Sprachverwirrung durch Gottes Zorn, Sprachheilung durch Gottes Geist - Predigt zu 1. Mose 11, 1-9 von Paul Geiß
11, 1-9

Sprachverwirrung durch Gottes Zorn, Sprachheilung durch Gottes Geist - Predigt zu 1. Mose 11, 1-9 von Paul Geiß

Liebe Gemeinde im Gottesdienst, in der Kirche und miteinander online verbunden!

Heute ist der erste Pfingsttag. Pfingsten – das Fest des Heiligen Geistes.

Nach dem Bericht der Apostelgeschichte kam der Heilige Geist Gottes wie ein Rauschen, wie ein Wind über die versammelten Jünger Jesu. Er kam wie Feuerzungen auf sie herab. Mit der Gabe des Heiligen Geistes geschah zweierlei:

Die Jünger waren von da an mit dem Geist erfüllt, quasi zum geistlichen Amt ordiniert, so konnten sie Jesu Botschaft als Lebensauftrag weitersagen.

Das zweite: Was auch immer die Jünger sagen, es wird von allen Menschen verstanden. Die Besucher in Jerusalem verwundern sich darüber am meisten. Sie kommen aus Persien, Medien und Elam, aus Mesopotamien, Judäa und Kappadokien, aus Pontus, Phrygien und Pamphylien und weiteren Ländern im Mittelmeerraum mit dutzenden von verschiedenen Sprachen.  Alle verstehen, was die Jünger sagen. Die Jünger sind so erfüllt vom Heiligen Geist, dass die Besucher sie für betrunken halten. Petrus korrigiert das mit einer feurigen Predigt, die dann an die 3 000 Menschen zu Gemeindegliedern aus aller Herren Länder macht.

Das war die Gabe des Heiligen Geistes, des Geistes Gottes und für die Zuhörer ein Wunder, das Pfingstwunder. Alle haben verstanden. Die Apostelgeschichte, in der vom Pfingstwunder berichtet wird, sieht darin die Geburtsstunde der weltweiten christlichen Vielvölkerkirche ausgehend von Jerusalem.

I .

Was war die Ursache der Sprachverwirrung, die an Pfingsten wieder aufgehoben wird? Die Legende vom Turmbau zu Babel und der daraus folgenden Sprachverwirrung erklärt sie.

Hören wir auf die Geschichte vom Turmbau zu Babel nach der Übersetzung der Basisbibel aus dem 1. Buch Mose im 11. Kapitel:

Damals hatten alle Menschen nur eine einzige Sprache – mit ein und denselben Wörtern. Sie brachen von Osten her auf und kamen zu einer Ebene im Land Schinar. Dort ließen sie sich nieder. Sie sagten zueinander: »Kommt! Lasst uns Lehmziegel formen und brennen!« Die Lehmziegel wollten sie als Bausteine verwenden und Asphalt als Mörtel.  Dann sagten sie: »Los! Lasst uns eine Stadt mit einem Turm bauen! Seine Spitze soll in den Himmel ragen. Wir wollen uns einen Namen machen, damit wir uns nicht über die ganze Erde zerstreuen.«

Da kam der Herr vom Himmel herab. Er wollte sich die Stadt und den Turm ansehen, die die Menschen bauten. Der Herr sagte: »Sie sind ein einziges Volk und sprechen alle dieselbe Sprache. Und das ist erst der Anfang! In Zukunft wird man sie nicht mehr aufhalten können. Sie werden tun, was sie wollen.Auf! Lasst uns hinabsteigen und ihre Sprache durcheinander bringen! Dann wird keiner mehr den anderen verstehen.«.

Der Herr zerstreute sie von dort über die ganze Erde. Da mussten sie es aufgeben, die Stadt weiterzubauen. Deswegen nennt man sie Babel, das heißt: Durcheinander. Denn dort hat der Herr die Sprache der Menschen durcheinander gebracht. Und von dort hat sie der Herr über die ganze Erde zerstreut.

 

Gott, segne unser Reden, Hören und verstehen. AMEN.

Liebe Gemeinde!

Das ist die biblische Legende über die Entstehung der verschiedenen Sprachen. Ausgangspunkt ist die angebliche Einigkeit der gesamten Menschheit zum Bau eines wahren Meisterwerks, es soll für alle eine riesige Stadt und ein dazu gehöriger Wolkenkratzer entstehen. Die Idee dahinter: „Wir wollen uns einen Namen machen, damit wir uns nicht über die ganze Erde zerstreuen. Dann haben wir alle einen einheitlicher Wohnort mit einem Wahrzeichen, das weithin sichtbar für uns spricht und Identität stiftet.“

Vor unseren Augen entstehen die Bilder besonders hoher Bauwerke, die inmitten einer Stadt die Häuser überragen. Der Eiffelturm in Paris, der Fernsehturm am Alexanderplatz in Berlin,  die Wolkenkratzer von New York, die stalinistischen Riesenpaläste in Moskau und die vielen Schlösser aus den feudalen Zeiten, die auch heute noch markante Blickfänger darstellen. Es sind alles Bauten, mit denen sich eine Stadt, ein Königreich, eine Region einen Namen machen will, ein Monument, das Einheit und Einigkeit darstellen soll und die Macht der jeweiligen Herrschaft.

Verärgert fährt Gott aus dem Himmel herunter. Er steigt herab, nicht weil er kurzsichtig ist, sondern weil er riesenhoch wohnt. Das Werk der Menschen ist aus seiner Perspektive so winzig. Er schaut sich das Vorhaben an, findet es lächerlich und hochmütig.

Sorge treibt ihn um: „Wenn die Menschen so weiter machen, ist ihnen nichts mehr unmöglich. Sie werden meinen Namen ‚Jahwe‘, das heißt ja selbstbewusst: Ich bin der ich bin und: Ich werde sein, der ich sein werde, den werden sie vergessen, auch meinen Bund, mit dem ich ihnen gerade am Ende der Sintflut die Garantie zum Überleben gegeben habe im feierlichen Versprechen an Noah und seine Nachkommen.“

Ich verstehe das Vorhaben so: Ihr eigener Name, ihr eigener Ruhm soll von ewiger Dauer sein. Das ist ihnen wichtiger als die Beziehung zu Gott, dem Schöpfer der Welt. Gott erkennt in diesem Vorhaben sträflichen Hochmut und findet eine einfache Methode, um die Pläne der Menschen scheitern zu lassen, er verwirrt ihre Sprache. Das reicht. Keiner kann den anderen verstehen, die Einheit zerbricht, die hehren Ziele werden vergessen, die Bauleute schaffen es nicht, weiter zu bauen, sie zerstreuen sich über die ganze bewohnte Erde.

Sträflicher Hochmut: Das ist eine Erfahrung, die bis heute Menschen auseinandertreibt. Es gibt sie, die Einheitsbestrebungen von Völkern, die sich einen großen Namen machen und dann ihre Sprache und Kultur den anderen aufzwingen wollen: In China zum Beispiel sollen muslimische Uiguren durch die herrschenden Han-Chinesen zu Einheitskultur und Sprache gezwungen werden, ebenso die Menschen in Tibet, die eine buddhistische Kultur mit dem Dalai Lhama haben. Der Islam und der tibetanische Buddhismus sind für den chinesischen Staat verwerfliche Religionen, die bekämpft werden müssen.

Das gab es oft in der Geschichte der Menschheit. Und weltweit gibt es sie, die unselige Geschichte von Kolonisierung, Versklavung und Leibeigenschaft, nicht nur in Europa.

Dazu eine Erinnerung: In unserem Einsatz in der Entwicklungshilfe haben wir in den unabhängig gewordenen Commonwealth-Staaten die Reste der englischen Kolonial-Kultur kennengelernt. Wenn Menschen aus den ehemaligen Kolonien im Mutterland England studieren wollten, mussten sie das Cambridge-Übersee-Zertifikat als Abitur erwerben, das natürlich auch eine Prüfung in englischer Sprache und Geschichte umfasste. Die eigene Kultur wurde dazu nicht herangezogen, sie war nicht für wert geachtet.

Sich einen stolzen Namen machen, scheinbar Identität stiftende Bauten entwickeln und sich so einen Führungsanspruch zu sichern: Ist das nicht auch heute Antrieb, sich gegenüber anderen zu profilieren, in Wissenschaft, Wirtschaft und Kultur Überlegenheit zu demonstrieren? Das führt dazu, Gott nicht zu respektieren und die Welt in ihrer Vielgestaltigkeit. Es führt dazu, nur sich selbst und die eigene Kultur im Mittelpunkt zu sehen. Die eigenen Werte werden zum Machtinstrument, um andere zu unterdrücken. Das hat in der Menschheitsgeschichte zu furchtbaren Katastrophen geführt, zu menschenverachtendem Kolonialismus, zu Sklaverei, zu Völkermord und Vertreibung.

Mühselig und oft blockiert versuchen die Vereinten Nationen und der Weltsicherheitsrat so eine Art Weltinnenpolitik zu betreiben mit der universalen Charta der Menschenrechte, den Welternährungsprogrammen und den Welterziehungsprogrammen. Sie scheitern immer wieder an den Machtinteressen mancher Großmächte.

Für die Menschheit, die am Turmbau zu Babel beteiligt war, war das Strafe für ihren Hochmut. Das Ergebnis war: Die verschiedenen Sprachen brachten Streit und Zerstreuung, denn wenn einer den anderen nicht verstehen kann, sucht er sich eine andere Bleibe in der weiten Welt.

So beschreibt es die Legende vom Turmbau zu Babel. Und das alles, damit Gottes Name, seine Schöpfung bewahrt werden soll: Gott allein die Ehre, soli Deo Gloria, das ist sein Ziel.

II.

Unmittelbar nach dieser Geschichte beginnt eine neuer Abschnitt im Alten Testament, es beginnt die Geschichte von Abraham und Sarah, von Isaak und Rebekka, von Jakob, Rahel und Lea, Bilha und Silpa, das jüdische Volk wird mit den Söhnen von Jakob begründet, von Gott auserwählt und gesegnet. Die ganze hebräische Bibel, handelt dann weiter von der wechselhaften Geschichte des Volkes Israel bis hin zur Zeit der Beterinnen und Beter der Psalmen und schließlich der Propheten.

Im Neuen Testament folgt dann die Geschichte von Jesus Christus, Geburt, Lehre, Passion und Auferstehung nach den vier Evangelien. Aus dem jüdischen Volk geht Jesus Christus als Messias hervor, er muss sterben und wird von Gott auferweckt. Sein Tod und seine Auferstehung sind die Basis des christlichen Glaubens. Am Ende dieser Geschichte steht das Pfingstfest, steht die Ordination der Jünger mit der Ausgießung des Heiligen Geistes. Sie wird nach biblischer Ansicht zum Gründungsereignis der Christenheit, das wird an Pfingsten von den Jüngern und von Petrus weitergegeben mit Enthusiasmus und Be - Geist –erung.

Gott hat in der Geschichte vom Turmbau zu Babel die Sprache verwirrt und die Menschheit zerstreut, mit Christus und mit dem Heiligen Geist wird ein neues Angebot an alle Menschen gemacht, wieder einig zu werden und auf das gemeinsame Ziel zuzusteuern, in menschheitsverbindender Ethik das gemeinsame Leben zu gestalten.

Das alles beginnt mit der Schöpfung Gottes und der Urgeschichte und setzt sich fort in Jesus Christus, mit Pfingsten und dem Gemeindeaufbau unter tatkräftiger Mithilfe des Heiligen Geistes.

 

III.

Wenn ich mir noch einmal genauer das Anliegen der Menschen, die Motivation zum Stadt- und Turmbau anschaue, dann erscheint mir das alles sehr idealistisch gedacht, aber tatsächlich ziemlich hochmütig. Bei jedem komplizierten Bau von solcher Größe bedarf es einer Unzahl von Architekten, Bauaufsicht, Handwerkern, Material und einem Ineinandergreifen der unterschiedlichsten Gewerke, um das Ziel auch nur annähernd zu erreichen. Der jahrhundertelange Bau der großen Kirchen und Kathedralen war so eine Aufgabe, die immer einen genialen Visionär und Architekten erforderte, aber dann kamen dazu die Unfälle und Katastrophen, die Planungsfehler und die Fehler der Handwerker, oftmals gesteuert durch die Hybris der Bauausführenden. Im Mittelalter waren die großen Kirchenbauten so etwas wie ein Wunder, um die sich viele Legenden rankten. Manchmal soll sogar der Teufel seine Hand im Spiel gehabt haben, um verzweifelnden Architekten zu helfen. Und das ging nie gut aus.

Heute bedarf es großer Anstrengungen, um einander zu verstehen, es fängt damit an, eine fremde Sprache zu lernen, es geht weiter damit, dass man versucht die Eigenart anderer, fremder Kulturen schätzen zu lernen, dass wir versuchen, uns liebevoll und achtsam umeinander zu kümmern. Um die vielen kulturellen Differenzen zu überbrücken, bedarf es der Vision von ethischen Grundsätzen, die alle miteinander teilen können, egal, welcher Überzeugung, welchem Glauben, welcher Religion sie angehören.

In seinem spannenden Buch über den Heiligen Geist versucht der Theologieprofessor Jörg Lauster eine „Biographie“ des Heiligen Geistes zu schreiben, er findet dessen Spuren im Alten und Neuen Testament, in der Jesus Christus-Bewegung aber auch in fast allen Bereichen der Schöpfung und selbstverständlich auch in anderen Religionen und Kulturen.

Wo Verwirrung herrscht, kann der Heilige Geist Verständnis bewirken, wo Hoffnung fehlt, kann er Gelassenheit bewirken, wo der Irrtum herrscht, kann er zur Wahrheit führen.

So war auch die Verwirrungslegende über den Turmbau zu Babel eine Station auf dem Weg zum Aufbruch über das ganze Alte Testament hinaus hin zu Jesus Christus, zu den begeisterten Jüngern, Apostelinnen und Apostel hin zu einer weltweiten Bewegung aus Gottes Geist heraus, der weht, wo er will, aber es schaffen kann, Sprach- und Glaubensverwirrung zu überwinden.  

Unter der Leitung des Geistes Gottes können wir Christen aus vielen Ländern der Erde uns auch heute verstehen und nahe sein. Das geschieht in hunderttausenden von Gottesdiensten jeden Sonntag weltweit, im Gebet füreinander und in der tätigen Hilfe.

AMEN

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Paul Geiß: 

1.    Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Die Vielfalt der Ausprägung von Kirche in vielen Konfessionen durch Erfahrungen mit dem Heiligen Geist. Dagegen stehen tägliche Erfahrungen von Sprachverwirrung, Missverständnissen, Machtstreben und Profilierung.  Durch die gegenwärtige Situation empfinde ich eine tiefe Verunsicherung und Verwirrung bei den Menschen, die mir begegnen, gleichzeitig eine gewisse Vereinsamung in der Großstadteremitage durch die Pandemie. Aber trotzdem mal nichts über die Pandemie sagen.

2.    Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Die Stellung der Turmbaugeschichte am Abschluss der Urgeschichte, grobe Übersicht über die Geschichte Israels mit ihrem Auf und Ab, schließlich Leben, Sterben und Auferstehung von Jesus Christus und seinem Geist, der die Jünger und die Entstehung der Kirche beflügelt hat: Kontinuität der Heilsgeschichte und eine Wiederentdeckung des ATD-Kommentars von Gerhard von Rad.

3.    Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Die Entdeckung einer „Biographie“ des Heiligen Geistes im Buch von Jörg Lauster und seine Wirkung nicht nur in der christlichen Religion , sondern im „Weltethos“ aller Religionen nach Johannes 3, 8f. Erfahrungen mit dem Heiligen geist verhindern Turmbauphantasien mit ihren schädlichen Folgen.

4.    Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Die Coachess gab mir hilfreiche Hinweise zur Reduktion des großen Bogens von der Urgeschichte zur Heilsgeschichte, die ich durch Aufzählungen immer wieder nur angetippt hatte, und zum strukturellen Aufbau der Predigt von Pfingsten als quasi Kasualpredigt über die Turmbaugeschichte wieder hin zum Heiligen Geist. Insgesamt ist diese qualifizierte Rückmeldung ein notwendiger Prozess im Werden der Predigt.

Perikope
Datum 23.05.2021
Bibelbuch: 1. Mose
Kapitel / Verse: 11, 1-9