Stellt euer ganzes Leben Gott zur Verfügung! - Predigt zu Römer 12,1-8 von Winfried Klotz
12,1-8

12 1 Brüder und Schwestern, weil Gott so viel Erbarmen mit euch gehabt hat, bitte und ermahne ich euch: Stellt euer ganzes Leben Gott zur Verfügung! Bringt euch Gott als lebendiges Opfer dar, ein Opfer völliger Hingabe, an dem er Freude hat. Das ist für euch der »vernunftgemäße« Gottesdienst. 2 Passt euch nicht den Maßstäben dieser Welt an. Lasst euch vielmehr von Gott umwandeln, damit euer ganzes Denken erneuert wird. Dann könnt ihr euch ein sicheres Urteil bilden, welches Verhalten dem Willen Gottes entspricht, und wisst in jedem einzelnen Fall, was gut und gottgefällig und vollkommen ist. 3 In der Vollmacht, die Gott mir als Apostel gegeben hat, wende ich mich an jeden Einzelnen von euch. Niemand soll sich über andere erheben und höher von sich denken, als es angemessen ist. Bleibt bescheiden und sucht das rechte Maß! Durch den Glauben hat jeder von euch seinen besonderen Anteil an den Gnadengaben bekommen. Daran hat jeder den Maßstab, nach dem er sich einschätzen soll. 4 Denkt an den menschlichen Leib: Er bildet ein lebendiges Ganzes und hat doch viele Teile, und jeder Teil hat seine besondere Funktion. 5 So ist es auch mit uns: Als Menschen, die zu Christus gehören, bilden wir alle ein unteilbares Ganzes; aber als Einzelne stehen wir zueinander wie Teile mit ihrer besonderen Funktion. 6 Wir haben ganz verschiedene Gaben, so wie Gott sie uns in seiner Gnade zugeteilt hat. Einige sind befähigt, Weisungen für die Gemeinde von Gott zu empfangen; was sie sagen, muss dem gemeinsamen Bekenntnis entsprechen. 7 Andere sind befähigt, praktische Aufgaben in der Gemeinde zu übernehmen; sie sollen sich treu diesen Aufgaben widmen. Wer die Gabe hat, als Lehrer die Gemeinde zu unterweisen, gebrauche sie. 8 Wer die Gabe hat, andere zu ermahnen und zu ermutigen, nutze sie. Wer Bedürftige unterstützt, soll sich dabei nicht in Szene setzen. Wer in der Gemeinde eine Verantwortung übernimmt, soll mit Hingabe bei der Sache sein. Wer sich um Notleidende kümmert, soll es nicht mit saurer Miene tun. (Text: Gute Nachricht Bibel)

Liebe Gemeinde,

was wie eine Selbstverständlichkeit am Anfang unseres Abschnitts genannt wird - nämlich „Gottes Erbarmen“ - ist so selbstverständlich nicht. Ja, es ist eigentlich eine Unmöglichkeit, eine Behauptung ohne Grund, wenn wir auf unsere Erfahrung und den Geist der Zeit schauen. Wo wird Gottes Erbarmen sichtbar, wo bezeugt uns der Gang des Lebens und die veröffentlichte Meinung etwas vom Erbarmen Gottes? Es ist eine Vorstellung ohne Wirklichkeit, außer wir schauen und hören auf Jesus!

Ich ermahne euch, weil Gott so viel Erbarmen mit euch gehabt hat, heißt also nichts anderes als: Schaut auf Jesus, schaut darauf, was Gott durch ihn getan hat, hört auf ihn! Und wenn Euch nun Gottes Erbarmen in IHM gewiss geworden ist, wenn Ihr nun Euer Leben auf dieses Erbarmen gegründet habt - dann!

Dann „stellt euer ganzes Leben Gott zur Verfügung!“

Aber warum erst dann? Warum diese Voraussetzung im Erbarmen Gottes? Und - brauchen wir wirklich diesen Jesus? Diesen kleinen Mann aus Nazareth, der sich nicht gegen die religiösen Mächte seiner Zeit behaupten konnte? Der auch keinen Wert darauf legte, sich im politischen Geschäft durchzusetzen? Der keine Idee von militärischer Macht hatte und, statt einflussreiche Freunde zu suchen, sich mit kleinen Leuten umgab, die vom kommenden Reich Gottes träumten? Und der am Kreuz hingerichtet wurde, Ort und Zeichen seines Scheiterns? Brauchen wir diesen Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten? Eine Konfirmandin sagte: „Ich brauche deinen Jesus nicht!“

Und immer wieder höre ich - gerade im Schweigen, im Verschweigen dieses Namens: Wir brauchen deinen Jesus nicht! Was nützt alles Reden von der Liebe Gottes, wenn wir Jesus nicht haben, nennen, kennen? Jesus ist doch der einzige Mensch in dieser Welt, durch den Gottes Erbarmen und zugleich seine Gerechtigkeit leibhaftig wurde. Also nicht nur erhellende Information, sondern Weg, auf dem wir gehen können, offene Tür, Erfahrung und Leben.

Weil Gott uns in Jesus Christus sein Erbarmen zuwendet, deshalb können wir nun Leib und Leben IHM zuwenden, hingeben, ja auch opfern. Das ist die Logik unseres Glaubens. Das ist unser Gottesdienst im Alltag des Lebens! Wir feiern Gott in Christus, der sich für uns geopfert hat. Oder anders gesagt: Unser Vertrauen auf Gottes Erbarmen in Christus gewinnt an Dynamik, indem wir tun, was Jesus Christus entspricht.

Deshalb: „Passt euch nicht den Maßstäben dieser Welt an. Lasst euch vielmehr von Gott umwandeln, damit euer ganzes Denken erneuert wird. Dann könnt ihr euch ein sicheres Urteil bilden, welches Verhalten dem Willen Gottes entspricht, und wisst in jedem einzelnen Fall, was gut und gottgefällig und vollkommen ist.“ Paulus stellt die Christen in Rom und uns nicht unter ein die Welt verneinendes Gesetz, sondern in die Freiheit der Entscheidung, gewiss einer notwendigen Entscheidung und Unterscheidung. Wir sollen, wir können prüfen, was dem Willen Gottes entspricht! Wir sind keine Befehlsempfänger, sondern sollen auf Jesus schauen und in seiner Spur gehen. Und im Hinschauen auf IHN unsere Entscheidung treffen (Hebr. 12,1-2) Im Hinschauen auf Jesus wird auch klar, dass Anpassung keine Möglichkeit ist; die Welt geht ihren eigenen, von Gott abgewandten Gang. Mit und durch Jesus Gott und die Nächsten lieben, ja gerade auch Gott, ist Fundament meiner Ausrichtung auf den Willen Gottes. Dazu brauche ich Stille und Gebet, Gespräche mit Menschen, die auch den Weg des Glaubens gehen, damit ich zu einem Handeln komme, das der Gemeinschaft mit Gott und meinen Mitmenschen entspricht. Dietrich Bonhoeffer hat aus dem Gefängnis geschrieben: „Unser Christsein wird heute nur in zweierlei bestehen: im Beten und im Tun des Gerechten unter den Menschen. Alles Denken, Reden und Organisieren in den Dingen des Christentums muss neu geboren werden aus diesem Beten und diesem Tun.“ (Widerstand und Ergebung, DBW Band 8, Seite 435f) Beten und Tun des Gerechten, so sieht Bonhoeffer den Weg zur Neugeburt des Christentums.

Ich will unseren Weg zur Erneuerung im persönlichen wie im gemeindlich-kirchlichen Bereich so beschreiben: Habt Mut als Einzelne und in Gemeinschaft von Jesus zu lernen, betet um offene Augen und Herzen, lasst euch vergeben und vergebt anderen und seid ehrlich! Nichts wird unter den Teppich gekehrt. Beendet das Untaugliche, Schlechte und tut das Gute, Helfende, Aufbauende. Wie wir denken und handeln, gerade auch im kirchlichen Bereich, muss nicht böse sein, es reicht, dass es untauglich ist, um es abzulegen. Zum Beispiel, dass alles, was wir beginnen, möglichst durch Kirchensteuermittel finanziert sein muss; oder wir für alles, was wir neu beginnen, den Segen übergeordneter Instanzen brauchen. Manchmal wünsche ich mir, dass ein paar „Verrückte“ in der Verantwortung vor Gott etwas Neues beginnen, auch wenn es der Mehrheit nicht gefällt. Gab es je kirchliche Erneuerung ohne Auseinandersetzung und Stress?

In den nächsten Versen wendet Paulus seinen Blick auf konkrete Verhaltensweisen von Christinnen und Christen in den Gemeinden. Er schreibt in seiner Vollmacht als Apostel und nennt als Erstes: „Niemand soll sich über andere erheben und höher von sich denken, als es angemessen ist. Bleibt bescheiden und sucht das rechte Maß! Durch den Glauben hat jeder von euch seinen besonderen Anteil an den Gnadengaben bekommen. Daran hat jeder den Maßstab, nach dem er sich einschätzen soll.“

Zusammenwirken trotz Unterschiedlichkeit! Trotz verschiedener Begabungen und Fähigkeiten! Sich ergänzen, nicht einen Kampf um Einfluss und Macht führen! Viel Kraft wird vergeudet im Kampf um die eigene Position, das eigene Ansehen in Kirche und Gemeinde. Das Vorbild Jesu soll uns bestimmen, gerade wenn es um die eigene Position; das persönliche Ansehen geht. Wir sollen bescheiden bleiben, gemäß dem wirken, was jemand als Gabe empfangen hat und Jesu Wort beherzigen: „Bei euch muss es anders sein! Wer von euch groß sein will, soll euer Diener sein, und wer der Erste sein will, soll allen anderen Sklavendienste leisten." (Mk 10, 43f) Genau das entspricht der neuen Ausrichtung, die Paulus am Anfang betont. Wir sind doch ein Leib in Christus! Ein Leib, der gegen sich arbeitet, der sich selbst schwächt oder bekämpft, gefährdet sein Leben. Es gilt, die eigene geistliche Gabe zu erkennen und zu gebrauchen. Dabei schadet es niemand, demütig zu sein. Das Ansehen bei Gott ist allemal wichtiger als das bei Menschen. Wenn einem Unrecht geschieht, ist das schmerzhaft, aber in der Spur Jesu können wir Unrecht ertragen, ohne einen Krieg für unser Recht zu führen. Oder ist es in Kirche und Gemeinde wie in der „Welt“: Wer sich nicht behauptet, nicht mit gleicher Münze heimzahlt, der ist das „Opfer“ und gilt nichts bei anderen? Die Grundfrage lautet: Wollen wir Gott in Christus dienen oder dienen wir letztlich doch uns selbst? Gemeinschaft im Gebet stärkt und lässt uns Verletzungen ertragen.

Paulus nennt dann verschiedene Gaben, die für das Leben der Gemeinde wichtig sind: Dazu gehören prophetische Rede - aufdeckende, die Situation erhellende Worte, die Diakonie im Sinne von mithelfen, der Unterricht in Glaubens- und Lebensfragen, Ermahnung und Aufmunterung, die Fähigkeit zu geben, Leitungstätigkeit, Menschen in Not beistehen; die Aufzählung wirkt nicht besonders systematisch. Jedenfalls ist sie keine Dienstbeschreibung für Pastorinnen oder Pfarrer. Aus der Zugehörigkeit zu Jesus Christus und seiner Gemeinde ergeben sich Aufgaben und Gaben. Und bei denen, die sich vom Geist Gottes antreiben lassen, die Bereitschaft gemäß ihrer Gabe mitzuhelfen.

Was ist meine Gabe und Aufgabe? Das ergibt sich noch nicht daraus, was gerade gebraucht wird, auch wenn das ein wichtiger Aspekt ist. Und auch nicht daraus, dass ein Leitungsgremium beschlossen hat, der oder die soll das machen. Lass Dein Herz bewegen und probiere aus, was Du machen kannst. Vielleicht wird eine Berufung daraus, also eine Klarheit, das ist meins! Aber niemand muss sich zur Wahl in den Kirchenvorstand aufstellen lassen, nur weil sich niemand sonst bereit erklärt hat. Oder anders: Niemand muss sich zur Wahl stellen, nur weil dadurch Bekanntheit und Ansehen gefördert werden. Geben können viele, also gebt, damit Menschen in Not geholfen werden kann. Ermahnen können nicht viele, also anderen so zusprechen, so dass sie einen guten Weg finden und ihr Leben auf die Reihe kriegen; wer das kann muss seine Gabe nutzen, denn es gibt so viele, die aufgerichtet werden müssen. Und wer mitfühlen und trösten kann, der soll diese wichtige Gabe betend und auf Jesus schauend gebrauchen. Noch einmal, prophetisch reden, Weisungen für die Gemeinde von Gott empfangen, das muss nicht in der Predigt geschehen; vielfach geschieht es ohne jede Absicht und so, dass wer die Weisung ausspricht, selbst nicht erkennt, dass es prophetisch war. Es soll dem Glauben, dem Bekenntnis gemäß sein. Das bedeutet andererseits, dass die Weisung geprüft werden darf (1. Kor. 14,24f.29).

Zum Schluss: Hingabe an Gott ist kein Weg der Selbststeigerung. Es bedeutet, sich loszulassen, dem zu überlassen, der uns angenommen hat in Christus. Auf diesem Weg verändert sich unser Blick. Wir sehen Gewohntes neu, anders, erkennen, wie es sein könnte und sollte. Bisherige Denkschemata legen wir ab und erkennen Möglichkeiten, die Gott uns heute gibt. Im Beten und Tun des Gerechten wird alles Denken, Reden und Organisieren in den Dingen des Christentums neu geboren. Amen.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Pfarrer Winfried Klotz

1.    Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Für das Leben der Gemeinde ist wesentlich: eine Verkündigung, die Jesus Christus in den Mittelpunkt stellt als Retter, und ein Umgang miteinander, der IHM entspricht. Das beste Programm und der größte Einsatz nützen nichts, wenn sie nicht am Christus festgemacht sind und seine Demut und echte Zuwendung zu den Menschen spiegeln. Lieblosigkeit ist das Gift, das die Gemeinde tötet.

2.    Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Beflügelt? Diesmal fiel mir die Predigt wirklich schwer. Manchmal habe ich um jedes Wort gerungen. Mich treibt die Erfahrung an, dass das Evangelium eine Kraft Gottes ist, die zu einer Erneuerung des Lebens führt. (Rö. 1,16/5,1)

3.    Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Zu allen Zeiten braucht die Gemeinde Jesu Ermahnung! Ich lese ab und an Predigten im Internet und stelle fest: da schreiben DichterInnen, wortgewandt und kreativ ihre Situation spiegelnd; aber oft fehlt ein Christusbezug, Ermahnung zum Leben in der Spur Jesu; über ein bisschen „süßen“ Trost geht es nicht hinaus.

4.          Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Frau Dr. Schmidtgen hat ganz richtig die Überfülle der Themen festgestellt. Das ist mein Problem; Hilfe zum Streichen und Vereinfachen brauche ich.

Perikope
10.01.2021
12,1-8