mit ihm zu leben.
Davon ich singen und sagen will – singt Martin Luther an Weihnachten.
Und der Lobpreis der Jünger erinnert ebenfalls an die Weihnachtsbotschaft: „Gelobt sei, der da kommt, der König, in dem Namen des Herrn! Friede sei im Himmel und Ehre in der Höhe!“ Jesus wird als der kommende König gesegnet. Er ist der Messias, dem im Himmel bereits der Friede bereitet ist. Im Himmel ist die Gottesherrschaft bereits Wirklichkeit für die Menschen. Die Jünger sind voller Hoffnung, dass vom Berg Zion sich die Gottesherrschaft aus durch ihren Herrn verbreitet und auf Erden Wirklichkeit werden wird.
Die Jünger waren angesteckt und begeistert.
Da lässt es sich gut singen.
Sie stimmen in ihrem Lobpreis Worte aus Psalm 118 an und singen sie fröhlich. Wie das geklungen hat, wissen wir nicht; ob es schön und harmonisch, fast professionell war; oder vielleicht doch eher Freudenrufe und spontaner Jubel über den bevorstehenden Einzug Jesu in die Stadt Davids. Das ist dann vermutlich eher so, wie bei uns; Gemeindegesang ist nicht als Konzert gedacht, nicht als Aufführung und Genuss zum Zuhören. Sondern es verbindet die Musikalischen mit den Brummern, die sauber singen mit denen, die keinen Ton treffen oder immer den gleichen singen. Aber sie alle sind Teil einer singenden Gemeinschaft; ihr Gesang wirkt ansteckend, eine große Zahl von Menschen über den engsten Kreis der Jünger hinaus stimmt in den Lobgesang ein. Darum geht es, dass Menschen sich angesteckt und mitgenommen fühlen und voller Freude und begeistert mitsingen.
Weil sie angesprochen sind. Weil sie spüren, bei Jesus Christus hören und erleben sie etwas, das ihrem Leben guttut. Jetzt. Und mit einer Zukunft verbunden. Das ist neu, das kannten sie nicht, aber es spricht sie an. Darum folgen sie, darum vertrauen sie ihm, darum singen sie. So, wie Gemeinde das tut, Sonntag für Sonntag. Und nehmen einander mit – Alte und Junge, Kinder und Jugendliche. Konfirmanden und Erwachsene. Musikalische und Unmusikalische, Sichere und Zweifler. Jeder ist eingeladen, mitzugehen und mit zu loben.
Auch die Pharisäer in der Menge hätten in den Lobpreis der Jünger einfallen können, aber ihre Münder bleiben verschlossen; ihre Herzen sind zu. Sie wollen nicht nur in den Lobgesang nicht einstimmen, sie wollen ihn möglichst verhindern. Sie erleben Jesus Christus nicht als Einladung, als Aussicht auf Leben. Sie fühlen sich angegriffen und bedroht in ihrer Position, in ihrem Denken. Sie haben den Eindruck, der Zuspruch zu Jesus Christus nimmt ihnen etwas weg. In ihrem Denken und Handeln erscheint alles so festgelegt, da ist kein Platz für die neue gute Nachricht, das Evangelium. Dass Gott das Gute schenkt, das Leben, die Gemeinschaft, die Vergebung von Schuld, die ewige Zukunft. Für die Pharisäer ist Jesus ein religiös Verwirrter. Sie halten ihn für gefährlich, weil er sich anmaßt, von Gott als seinem Vater zu reden. Noch vor dem Passahfest werden sie ihn festsetzen und zum Tode verurteilen lassen.
Er hat es gewusst; es ist sein Weg. Vielen Menschen steht er so im Weg. Wie kann man da singen und loben? Wie kann man dem folgen? Wenn diese schweigen werden, so werden die Steine schreien.
Jesus sieht das grausame Schicksal Jerusalems vor sich, die brennende, zerstörte Stadt. Kein Stein mehr auf dem anderen. Die Steine schreien. Klagen, weinen, vor Trauer und Schmerz. Was hält, was hilft, wer rettet?
Wir haben es vor zwei Jahren erleben müssen: das Feuer in Paris, in der Kathedrale Notre Dames. Entsetzt, fassungslos haben die Bürger der Stadt mit ansehen müssen, wir ihr zentrales Bauwerk den Flammen anheimfiel. Eine unglaubliche Stille herrschte unter den Beobachtern. Sollte alles verbrennen, dem Erdboden gleich werden? Was für eine Geschichte ist mit dieser Kirche verbunden! Die Steine haben geschrien, laut war zu hören, wie das Feuer Schmerzen verursachte. Und dann, auf einmal – in der sehr säkularen Stadt Paris – fingen die Menschen an, Choräle zu singen. Alles vergeht, nichts hat Bestand – du aber bleibst.
Wenn diese schweigen werden, so werden die Steine schreien. Und erinnern an den, der bleibt. In allem Unglück dieser Welt, in allem Feuer, aller Zerstörung. Manchmal ist es kein fröhliches Singen, das aus unserem Herzen kommt – so, wie 40 Jahre lang aus Jerusalem. Sondern Trauer und Klage. Manchmal will es einem die Sprache ganz verschlagen über das Elend vieler Menschen, über den Hass, über die Gewalt. Jesus sieht Jerusalem mit den Augen seiner jüdischen Schwestern und Brüder. Es ist auch seine geliebte Stadt, über die er Tränen vergießt. Er weint aber ebenso über die Menschen, die ihn verwerfen und nicht annehmen. Die nicht sehen, wie er ihr Leben gut macht und zum Ziel des Lebens bringt.
In diesen Tagen wurde an den grausamen Brand der Kathedrale Notre Dames in Paris vor zwei Jahren erinnert. Es wurde in den Nachrichten aber auch gezeigt, mit wie viel Einsatz und Hingabe an der Sanierung gearbeitet wird. Damit dort in wenigen Jahren endlich wieder Gottesdienste gefeiert werden können, gesungen und musiziert werden darf.
Schon die Vorfreude darauf öffnet das Herz. In der Krise hören wir es ganz neu, traurig und mit ganz viel Hoffnung: Nicht die Steine sollen schreien, wir wollen singen, Gott loben und ihm danken. Kantate – singet!
Guter Gott, lass uns endlich wieder singen dürfen. Gib, dass wir neu zu deiner singenden Gemeinde werden, die deinen heiligen Namen lobpreist. Verwandle unsere Klagen und unser Schweigen in fröhliches Singen. Amen.
„Diese Predigt basiert auf Ideen und Texten von Karsten Matthis. Wir danken ihm herzlich für seine Zustimmung zur Veröffentlichung!“
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Wenn es erlaubt ist, feiern wir Präsenzgottesdienste unter Achtung aller Hygienemaß-nahmen. Diese beinhalten ein striktes Verbot für Gemeindegesang. Darunter leiden viele Gottesdienstbesucher; manche nehmen aus diesem Grund an Gottesdiensten ak-tuell nicht teil. Die Bedeutung gemeinsamen Singens hat hier einen hohen Stellenwert. Am Sonntag Kantate wird das schmerzlich bewusst.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Das Lob Gottes kann nicht schweigen – auch wenn Umstände sich ändern. Die Arbeiten an Notre Dames sind ein Hoffnungszeichen. Menschen wollen und werden wieder singen!
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Dass Dinge, die ich für selbstverständlich halte, einen neuen Wert bekommen, wenn sie nicht mehr selbstverständlich sind. Die Sehnsucht, singen zu dürfen, auch in einem Chor, ist ein so hoher – auch geistlicher Wert. Das möchte ich tiefer schätzen und achten.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Ein kritischer Austausch mit dem Coach. Er hat mich auf Dinge aufmerksam gemacht, die ich zu oberflächlich behandelt habe. Ich war genötigt, genauer zu schauen, besser die Lage der Hörer zu achten und bewusster zu formulieren. Das hat gut getan.