"Tatort Baum", Predigt über Lukas 19,1-10 von Stefan Henrich
19,1

"Tatort Baum", Predigt über Lukas 19,1-10 von Stefan Henrich

„Tatort Baum“
Liebe Gemeinde,
kennen sie den Unterschied zwischen dem Zöllner Zachäus damals und uns selber, wenn wir heute Abend Tatort gucken?
  Antwort: Wir sitzen in der ersten Reihe.
Und was ist Zachäus damals und uns heute Morgen gemeinsam?
Wir feiern Abendmahl.
Zuerst aber zu der ersten Reihe.
  Zachäus wollte da gerne stehen, um Jesus zu sehen. Es hatte sich herumgesprochen im Ort, Jesus würde kommen. Alle Welt eilte herbei, um ihn zu sehen. Die Straße ist dicht gesäumt von den vielen Menschen und da hat Zachäus nun ein Problem. Genau genommen zwei Probleme hat er.
  Das erste: Viele Leute mögen Zachäus nicht und lassen ihn nicht durch, sie fahren die Ellenbogen aus und schubsen ihn richtiggehend weg. Warum mögen die Leute Zachäus nicht? Weil Zachäus reich ist und ein Gauner dazu, seinen Reichtum hat Zachäus sich auf Kosten der Leute geholt.
  Zachäus ist Zöllner und da zieht er den Leuten den Geld aus der Tasche. Er spielt seine eigene Macht aus und nimmt das Geld von den Passanten, viel mehr, als die haben, und mehr als es nötig wäre. Zudem arbeitet er als Zöllner im Auftrag der verhassten römischen Besatzungsmacht, das alleine ist schlimm genug.
  Eigentlich ist klar, warum die Leute Zachäus nicht durchlassen jetzt, da er nicht in seiner sicheren Zollstation sitzt. Das also ist das erste Problem, das Zachäus hat, da er Jesus sehen will.
  Das zweite Problem ist, dass Zachäus klein ist von Gestalt. Er kann nicht über die Leute hinweg schauen, um zumindest einen Blick von Jesus zu erhaschen.
  Da tut Zachäus etwas, was ungewöhnlich ist für einen reichen erwachsenen Mann. Zachäus klettert auf einen Baum, um sich dort bessere Sicht zu verschaffen. Die da unten werden nur drauf gewartet haben, dass er runterfällt aus dem Geäst des Baumes.
Aber der Zöllner tut der Menge diesen Gefallen nicht, er bleibt oben sitzen und wartet darauf, Jesus zu sehen.
Als Jesus kommt, passiert das, was ich als ein grundlegendes Geschehen evangelischen Glaubens bezeichnen möchte.
  Der alles andere als wohlgelittene Mann auf dem Baum wird von Jesus gesehen. Jesus schaut hoch zu ihm und spricht ihn an: „Zachäus, komm schnell runter, bei dir will ich heute einkehren.“
  Dieser Satz, liebe Gemeinde, muss wie eine Ohrfeige im Gesicht der Schaulustigen am Straßenrand gesessen haben. Alle diese warten doch auf Jesus. Alle hoffen insgeheim darauf, dass Jesus zu ihnen Kontakt aufnimmt. Zu ihnen, die sie rechtschaffen sind und ordentlich, politisch korrekt verhalten sie sich und sie können sich spreizen mit ihren guten Taten. Und was erleben sie?  All das sieht Jesus nicht, sein Blick geht geradewegs über sie hinweg ausgerechnet zu dem stadtbekannten Schuft und Gauner Zachäus. Welch eine Brüskierung!
  Kein Wunder, dass die Leute später über Jesus nichts Gutes sagen. Ein  Fresser  und Weinsäufer sei er, ein Freund der Huren und Sünder.
  Aber, liebe Gemeinde, gerade in diesem unvermutet überraschenden Verhalten Jesu liegt das ganze Evangelium von der Gnade und Liebe Gottes verborgen.
  Zachäus nämlich freut sich einen Ast und fällt nicht von demselben.
  Er, der geschnittene und verhasste Zöllner darf Gastgeber sein für Jesus. Welch eine Freude, welch ein Glück.Schnell steigt er runter vom Baum und geht mit Jesus froh nach hause. Wen wundert es, dass die Leute murren.
  Und dann im Zuge der Einkehr Jesus ereignet sich Wundersames. Zachäus tischt auf und gibt von seinem Glück weiter. Die Hälfte seines Besitzes will er den Armen geben und alle diejenigen, die er betrogen hat, will er vierfach entschädigen.
  Hierin liebe Gemeinde, liegt der evangelische Clou der Geschichte. Nicht etwa die Forderung Jesus nach einem besseren Leben ist der Auslöser für gutes Verhalten, sondern alleine die Zuwendung und Liebe, die Zachäus erfährt. Jesus sagt nicht zu Zachäus: „Ich weiß dass du ein Betrüger bist, aber wenn du dich besserst, will ich mit dir zu Tisch sitzen.“ Nein, bedingungslos geht Jesus auf Zachäus zu, er sieht den kleinen Mann mit seinem Gaunerherzen und stößt ihn doch nicht weg, so wie das die vielen Passanten tun. Heil wird in der Begegnung gewirkt, die Liebe Jesus alleine wirkt Umkehr bei Zachäus.
   Anders gesagt: Die Wiedergutmachung des Zachäus ist keine Voraussetzung für die Zuwendung Jesu. Jesus geht vielmehr mit der Liebe Gottes hin zu den verlorenen Sündern, und gerade im Hintragen dieser Liebe liegt die Chance zur Umkehr.
Liebe Gemeinde, zu Beginn der Geschichte steht Zachäus  nicht in der ersten Reihe, er sitzt ganz hinten auf einem Baum. Zum Ende der Geschichte aber sitzt er an der Festtafel mit Jesus zusammen. In seinem Haus ist Jesus eingekehrt, sein Herz hat Jesus erreicht. Heil ist seinem Haus widerfahren.
Wenn wir heute hier in unserer Kirche das Abendmahl feiern, dann tun wir das auch im Sog der heilvollen Entwicklung der Zachäusgeschichte. Gott lädt uns ein, unter den Zeichen von Brot und Wein uns von Jesu Liebe umgreifen und ummanteln zu lassen. Unsere Schuld, unsere Not kann und soll uns nicht trennen von Gott. Das Wort seiner Gnade ist all unserem Unvermögen zuvor. Versöhnung und Vergebung, Barmherzigkeit und Liebe schenkt er uns, die wir in seinem Namen versammelt sind.
  Heil widerfährt uns heute, denn Jesus Christus lädt uns ein, er schaut uns mit den liebenden Augen Gottes an und kehrt ein in unser Herz und Sinnen.
Amen