Liebe Gemeinde,
ich möchte heute mit Euch über Geld reden.
Ja, das muss auch mal sein.
Es ist ja nicht wahr, dass Geld „nicht so wichtig“ sei, wie manche sagen.
Aber das kann man eben nur sagen, wenn man genug davon hat.
Frage den Obdachlosen in der Fußgängerzone oder das hungernde Kind in Afrika oder die alte Frau mit den alten Plastiktüten drüben beim Aldi – die werden sicher nicht behaupten, dass Geld „nicht so wichtig“ sei.
Aber zuerst möchte ich: Danke sagen. Schließlich ist heute Erntedankfest, und da gehört das ja wohl dazu und am besten an die erste Stelle.
Klar – Dankbarkeit kann man nicht befehlen – auch nicht, wenn heute „Erntedankfest“ auf dem Kalender steht.
Dankbarkeit – die stellt sich ganz unvermittelt, ganz unplanbar, auf ganz wundersame Weise ein:
Wenn da plötzlich der Gedanke aufblitzt, dass alles, was ist, ja auch nicht sein könnte.
Wenn da plötzlich Kopf und Herz erkennen, wie unverdient reich wir sind.
Wie gesagt: Befehlen kann man so eine Dankbarkeit nicht.Aber die Haltung, die es dafür braucht, die kann man einüben, wenn man: Sehen lernt.
(Und überhaupt ist ja der Glaube nichts anderes als ein Sehen – nämlich mit Gottes Augen – und ist jeder Gottesdienst und ist jedes Miteinander und jeder Unterricht, den wir in Glaubensdingen halten, nichts anderes als eine Seh-Schule. Glauben lernen heißt: Sehen lernen).
Ich fange mal bei mir selber an.
Da ist der Trecker, der auf der Moorbeker Straße vor mir her tuckert, während ich es doch eilig habe und ungeduldig in Schlangenlinien fahrend schaue, ob ich ihn nicht irgendwie überholen kann, um zwei Minuten früher an mein Ziel zu kommen.
Da ärgere ich mich im Supermarkt darüber, dass diese eine Sorte Fleisch nicht da ist. Und mein Lieblingskäse… habe ich nicht beim letzten Einkauf noch deutlich weniger dafür bezahlt? Und ich ärgere mich über die Kassiererin, die griesgrämig auf meine Einkäufe schaut anstatt freundlich zu lächeln, wofür sie doch schließlich bezahlt wird…
Und jetzt einmal: (Ernte-) Dank-Haltung lernen. Für meinen Tag heute mal die Danke-Brille aufsetzen.
Danke, Du Landwirt da vor mir auf der Straße. Danke, dass Du früh aufstehst und spät ins Bett gehst und Tage und Jahre auf den Feldern verbringst, damit ich Brot zu essen habe, oder in den Ställen, damit ich Fleisch zu Essen habe – obwohl es sich für Dich oft kaum noch lohnt und Du Dich fragst, wie lange das noch so weiter gehen kann.
Danke, dass Du die Supermarktregale füllst mit so vielem, das ich für viel zu wenig Geld dort jahraus, jahrein kaufen kann.
Danke übrigens auch Du, Frau an der Kasse, die Du für wenig Geld Kunden anlächeln sollst, die ihre Kreditkarte zücken, als sei Almosen, was sie Dir bezahlen.
Macht mal mit!
Lenkt den Blick auf das, was Euch stört, auf das, was Euch ärgert, auf das, worüber Ihr Euch heute schon aufgeregt habt oder immer wieder aufregt.
Langsam und mit Pausen aus der Liste (ad libitum)
- Die Politik (die mit immer mehr Auflagen das Leben schwer macht).
- Die anderen (die meinen, immer alles besser zu wissen, und Dir das Gefühl geben, Du stündest am Pranger, während Du doch nur andere und Dich selber ernähren willst).
- Die Umstände (die doch ganz anders wären, wenn alles ganz anders wäre).
- Der Trotz, der Dir in grünen Holzbalken von den Feldern entgegen schreit, auf fragwürdige Weise religiöse Symbole von Tod und Leben gebrauchend (missbrauchend?).
- Das unfreundliche Wort, das Dir gesagt, obwohl Du doch ganz sicher alles richtig gemacht hast.
- Die mangelnde Wertschätzung für Deine Mühen tagaus, tagein, die so tut, als sei selbstverständlich, was Du tust, ob es Dir gut geht oder schlecht.
- Und ganz bestimmt so manches mehr…
(Stille – vielleicht mit Musik begleitet)
Und nun tu einmal all das zur Seite – ganz gleich, wie berechtigt oder unberechtigt Dein Ärger und Dein Verdruss sein mag.
Langsam und mit Pausen die o.g. „Liste“ stichwortartig wiederholen.
(Stille und Musik Ende)
Und nun schau einmal nach vorne zum Altar.
Die vielen Gaben, die hier versammelt.
Ein Ausschnitt nur dessen, was ist und was auch nicht sein könnte.
Symbol für so vieles, für das Du sagen könntest: Danke.
Symbol für einen Reichtum, der Dir geschenkt ist – in, mit und durch alle Arbeit hindurch, die Du selber hineingesteckt haben magst.
Es geht durch unsre Hände, kommt aber her von Gott…
Stimm ein in das Wort „Danke“.
Passt es?
Macht es etwas?
Mit dem, was Du hast?
Mit dem, was du nicht hast?
Mit Dir?
Ohne Ansage und nicht zu schwungvoll gespielt: EG 508
So, und nun lasst uns über Geld reden. Das heißt eigentlich:
Lasst uns reden über jene, die nicht so viel haben wie wir.
Lasst uns reden über jene, für die das tägliche Brot keine Selbstverständlichkeit ist, sondern die morgens mit Sorgen aufstehen und die abends mit Hunger ins Bett gehen.
Über die Obdachlosen in der Fußgängerzone.
Oder das Kind in Afrika.
Oder die Frau mit den Plastiktüten beim Aldi.
Über alle, die am Morgen nicht wissen, ob sie den Abend noch erleben und über jene, die am liebsten drei Kreuze machen möchten, wenn wieder ein Tag überstanden…
Denn sie sind nicht weniger als unsere Schwestern und Brüder.
Sie singen und beten, sie feiern und predigen, sie streiten sich und halten Gemeinschaft miteinander – im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.
Wie wir.
Sie brauchen unsere Gedanken. Sie brauchen unsere Gebete. Sie brauchen unser Mitgefühl.
Aber seien wir ehrlich: Sie brauchen auch und zuerst: Ihr tägliches Brot.
Denn von Gedanken und von Gebeten und von Mitgefühl wird man nicht satt.
Ihr ahnt es schon: Die Kollekte ist es, in der in einem jeden Gottesdienst diese Gemeinschaft, in der wir über den Erdball verbunden miteinander stehen, ganz konkret wird.
Die Kollekte ist nicht nur ein lästiger Teil des Gottesdienstes, der – insbesondere in Gemeinden, in denen die Kollekte im Gottesdienst gesammelt wird und nicht wie bei uns nur am Ausgang – die persönliche Andacht stört.
Sie ist der erste, ganz einfache und doch ganz konkrete Schritt, in dem unser Glaube, unsere Gebete, unsere Predigten, unsere Lieder praktisch und konkret werden, indem wir ganz real werden lassen, was wir in jedem Gottesdienst bekennen: Die Gemeinschaft der Heiligen.
6Das aber sage ich euch: »Wer spärlich sät, wird spärlich ernten. Und wer reichlich sät, wird reichlich ernten.«
7Jeder soll so viel geben, wie er sich selbst vorgenommen hat. Er soll es nicht widerwillig tun und auch nicht, weil er sich dazu gezwungen fühlt. Denn wer fröhlich gibt, den liebt Gott.
Das sage ich nicht. Das schreibt Paulus an die Gemeinde in Korinth, um sie zu begeistern für die Kollekte, die er gerade rund ums Mittelmeer für die in Not geratene Christenschar in Jerusalem sammelt.
Aber vom Prinzip her hat sich seit 2000 Jahren nichts verändert.
Es gibt jene, die nichts haben – und es gibt jene, die viel haben (selbst, wenn sie manchmal zu vergessen neigen, wie viel sie in Wahrheit haben).
Und Gemeinschaft, Gemeinde – ereignet sich im Miteinander-Teilen und im Abgeben – übrigens mit dem überraschenden Ergebnis, dass das Abgeben nicht nur die reich macht, die etwas bekommen, sondern auch, die etwas geben.
Geschenke machen ist oft viel erfüllender als Geschenke bekommen.
Und Teilen macht ganz – wie ich vor kurzem gelesen habe. Ein schöner, ein wahrer Gedanke, den man sich auf der Zunge und im Herzen zergehen lassen darf.
Und alle gemeinsam – und die Welt drum herum gleich mit!! – staunen, wie die Gemeinschaft des Glaubens, wie die Christinnen und Christen in aller Welt zusammenhalten und Anteil nehmen am Schicksal des anderen.
8Gott aber hat die Macht, euch jede Gabe im Überfluss zu schenken. So habt ihr in jeder Hinsicht und zu jeder Zeit alles, was ihr zum Leben braucht. Und ihr habt immer noch mehr als genug, anderen reichlich Gutes zu tun.9So heißt es ja in der Heiligen Schrift: »Er verteilt Spenden unter den Armen. Seine Gerechtigkeit steht fest für immer.«
10Gott gibt den Samen zum Säen und das Brot zum Essen. So wird er auch euch den Samen geben und eure Saat aufgehen lassen. Euer gerechtes Handeln lässt er Ertrag bringen. 11Er wird euch so reich machen, dass ihr jederzeit freigebig sein könnt. Und aus eurer Freigebigkeit entsteht Dankbarkeit gegenüber Gott, wenn wir eure Gaben überbringen.12Denn die Ausübung dieses Dienstes lindert nicht nur den Mangel, an dem die Heiligen leiden. Sie ist auch deshalb so wertvoll, weil sie große Dankbarkeit gegenüber Gott bewirkt. 13Weil ihr euch in diesem Dienst so bewährt habt, werden sie Gott loben. Denn daran sehen sie, dass ihr euch gehorsam zu der Guten Nachricht von Christus bekennt. Und an eurer Freigebigkeit merken sie, dass ihr mit ihnen und allen Gemeinschaft haltet. 14Und wenn sie für euch beten, werden sie das voll Sehnsucht nach euch tun. Denn sie haben erkannt, dass Gott euch in so reichem Maße seine Gnade geschenkt hat.
Was für eine Gemeinschaft. Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes – über alle Grenzen und über alle Hindernisse und über alle Unterschiede und über alle Fremdheit hinweg.
Und diese Gemeinschaft, diese gegenseitige Verbundenheit, diese Dankbarkeit – die strahlt aus.
In unsere Herzen und in unser Leben.
In unsere Kirchen.
In unsere Welt.
Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Meine Dorfgemeinde, die zum Erntedankfest recht zahlreich erscheint – Landwirte, die selten kommen, Oma Meyer, die immer kommt, Konfis, die ab und an kommen, Neugierige, die vielleicht zum ersten Mal kommen (hoffentlich nicht zum letzten Mal), Trauerfamilien…
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Der Drang vom Dank zum Teilen und das Staunen der Welt darüber, wie wir geschwisterlich miteinander umgehen. Der kleine Gedanke, dass Teilen ganz macht (ich habe ihn an einer katholischen Einrichtung in der Heidelberger Innenstadt gesehen und er geht mir nicht mehr aus dem Kopf).
Beflügelt hat mich außerdem die Lust auf die oben beschriebene Gemeinde – ich spreche gerne zu „meinen“ Leuten und habe Lust, mich mit ihnen auf den Weg in die Texte und von dort hinaus in die Welt zu machen.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Siehe oben: Teilen macht ganz – darüber werde ich noch weiter nachdenken – und sicherlich wird der Gedanke auch noch Teil mancher Predigt werden.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Ganz herzlichen Dank an den Predigtcoach für das intensive, kritisch-konstruktive Coaching!!