Supergau und Hoffnung. Die Predigt aus dem ZDF-Fernsehgottesdienst mit Heim-statt Tschernobyl e.V.
40, 28-31

Supergau und Hoffnung. Die Predigt aus dem ZDF-Fernsehgottesdienst mit Heim-statt Tschernobyl e.V.

Predigttext:

Weißt du nicht? Hast du nicht gehört? Der HERR, der ewige Gott, der die Enden der Erde geschaffen hat, wird nicht müde noch matt, sein Verstand ist unausforschlich. Er gibt dem Müden Kraft, und Stärke genug dem Unvermögenden. Männer werden müde und matt, und Jünglinge straucheln und fallen; aber die auf den HERRN harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.

Jesaja 40, 28-31 (Lutherbibel 1984)

 

Pfarrer Rainer Wilmer, Predigt I:

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen.

Liebe Gemeinde,

was wir da über das Engagement von Heim-statt Tschernobyl gehört haben, macht Mut. Eine Erfolgsgeschichte.

So vieles ist passiert: Häuser sind gebaut worden, Mutter-Kind-Freizeiten, erste alternative Energiegewinnung in Weißrussland mit den Windrädern.

Wenn man sich einsetzt und etwas bewegen kann, dann zieht das mit, zieht Kreise. Menschen wurden aus der Schreckensstarre nach der Katastrophe herausgerissen. Sie konnten beginnen, ihr Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen.

Merkten auf einmal: ich kann selbst etwas tun, ich übernehme Verantwortung für mich und mein Leben. Das macht Spaß.

Vielleicht haben die Erzählungen vom gemeinsamen Aufbau in Ihnen Erinnerungen geweckt, wie Sie selbst ihr eigenes Haus gebaut haben, wie man gemeinsam mithilfe von Freunden ein Projekt  ins Leben rufen kann. Einer half dem Andern.

Natürlich war das auch anstrengend. Es war eine Herausforderung. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Ich war gefordert. Aber ich kann es auch schaffen. Häuser sind gebaut worden. Menschen haben sich eine neue Heimat geschaffen. Also: Ende gut – alles gut?

Leider nicht. Während wir mit der Vorbereitung dieses Gottesdienstes befasst waren, bekamen wir eine schlechte Nachricht: 

 

Dietrich von Bodelschwingh, Pfarrer i. R. und Initiator von Heim-statt Tschernobyl:

Weißrussland plant mit - russischer Finanzhilfe 50 Kilometer vom ersten Umsiedlungsdorf Drushnaja  entfernt ein neues Atomkraftwerk.  Der erste Kühlturm bedroht - weit sichtbar-bereits  die Umgebung. Wir diskutieren, wie wir jetzt noch weiter machen können…

 

Pfarrer Rainer Wilmer, Predigt II

Diese Nachricht hat richtig „runtergezogen“.  Und wütend gemacht. Weil sie ignoriert, wie verletzlich wir Menschen sind. Und mit einem Federstrich jahrzehntelange Arbeit in Frage stellt. Das frustriert und macht müde. Sehr müde.

Unser Handeln kommt hier nicht zu einem kein happy end. Und so steht die Frage im Raum: Macht das alles noch Sinn?

Der Prophet Jesaja – wir hörten ihn eben – forderte seine Zuhörer in einer für sie ähnlich aussichtslos scheinenden Situation auf: Harrt auf den Herrn!

Ein altes Wort „harren“, das gewöhnlich mit „warten“  übersetzt wird.

Wartet auf den Herrn, das klingt nach frommer Passivität.  Die Hände in den Schoß legen, man kann ja eh nichts machen? Gott wird´s schon richten. Eine solche Frömmigkeit wäre fatal und wird mit Recht kritisiert. Doch diese Haltung meint Jesaja nicht.

Harrt auf den Herrn – das heißt: Wartet wie eine Spinne in ihrem Netz wartet. Wach und aufmerksam, gespannt auf die leiseste Bewegung ausgerichtet. So sollen Jesajas Zeitgenossen, so sollen wir auf Gott warten.

Wer so wartet, wer so harrt, rechnet mit Veränderung.  Bleibt widerständig. Erklärt sich nicht mit den Zuständen einverstanden. Besteht darauf, dass die Dinge sich ändern. Auch, wenn die eigenen Kräfte nicht reichen.

Wenn es nur an uns und unseren Möglichkeiten läge, dann müssten wir verzweifeln. „Männer werden müde und matt, und Jünglinge straucheln und fallen...“ sagt Jesaja mit leiser Ironie. Der Prophet aber rechnet mit Gott und hofft auf ihn. „Harrt auf den Herrn“ ruft er seiner Gemeinde zu. „Die Welt muss nicht so bleiben, wie sie ist. Die Zukunft schreibt die Gegenwart nicht einfach weiter. Sie steht offen. Die Welt ist Gott noch nicht los.“

Natürlich schützt einen das nicht vor Zweifeln. Enttäuschungen können nunmal hart treffen und jeden Lebensmut rauben. Selbst  wer auf Gott wartet, kennt Erschöpfung. Und Zeiten, in denen die „Flügel“ matt herunter hängen. Da nützt es dann auch nichts, dass andere auf die Schulter klopfen und fröhliche Sprüche machen, die wie Durchhalteparolen klingen. Von Kummer auf Freude umschalten – das funktioniert nicht.

Der Prophet Jesaja weiß das wohl und wählt darum ein wunderbares Bild. Im Hebräischen, der Sprache der Bibel, sagt er wörtlich:

Die auf den Herrn harren, „mausern“ sich. (Gefunden bei Rolf Wischnath, Predigt vom 17.12. 2006)

Gewiss: Ein Vogel in der Mauser ist ja erstmal ein trauriger Anblick. Und entspricht dem  Zustand der Kraftlosigkeit, die oft mit Schicksalsschlägen und Enttäuschungen einhergeht. Was bisher schützte und schmückte, muss man ablegen. Eine Mauser macht müde und matt, sie ist eine Kraftanstrengung des ganzen Wesens. Das Hoffnungsvolle an dem Bild aber ist: die Mauser ist ein Durchgangsstadium. Die Mauser geht vorbei. Es wird wieder besser werden.

Geistlich in der Mauser sein, meint einen inneren Prozess. Ich harre aus, ich halte aus, weil ich darauf hoffen kann, dass Gott mit dieser Welt noch etwas anderes vorhat und sie nicht unseren Un-Taten überlässt. Diese Hoffnung lässt uns weiter machen.

Mir helfen dazu solche Hoffnungstexte wie dieser von Jesaja. Worte, die auf der Hoffnung auf eine andere Welt bestehen, sie aufrecht erhalten oder manchmal auch erst wecken. Die sich nicht zufrieden geben mit der Welt, wie sie ist.

Von dieser Hoffnung können wir hören und wir können sie besingen: „Herr, du bist die Hoffnung, wo Leben verdorrt, auf steinigem Grund, wachse in mir,
sei keimender Same, sei sicherer Ort, treib Knospen und blühe in mir“.  Für mich sind diese Worte wie Treibstoff, der in Bewegung setzt.

Der Verein Heim-Statt-Tschernobyl hat das eindrucksvoll gezeigt: Die Begegnung mit dem Leid durch den GAU in Tschernobyl hat Menschen motiviert. Sie handelten und konnten Dinge bewegen, angetrieben  durch die Hoffnung, etwas zum Guten wenden zu können.

All das, was sie erreicht haben, wird durch die neuen Pläne nicht überflüssig. Schon gar nicht ihre Erfahrung, wie Menschen, die sich vorher nicht kannten, miteinander neue Lebenshäuser bauen. Was da Hand in Hand ging, wird nicht ausgelöscht. Es  ist nicht vergeblich. Die Arbeit wird weiter gehen.

Sie zeigt beispielhaft: Wir können etwas bewegen, können Verantwortung übernehmen für uns und manchmal auch für andere, die es jetzt eben nicht mehr können. Wir können an der Lösung von Problemen arbeiten. Und es ist gut zu erfahren, dass wir dabei nicht alleine sind.

Wir sind gemeinsam unterwegs in Süd und Nord und Ost und West und von Generation zu Generation. Festhalten an der Hoffnung und Harren auf den Herrn. Wir  sind noch nicht fertig. Gott hat noch etwas mit uns vor. Er führt uns in eine Zukunft, die er werden lässt. Wenn wir mit unseren Ideen am Ende sind, hat er immer noch eine Idee für das, was kommt. Damit wir dann Schwingen treiben wie Adler, dass wir laufen und nicht matt werden, dass wir wandeln und nicht müde werden. Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft erfassen kann, bewahre Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.