I. Dieser Sommer war eine gute Zeit, um am und im Wasser zu sein – wenn man denn Zeit und Gelegenheit dazu hatte. Ich habe jede Gelegenheit genutzt: abtauchen, schwimmen, mit dem Boot durch Kanäle und über Seen paddeln – es war herrlich. Wasser erfrischt und belebt - und es trägt: nicht nur das Boot, auch ohne Schwimmhilfe bleibt man über Wasser, den Blick zum Himmel, die Arme ausgebreitet, ganz ruhig muss man liegen, dann spürt man die Tragkraft, den Auftrieb. Das ist ein wunderbares Gefühl, so getragen zu sein. Dieses Getragenwerden ist uns, so denke ich, mitgegeben: Der Mensch ist ein „Tragling“ – ein Lebewesen also, das in seinen ersten Lebensmonaten getragen werden muss, um sich gut zu entwickeln. Kein Nesthocker, kein Nestflüchter, sondern angewiesen auf Körperkontakt, auf tragende Arme, festhaltende Hände, auf Wärme und Bewegung. Daran erinnert mich diese Erfahrung auf dem Wasser. Umspült vom Wasser, getragen und gleichzeitig frisch und lebendig – so könnte es immer sein, so leicht und entspannt.
II. So leicht und entspannt ist es aber nur selten, das Leben. So frisch und lebendig fühle ich mich nicht so oft im Alltag. Und die Kehrseite dieses Sonnen-Sommers haben wir auch alle erlebt: kippende Seen, ausgetrocknete Flüsse, verdorrte Felder. Die Saat ist an vielen Orten gar nicht erst aufgegangen. Trockenheit und Hitze haben die Äcker ausgedorrt. Ob das schon eine Katastrophe ist, werden wir noch sehen, normal scheint es jedenfalls nicht mehr zu sein. Wie wir leben, wie wir handeln, wirkt sich aus – das sagen Klimaforscher und Geoökologen, das erleben wir also offenbar jetzt ganz unmittelbar. Die Zusammenhänge sind komplex, und gleichzeitig liegen sie oft auf der Hand. Die Erde trägt uns – aber sie erträgt unseren Ressourcenverbrauch nicht mehr. Diese Erkenntnis steht für viele am Ende dieses Sommers, und damit die Frage, welche Konsequenzen diese Erkenntnis haben muss. Eine einfache Lösung scheint es nicht zu geben, und trotzdem gibt es Dinge, die jede und jeder im Kleinen tun kann. Ob sich das dann auswirkt zum Guten, das können wir nur hoffen. Auch, ob wir noch genug Zeit haben, überhaupt etwas zu ändern an diesem Prozess. Es bleibt eine Spannung: zwischen Wissen und Handeln, zwischen Erkenntnissen über die Ursachen der Klimaveränderung und den Konsequenzen, die wir daraus ziehen müssen, im kleinen, persönlichen Leben wie im globalen Zusammenhang.
III. Von der Spannung zwischen Erkenntnis und Handeln, zwischen Haltung und Konsequenzen daraus, zwischen Glauben und Leben – von dieser Spannung redet auch der Predigttext für diesen Sonntag:
Galater 5,25 -6,10
Wenn wir im Geist leben, so lasst uns auch im Geist wandeln. 26 Lasst uns nicht nach eitler Ehre trachten, einander nicht herausfordern und beneiden. Brüder und Schwestern, wenn ein Mensch etwa von einer Verfehlung ereilt wird, so helft ihm wieder zurecht mit sanftmütigem Geist, ihr, die ihr geistlich seid. Und sieh auf dich selbst, dass du nicht auch versucht werdest. Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen. Denn wenn jemand meint, er sei etwas, obwohl er doch nichts ist, der betrügt sich selbst. Ein jeder aber prüfe sein eigenes Werk; und dann wird er seinen Ruhm bei sich selbst haben und nicht gegenüber einem andern. Denn ein jeder wird seine eigene Last tragen. Wer aber unterrichtet wird im Wort, der gebe dem, der ihn unterrichtet, Anteil an allen Gütern. Irret euch nicht! Gott lässt sich nicht spotten. Denn was der Mensch sät, das wird er ernten. Wer auf sein Fleisch sät, der wird von dem Fleisch das Verderben ernten; wer aber auf den Geist sät, der wird von dem Geist das ewige Leben ernten. Lasst uns aber Gutes tun und nicht müde werden; denn zu seiner Zeit werden wir auch ernten, wenn wir nicht nachlassen. Darum, solange wir noch Zeit haben, lasst uns Gutes tun an jedermann, allermeist aber an des Glaubens Genossen.
Es geht um die Frage, wie Christen leben sollen. Welche Freiheit ist das, von der Paulus immer wieder im Galaterbrief spricht? Wovon befreit der Glaube an Christus – und wozu? Wie wirkt sich diese Befreiung aus auf die Lebensgestaltung der Befreiten? Wie sind wir erkennbar als Christenmenschen – untereinander und vor der Welt? Wie tragfähig ist der Glaube? Und welcher Geist trägt uns?
Wenn wir im Geist leben, so lasst uns auch im Geist wandeln.
IV. Es fängt im Kleinen an: Mit den Menschen, denen ich täglich begegne, mit denen ich lebe und arbeite. Sanftmütig den Belastungen begegnen – das ist schwer. Ich denke an den türenknallenden 16jährigen. Ich denke an die Nachbarin, die nie grüßt. An den Kollegen, der freundlich lächelnd immer noch mehr Arbeit gern den anderen überlässt.
Ein jeder wird seine eigene Last tragen.
Wie komme ich dazu, die Last der anderen zu tragen? Bin ich ein Packesel, dem man immer noch mehr oben drauflegen kann? Wer hilft mir eigentlich, mein Päckchen zu tragen?
Sieh auf dich selbst, dass du nicht auch versucht würdest.
Verständnis für den Ärger und die Unsicherheit eines Jugendlichen? Die Nachbarin zuerst grüßen, immer wieder? Die Lebenssituation des Kollegen wahrnehmen? Wie komme ich dazu? Ich habe meine Grenzen – wer trägt die mit mir?
Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.
Ganz am Anfang des Lebens sind wir darauf angewiesen, getragen zu werden, von sorgenden Armen und Händen. Diese Erfahrung stärkt die Kraft, auf eigenen Füßen zu stehen und groß zu werden. Und sie stärkt uns für die Aufgaben des Lebens: Lasten tragen, eigene, für andere, mit anderen. Nicht nur als Menschen sind wir Traglinge, sondern noch mehr als Christenmenschen. Paulus sagt: Ihr seid im Glauben getragen, ihr seid vom Geist getragen. Wie im Wasser, das trägt, habt ihr Auftrieb durch den Geist Gottes, der euch stärkt, der das Gute in Euch hervorbringt.
V. Eine mittelalterliche Legende erzählt von einem Riesen, der nur dem mächtigsten Herrscher dienen wollte. Der König, dem er zuerst dient, hat Angst vor dem Teufel. Der Teufel, dem er dann folgt, weicht dem Kreuzzeichen aus. Wem soll er nun dienen? Er übernimmt die Aufgabe, an einem gefährlichen Fluss Menschen von einem Ufer zum anderen zu tragen und tut das eine lange Zeit und ohne müde zu werden. In einer Nacht ruft ein Kind nach ihm und er trägt es auf seinen Schultern durchs Wasser. Die Last wird immer schwerer, so dass er in der Mitte des Flusses zu straucheln droht. Er fürchtet, zu ertrinken und meint, die ganze Welt läge auf seinen Schultern. Mit Mühe setzt er das Kind am anderen Ufer ab. „Du hast mehr als die Welt getragen. Den Schöpfer der Welt hast Du durch diesen Fluss getragen.“ Der Riese hat das Christuskind durch den Fluss getragen, und dabei hat er die Grenzen seiner Kraft gespürt. Und so wird sein Name sein: Christophorus, Christusträger. Mit dem Wasser, durch das Christophorus das Kind getragen hat, wird er von Christus selbst getauft. Und er wird weiter Menschen durch das reißende Wasser tragen, sie sicher ans andere Ufer bringen.
Das Christuskind lässt sich tragen – Gott lässt sich tragen. Die Legende vom Christophorus, dem Christusträger, erzählt, wie menschliche Tragkraft an ihre Grenzen kommt und was uns trägt. Und sie erzählt, wie Menschen, die sich vom Geist Gottes tragen lassen, kräftig werden zum Guten.
Getragen vom Wasser der Taufe, von der Tragkraft des Geistes Gottes: Lasst uns Gutes tun und nicht müde werden.
Und der Frieden Gottes, der höher ist als all unser Wollen und Tun und tiefer als all unser Denken und Glauben, der bewahre und trage uns in Christus Jesus. Amen.