Sünde – verlorenes Wort - Predigt zu Johannes 9, 35-41 von Christoph Maier
9,35
Sünde – verlorenes Wort - Predigt zu Johannes 9, 35-41 von Christoph Maier
Sünde – verlorenes Wort
Noch war alles ein großes Durcheinander.
So eben mal im Vorbeigehen hatte Jesus den Blinden geheilt. Nicht weil dieser ihn darum gebeten hätte. Nein, seinen Jüngern wollte er eine Lektion erteilen. Sie hatten mal wieder überhaupt nichts verstanden. „Meister, wer hat gesündigt, dieser Blindgeborene oder seine Eltern.“ Vom Wesen der Sünde hatten die Jünger aber auch so rein gar nichts verstanden. Um Ihnen das zu zeigen, hat er mal eben so im Vorbeigehn in den engen Gassen der Jerusalemer Altstadt einen Blinden geheilt. „Geh hinaus vor die Stadtmauer, hinunter zum Kidrontal und wasch dich an den Teichen von Siloah“ Jesus selbst wird später diesen Weg gehen - hinüber zum Ölberg. Dann werden Sie ihm folgen, blind vor Wut, um ihn zu verraten und zu verkaufen, um ihn zurück in die Stadt zu schleppen und dort zu verhören.
Als er die Treppen wieder hinaufstieg, zurück in die Stadt, war das Gedränge groß. Das durcheinander machte ihm Angst. Jesus war längst wieder im Gewühl der Pilger verschwunden.
„Wer war, das?“ fragten ihn seine Nachbarn, als sie bemerkten, dass er mit der vollen Kraft seines Augenlichts zurückgekommen war. „Was weis ich, ich kenn den Typen nicht. Ich weiß nur, dass ich jetzt sehen kann.“
In Jerusalem kannte man Jesus gut, schon mehrfach in den letzten Tagen gab es Tumulte im Tempel wegen Jesus. Seine Lehren hielt man für gotteslästerlich. Einmal hätten sie ihn beinahe gesteinigt (Joh 8,59 vgl. 10,31). Auch jetzt war der Streit unter den Gelehrten wieder in vollem Gange. Wie konnte das sein? Wie konnte Jesus so etwas tun? Die Eltern des Blinden Menschen wurden zum Verhör zitiert. „Ja, unser Sohn war wirklich blind von Geburt an, konnte er nichts sehen.“ Jetzt konnte er sehen, aber bei dem Durcheinander fehlte ihm der Durchblick. Was wollten die Leute nur. Ist Jesus ein Prophet? Ein guter Mensch oder doch ein Aufrührer? Kommt er von Gott oder ist er doch nicht von Gott? Dem Blinden wurde das zu bunt. Nie hätte er geglaubt, dass die Welt der sehenden so verwirrend und durcheinander sein könnte. Und er musste einsehen, dass auch die Gebildeten keinen Durchblick hatten. Schließlich sagte der Mensch, dem Jesus im Vorübergehen das Augenlicht geschenkt hatte: „Wäre dieser nicht von Gott, dann hätte er das nicht tun können.“
Liebe Gemeinde,
ohne diese Vorgeschichte wäre mir der Sinn unseres heutigen Predigttext nicht einsichtig. Der Evangelist Johannes erzählt meisterhaft, in mehreren Ebenen - und darin verwoben, wie in seinem ganzen Evangelium, der rote Faden: Jesus Christus, als der Gott, sichtbar für mich. Wie sehe ich ihn besser, wenn ich blind oder sehend, klug oder einfältig, Sünder oder Frommer bin?
Auch ich hab meine Vorgeschichte, habe gelernt die Dinge zu sehen, hab meine blinden Stellen, auf die ich nicht sehen will, den toten Winkel, den ich nicht sehen kann.
Jesus sagt: Meine Aufgabe ist es schon in dieser Welt zu beurteilen, wer blind ist. So haben diejenigen eine Chance sehend zu werden, die für blind befunden werden und die, die meinen klar zu sehen, können ihrer Blindheit überführt werden.
Wer ist sehend und wer ist blind? Noch war alles ein großes Durcheinander.
Dem Blinden Menschen, der sehend geworden war, wurde das zu bunt. Er wurde ausgeschlossen, aus seiner Religionsgemeinschaft, flog raus, weil das, was er begonnen hatte zu sehen, nicht gesehen werden sollte.
Wer sich nicht konform verhält, fliegt raus. Wer die Dinge anders sieht, ist gefährlich für den Konsens der Gleichsehenden. Das hat ein Nachspiel.
Historisch spielt dieses Nachspiel im Jahre 70 nach Christus. Zu diesem Zeitpunkt, sah man die Unterschiede besonders deutlich zwischen denen, die sich zu Jesus Christus bekannten und denen, die in Jesus nicht den Christus sehen konnten. Die christliche Gemeinde, die bis zu diesem Zeitpunkt unter dem schützenden Dach der jüdischen Synagoge lebte, wurde ausgeschlossen, geext, „ausgesynagogt“[i] wie es Johannes mit einer eigenen Wortkreation mehrmals in seinem Evangelium benennt. Der historische Konflikt, der in unseren Text verwoben ist, führt zu scharfen, polemischen und heute untragbaren Formulierungen gegen die Juden im Evangelium des Johannes. In der Folge führte das immer wieder zu Verblendung und Hass gegenüber Juden, auch zur Verdrehung der Wahrheit gegenüber dem Juden Jesus Christus. So dürfen wir heutigen, vor allem dem Johannesevangelium nicht blind gläubig folgen, ohne diese Verflechtungen zu sehen.
Jetzt kennen wir die Vorgeschichte und haben uns auch mit dem Nachspiel vertraut gemacht, kommen wir also zur Hauptgeschichte. Ich möchte den Predigttext noch einmal in freier Erzählung wieder geben:
Und als Jesus ihn fand, den Blinden, der sehend geworden war, den sie ausgeschlossen hatten, fragte er ihn: „Vertraust du Gott?“ Der Mensch aber antwortete und fragte: „Wie könnte ich Gott denn nur erkennen, um ihm vertrauen zu können?“ Jesus antwortete ihm: Du wirst ja jetzt nicht mehr aufhören ihn zu sehen und der mit dir redet, der ist´s.“ Er aber sprach: „Herr, ich glaube“, und betete ihn an.
Noch war alles ein großes Durcheinander.
Gerade erst waren ihr die Augen aufgegangen. Verwundert rieb sie sich die Augen und fragte sich, wie sie nur so lange so blind gewesen sein konnte. Sektenhafte Züge hatte das, was, sie in den letzten Monaten und Jahren mehr und mehr erlebt hatte. Sie war misstrauisch geworden, gegenüber allen, die meinten, die Wahrheit zu kennen. Immer wieder hat sie ihr Leben Jesus übergeben, um Ihr Heil gezittert und gebetet, dass er sie erlösen möge und vor dem Teufel und der Hölle bewahre. Keine Predigt verging, ohne dass sie einsehen musste, wie verloren, wie elendig sündig, wie klein und schlecht sie vor Gott und den Menschen ist.
Auch heute noch ist ihr klar, dass der Hochmut falsch war, mit dem sie einst alles, was den Glaube betraf, als dümmlich und schwächlich verachtet hatte, - der Hochmut, mit dem sie meinte, alles alleine verantworten, gestalten und einsehen zu können. In der neuen Gemeinde hatte man ihr klar gemacht, wie sehr sie sich damit, um sich selbst dreht, wie wenig sie von der Welt erkennt, wenn Sie Gott nicht sieht und wie unfrei sie dadurch ist, dass sie sich an nichts und niemanden binden wollte. Wahrscheinlich war sie dann zu sehr ins andere Extrem gerutscht. Ihre alten Freunde hatten sich abgewendet, als sie diese voller Begeisterung missionieren wollte. Sie wollten keine Sünder sein, die erst Jesus finden müssen, um gerettet zu werden. Zu offensiv hatte sie die Angst um das Heil ihrer Freunde zur Eiferin gegen die Sünde gemacht.
Zunächst hatte sie es gar nicht gemerkt, wie Sie sich durch ihren Fanatismus Stück für Stück selbst von ihrem alten Leben ausschloss. Jetzt aber waren es die neuen Freunde, die sich abwendeten, die sie aus ihrer Kirche ausgeschlossen hatten. Das hat ihr die Augen geöffnet. Sie konnte den strengen Vorschriften und moralischen Regeln ihrer Gemeinde nicht genügen. So sehr sie sich auch anstrengte, betete, Lobpreislieder sang und Bibel las - sie war und blieb eben eine Sünderin.
Noch war in Ihr alles durcheinander. Was richtig und falsch war, konnte Sie nicht mehr sagen. Und doch fühlte sie sich Gott näher als jemals zuvor. Jetzt wo sie wusste, dass sie weder durch die Ignoranz Gott gegenüber noch durch den Versuch den Makel der Sünde los zu werden auch nur irgendetwas bewegen konnte. War nicht Jesus ebenfalls ausgeschlossen worden? Von seinen Glaubensgenossen verraten, von den Freunden verlassen, von Gott verkauft für die Sünden der Menschen?
Wie es jetzt weitergehen sollte? Sie wusste es nicht. Aber erst jetzt, wo sie nicht mehr blind war für die Wirklichkeit Gottes, - aber erst jetzt, wo sie nicht mehr sehen konnte, wie denn nun eigentlich ihr Weg zu Gott aussehen könnte, - erst jetzt hatte sie als sehend gewordene Blinde das Gefühl: Christus hat mich gefunden.
Sünde – verlorenes Wort,
so verloren wie Gott.
Und doch
der innerste Riss
in mir selbst,
in der Welt,
was mich trennt
von mir,
von dir
und von Gott.
Der Kreis ist geschlossen,
in dem ich
gefangen,
gehalten, gebunden,
fixiert,
unauflöslich.
Und doch fällt
ein Wort,
den Kreis zu sprengen,
Fixierung zu lösen,
das Herz zu beleben-
barmherziger Gott,
denn da,
wo der Riss ist,
der Leben zerstörende,
Gott selbst
von Menschen zerrissen,
denn da,
wo Tod ist
und Sterben und Leiden,
Gott selbst, auf der Seite der Opfer,
zur Sünde gemacht.
Und es geschieht das Wunder,
dass aus dem Riss
das Leben,
aus dem Tod
die Liebe,
aus der Sünde neues Sein
entsteht.[ii]
[i]Vgl.: Sebastian Kuhlmann in: Göttinger Predigtmediation. 3. Vierteljahresheft 2013, 67. Jahrgang, Heft 4, S. 405.
[ii]Meditation zu 2Kor 5,21 aus: Gunda Schneider-Flume. Grundkurs Dogmatik, S. 243. Göttingen 2003
Noch war alles ein großes Durcheinander.
So eben mal im Vorbeigehen hatte Jesus den Blinden geheilt. Nicht weil dieser ihn darum gebeten hätte. Nein, seinen Jüngern wollte er eine Lektion erteilen. Sie hatten mal wieder überhaupt nichts verstanden. „Meister, wer hat gesündigt, dieser Blindgeborene oder seine Eltern.“ Vom Wesen der Sünde hatten die Jünger aber auch so rein gar nichts verstanden. Um Ihnen das zu zeigen, hat er mal eben so im Vorbeigehn in den engen Gassen der Jerusalemer Altstadt einen Blinden geheilt. „Geh hinaus vor die Stadtmauer, hinunter zum Kidrontal und wasch dich an den Teichen von Siloah“ Jesus selbst wird später diesen Weg gehen - hinüber zum Ölberg. Dann werden Sie ihm folgen, blind vor Wut, um ihn zu verraten und zu verkaufen, um ihn zurück in die Stadt zu schleppen und dort zu verhören.
Als er die Treppen wieder hinaufstieg, zurück in die Stadt, war das Gedränge groß. Das durcheinander machte ihm Angst. Jesus war längst wieder im Gewühl der Pilger verschwunden.
„Wer war, das?“ fragten ihn seine Nachbarn, als sie bemerkten, dass er mit der vollen Kraft seines Augenlichts zurückgekommen war. „Was weis ich, ich kenn den Typen nicht. Ich weiß nur, dass ich jetzt sehen kann.“
In Jerusalem kannte man Jesus gut, schon mehrfach in den letzten Tagen gab es Tumulte im Tempel wegen Jesus. Seine Lehren hielt man für gotteslästerlich. Einmal hätten sie ihn beinahe gesteinigt (Joh 8,59 vgl. 10,31). Auch jetzt war der Streit unter den Gelehrten wieder in vollem Gange. Wie konnte das sein? Wie konnte Jesus so etwas tun? Die Eltern des Blinden Menschen wurden zum Verhör zitiert. „Ja, unser Sohn war wirklich blind von Geburt an, konnte er nichts sehen.“ Jetzt konnte er sehen, aber bei dem Durcheinander fehlte ihm der Durchblick. Was wollten die Leute nur. Ist Jesus ein Prophet? Ein guter Mensch oder doch ein Aufrührer? Kommt er von Gott oder ist er doch nicht von Gott? Dem Blinden wurde das zu bunt. Nie hätte er geglaubt, dass die Welt der sehenden so verwirrend und durcheinander sein könnte. Und er musste einsehen, dass auch die Gebildeten keinen Durchblick hatten. Schließlich sagte der Mensch, dem Jesus im Vorübergehen das Augenlicht geschenkt hatte: „Wäre dieser nicht von Gott, dann hätte er das nicht tun können.“
Liebe Gemeinde,
ohne diese Vorgeschichte wäre mir der Sinn unseres heutigen Predigttext nicht einsichtig. Der Evangelist Johannes erzählt meisterhaft, in mehreren Ebenen - und darin verwoben, wie in seinem ganzen Evangelium, der rote Faden: Jesus Christus, als der Gott, sichtbar für mich. Wie sehe ich ihn besser, wenn ich blind oder sehend, klug oder einfältig, Sünder oder Frommer bin?
Auch ich hab meine Vorgeschichte, habe gelernt die Dinge zu sehen, hab meine blinden Stellen, auf die ich nicht sehen will, den toten Winkel, den ich nicht sehen kann.
Jesus sagt: Meine Aufgabe ist es schon in dieser Welt zu beurteilen, wer blind ist. So haben diejenigen eine Chance sehend zu werden, die für blind befunden werden und die, die meinen klar zu sehen, können ihrer Blindheit überführt werden.
Wer ist sehend und wer ist blind? Noch war alles ein großes Durcheinander.
Dem Blinden Menschen, der sehend geworden war, wurde das zu bunt. Er wurde ausgeschlossen, aus seiner Religionsgemeinschaft, flog raus, weil das, was er begonnen hatte zu sehen, nicht gesehen werden sollte.
Wer sich nicht konform verhält, fliegt raus. Wer die Dinge anders sieht, ist gefährlich für den Konsens der Gleichsehenden. Das hat ein Nachspiel.
Historisch spielt dieses Nachspiel im Jahre 70 nach Christus. Zu diesem Zeitpunkt, sah man die Unterschiede besonders deutlich zwischen denen, die sich zu Jesus Christus bekannten und denen, die in Jesus nicht den Christus sehen konnten. Die christliche Gemeinde, die bis zu diesem Zeitpunkt unter dem schützenden Dach der jüdischen Synagoge lebte, wurde ausgeschlossen, geext, „ausgesynagogt“[i] wie es Johannes mit einer eigenen Wortkreation mehrmals in seinem Evangelium benennt. Der historische Konflikt, der in unseren Text verwoben ist, führt zu scharfen, polemischen und heute untragbaren Formulierungen gegen die Juden im Evangelium des Johannes. In der Folge führte das immer wieder zu Verblendung und Hass gegenüber Juden, auch zur Verdrehung der Wahrheit gegenüber dem Juden Jesus Christus. So dürfen wir heutigen, vor allem dem Johannesevangelium nicht blind gläubig folgen, ohne diese Verflechtungen zu sehen.
Jetzt kennen wir die Vorgeschichte und haben uns auch mit dem Nachspiel vertraut gemacht, kommen wir also zur Hauptgeschichte. Ich möchte den Predigttext noch einmal in freier Erzählung wieder geben:
Und als Jesus ihn fand, den Blinden, der sehend geworden war, den sie ausgeschlossen hatten, fragte er ihn: „Vertraust du Gott?“ Der Mensch aber antwortete und fragte: „Wie könnte ich Gott denn nur erkennen, um ihm vertrauen zu können?“ Jesus antwortete ihm: Du wirst ja jetzt nicht mehr aufhören ihn zu sehen und der mit dir redet, der ist´s.“ Er aber sprach: „Herr, ich glaube“, und betete ihn an.
Noch war alles ein großes Durcheinander.
Gerade erst waren ihr die Augen aufgegangen. Verwundert rieb sie sich die Augen und fragte sich, wie sie nur so lange so blind gewesen sein konnte. Sektenhafte Züge hatte das, was, sie in den letzten Monaten und Jahren mehr und mehr erlebt hatte. Sie war misstrauisch geworden, gegenüber allen, die meinten, die Wahrheit zu kennen. Immer wieder hat sie ihr Leben Jesus übergeben, um Ihr Heil gezittert und gebetet, dass er sie erlösen möge und vor dem Teufel und der Hölle bewahre. Keine Predigt verging, ohne dass sie einsehen musste, wie verloren, wie elendig sündig, wie klein und schlecht sie vor Gott und den Menschen ist.
Auch heute noch ist ihr klar, dass der Hochmut falsch war, mit dem sie einst alles, was den Glaube betraf, als dümmlich und schwächlich verachtet hatte, - der Hochmut, mit dem sie meinte, alles alleine verantworten, gestalten und einsehen zu können. In der neuen Gemeinde hatte man ihr klar gemacht, wie sehr sie sich damit, um sich selbst dreht, wie wenig sie von der Welt erkennt, wenn Sie Gott nicht sieht und wie unfrei sie dadurch ist, dass sie sich an nichts und niemanden binden wollte. Wahrscheinlich war sie dann zu sehr ins andere Extrem gerutscht. Ihre alten Freunde hatten sich abgewendet, als sie diese voller Begeisterung missionieren wollte. Sie wollten keine Sünder sein, die erst Jesus finden müssen, um gerettet zu werden. Zu offensiv hatte sie die Angst um das Heil ihrer Freunde zur Eiferin gegen die Sünde gemacht.
Zunächst hatte sie es gar nicht gemerkt, wie Sie sich durch ihren Fanatismus Stück für Stück selbst von ihrem alten Leben ausschloss. Jetzt aber waren es die neuen Freunde, die sich abwendeten, die sie aus ihrer Kirche ausgeschlossen hatten. Das hat ihr die Augen geöffnet. Sie konnte den strengen Vorschriften und moralischen Regeln ihrer Gemeinde nicht genügen. So sehr sie sich auch anstrengte, betete, Lobpreislieder sang und Bibel las - sie war und blieb eben eine Sünderin.
Noch war in Ihr alles durcheinander. Was richtig und falsch war, konnte Sie nicht mehr sagen. Und doch fühlte sie sich Gott näher als jemals zuvor. Jetzt wo sie wusste, dass sie weder durch die Ignoranz Gott gegenüber noch durch den Versuch den Makel der Sünde los zu werden auch nur irgendetwas bewegen konnte. War nicht Jesus ebenfalls ausgeschlossen worden? Von seinen Glaubensgenossen verraten, von den Freunden verlassen, von Gott verkauft für die Sünden der Menschen?
Wie es jetzt weitergehen sollte? Sie wusste es nicht. Aber erst jetzt, wo sie nicht mehr blind war für die Wirklichkeit Gottes, - aber erst jetzt, wo sie nicht mehr sehen konnte, wie denn nun eigentlich ihr Weg zu Gott aussehen könnte, - erst jetzt hatte sie als sehend gewordene Blinde das Gefühl: Christus hat mich gefunden.
Sünde – verlorenes Wort,
so verloren wie Gott.
Und doch
der innerste Riss
in mir selbst,
in der Welt,
was mich trennt
von mir,
von dir
und von Gott.
Der Kreis ist geschlossen,
in dem ich
gefangen,
gehalten, gebunden,
fixiert,
unauflöslich.
Und doch fällt
ein Wort,
den Kreis zu sprengen,
Fixierung zu lösen,
das Herz zu beleben-
barmherziger Gott,
denn da,
wo der Riss ist,
der Leben zerstörende,
Gott selbst
von Menschen zerrissen,
denn da,
wo Tod ist
und Sterben und Leiden,
Gott selbst, auf der Seite der Opfer,
zur Sünde gemacht.
Und es geschieht das Wunder,
dass aus dem Riss
das Leben,
aus dem Tod
die Liebe,
aus der Sünde neues Sein
entsteht.[ii]
[i]Vgl.: Sebastian Kuhlmann in: Göttinger Predigtmediation. 3. Vierteljahresheft 2013, 67. Jahrgang, Heft 4, S. 405.
[ii]Meditation zu 2Kor 5,21 aus: Gunda Schneider-Flume. Grundkurs Dogmatik, S. 243. Göttingen 2003
Perikope
Datum 22.09.2013
Reihe: 2012/2013 Reihe 5
Bibelbuch: Johannes
Kapitel / Verse: 9,35
Wochenlied: 346
Wochenspruch: 1 Joh 5,4c