"Taufwasser in der Beziehungskiste" - Predigt über Johannes 1, 29-34 von Wolfgang Vögele
1,29
Der Predigttext für den 1.Sonntag nach Epiphanias steht in Joh 1,29-34:
„Am nächsten Tag sieht Johannes, dass Jesus zu ihm kommt, und spricht: Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt! Dieser ist's, von dem ich gesagt habe: Nach mir kommt ein Mann, der vor mir gewesen ist, denn er war eher als ich. Und ich kannte ihn nicht. Aber damit er Israel offenbart werde, darum bin ich gekommen zu taufen mit Wasser. Und Johannes bezeugte und sprach: Ich sah, dass der Geist herabfuhr wie eine Taube vom Himmel und blieb auf ihm. Und ich kannte ihn nicht. Aber der mich sandte zu taufen mit Wasser, der sprach zu mir: Auf wen du siehst den Geist herabfahren und auf ihm bleiben, der ist's, der mit dem Heiligen Geist tauft. Und ich habe es gesehen und bezeugt: Dieser ist Gottes Sohn.“
Liebe Gemeinde,
Johannes der Täufer und Jesus von Nazareth pflegen eine besondere Art der Beziehungskiste, eine Männerfreundschaft wie sie noch nicht da war. Der Evangelist Lukas erzählt von der ersten, überraschenden Begegnung der schwangeren Mütter: Maria und Elisabeth sehen sich, begrüßen sich. Und die beiden ungeborenen Kinder sollen im Bauch ihrer Mütter gehüpft sein. Schon darin liegt ein großes Maß an Gelassenheit und Heiterkeit, obwohl die Freundschaft zwischen den beiden Ungeborenen später auch in die Schattenseiten des Lebens, in Folter und Todesurteil hineinführen sollte.
Mittelalterliche Malerei hat die Kinder Johannes und Jesus als fröhlich miteinander spielende Kinder gezeigt: Zwei nackte Knaben mit großem Heiligenschein ringen spielerisch oder jagen einem Ball nach, unter den liebevollen und mütterlichen Augen der stolz besorgten Maria. Auch die zweite Mutter Elisabeth schaut auf diesen alten Bildern manchmal zu. Die Spielszene ist eine passende fromme Erfindung der Maler, in der Bibel ist sie so nicht bezeugt. Sie nimmt die spätere Begegnung der beiden erwachsenen Männer vorweg. In dieser Begegnung leuchtet eine besondere Beziehung auf. Sie kann als Freundschaft beschrieben werden, aber sie ist noch weit mehr. Zwar begegnen sich Jesus und Johannes auf Augenhöhe, aber Johannes weiß sofort, daß zwischen den beiden ein angemessenes frommes Ungleichgewicht besteht. Dieses Ungleichgewicht prägt die Männerfreundschaft zwischen den beiden biblischen Gestalten.
Es lohnt sich, erst einmal ein paar Worte über Männerfreundschaften in Literatur, Film und Fernsehen zu verlieren. Männerfreundschaften sind ja manchmal kaschierte Feindschaften wie bei dem listigen Dorfpriester Don Camillo und dem ebenso gerissenen Peppone, dem Vorsitzenden der kommunistischen Ortsgruppe in dem kleinen Dorf Boscaccio in der italienischen Poebene. Don Camillo kämpft für seine Dorfkirche, gelegentlich liebevoll ermahnt von der Stimme des Auferstandenen, die er hört, wenn er vor dem Altar kniet und betet. Peppone kämpft für die kommunistische Weltherrschaft und gegen die katholische Kirche, die er als Knecht des Kapitalismus verachtet.
Wer sich die wunderbaren alten Schwarzweißfilme anschaut, erhält erstaunliche Eindrücke: Beide, der Kommunist und der Christ, legen so viel Übereifer an den Tag, daß die List Gottes die hohen Ansprüche und die hehren Ziele der beiden aneinander geketteten Widersacher leicht zum Besten der bürgerlichen wie der christlichen Gemeinde ausspielen kann. Das Gesicht des amüsierten Betrachters überzieht ein Schmunzeln.
Andere Männerfreunde ergänzen sich besser wie die Detektive Starsky und Hutch aus der alten amerikanischen Krimiserie oder die Kommissare Schenk und Ballauf aus den Kölner „Tatorten“. Schenk und Ballauf sind schräge, miesepetrige und aufbrausende Einzelgänger, die längst den Polizeidienst quittiert hätten, wenn sie sich nicht immer wieder neu auf ihren manchmal geliebten, manchmal gehaßten Partner einstellen würden. Schenk und Ballauf, die nach sechsundfünfzig „Tatorten“ ersichtlich graue Haare bekommen haben, begegnen sich irgendwie stets auf Augenhöhe. Der Erfolg ihrer Ermittlungen hängt davon ab, daß sie gleichberechtigt nach dem Täter suchen. Und für jede Abweichung muß der eine dem anderen ein Kölsch und eine Currywurst spendieren, an der berühmten Imbißbude am Kölner Rheinufer.
Andere Männerfreundschaften leben von der Ungleichheit der Beteiligten. Der dicke Sancho Pansa stapft mit dem Esel im Schlepptau seinem verrückten Herrn und Ritter Don Quichotte hinterher. Seufzend und stöhnend mildert er die versponnenen Kopfgeburten seines adligen Herrn durch kräftigen Dosen von Pragmatismus und Realismus ab. Herr und Knecht begegnen einander nicht auf derselben Augenhöhe. Don Quichotte sieht auf seinen Diener herab, den er für nicht mehr als einen Helfershelfer seiner erträumten Pläne hält. Umgekehrt verhält es sich genauso: Tief in seinem Herzen sieht Sancho Pansa auf seinen Herrn herab, weil er es leid ist, ständig dessen verwirrte und krumme Angriffe auf die Windmühlen der unverrückbaren Wirklichkeit zu dämpfen und, wo nötig, zu entschärfen und zu begradigen.
Freundschaft ist das instabile und gefährdete Verhältnis zwischen zwei Menschen. Sie ist auf Dauer angelegt. Je länger sie dauert, desto intensiver wird sie empfunden. Sie kann auf Gleichheit oder Ungleichheit beruhen, sie kann durch eine kaum verhohlene Feindschaft bestimmt sein. Manchmal wird sie von Gegensätzen, manchmal von Gemeinsamkeiten geprägt. Ungleichgewichte können in einer Freundschaftsbeziehung prägnante Akzente setzen.
All das schwingt auch bei der seit der Kindheit gepflegten Männerfreundschaft zwischen Johannes dem Täufer und Jesus von Nazareth mit. Es ließe sich nun mit dem psychologischen Maßband genau nachmessen, wie die beiden ihr Verhältnis biblisch immer wieder neu justiert haben. Aber bei Johannes dem Täufer und Jesus von Nazareth, den erwachsenen gewordenen Babyhüpfern kommt noch mehr hinzu, der theologische Überfluß von Taufe, Buße und Reich Gottes. Dieser theologische Überfluß macht die Freundschaft zwischen dem Täufer vom Jordan und dem Heiland aus Nazareth so einzigartig und unverwechselbar. Johannes bereitet vor, Jesus erfüllt – so läßt sich die Ungleichheit zwischen den beiden Freunden auf eine Formel bringen.
Johannes der Täufer ist Vorgänger, Vorläufer, Vorbereiter par excellence. Vorbereitung ist ja eigentlich kein Begriff, der aus der Sprache des Glaubens kommt. Alle halten das für selbstverständlich, wenn Läufer, Examenskandidatinnen und Klavierschüler sich intensiv auf Wettkämpfe, Klausuren und Prüfungen vorbereiten. Die einen stärken die Muskelkraft und verbessern ihre Schnelligkeit, die zweiten häufen so viel Wissen wie nötig an, und die dritten arbeiten an ihrer Fingerfertigkeit und Geschmeidigkeit. Wer sich nicht gut vorbereitet, wird nach zwei Dritteln des Laufs aufgeben, das Examen nicht bestehen oder sich beim Vorspiel verhaspeln.
Mit dem Glauben verhält es sich genau so – und doch völlig anders. Glauben heißt nichts anderes als sich gut und gründlich auf den kommenden Gott vorbereiten. Wie das geschieht, läßt sich an Johannes dem Täufer beispielhaft verfolgen. Die Glaubensvorbereitung des Johannes besteht darin, dreierlei zu lernen: Er lernt zu sehen. Er lernt zu unterscheiden. Und er lernt zu bezeugen.
Der Glaubende lernt zu sehen.
Wer sich vorbereitet, der ist wach für die unscheinbaren Zeichen Gottes im Leben. Der Glaubende sieht, wenn die Wahrheit über allseits verbreitete Lügen triumphiert, wenn Krankheit sich zurückzieht, wenn Gemeinschaft zwischen Zerstrittenen plötzlich und beglückend gelingt. Wer sich vorbereitet, der ist aufmerksam darauf, daß ihm in anderen Menschen Christus selbst begegnet – oder mindestens ein Engel. Wer sich vorbereitet, der plant sein Leben, in Weisheit und mit Bedacht. Planen nicht im Sinne eines Schachspielers, der die Rochaden und Springeropfer seines Lebens kühl berechnet. Vorbereitender Glaube nimmt in Demut alles auf- und an, was ihm Leben begegnet, unter Einschluß des bitteren Kelches, von dem Dietrich Bonhoeffer in seinem berühmten Gedicht aus der Gefängniszelle sprach.
Und der Glaubende lernt zu unterscheiden.
Er sucht nach dem Gott, dem er vertrauen kann und dem er sein Leben verdankt. Wer glaubt, der kann geduldig auf Gott warten, auch wenn seine Gegenwart für einen Moment nicht zu spüren ist. Er muß sein Leben nicht den vielen Götzen anvertrauen, die am Wegrand seines Lebens stehen und nach Verehrung und Aufmerksamkeit gieren. Wer glaubt, der lernt, zwischen Gott und Götzen zu unterscheiden. Wer diese Unterscheidung durchführt, der wendet sich dem Wirkungsvollen zu und vom wirkungslosen Götzen ab. Wer die Unterscheidung durchführt, der trennt zwischen Barmherzigkeit und Gnadenlosigkeit, zwischen dem wahrhaft Tragenden im Leben und dem nur oberflächlich Verheißungsvollen. Wer sich wie der Täufer vorbereitet, der lernt, zwischen Sünde und Glauben zu unterscheiden.
Wer glaubt und sich vorbereitet, der hat gelernt, daß er sein Leben nicht beherrschen und dominieren muß, sondern daß er in Gelassenheit und Hoffnung alles dem übergibt, der diese Welt selbst geschaffen hat. Die Vorbereitung des Glaubens besteht nicht darin, irgendeine eigene Leistung besonders zu perfektionieren. Niemand muß besonders gut beten, besonders gut singen. Niemand muß die Bibel besonders häufig gelesen haben. All das kann der Glaubende mit großer Gelassenheit und Ruhe tun. Denn er begegnet einem barmherzigen und gnädigen Gott. Dieer Gott ist kein König, kein überirdisches Wesen, kein metaphysischer Geist, sondern Gott ist – siehe zum letzten Mal im Januar die weihnachtliche Krippe – Mensch geworden. Darum ist er bei den Menschen und unter den Menschen zu finden. Und dieser Gottessohn will von all den Göttern unterschieden sein, welche die Menschen sich zu ihrem selbstsüchtigen und sündigen Vorteil ausdenken.
Zuletzt: Der Glaubende lernt zu bezeugen.
Die Vorbereitung des Glaubens besteht nicht darin, auf sich selbst zu schauen, sondern auf einen anderen. An die Stelle von Selbstverwirklichung tritt die Beziehung zu einem anderen. Johannes sucht den, der ihm nachfolgt. Er sucht den, den er angekündigt hat. Er sucht den, der größer ist als er. Deswegen schaut er sich um. Und er entdeckt seinen Heiland plötzlich in dem „Lamm, das der Welt Sünde trägt“. Gott zeigt sich nicht im Großartigen und Fundamentalen, sondern im Unscheinbaren, Kleinen, kaum Wahrnehmbaren und Schwachen. Alle Menschen brauchen das Zeugnis von dem Gott, der Mensch geworden ist. Der Täufer ist einer der ersten, die für dieses Zeugnis einstehen. Genau das macht das Wesen der Freundschaft zwischen Johannes und Jesus aus.
Vor Gericht ist es die Aufgabe des Zeugen, den Tathergang zu klären und den Täter zu be- oder entlasten. Pointiert formuliert: Der Zeuge ist ein Spielball zwischen Anklage und Verteidigung. Johannes der Täufer steht als Zeuge nicht zwischen Anklage und Verteidigung, sondern zwischen göttlicher Wahrheit und deren Leugnung. Johannes kann sagen: Ich habe den Heiland und Erlöser gesehen. Und er gibt weiter, was er erfahren hat, er macht sein Zeugnis öffentlich. „Dieser ist Gottes Sohn.“ Johannes tauft mit Wasser so wie wir alle mit Wasser getauft worden sind. Das Wasser macht uns zu Zeugen der Wahrheit, die in dem Menschen Jesus von Nazareth auf die Welt gekommen ist. Amen.
„Am nächsten Tag sieht Johannes, dass Jesus zu ihm kommt, und spricht: Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt! Dieser ist's, von dem ich gesagt habe: Nach mir kommt ein Mann, der vor mir gewesen ist, denn er war eher als ich. Und ich kannte ihn nicht. Aber damit er Israel offenbart werde, darum bin ich gekommen zu taufen mit Wasser. Und Johannes bezeugte und sprach: Ich sah, dass der Geist herabfuhr wie eine Taube vom Himmel und blieb auf ihm. Und ich kannte ihn nicht. Aber der mich sandte zu taufen mit Wasser, der sprach zu mir: Auf wen du siehst den Geist herabfahren und auf ihm bleiben, der ist's, der mit dem Heiligen Geist tauft. Und ich habe es gesehen und bezeugt: Dieser ist Gottes Sohn.“
Liebe Gemeinde,
Johannes der Täufer und Jesus von Nazareth pflegen eine besondere Art der Beziehungskiste, eine Männerfreundschaft wie sie noch nicht da war. Der Evangelist Lukas erzählt von der ersten, überraschenden Begegnung der schwangeren Mütter: Maria und Elisabeth sehen sich, begrüßen sich. Und die beiden ungeborenen Kinder sollen im Bauch ihrer Mütter gehüpft sein. Schon darin liegt ein großes Maß an Gelassenheit und Heiterkeit, obwohl die Freundschaft zwischen den beiden Ungeborenen später auch in die Schattenseiten des Lebens, in Folter und Todesurteil hineinführen sollte.
Mittelalterliche Malerei hat die Kinder Johannes und Jesus als fröhlich miteinander spielende Kinder gezeigt: Zwei nackte Knaben mit großem Heiligenschein ringen spielerisch oder jagen einem Ball nach, unter den liebevollen und mütterlichen Augen der stolz besorgten Maria. Auch die zweite Mutter Elisabeth schaut auf diesen alten Bildern manchmal zu. Die Spielszene ist eine passende fromme Erfindung der Maler, in der Bibel ist sie so nicht bezeugt. Sie nimmt die spätere Begegnung der beiden erwachsenen Männer vorweg. In dieser Begegnung leuchtet eine besondere Beziehung auf. Sie kann als Freundschaft beschrieben werden, aber sie ist noch weit mehr. Zwar begegnen sich Jesus und Johannes auf Augenhöhe, aber Johannes weiß sofort, daß zwischen den beiden ein angemessenes frommes Ungleichgewicht besteht. Dieses Ungleichgewicht prägt die Männerfreundschaft zwischen den beiden biblischen Gestalten.
Es lohnt sich, erst einmal ein paar Worte über Männerfreundschaften in Literatur, Film und Fernsehen zu verlieren. Männerfreundschaften sind ja manchmal kaschierte Feindschaften wie bei dem listigen Dorfpriester Don Camillo und dem ebenso gerissenen Peppone, dem Vorsitzenden der kommunistischen Ortsgruppe in dem kleinen Dorf Boscaccio in der italienischen Poebene. Don Camillo kämpft für seine Dorfkirche, gelegentlich liebevoll ermahnt von der Stimme des Auferstandenen, die er hört, wenn er vor dem Altar kniet und betet. Peppone kämpft für die kommunistische Weltherrschaft und gegen die katholische Kirche, die er als Knecht des Kapitalismus verachtet.
Wer sich die wunderbaren alten Schwarzweißfilme anschaut, erhält erstaunliche Eindrücke: Beide, der Kommunist und der Christ, legen so viel Übereifer an den Tag, daß die List Gottes die hohen Ansprüche und die hehren Ziele der beiden aneinander geketteten Widersacher leicht zum Besten der bürgerlichen wie der christlichen Gemeinde ausspielen kann. Das Gesicht des amüsierten Betrachters überzieht ein Schmunzeln.
Andere Männerfreunde ergänzen sich besser wie die Detektive Starsky und Hutch aus der alten amerikanischen Krimiserie oder die Kommissare Schenk und Ballauf aus den Kölner „Tatorten“. Schenk und Ballauf sind schräge, miesepetrige und aufbrausende Einzelgänger, die längst den Polizeidienst quittiert hätten, wenn sie sich nicht immer wieder neu auf ihren manchmal geliebten, manchmal gehaßten Partner einstellen würden. Schenk und Ballauf, die nach sechsundfünfzig „Tatorten“ ersichtlich graue Haare bekommen haben, begegnen sich irgendwie stets auf Augenhöhe. Der Erfolg ihrer Ermittlungen hängt davon ab, daß sie gleichberechtigt nach dem Täter suchen. Und für jede Abweichung muß der eine dem anderen ein Kölsch und eine Currywurst spendieren, an der berühmten Imbißbude am Kölner Rheinufer.
Andere Männerfreundschaften leben von der Ungleichheit der Beteiligten. Der dicke Sancho Pansa stapft mit dem Esel im Schlepptau seinem verrückten Herrn und Ritter Don Quichotte hinterher. Seufzend und stöhnend mildert er die versponnenen Kopfgeburten seines adligen Herrn durch kräftigen Dosen von Pragmatismus und Realismus ab. Herr und Knecht begegnen einander nicht auf derselben Augenhöhe. Don Quichotte sieht auf seinen Diener herab, den er für nicht mehr als einen Helfershelfer seiner erträumten Pläne hält. Umgekehrt verhält es sich genauso: Tief in seinem Herzen sieht Sancho Pansa auf seinen Herrn herab, weil er es leid ist, ständig dessen verwirrte und krumme Angriffe auf die Windmühlen der unverrückbaren Wirklichkeit zu dämpfen und, wo nötig, zu entschärfen und zu begradigen.
Freundschaft ist das instabile und gefährdete Verhältnis zwischen zwei Menschen. Sie ist auf Dauer angelegt. Je länger sie dauert, desto intensiver wird sie empfunden. Sie kann auf Gleichheit oder Ungleichheit beruhen, sie kann durch eine kaum verhohlene Feindschaft bestimmt sein. Manchmal wird sie von Gegensätzen, manchmal von Gemeinsamkeiten geprägt. Ungleichgewichte können in einer Freundschaftsbeziehung prägnante Akzente setzen.
All das schwingt auch bei der seit der Kindheit gepflegten Männerfreundschaft zwischen Johannes dem Täufer und Jesus von Nazareth mit. Es ließe sich nun mit dem psychologischen Maßband genau nachmessen, wie die beiden ihr Verhältnis biblisch immer wieder neu justiert haben. Aber bei Johannes dem Täufer und Jesus von Nazareth, den erwachsenen gewordenen Babyhüpfern kommt noch mehr hinzu, der theologische Überfluß von Taufe, Buße und Reich Gottes. Dieser theologische Überfluß macht die Freundschaft zwischen dem Täufer vom Jordan und dem Heiland aus Nazareth so einzigartig und unverwechselbar. Johannes bereitet vor, Jesus erfüllt – so läßt sich die Ungleichheit zwischen den beiden Freunden auf eine Formel bringen.
Johannes der Täufer ist Vorgänger, Vorläufer, Vorbereiter par excellence. Vorbereitung ist ja eigentlich kein Begriff, der aus der Sprache des Glaubens kommt. Alle halten das für selbstverständlich, wenn Läufer, Examenskandidatinnen und Klavierschüler sich intensiv auf Wettkämpfe, Klausuren und Prüfungen vorbereiten. Die einen stärken die Muskelkraft und verbessern ihre Schnelligkeit, die zweiten häufen so viel Wissen wie nötig an, und die dritten arbeiten an ihrer Fingerfertigkeit und Geschmeidigkeit. Wer sich nicht gut vorbereitet, wird nach zwei Dritteln des Laufs aufgeben, das Examen nicht bestehen oder sich beim Vorspiel verhaspeln.
Mit dem Glauben verhält es sich genau so – und doch völlig anders. Glauben heißt nichts anderes als sich gut und gründlich auf den kommenden Gott vorbereiten. Wie das geschieht, läßt sich an Johannes dem Täufer beispielhaft verfolgen. Die Glaubensvorbereitung des Johannes besteht darin, dreierlei zu lernen: Er lernt zu sehen. Er lernt zu unterscheiden. Und er lernt zu bezeugen.
Der Glaubende lernt zu sehen.
Wer sich vorbereitet, der ist wach für die unscheinbaren Zeichen Gottes im Leben. Der Glaubende sieht, wenn die Wahrheit über allseits verbreitete Lügen triumphiert, wenn Krankheit sich zurückzieht, wenn Gemeinschaft zwischen Zerstrittenen plötzlich und beglückend gelingt. Wer sich vorbereitet, der ist aufmerksam darauf, daß ihm in anderen Menschen Christus selbst begegnet – oder mindestens ein Engel. Wer sich vorbereitet, der plant sein Leben, in Weisheit und mit Bedacht. Planen nicht im Sinne eines Schachspielers, der die Rochaden und Springeropfer seines Lebens kühl berechnet. Vorbereitender Glaube nimmt in Demut alles auf- und an, was ihm Leben begegnet, unter Einschluß des bitteren Kelches, von dem Dietrich Bonhoeffer in seinem berühmten Gedicht aus der Gefängniszelle sprach.
Und der Glaubende lernt zu unterscheiden.
Er sucht nach dem Gott, dem er vertrauen kann und dem er sein Leben verdankt. Wer glaubt, der kann geduldig auf Gott warten, auch wenn seine Gegenwart für einen Moment nicht zu spüren ist. Er muß sein Leben nicht den vielen Götzen anvertrauen, die am Wegrand seines Lebens stehen und nach Verehrung und Aufmerksamkeit gieren. Wer glaubt, der lernt, zwischen Gott und Götzen zu unterscheiden. Wer diese Unterscheidung durchführt, der wendet sich dem Wirkungsvollen zu und vom wirkungslosen Götzen ab. Wer die Unterscheidung durchführt, der trennt zwischen Barmherzigkeit und Gnadenlosigkeit, zwischen dem wahrhaft Tragenden im Leben und dem nur oberflächlich Verheißungsvollen. Wer sich wie der Täufer vorbereitet, der lernt, zwischen Sünde und Glauben zu unterscheiden.
Wer glaubt und sich vorbereitet, der hat gelernt, daß er sein Leben nicht beherrschen und dominieren muß, sondern daß er in Gelassenheit und Hoffnung alles dem übergibt, der diese Welt selbst geschaffen hat. Die Vorbereitung des Glaubens besteht nicht darin, irgendeine eigene Leistung besonders zu perfektionieren. Niemand muß besonders gut beten, besonders gut singen. Niemand muß die Bibel besonders häufig gelesen haben. All das kann der Glaubende mit großer Gelassenheit und Ruhe tun. Denn er begegnet einem barmherzigen und gnädigen Gott. Dieer Gott ist kein König, kein überirdisches Wesen, kein metaphysischer Geist, sondern Gott ist – siehe zum letzten Mal im Januar die weihnachtliche Krippe – Mensch geworden. Darum ist er bei den Menschen und unter den Menschen zu finden. Und dieser Gottessohn will von all den Göttern unterschieden sein, welche die Menschen sich zu ihrem selbstsüchtigen und sündigen Vorteil ausdenken.
Zuletzt: Der Glaubende lernt zu bezeugen.
Die Vorbereitung des Glaubens besteht nicht darin, auf sich selbst zu schauen, sondern auf einen anderen. An die Stelle von Selbstverwirklichung tritt die Beziehung zu einem anderen. Johannes sucht den, der ihm nachfolgt. Er sucht den, den er angekündigt hat. Er sucht den, der größer ist als er. Deswegen schaut er sich um. Und er entdeckt seinen Heiland plötzlich in dem „Lamm, das der Welt Sünde trägt“. Gott zeigt sich nicht im Großartigen und Fundamentalen, sondern im Unscheinbaren, Kleinen, kaum Wahrnehmbaren und Schwachen. Alle Menschen brauchen das Zeugnis von dem Gott, der Mensch geworden ist. Der Täufer ist einer der ersten, die für dieses Zeugnis einstehen. Genau das macht das Wesen der Freundschaft zwischen Johannes und Jesus aus.
Vor Gericht ist es die Aufgabe des Zeugen, den Tathergang zu klären und den Täter zu be- oder entlasten. Pointiert formuliert: Der Zeuge ist ein Spielball zwischen Anklage und Verteidigung. Johannes der Täufer steht als Zeuge nicht zwischen Anklage und Verteidigung, sondern zwischen göttlicher Wahrheit und deren Leugnung. Johannes kann sagen: Ich habe den Heiland und Erlöser gesehen. Und er gibt weiter, was er erfahren hat, er macht sein Zeugnis öffentlich. „Dieser ist Gottes Sohn.“ Johannes tauft mit Wasser so wie wir alle mit Wasser getauft worden sind. Das Wasser macht uns zu Zeugen der Wahrheit, die in dem Menschen Jesus von Nazareth auf die Welt gekommen ist. Amen.
Perikope