"Torheit, die in Bewegung bringt", Predigt über 1. Korinther 2, 12-16 von Gunda Schneider
2,12
Torheit, die in Bewegung bringt
„Frohe Pfingsten“ wünschen wir uns, liebe Gemeinde. So wie zu allen großen christlichen Festen wünschen wir Freude. „Frohe Weihnachten“, Anlass für die Weihnachtsfreude ist die Geburt eines Kindes. „Frohe Ostern“ bringt die Freude über neues Leben zur Sprache, die Freude über die Überwindung von Schuld und Tod. „Frohe Pfingsten“ – was ist der Anlass dieses lieblichen Festes? Ist es einfach die Jahreszeit, die Freude macht? Gewiss ist das auch der Fall: „Schmückt das Fest mit Maien“, heißt es im Lied.
Pfingsten gerät alles in Bewegung, nicht nur in der Natur, wo es üppig grünt und wächst. Die Pfingsttage sind die Zeit vieler sehr bewegter Feste, Kirchweih wird gefeiert und auf Dörfern ist damit oft verbunden eine Kirmes, der Jahrmarkt, von dem man bisweilen schon vergessen hat, dass er von alters her mit der Kirchweih verbunden war. Ein fröhliches Fest! Viele weitere Feste schließen sich an: Schützenfeste, Motorradrennen, Feuerwehrfeste, Wanderungen, Zeltlager. Die Freude an der Natur belebt viele Menschen. Ein frischer Wind weht und oft auch ein neuer Geist.
Macht sich so der Geist Gottes bemerkbar, dessen Ankunft die christlichen Kirchen an Pfingsten feiern? Nach der Erzählung in der Apostelgeschichte, die wir in der Lesung gehört haben, wirkten die Leute wie betrunken von diesem Geist. Ein Rausch, Drogen, Begeisterung? Eindeutig wird die Begeisterung erst durch die Predigt des Petrus, der alles auf die Geschichte Gottes in Jesus Christus bezieht. Durch den Tod zu neuem Leben führt diese Geschichte und orientiert das Leben neu.
Aber wo von Geist die Rede ist, ist Vorsicht geboten. Der Geist bringt alles in Bewegung, in stürmische Bewegung sogar, doch das tut der Ungeist auch. Der Rhythmus von Stiefeln, die sich zu kämpferischen Aufmärschen sammeln, ist auch von einem Geist in Bewegung gesetzt. Geister müssen unterschieden werden.
Was ist Kennzeichen des Pfingstgeistes? In dem Predigttext für den heutigen Pfingstsonntag aus dem 2. Kapitel des 1. Briefes des Paulus an die Gemeinde in Korinth beantwortet der Apostel diese Frage. In der Welt- und Handelsstadt Korinth herrschten vielerlei ganz unterschiedliche Geister, auch innerhalb der jungen christlichen Gemeinde. Der Apostel will klare Orientierung geben:
„Wir aber haben nicht empfangen den Geist der Welt, sondern den Geist aus Gott, dass wir wissen können, was uns von Gott geschenkt ist. Und davon reden wir auch nicht mit Worten, wie sie menschliche Weisheit lehren kann, sondern mit Worten, die der Geist lehrt, und deuten geistliche Dinge für geistliche Menschen. Der natürliche Mensch aber vernimmt nichts vom Geist Gottes; es ist ihm eine Torheit und er kann es nicht erkennen; denn es muss geistlich beurteilt werden. Der geistliche Mensch aber beurteilt alles und wird doch selber von niemandem beurteilt. Denn ‚wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer will ihn unterweisen?‘ (Jesaja 40,13) Wir aber haben Christi Sinn.“ (1 Korinther 2,12–16)
Von einem Geist aus Gott ist die Rede, der mit menschlicher Weisheit nicht zu erfassen sei. Der Geist selbst lehre das, und er lehre für geistliche Menschen. Der natürliche Mensch, und das heißt: der weltlich orientierte Mensch, der wir alle sind, verstehe davon nichts. Ihm sei der Geist Gottes eine Torheit.
Wie eine harte abweisende Rede klingt das. Hier wird ein Gegensatz aufgemacht, der schwer erträglich ist. Gilt denn der Pfingstgeist exklusiv, nur für Eingeweihte? Ist das christliche Pfingstfest gar esoterisch, ein elitäres Geheimwissen, nicht für normale Menschen bestimmt? Es gab zur Zeit des Apostels Paulus solche Geheimreligionen, Mysterienkulte nur für besonders Eingeweihte, und es gibt sie in Form von Sekten und freien Vereinigungen zu allen Zeiten. „Wir sind die eigentlichen, die einzig richtigen Christen, die den Geist haben,“ heißt es da. Man sondert sich ab und stellt sich extra, der Geist soll ein exklusives Alleinstellungsmerkmal sein, das nur wenige besitzen. Aber der Geist Gottes ist kein Besitz. Nicht von rechthaberischer Geheimniskrämerei ist hier die Rede, die Pfingstgeschichte erzählt davon, dass der Geist Gottes Menschen packt und zu wunderbarem universalem gegenseitigem Verstehen führt. Pfingsten ist das Fest des wunderbaren Verstehens; der Pfingstgeist verbindet Menschen in neuem Verstehen und zieht sie hinein in die Pfingstfreude. Freude teilt sich mit und bringt in Bewegung.
Der Apostel Paulus stößt seine Hörer mit seiner Rede vom Geist vor den Kopf. Ärgerlich kann das sein oder auch schmerzlich. Doch wo Menschen vor den Kopf gestoßen werden, geht ihnen etwas auf, möglicherweise eine ganz neue Dimension des Lebens, der Unterschied zwischen dem Geist der Welt und dem Geist Gottes.
Mit dem Geist der Welt sind wir vertraut, darin sind wir alle geübt. Von Kindesbeinen an haben wir die Logik der Welt gelernt, man kann nur hoffen, dass das geistreich geschehen ist. Früh schon lernen Kinder die klassische Regel: Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem andern zu. Die goldene Regel können wir als vernünftige Regel der Weltlogik begreifen. Andere lassen sich hinzufügen.
Ich erinnere mich daran, wie mir als kleinem Kind von meinen älteren Geschwistern das Unterscheiden beim Teilen beigebracht wurde: Plätzchen kann man brüderlich, gerecht oder christlich teilen. Das brüderliche Teilen bedenkt den Vorteil des Austeilenden. Er bekommt am meisten. Beim gerechten Teilen wird genau gezählt, damit jeder gleich viele Plätzchen bekommt. Christlich teilen, so wurde mir beigebracht, bedeutet, dass der andere mehr bekommt. Das wollte mir gar nicht in den Sinn. Vielleicht erschien es mir wie Torheit, aber ich kannte das Wort noch nicht. Ich wünschte mir stets ganz gerechtes Teilen. Die Logik der Vernunft hatte ich im Grundsatz offensichtlich schon begriffen. Ein Zusammenleben kann weltweit gut gelingen, wenn nur gerecht geteilt wird, wenn das Teilen von Wasser und Nahrung, Arbeit und Bildung nach der Ordnung der Gerechtigkeit, nach dem Geist der Welt, der Logik der Vernunft, nicht nach dem Recht des Stärkeren geschieht. Wir haben allen Grund, den Geist der Welt, die Vernunft, hoch zu schätzen.
Gottes Geist setzt die Logik der Vernunft, den Geist der Welt nicht außer Kraft. Von Gottes Geist hat man gesagt, er sei ein Freund des gesunden Menschenverstandes. Ein Freund macht den gesunden Menschenverstand nicht schlecht und setzt ihn nicht außer Kraft, er bringt ihn in Bewegung und bereichert ihn.  
„Der Geist Gottes lässt uns erkennen, was uns von Gott geschenkt ist.“ Einen neuen Blick bringt das und damit eine neue Perspektive auf Leben und Welt, wenn wir erkennen, dass wir nicht nur von dem leben, was wir geschafft und geleistet haben, und was wir schaffen und leisten müssen, sondern von viel mehr. Ein neuer Blick lässt uns überraschend erkennen, was uns alles zuvorkommt. Und weil Gottes Geist nicht abzählt, wie Kinder beim gerechten Teilen, ist es sehr viel, was uns geschenkt zuvorkommt: Leben ist Geschenk in Hülle und Fülle. Leben ist viel mehr als Zwang und Müssen. Ein schöner Morgen, ein aufmunterndes Wort, gelingende Leistungen, eine Unterbrechung in der Routine des Tagesablaufs, Zeit, eine freundliche Begegnung. „All Morgen ist ganz frisch und neu des Herren Gnad und große Treu.“ Leben, Wachstum, Erfolg, Beziehungen, ein wohlwollender Blick sind uns geschenkt. Wir dürfen das genießen. Der Geist Gottes macht uns zu Genießern, weil er in Hülle und Fülle schenkt. Leben und Freude, das ist Pfingsten!
Aber es gibt auch das bittere „Mir ist nichts geschenkt!“ Es gibt Situationen, in denen liegt das einem jeden auf der Zunge und im Sinn. Die Wahrnehmungsperspektive ist eng geworden, und es gibt Gründe dafür: Misserfolge, Scheitern, Krankheit, Verluste. Aus dieser Sicht ist das Glas immer schon halb oder gar fast ganz leer. Aus dieser Perspektive sieht man nicht das, was einem jeden geschenkt ist, sondern nur das, was einem fehlt, oder das, was man sich als Geschenk wünscht, wenn man überhaupt noch wünscht.
Doch auch in diese Enge weht der Pfingstgeist. Er kommt und holt uns aus dem Himmel unerfüllbarer Wünsche und lockt uns aus der Dunkelheit der Resignation über unerfüllte Wünsche.  Sogar die Erstarrung in der Unfähigkeit, überhaupt noch zu wünschen, das „Es lohnt nicht mehr“ vermag der Geist in Bewegung zu bringen. Geistesgegenwärtig macht der Geist Gottes. Der Geist ist erfinderisch und öffnet die Augen für Chancen und Möglichkeiten, für Freiräume geschenkten Lebens hier und jetzt, dennoch. Das liebliche Fest lädt zu Freude ein, deshalb kannst du auch mitfeiern bei Festen, die zu Pfingsten gefeiert werden, wenn auch zurzeit vielleicht nur am Rande. Das Pfingstfest gibt die Chance, den Alltag zu unterbrechen und sich einzulassen auf Anlässe zur Freude, diese unverfügbare, heitere Stimmigkeit, von der ein Fest lebt, bei dem Menschen auf einander zugehen und auf einander eingehen. Der Geist Gottes weht wo er will, und er schenkt Freude.
Der Geist Gottes ist der Freund des gesunden Menschenverstandes. Ein Freund macht den gesunden Menschenverstand nicht schlecht oder gar ungültig, aber er bringt ihn in Bewegung und bereichert ihn. Zwei Jünger hatten das von Jesus erfahren. Enttäuscht, verschreckt, von allen guten Geistern verlassen waren sie nach dem Tode Jesu am Kreuz nach Emmaus gewandert. Sie blieben nicht allein. Es gesellte sich jemand zu ihnen, den sie nicht erkannten. Aber sie konnten ihm all ihre Trauer und Verzweiflung erzählen. Schon im Mitteilen wurde ihnen leichter ums Herz. Er blieb bei ihnen und orientierte sie neu, indem er sie bei Tische mit dem gemeinsamen Brechen des Brotes an das Leben erinnerte, das sie teilten. Das machte ihnen Mut. Von brennenden Herzen ist die Rede. – Ist das Torheit oder Wahrheit? Als Torheit erscheint es, weil es über die Logik der Welt hinausgeht, aber wir leben von viel mehr als von der Weltlogik. Wir haben den Geist Christi empfangen. Er ist wie ein Freund, der uns ermutigt und bestärkt.
Der Geist Christi ist die Kraft Gottes selbst. Wir wissen davon aus Jesu Leben, Reden, Sterben und Auferstehen. Dieser Geist ist nicht aufgeregt und zerstreut, sondern nüchtern und klar. Es heißt von Jesus immer wieder: Es jammerte ihn. Der Geist öffnet die Augen dafür, dass man geistesgegenwärtig Not sieht, an sich herankommen lässt und rasch entschieden das Not-Wendende tut, sorgfältig und fürsorglich, mit Verstand, Plan und Liebe, wie der barmherzige Samariter. Auch uns ist dieser Geist geschenkt.
Der Geist schafft Leben, Wachstum und Beziehungen buchstäblich aus nichts, wie einst der Geist über den Urwassern. Er überwindet Erstarrung. Er ist nicht immer ein Geist des Erfolgs, aber er ist lebensförderlich, er schafft neue Herzen, wo Menschen sich nicht selbst regenerieren können. Er hegt und pflegt gerade auch die, die nicht stark und fit sind. Sich erbarmend stellt er sich dem Zeitgeist entgegen.
So tröstet er. Trost, das ist die Festigkeit, der Trotz gegen alles Lebenswidrige, Zerstörerische. Wie oft brauchen wir Trost, wenn uns erst die Lust und dann der Mut verlässt. Der Freund redet einem zu und flößt einem ein: Du kannst dagegen angehen, denn ich stehe neben dir. Auch die zermürbende Selbstzerstörung, mit der ich mich gelegentlich quäle, wird unterbrochen, weil der Freund den Rücken stärkt und aufrichtet: Ich stehe für dich ein. Wie eine Mutter, die ein weinendes Kind auf den Schoß nimmt und tröstend streichelt, um es zu stärken – auch für den nächsten Schmerz, so tröstet der Geist des barmherzigen Gottes.
Ist das Torheit oder Wahrheit? Es scheint uns wie Torheit, weil es wider Erwarten ist, es erweist sich aber als Wahrheit, weil es das Herz erneuert und den Geist neu orientiert.
Liebe Gemeinde, Pfingsten bringt uns in Bewegung. Wir bekommen vom Geist der Freude, des Mutes, des Erbarmens und des Trostes geschenkt und weil der Geist Gottes nicht abzählt, sondern in Hülle und Fülle schenkt, können wir davon mitteilen. Menschen erhalten im Geist Anteil an der Macht der Liebe und Barmherzigkeit Gottes. So werden sie wahr und geraten in Bewegung, mitunter in geradezu stürmische Pfingstbewegung.
Mit der alten Pfingstinvokation beten wir:
Komm, Heiliger Geist, erfülle die Herzen deiner Gläubigen und entzünde in ihnen das Feuer deiner Liebe. Amen.
Perikope