Sondierungsgespräch – Predigt zu Jesaja 9,1-6 von Jürgen Kaiser
Es ist Weihnachten, liebe Gemeinde. Das Fest des Friedens, der Ruhe, der Besinnung. Sagt man.
Es ist Weihnachten. Das Fest der Lichter, der Geschenke, der Liebe. Sagt man.
Es ist Weihnachten - jedenfalls das Fest, an dem jedes Jahr immer alles anders ist, wie sonst im Jahr. Meint man.
Aber nicht in diesem Jahr. Denn wir haben immer noch keine Regierung. Das ist nicht schlimm und sollte uns nicht davon abhalten, Weihnachten zu feiern. Allerdings meldet sich jedes Jahr zu Weihnachten ein Prophet zu Wort, der es selbst an Weihnachten nicht lassen kann, Politik zu machen. Der Prophet sagt die Geburt eines Kindes an - normalerweise keine hochpolitische Angelegenheit. In diesem Fall aber schon. Hört selbst, was er zu sagen hat.
Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell. Du weckst lauten Jubel, du machst groß die Freude. Vor dir freut man sich, wie man sich freut in der Ernte, wie man fröhlich ist, wenn man Beute austeilt.
Denn du hast ihr drückendes Joch, die Jochstange auf ihrer Schulter und den Stecken ihres Treibers zerbrochen wie am Tage Midians. Denn jeder Stiefel, der mit Gedröhn dahergeht, und jeder Mantel, durch Blut geschleift, wird verbrannt und vom Feuer verzehrt.
Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ist auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst;auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, dass er's stärke und stütze durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit. Solches wird tun der Eifer des Herrn Zebaoth.
Wir haben immer noch keine Regierung, liebe Gemeinde. Immer noch steht die Frage im Raum – und im ganzen Land -, was die beste Regierung sei – nicht nur für unser Land, sondern für die ganze Welt. Wer ist der beste Regent? Und was muss er können, was muss er haben?
Die Frage könnte uns wenigstens an Weihnachten egal sein. Aber der Prophet verbindet die Geburt eines Kindes mit der Vorstellung einer Regierung, die bestimmten politischen Zielen verpflichtet ist. Das Kind wird ein Herrscher, der für Recht und Gerechtigkeit und Frieden sorgt.
Das sind große Worte und hehre Ziele. Kein Politiker, der sich nicht für Recht und Gerechtigkeit und Frieden einsetzen würde. Strittig sind nicht die Ziele, strittig ist der Weg zu ihnen. Sieht man nämlich genau hin, offenbaren sich gravierende Unterschiede. Der Teufel steckt im Detail, sagt man. An Weihnachten könnte es auch der Heiland sein, der im Detail steckt. Man muss genau hinsehen! Was ist die beste Regierung? Es gibt vier Meinungen, Überzeugungen, Fraktionen, Parteien.
Erstens: Wunder-Rat.
Die einen sagen: Die beste Regierung müsse vor allem eine Herrschaft der Vernunft sein. Eine Regierung der Vernunft ist eine gut beratene Regierung. Eine Regierung der Vernunft setzt nicht nur auf Parteiinteressen. Die Verantwortung für das Land steht über dem Wohl der Partei. Darum lässt sich eine solche Regierung auch durch unparteiische Fachleute beraten. Sie fällt ihre Entscheidungen erst nach reiflicher Abwägung aller Argumente, sie fördert den breiten gesellschaftlichen Diskurs.
Zweitens: Gott-Held.
Eine gute Regierung dürfe nicht ewig reden und beraten, meinen die anderen. Entscheidend seien Stärke, Durchsetzungskraft und Stabilität. In unserer schnelllebigen Zeit müssen Entscheidungen zeitnah getroffen und vor allem auch durchgesetzt werden. Es nütze wenig, nur gründlich beratene Gesetze zu haben, und nicht auch deren Einhaltung zu kontrollieren. Daher setzt man sich für den starken Staat ein, für eine handlungsfähige Regierung, für viele und gut ausgerüstete Ordnungskräfte, eine effiziente Verwaltung und dergleichen. Handeln statt reden.
Drittens: Ewig-Vater
Diese Partei setzt auf Kontinuität und Verlässlichkeit. Sie ist stolz auf die lange Regierungszeit des Landesvaters oder der Landesmutter und fragt sich, was wird kommen, wenn er oder sie nicht mehr da ist. Nur die Kühnsten in dieser Partei denken an diesen Fall, die meisten wagen gar nicht, daran zu denken, dass er oder sie mal nicht mehr da sein könnte. Er ist ein guter Regent, er mag die Leute, sie glauben ihm, dass er ihre Sorgen kennt und sich um ihr Glück kümmert. Es ist die Partei des Paternalismus. Vielleicht gibt es das auch in der gendergerechten Form als Maternalismus. Kontinuität und Verlässlichkeit sind für sie das höchste Gut in der Politik. Was immer kommen mag, Ewig-Vater, Ewig-Mutter wird es richten.
Viertens: Friedefürst
Der Pazifismus ist noch nicht ausgestorben. Frieden hat die oberste Priorität, Friede auf Erden allen Menschen guten Willens – und auch denen bösen Willens! Wer die Botschaft von Weihnachten ernst nimmt, darf keine Waffen mehr produzieren, erst recht nicht exportieren. Mit Krieg lässt sich nie Frieden machen. Auch nicht mit kriegerischen Mitteln. Nur die totale Gewaltfreiheit hat die Chance auf einen echten Frieden. Wer sich wehrt, eskaliert den Streit. Wenn du geschlagen wirst, lass dich noch mal schlagen, sagt der Friede-Fürst. Wer wirklich Frieden will, kann nicht radikal genug sein.
Das sind die vier Parteien, die für eine Regierung infrage kommen. Sie haben ziemlich unterschiedliche Vorstellungen. Vor langer Zeit hatte der Prophet eine Vision. Er sah einen Herrscher kommen, in dem all diese unterschiedlichen Vorstellungen vereint sind. Einen idealen Herrscher also. Einer, der alles ist: gut beraten und vernünftig, entscheidungsfreudig und durchsetzungsfähig, der sich ebenso um die Menschen vor Ort kümmert und ihre Sorgen ernst nimmt und der sich für den Frieden einsetzt, einer der so mächtig ist, dass keiner mehr gegen ihn Krieg zu führen wagt.
So einer soll kommen. Sagt der Prophet. Die große Vierer-Koalition in Person. Wer mag, kann sie Israel-Koalition nennen. Denn daher stammt die Idee. Mit Fahnen-Farben hat das nichts zu tun, sondern mit David und seinem Stern. David, der ideale Herrscher, David, der Stern Israels, und sein Nachfolger auf dem Thron Davids, das Licht der Völker.
[An dieser Stelle kann die Predigt durch ein Lied unterbrochen werden, z.B. EG 12: „Gott sei Dank durch alle Welt“]
Aber, liebe Gemeinde, die Koalition kam nicht zustande. Es lag nicht an einer Partei. Es lag an Gott. Gott hatte einen anderen Plan. Gott hat die Seiten gewechselt.
Es wurde zwar ein Kind geboren, wie der Prophet sagte. Das wuchs in Israel auf. Aber es wurde kein Herrscher. Kein Held. Kein Fürst, kein König, auch kein Ewig-Vater. Später nannten sie ihn ewig Sohn. Sohn Gottes. Man weiß bis heute nicht, ob ihm selbst das bewusst und angenehm war. Und wenn, dann trug er dieses Bewusstsein nicht vor sich her und verschwieg den Titel auf seiner Visitenkarte.
Er hat nie nach Macht gestrebt. Er wurde nicht Kanzler, kein Präsident und kein Premierminister. Stattdessen ist er durch die Gegend gelaufen und hat Geschichten erzählt. Von klugen Menschen. Von gerechten Menschen. Von gnädigen Menschen. Eigentlich waren sie immer alles zusammen, klug, gerecht und gnädig. Bei den Menschen in seinen Geschichten kommt das zusammen. Und bei einigen Geschichten weiß man nicht recht, ob es nicht eigentlich Geschichten vom lieben Gott sind. Von einem sehr menschlichen Gott.
Obwohl er nie nach Macht gestrebt hat, haben sie ihm eine Krone aufgesetzt und hingerichtet. Er hat sich nicht gewehrt.
Erst später ist uns klar geworden, dass Gott dahinter steckte. Erst später ist uns klar geworden, dass Gott mit ihm einen neuen Regierungsstil erfunden hat. (Wenn ich in die Welt sehe, bin ich gar nicht sicher, ob es schon allen klar ist.) Gott hat die Seiten gewechselt. Er ist Mensch geworden. Er tritt nicht mehr als Herrscher und Regent in Erscheinung. Er hat sich unters Volk gemischt. Er tritt als Regierter in Erscheinung. Er ist Mensch geworden, und das sehr gründlich. Auf tiefster Stufe, auf niedrigstem Level. Er ist ein armer Mensch geworden, ein schwacher, ein nackter, ein fremder und ein verfolgter Mensch. Wegen solcher Menschen ist er genau ein solcher Mensch geworden. Was wir den Geringsten getan haben, das haben wir ihm getan, diesem geringsten Menschen, in dem Gott ist. Und was wir dem Schwächsten nicht getan haben, das haben wir ihm – Gott - nicht getan.
Es ist Weihnachten, liebe Gemeinde – und wir haben immer noch keine Regierung. Aber wir schaffen das! Um eine gute Regierung auf die Beine zu stellen muss man nicht auf den Messias warten. Er ist nämlich längst da – mitten unter uns. Ein bisschen unscheinbar ist er. Man übersieht ihn leicht. Und man überhört ihn oft, denn er nicht der, der auf den Straßen brüllt. Er ist der, der in Ställen zur Welt kommt und abseits in Hütten und Hinterhöfen, in alten Wohnwägen oder Container wohnt und denen, die ihn finden, seine Geschichten erzählt. Er ist der, den wir bei der Suche nach dem richtigen Weg zu Recht und Gerechtigkeit und Frieden im Blick haben. Der Weg dorthin führt nicht über die Machtzentralen der Welt, sondern in ihre dunklen Winkel. Eine gute Regierung braucht keinen Heiland als Regierungschef. Aber eine gute Regierung wird die Armen, die Schwachen, die Verfolgten, die Fremden im Blick haben. Wer sie sieht, wird wissen, was Recht ist und Gerechtigkeit und wie Frieden wird. Nicht allen wird klar sein, dass sie das, was sie für die Armen und Verfolgten tun, für Christus getan haben. Aber darauf kommt es gar nicht an. Seit Gott die Seiten gewechselt hat und Mensch geworden ist, kann man ihn als Gott leicht übersehen. Nur als Mensch darf man ihn nicht übersehen.
Es ist Weihnachten und wir haben immer noch keine Regierung. Aber wir haben Hoffnung. Gott ist Mensch geworden. Das hat etwas mit uns gemacht. Es hat uns menschlich gemacht. Und es wird uns noch menschlicher machen.
Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell.
Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.