Spurensuche nach dem Kind - Predigtslam zu Jesaja 7,14 und 9,1-6 von Stephanie Höhner
7,14 und 9,1-6

 

 

 

Das Volk, das im Finstern wandelt, braucht ein Zeichen.

Zeichen und Wunder geschehen,

mitten in der dunklen Nacht.

Ungefragt kommt ein Kind zur Welt,

mit Namen Immanuel.

Gott mit uns.

Gott mit dir, mit mir, mit uns.

 

 

Gott mit dir, auf dem Mittelmeer,

im dunklen Kerker,

im Krankenzimmer,

am Tisch, an dem sie alleine sitzt,

seit der Vater gegangen ist für immer.

In den Tränen über den Schmerz,

dass sie nicht mehr sein Herz berührt, sondern stecken bleibt

im Alltagstrott zwischen Kindern und Betriebsamkeit.

 

 

Immanuel

Gott mit mir, wenn ich zweifele und rufe,

wenn ich den Halt verliere und suche

nach Antworten, einem Zeichen, einer Spur,

Gott, zu dir.

 

 

Gott mit dir, auf dem Feld,

dem armen Hirten wird das Kind zum Held.

Macht es hell in seiner Welt für einen Augenblick,

dann sind die Engel fort.

Es verhallt das Wort: Fürchtet euch nicht.

Denn dann kommt sie wieder, die Angst in der Nacht,

der Schmerz um den Vater,

die Dunkelheit im Kerker,

das auf und ab auf dem Mittelmeer,

Wellen schlagen in das Boot, da nicht viel mehr

ist als eine Nussschale.

Dann kommt es wieder, das Schweigen zwischen ihr und ihm.

Dann sitzen sie nicht mehr am Krankenbett,

sie stehen am Grab und weinen sehr.

Dann ist es verloren, dann sind sie verloren zwischen Trauer und Wut.

Wo ist er da, Immanuel – Gott mit dir?

Ich sehe durch Tränen in die Welt,

strecke meine Hand aus, damit sie jemand hält

oder jemand nimmt, der es mehr braucht als ich.

Immanuel – Gott mit uns, mit dir, mit mir.

Als Kind kommt er zur Welt,

wird zum Wunder-Rat und Gott-Held.

Ist Ewig-Vater und Friede-Fürst.

 

 

Ich gehe auf Spurensuche nach dir, Immanuel,

als Wunder-Rat und Gott-Held.

Ich suche dich, Gott mit mir, mit dir, mit uns.

Wo bist du in dieser Welt?

Klein und hilflos, groß und mächtig?

Ich suche dich, nach einem Zeichen,

das Kind ist nur ein Kind und doch viel mehr,

wenn ich es richtig betrachte.

Ein Kind, ein Wunder – das ist es allemal,

ob „vom Himmel hoch“ oder in dunkler Nacht.

Ein Kind kommt und die Welt steht Kopf,

zwischen Windeln und Fläschchen,

zwischen Heu und Stroh.

Ein Kind kommt zur Welt und es sieht dich:

Auf dem Mittelmeer, im Wellen-auf-und-ab.

Im Kerker, in tiefschwarzer Nacht.

Am Grab und auf dem leeren Krankenbett.

 

 

Ich gehe auf Spurensuch nach dir, Immanuel, heute Nacht.

 

 

Immanuel – Wunder-Rat

Land-Rat, Stadt-Rat

Guter Rat ist teuer.

Wunder können sie sowieso nicht tun. Und glauben tut es auch keiner.

Rat ist immer gut, wenn er mir denn passt.

Ein Stadtrat ist auch kein Zauberer.

Er kann keine Berge versetzen, keine Anträge beschleunigen, keine Gesetze ändern.

Wunder gibt es immer wieder, aber die Zeit heilt alle Wunder, wenn du sie gut verschnürst, damit du gar nichts mehr spürst.

Denn Wunder passen nicht zum Verstand, kosten ihn höchstens.

Aber manchmal kommt es und anders als du denkst.

Dann bricht er das Schweigen und nimmt deine Hand und sagt: Lass es uns noch einmal versuchen.

Da hört sie die alte, vertraute Melodie und fühlt ein bisschen Wärme in sich ausbreiten.

Da wird stattgegeben dem Asylantrag

und der Stadtrat

kann etwas für ihn tun, eine Wohnung, einen Pass.

Dann bringen fremde Menschen Decken in den Bahnhof,

verteilen Tee und warme Blicke, halten die Hände hin und die Ohren offen.

Und die Gestrandeten können hoffen auf ein Stück Geborgenheit.

Dann wird es hell auf dem Feld in dunkler Nacht,

dann wird zerbrochen die kriegslustige Macht

und die Stimme bricht sich Bahn:

Unser Kind, Wunder-Rat.

 

 

Immanuel – Gott-Held

Super-Held

Magische Kräfte, die Flügel verleihen.

Die Landung auf dem Boden der Tatsachen ist umso härter.

Nicht jeder kann bleiben. Nicht jeder kann überhaupt gehen.

Flügel haben sie dabei selten, oft nur ein Gummiboot, mit Glück eine Schwimmweste.

Dann landen sie am Strand, wo andere Urlaub machen.

Es sind alles Helden, weil sie diese Überfahrt überlebt haben.

Für ihre Familien sind sie Helden, weil sie mutig den Weg nach Europa gehen.

Ein Weg gepflastert mit Todesangst und Lebensgefahr, mit Raub und Ausbeutung, mit kalten Nächten und dunklen Prognosen.

Super-Held-Kräfte wären hilfreich. Doch die gibt es nur auf der Leinwand.

Helden stoßen im Leben schnell an ihre Grenzen.

Gott-Held kommt an die Grenzen, an die Zäune, in die kalten und dunklen Nächte.

Gott-Held kommt als Stimme des Propheten in eine finstere Welt,

er kommt als Kind in der Krippe zu den Hirten auf das Feld.

Als heller Schein dort,

an den Ort, wo kein Licht einfällt.

Da fahren Boote über das Meer, retten die, die in Seenot sind.

Da opfern Menschen ihren Urlaub, um Wasser und Fladenbrot zu verteilen.

Da öffnen Familien ihre Häuser und geben einem jungen Mann ein neues Zuhause.

Gott-Held. Als kleiner Mensch, als großes Wort.

Als helfende Hand zur richtigen Zeit am richtigen Ort.

 

 

Immanuel – Ewig-Vater

Ewig-Vater, Ewig-Mutter

Erden-Vater, Erden-Mutter, immer bereit, immer da.

Irgendwann wird es mal

zu viel und sie verlieren einander im Einerlei.

Wo ist die Liebe zwischen all dem Lametta, der Gans, der Feier

 - wann wird es einmal besser?

Wann ist wieder Zeit für den zärtlichen Blick, das einander Zuhören und sich aufeinander freuen?

Ewig bleibt die Liebe nicht von allein,

ewig aber dreht sich das Leben und mein eigenes bleibt auf der Strecke

zwischen Arbeitstag und Reihenhaushecke.

 

 

Ewig-Vater, immer da.

Als kleines Kind ist er mir nah an dunklen Tagen auf dem Feld,

im finstern Tal als starker Held.

Der Vater, der fehlt. Der gehen musste und sie hier alleine lässt.

Der eine Lücke reißt und das Weihnachtsfest

leer erscheint.

Ewig-Vater, immer da,

zwischen Lametta und Gans ist er mir nah,

am Grab und in der Erinnerung hält er meine Hand.

Als heller Schein fand er den Weg in die dunkle Ecke

und macht sie hell für einen Moment.

Ein Gefühl macht sich breit wie es früher mal war,

selbst noch Kind,

bei „Stille Nacht“ und „Fröhliche Weihnacht überall“.

 

 

Immanuel – Friede-Fürst

Sehnlich erwartet, erhofft, erfleht.

Er scheint besonders weit weg.

Fürsten mit Macht und Geld geben die Regeln vor in dieser Welt.

Wir singen von fröhlicher Weihnacht, Kind mit lockigem Haar,

Wir singen, er kommt, er ist ganz nah.

Und auch heute, an Heilig Abend kommen Kriegsstiefel mit Gedröhn daher,

werden Mäntel und Kleider in Blut getränkt,

hocken Menschen in dunklen Kerkern,

gefangen, gefoltert, erhängt.

Wann wird es sein, dass sich Fäuste öffnen und sich die Hände reichen,

dass Grenzen fallen und Panzer weichen,

dass Friede kommt und bleibt?

Klein kommt er, der Friede-Fürst,

als Kind, Immanuel, Gott mit uns,

hilflos und verletzlich,

arm und gebrechlich,

einsam und verzweifelt,

tränenvoll und gezeichnet von Leid und Schmerz.

Leise als liebes Wort, als kleine Geste und tiefen Blick.

Als fahler Strahl im dunklem Winkel,

als zartes „ich bin da“ und „bleib bei mir“,

als warme Decke unter der Brücke,

als rettendes Ufer nach langer Strecke

auf dem Meer.

Als zarter Klang „Vom Himmel hoch, da komm´ ich her.“

 

 

Wunder-Rat und Gott-Held, Ewig-Vater und Friede-Fürst,

Kind in Windeln und klare Worte,

kleines Licht und heller Schein – so wird er sein,

Immanuel – Gott mit uns, der da kommt. Zu dir, zu mir.

Und das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht,

und über denen, die da wohnen im finstern Lande scheint es hell.

 

Perikope
24.12.2017
7,14 und 9,1-6