Tatsächlich Liebe?! - Predigt zu Lk 22,47-53 von Barbara Bockentin
22,47-53

Als er aber noch redete, siehe, da kam eine Schar; und einer von den Zwölfen, der mit dem Namen Judas, ging vor ihnen her und nahte sich Jesus, um ihn zu küssen. Jesus aber sprach zu ihm: Judas, verrätst du den Menschensohn mit einem Kuss?
Als aber, die um ihn waren, sahen, was geschehen würde, sprachen sie: Herr, sollen wir mit dem Schwert dreinschlagen? Und einer von ihnen schlug nach dem Knecht des Hohenpriesters und hieb ihm sein rechtes Ohr ab. Da sprach Jesus: Lasst ab! Nicht weiter! Und er rührte sein Ohr an und heilte ihn.
Jesus aber sprach zu den Hohenpriestern und Hauptleuten des Tempels und den Ältesten, die zu ihm hergekommen waren: Ihr seid wie gegen einen Räuber mit Schwertern und mit Stangen ausgezogen? Ich bin täglich bei euch im Tempel gewesen, und ihr habt nicht Hand an mich gelegt. Aber dies ist eure Stunde und die Macht der Finsternis.

Schluss

Der Moment, vor dem er sich gefürchtet hatte, war da. Unausweichlich.
Die Konsequenzen trugen beide.

Gespürt hatte er es schon einige Zeit.
Die Liebe war nicht mehr heiß. Sie war am Erlöschen.
Vor dieser Erkenntnis hatte er sich gedrückt.
Was war der Grund? Brauchte es überhaupt einen Grund?
Wusste nicht, ob das entscheidend war.
Er wusste nur, dass es Zeit war, die Beziehung zu beenden.
Nur wie?
Per WhatsApp? Freunde hatten es so gemacht. Er hielt es für feige. Nein, das kam nicht infrage. Er wollte ihr ins Gesicht sehen. Sich nicht drücken. Ihr deutlich machen, was ihn zu diesem Schritt bewogen hatte. Auch wenn er jetzt noch nicht wusste, was er sagen würde.
Deshalb suchte er sie. Er wusste wo. Schließlich kannte er sie gut.
Wie er es sich gedacht hatte, fand er sie. Ganz in Gedanken versunken saß sie da.
Sie bemerkte ihn nicht sofort. Als sie schließlich den Kopf hob und ihn sah, stand sie auf. Blickte ihm entgegen. Stutzte. Hielt in der Bewegung inne. Blieb abwartend stehen.
Er nahm all seinen Mut zusammen. Schluckte. Trat auf sie zu.
Sie verstand.
Ohne Worte.
Deutete seinen Blick.
Sah ihn an. Traurig.
Als er versuchte, sie zu umarmen, entzog sie sich ihm.
Das war zu viel.

Schutz

„Willst du den Menschensohn wirklich mit einem Kuss verraten?“
Der Moment, den Jesus gefürchtet hatte, war da.
Die Ahnung war zur Wirklichkeit geworden.
Wirklich war geworden, dass es einer von den Zwölf war.
Einer der engsten Vertrauten.
Einer von denen, mit dem er in den letzten Jahren sein Leben geteilt hatte.
Der an seiner Seite gewesen war.
Der gesehen hatte, wie er Menschen geheilt hatte.
Der ihm zugehört hatte.
Der wusste, wie er dachte. Was er glaubte.
Jetzt dieser Schritt.
Bloß nicht noch einmal zulassen, dass er ihm nahe kam.
Körperlich.
Seinem Gefühl.
Auf Abstand halten.
Bitter klangen seine Worte.
Enttäuschung schwang in ihnen mit.
Auch eine Ahnung davon, wie schwer es für Judas war.
Das Wissen darum, wie schwer es für ihn war.

Unsichtbare Schranken

Von den anderen bemerkte niemand, was da passierte. So, wie sie eben nicht gemerkt hatten, wie sehr er eben noch mit Gott gerungen hatte. So auch jetzt. Seine Angst verschloss er in sich. Auch wie schwer es ihm gefallen war, sich Gottes Willen unterzuordnen. Es war, als ob er sie bis zum letzten Moment von der einbrechenden Realität abschirmte.

So wies er alle in ihre Schranken. Indem er für sich behielt, wie ihm zumute war.
Die Häscher bezichtigte er der Feigheit. Sie taten, als ob er ein Schwerverbrecher auf der Flucht wäre. Dabei hatte er sich nie versteckt. Oder ein Blatt vor den  Mund genommen. Jetzt dies – unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Die Jünger schalt er für ihre Voreiligkeit. Er ergab sich. Er tat, worum er die Nacht über gerungen hatte.
Noch einmal tat er, was er in der Vergangenheit immer wieder getan hatte. Er wandte sich dem zu, der seine Hilfe brauchte, dem verwundeten Soldaten. Er heilte ihn. Ungeachtet dessen, was dieser vorhatte. Ungeachtet seiner Person.
Noch einmal wandte er sich Judas zu. Wies ihn zurück. Verweigerte die Berührung. Genau damit bewies er ihm, dass er ihn verstand. Dass seine Liebe zu ihm ungebrochen war. Indem er ihm eine Grenze setzte. Er wusste, dass Judas nicht anders konnte. Doch ein Liebesbeweis? Abstand, was war für beide besser.

Der Moment, vor dem er sich gefürchtet hatte, war da. Unausweichlich.
Die Konsequenzen trugen beide.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Barbara Bockentin

1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Bei der Vorbereitung tauchten Menschen vor meinem inneren Auge auf, die schon einmal vor dem Scheitern einer Beziehung oder gar ihrer Ehe gestanden haben. Oder erlebt haben, wie es ist, wenn Freunde sich plötzlich abwenden.   

2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Weshalb war es Jesus so wichtig, dass Judas ihm nicht nahe kam? Für dieses Verhalten habe ich nach einem Zugang gesucht.

3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Ganz sicher wird mich weiter begleiten, dass das abwehrende Verhalten Jesu eigentlich voller Zuwendung ist.

4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Die Unterstützung, die ich bei meiner Coach durch ihre positive Resonanz fand, hat es mir leicht gemacht, zu verstehen, wo eine Überarbeitung für mein Anliegen hilfreich ist.
Dafür bin ich sehr dankbar.

 

Perikope
12.03.2023
22,47-53