Theologisches und Zoologisches – Predigt zu Philipper 2,5-11 von Hans Uwe Hüllweg
2,5-11

Theologisches und Zoologisches – Predigt zu Philipper 2,5-11 von Hans Uwe Hüllweg

Theologisches und Zoologisches

Liebe Gemeinde,

mächtige Begriffe türmt unser Bibeltext heute auf: Es geht um „Entäußerung“, um „Erniedrigung“ und wiederum „Erhöhung“, um Jesu „göttliche Gestalt“, um „Gehorsam“ und „Tod“- wahre Begriffsgebirge; es geht um Irdisches und Unterirdisches; es geht um Gesinnung, um Gemeinschaft, um Bekenntnis und Ehre. Wegen dieser hehren Worte und dem in der Antike geläufigen Muster solcher Gedichte zur Helden- und Götterverehrung nennen die Fachleute diesen Text auch „Christushymnus“.

Aber mal ehrlich - jeder Predigtschreiber im homiletischen Seminar bekäme das Prädikat ‚mangelhaft‘ für solch eine Anhäufung riesiger und schwer verständlicher Begriffe. Es muss dennoch eine Möglichkeit geben, den Text zu verstehen! Ja, die gibt es - erstaunlicherweise in theologischer und zoologischer Gestalt.

Heute ist ja sozusagen der Sonntag des Esels. Zumindest ist ein Esel der Hauptakteur beim Einzug Jesu nach Jerusalem, wie wir es im Evangelium eben gehört haben. Also kann uns der Esel vielleicht auch helfen, etwas über diese großen Begriffe zu erfahren.

Blicken wir zunächst einmal zurück in eine lang vergangene Zeit, in die Urzeiten des Volkes Israel. Das Volk zieht – nicht unbedingt friedlich, aber mit Gottes Hilfe – in seine neue Heimat ein, in das „Land wo Milch und Honig fließt“, ein Land also, wo es in den Augen der wüstenerfahrenen und Entbehrungen gewohnten Israeliten alles im Überfluss gab. Die Einheimischen waren nicht gerade begeistert von der Aussicht, was sie haben, mit den neuen Bewohnern teilen zu müssen. (Parallelen zur heutigen Situation im Deutschland der Flüchtlingskrise sind rein zufällig.) Balak, dem König der Moabiter, zittern schon vor Schreck die Knie, und so schickt er einen freien Mitarbeiter, den Propheten und Magier Bileam. Der soll das Volk Israel verfluchen und ihm so die Kraft nehmen und es sozusagen unschädlich machen. Bileam sträubt sich zwar zunächst, aber der König überzeugt ihn schließlich [Fingergeste „Geld“]. Also sattelt Bileam seine Eselin und reitet los.

Doch mitten auf dem Weg erscheint den Beiden ein Engel des Herrn. Die Eselin läuft erschrocken aus der Spur. Bileam ist blind für den Boten Gottes und schlägt sein Reittier, um wieder auf den Weg zu kommen. Als die Eselin dann auch noch vor dem Engel auf die Knie fällt, wird Bileam noch wütender. Er versteht absolut nicht, was in seinen störrischen Esel gefahren ist. Doch schließlich offenbart sich der Engel auch Bileam. Der erschrickt furchtbar und bittet seine Eselin um Vergebung.

Es würde heute Morgen zu weit führen, die Bileam-Erzählung  ausführlich wiederzugeben (4. Mose 22ff). Sie ist dramatisch und spannend zu lesen. Und sie endet damit, dass Bileam einfach nicht in der Lage ist, das Volk Israel zu verfluchen, sondern es im Gegenteil segnen muss. Zu seinem Sinneswandel hat die Eselin maßgeblich beigetragen.

Dies war nicht das einzige Mal, dass Gott seinem Volk durch einen Esel den richtigen Weg gewiesen hat: Einige Jahrhunderte nach der Geschichte mit Bileam und seiner Eselin geht es Israel nicht gut: Es hat einige Kriege verloren, seine Oberschicht ist in Gefangenschaft und der Rest des Volkes lebt im Würgegriff der übermächtigen Gegner. Und Gott, wie gedenkt er seinem Volk zu helfen? Genau – Sie mögen es erraten haben: Er schickt einen Esel oder genauer den Erlöser, der auf einem Esel reitet. So jedenfalls prophezeit es Sacharja, und wir kennen den Spruch heute noch in der Vorbereitung auf Weihnachten. Und wieder ist es kein ausgewachsener kräftiger Esel, sondern ein Eselsfohlen:

Du, Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, jauchze! Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitet auf einem Esel, auf einem Füllen der Eselin. (Sach 9,9)

So machtlos, so kraftlos will Gott gegen die prächtigen Streitrösser der Welt antreten? Er macht sich ja praktisch lächerlich. Aber was schwach ist vor der Welt, hat bekanntlich bei Gott einen ganz anderen Wert.

Jesus schließlich kennt diese Verheißung. An jenem schicksalsträchtigen Tag, an dem Jesus nach Jerusalem einzieht, reitet auch er auf einem jungen Esel. Um ihn herum jubilieren die Menschen und legen Palmenzweige auf seinen Weg, weil sie glauben, das kommt der langerwartete, ja ersehnte Messias: „Hosianna! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn, der König von Israel!“ Auch so ein Hymnus.

Sie erhoffen wohl den revolutionären Messias, der sie machtvoll von der römischen Herrschaft befreit und Israel in alter Herrlichkeit erstrahlen lässt. Doch schon wenige Tage später werden sie bitter enttäuscht: Der vermeintliche Messias endet am Kreuz. Wie schon damals zur Zeit der alttestamentlichen Propheten kommt Gott auch dieses Mal nicht mit stürmischer Gewalt, Glanz und Gloria in die Welt, sondern arm und langsam auf einem Esel.

Esel in der Bibel, das sind die bedächtigen Reittiere, die aber besonders dadurch ausgezeichnet sind, dass sie den richtigen Weg gehen und anhalten, wo es notwendig ist – selbst wenn sie dafür Schläge einstecken müssen. Sie kennen ihren wahren Herrn. Sie können genau hinsehen und sehen so Dinge, die den eiligen, drängenden Menschen oft verschlossen bleiben. Entäußerung, Erniedrigung, Gehorsam sind zwar Begriffe, die Eseln mindestens so fremd sein dürften wie uns heute, und doch haben die Esel der Bibel ein Gespür dafür, was sie bedeuten. Es gibt kein besseres Reittier für den Messias.

Wenn wir heute Morgen, wie Bileam damals, einen sprechenden Esel hätten, könnte er uns vielleicht bei unserem gewaltigen und schwer lastenden Text auf die Sprünge helfen. Er würde uns vielleicht folgendes sagen: „Merkt ihr nicht, dass diese Worte das älteste Passionslied der Christenheit sind, schön und feierlich? Und wenn ihr genau hinhört, dann besingt dieses älteste Passionslied nicht ein göttliches Himmelswesen, sondern den Menschen Jesus von Nazareth. Es besingt ihn als Gebundenen und Geschundenen und Gekreuzigten. Das ist sozusagen das „O Haupt voll Blut und Wunden“ der ersten Christenheit. Gott, der uns oft so ferne und unfassbare Gott, ist in diese Welt gekommen, er ist fassbar geworden. Er ist euch zum Greifen nahe. So würde der Esel möglicherweise sprechen.

Die ersten Christen haben versucht, in ihrem Verständnis, mit den Bildern und Begriffen, die ihnen zur Verfügung standen, Jesus als den Christus zu umschreiben. Wie kann man die völlige Übereinstimmung von Jesus Christus mit Gott darstellen? Paulus beschreibt es kurz und knapp und trocken so: Er war göttlicher Herkunft.

Ja, Jesus hat seinen Ursprung außerhalb unserer Welt, er ist bei Gott, er kommt von Gott und Gott hat ihn ausgewählt. Es war schon zuvor Gottes Plan, dass wir Menschen das ewige Leben erben sollten. Durch seinen Sohn Jesus Christus hat er uns die Beglaubigung dafür gegeben. Wenn Jesus dieses Zeugnis durch seine Auferstehung liefern sollte, dann musste er allerdings zuvor erst geboren werden und sterben. Erst als der Gestorbene konnte er auferstehen. Dass er das konnte, war Ausweis seiner Gottessohnschaft.

Jesus wird Mensch, er begibt sich in die Unfreiheit unseres menschlichen Daseins. Jesus unterwirft sich nicht nur den menschlichen Daseinsbedingungen, sondern er nimmt auch deren letzte Konsequenz, den Tod, auf sich. Jesus Christus ist den Weg in die tiefste Tiefe gegangen, dorthin wo eigentlich kein Gott hingehört, wo sich kein anderer Gott dieser Welt freiwillig aufhält. Dorthin ging Jesus: Hinabgestiegen in das Reich des Todes...

In seinem Brief an die Gemeinde in Philippi schreibt der gefangene Paulus an eine verfolgte Gemeinde und tröstet sie, indem er ihr das Bild des leidenden Christus vor Augen hält. Mittelpunkt des Briefes ist dieser Christushymnus. Paulus hat diesen Hymnus, so sagen uns die Wissenschaftler, nicht selbst verfasst; denn er enthält Begriffe, die sonst nicht sein Stil sind. Dieses Passionslied wurde offenbar im Gottesdienst der frühesten christlichen Gemeinden gesungen, ein Lied auf die Passion und die Auferstehung Christi. Die Menschen wollten von Gott nichts wissen und haben das Jesus spüren lassen. Paulus nimmt es in seinen Brief auf. Er erinnert damit die Gemeinde in Philippi an dieses ihnen sicherlich bekannte Lied, das er noch ergänzt durch den Zusatz: „Er war gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz.“

Und dann mahnt der Apostel die Gemeinde in Philippi, unter Hinweis auf den dargestellten Weg Jesu, die Glieder der Gemeinde sollten in ihren Bedrängnissen und Leiden füreinander da sein. Wie drückt er sich aus? Ein jeder sei gesinnt, wie Jesus Christus es war. Ich könnte auch sagen: Seid unter euch auf das bedacht, was in Jesus Christus zur Geltung gekommen ist.

Was ist denn in Jesus Christus zur Geltung gekommen? Gottes Liebe zu uns Menschen, ja zu allen Menschen hat in ihm Gestalt gewonnen. Und seine Ergebenheit und Treue zu Gott, wie ich jetzt mal das Wort „Gehorsam“ übersetzen möchte, ist an ihm für jeden sichtbar geworden. Wenn wir nun gesinnt sind, wie Jesus Christus es war, dann kann das für uns nur bedeuten, unser Leben an ihm und, wie er, an Gott zu orientieren. Wer das weiß, den schrecken die Wortgebirge des Christushymnus nicht so sehr, sondern der schreitet auf seinem Glaubensweg durch Berg und Tal fröhlich voran.

Begegnete uns auf unserem Weg der sprechende Esel, unser theologisch-zoologischer Lehrer heute Morgen, würde er zum Schluss sicherlich den Apostel zitieren. „Geht miteinander um, wie es für die Gemeinschaft mit Jesus Christus selbstverständlich ist und bekennt: Jesus Christus ist der Herr.“1

Amen.

 

[1] Vgl. Das Neue Testament und frühchristliche Schriften. Übersetzt und kommentiert von Klaus Berger und Christiane Nord. Insel Verlag, Frankfurt a.M. und Leipzig 1999, zSt