Transformation - Predigt zu Hesekiel 18,1-4.21-24.30-32 von Jens Junginger
18,1-4.21-24.30-32

Transformation

„Hätte hätte Fahrradkette.“
Liebe Gemeinde,
Vielleicht erinnern Sie sich an diesen Ausspruch von Peer Steinbrück beim letzten Bundestagswahlkampf. Dieses, „was hätte man alles anders machen sollen“ wollte er nicht mehr hören. Für ihn galt es nach vorne zu schauen, darauf was er ändern, anders machen, neu gestalten wollte. Eine Kehrtwende kündigte er jedoch nicht an.

Anders der Prophet Ezechiel. Er bedenkt, was anders hätte gemacht werden müssen, damit die schlimme, vernichtende Katastrophe hätte verhindert werden können. Umso entschiedener und engagierter mahnt er mit drastischen Worten und mit großem Enthusiasmus:
Kehrt um, damit ihr am Leben bleibt. Kehrt um zum Leben!

Hören wir was Ezechiel beobachtet, wie er begangenes Fehlverhalten und seine Folgen beurteilt, wie er vor neuen Fehlern warnt und was für ihn Umkehr zum Leben bedeutet:

Hesekiel schreibt:
Das Wort des HERRN erging an mich, er sagte:
2»Was habt ihr da für ein Sprichwort im Land Israel?
Ihr sagt:
'Die Väter essen unreife Trauben und die Kinder bekommen davon stumpfe Zähne.'
3So gewiss ich, der HERR, lebe:
Niemand von euch, niemand in Israel wird dieses Wort noch einmal wiederholen!
4Ich habe das Leben jedes Einzelnen in der Hand,
das Leben des Kindes so gut wie das Leben des Vaters.
Alle beide sind mein Eigentum.
Nur wer sich schuldig macht, muss sterben.

21Wenn aber der Verbrecher umkehrt und das Böse lässt, das er getan hat,
wenn er alle meine Gebote befolgt und das Rechte tut,
bleibt auch er am Leben und muss nicht sterben.
22All das Böse, das er früher getan hat, wird ihm nicht angerechnet.
Weil er danach das Rechte getan hat, bleibt er am Leben.
23Meint ihr, ich hätte Freude daran,
wenn ein Mensch wegen seiner Vergehen sterben muss?«, sagt Gott, der HERR.
»Nein, ich freue mich, wenn er von seinem falschen Weg umkehrt und am Leben bleibt!
24Wenn aber der Rechtschaffene sich vom rechten Weg abwendet
und Böses zu tun beginnt, dieselben Abscheulichkeiten wie der Verbrecher,
soll er dann am Leben bleiben?
Nein!
All das Gute, das er früher getan hat, wird ihm nicht angerechnet.
Weil er mir untreu geworden ist und Böses getan hat, muss er sterben.«
30Jeder Einzelne von euch bekommt das Urteil, das er mit seinen Taten verdient hat.
Das sage ich, der HERR, der mächtige Gott!

Kehrt also um und macht Schluss mit allem Unrecht!
Sonst verstrickt ihr euch immer tiefer in Schuld.
31Trennt euch von allen Verfehlungen!
Schafft euch ein neues Herz und eine neue Gesinnung!

Warum wollt ihr unbedingt sterben, ihr Leute von Israel?
32Ich habe keine Freude daran,
wenn ein Mensch wegen seiner Vergehen sterben muss.
Das sage ich, der HERR, der mächtige Gott.
Also kehrt um, damit ihr am Leben bleibt!«


Es ist keine leichte Kost, die dem Ruf zur Umkehr vorausgeht.
Ezechiel gebraucht deftige Formulierungen und hat befremdliche Vorstellungen:
Jeder Einzelne von euch bekommt das Urteil, das er mit seinen Taten verdient hat.
Weil er mir untreu geworden ist und Böses getan hat, muss er sterben.«

Derartiges hört man heute aus fundamentalistischen religiösen Strömungen.
Auch bei christlichen Sekten und Sektierern, die ihre Kinder z.B. nicht in öffentliche Schulen schicken, sondern selbst aufs heftigste züchtigen.
Offenbar stecken dem Prophet die traumatische Erfahrungen  der Zerstörung Jerusalems ziemlichen in den Knochen. Er wirkt traumatisiert angesichts dessen, was passiert war.
Der Tempel wurde zerstört, unzählige Menschen sind umgekommen.
Andere wurden ins Exil deportiert.
Eine menschliche, eine nationale und eine zutiefst theologische Katastrophe hatte sich zugetragen.
Das Unheil, vor dem andere Propheten wiederholt und heftigst gewarnt hatten, war Realität geworden.
Ezechiel spricht von Bösem, von Untreue, von Unrecht und Vergehen, das begangen wurde, mit dem sich Menschen schuldig gemacht haben, gegenüber Gott und Mitmenschen.
So hat die Bevölkerung mit den Machthabern die tödliche Katastrophe selbst mit verursacht. Sie haben sich dabei von Gott und dem Einhalten der Gebote, von den grundlegenden Maßgaben für ihre Glaubenspraxis und für ein gutes Zusammenleben abgewandt.
Ein ganzes Volk und seine Machthaber hatten sich total in politische und militärische Großmachtbestrebungen verrannt und dies als eine göttliche Mission verstanden.

Ein Vorgang, der uns –  in Deutschland -  mit unserer Geschichte wahrlich nicht fremd ist, 100 Jahre nach dem Ausbruch des 1.Weltkriegs, nach dem Hitlerfaschismus, der Shoa und dem 2.Weltkrieg mit seinen Folgen.
Daher wissen wir auch: Eine Aufarbeitung solcher Katastrophen, in denen Menschen schuldhaft verwickelt waren dauert sehr sehr lange.
Und das ist bei den Folgen nationaler, kriegerischer, terroristischer oder ökologischer Katastrophen nicht anders wie bei Familien- und Beziehungskatastrophen:
'Die Väter essen unreife Trauben und die Söhne bekommen davon stumpfe Zähne.'

Die Kinder, die nachkommenden Generationen müssen zwangsläufig ausbaden, was die Eltern oder gar Großeltern einem eingebrockt oder mitgegeben haben:
geistig, ideell, materiell, sozial, emotional, politisch und psychologisch.
Sie tragen in sich und mit sich, was ihnen einerseits an Werten und Wertmaßstäben, an Weltanschauungen, an Zuwendung aber auch an Vernachlässigung , an Zumutungen, an Traumata, also an Liebe und an Fehlverhalten mitgegeben und überlassen wurde.
Wir hinterlassen unseren Kindern – ob wir wollen oder nicht  - eine Erblast.


Da gibt es richtig nette Dinge
Der Gang und die Körperhaltung deines Sohnes gleicht ganz und gar dem deinen, sagen mir Leute. Man erkennt sofort, dass ihr zusammen gehört, von hinten und von vorne.
Oder: Wie er dieser kleine Junge mit seinen Händen und Finger den Sand formte und Teig knetete. Das war dieselbe Bewegung und Haltung der Hände und Finger wie die seines Großvaters, der Bäcker war, den er aber nie kennengelernt hatte.
Nette Vererbungen sind das. Süße Trauben.
Es gibt aber auch die weniger netten Dinge, die sauren Trauben eben:
Unsere Versäumnisse, unsere Störungen, eigene unverarbeitete Traumata und Verblendungen, unseren Lebensstil, unsere materialistische Orientierung und so manche andere Marotten.
Auch die vermachen wir unseren Kindern und Kindeskindern.
Die weben sich in ihr Leben ein und prägen das ihre.
Und manchmal wollen sie sich irgendwann davon frei machen.
So wie sich die 68er Generation von der Erblast ihrer Eltern- NS- und Kriegsgeneration befreien musste.
Als Eltern ist man herausgefordert es hinzubekommen  Kinder gerade in ihrem Total-anders-sein-wollen anzunehmen und zu begleiten.
Auch wenn sie sich lossagen von dem, was wir ihnen unbedingt mit auf den Weg geben wollten
Die sauren Trauben machen stumpfe Zähne.
Deshalb analysiert Ezechiel was falsch gelaufen ist fragt, was es daraus zu lernen gilt:
Wenn aber der Verbrecher umkehrt und das Böse lässt, das er getan hat,
wenn er alle meine Gebote befolgt und das Rechte tut,
bleibt auch er am Leben und muss nicht sterben.

Umkehren – um der Zukunft willen. D.h. für den Propheten:
Das Böse lassen, die Gebote befolgen und das Rechte tun.
Und er fordert:
Schafft euch ein neues Herz und eine neue Gesinnung!

Liebe Gemeinde
das erinnert mich an eine historisch entscheidende Erklärung, für dieses Land, für die Christenheit in diesem Land und für die Weltgemeinschaft:
[Es] soll … ein neuer Anfang gemacht werden. Gegründet auf die Heilige Schrift, mit ganzem Ernst ausgerichtet auf den alleinigen Herrn der Kirche gehen sie [die Kirchen]daran, sich von glaubensfremden Einflüssen zu reinigen und sich selber zu ordnen.
Ein neuer Anfang, ein neues Herz, eine neue Gesinnung, von dem diese kirchliche Erklärung aus dem Jahr 1945 spricht, war und ist jedoch nur möglich, wenn zuvor ein Eingeständnis erfolgt: Und so heißt es in der sog. Stuttgarter Schulderklärung:
Durch uns ist unendliches Leid über viele Völker und Länder gebracht worden…. wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben.

Liebe Gemeinde
begangene Fehler, Schuld erkennen, Umkehren, neu Anfangen, das schaffen wir nicht allein aus uns selbst heraus, weder politisch noch ökologisch.
Das schaffen wir auch innerhalb unserer familiären Beziehungen, unserer Eltern-Kind, unserer sozialen, gesellschaftlichen und zwischenmenschlichen Beziehungen nicht aus uns selbst heraus.

Komm heiliger Geist! Mit dieser Bitte endet das Stuttgarter Schuldbekenntnis.
Das erinnert uns: ohne jene Kraft von außen, ohne Rückenwind und Ermutigung, ohne Gottes Entlastung, ohne Gottes gnädigen Zuspruch sind wir nicht imstande wirklich grundlegend umzukehren und neu anzufangen.
Nein - ein neues Herz, das schaffen wir nicht selbst.
Hier will ich Ezechiels Gedanken etwas abwandeln:
Mit Gottes Hilfe und Vergebung können wir uns auf den Weg machen.
Da sollen und müssen wir dann aber auch Verantwortung übernehmen.  

Und ganz in diesem Sinn ist der Aufruf des Propheten Ezechiel „Umkehr zum Leben“[1], die Losung einer Bewegung, die daran erinnert, dass die sauren Trauben, die die Eltern und Großelterngeneration von heute gegessen haben, das Überleben ihrer Kinder und tatsächlich Kindeskindern gefährdet.
Denn die sauren Trauben sind angereichert mit:
Steigerung des CO 2 Ausstoßes
Klimaerwärmung
grenzenlosem Wachstum
massenhaftem Ressourcenverbrauch
Überproduktion
Umkehr zum Leben, das heißt für die Zukunft unsere Kinder und Kindeskinder, dass sie sich von liebgewonnenen Verfehlungen, dem Versagen und dem Unrecht ihrer Vorfahren trennen und wieder lernen müssen einfacher und mit weniger zu leben. Da müssen sich Konsum und Lebensstile verändern, so dass die globalen Treibhausgase in den kommenden Jahrzehnten auf ein absolutes Minimum sinken. Die Art wie wir produzieren und wirtschaften bedarf einer grundlegenden Transformation.[2]
Umkehr, Neubeginn, Neuanfang, dafür ist es nie zu spät. Kraft der Taufe ist es für uns Christenmenschen immer wieder neu möglich. Das veranschaulicht das Bild des Labyrinths,[3] das z.B. in der Kathedrale von Chartres seinen Platz gefunden hat.
34 Kehren beinhaltet es, Kehrtwenden, Neubeginne und Neuanfänge. Auf einem 265 m langen Weg. Ein Weg, der unseren verschlungenen und umkehrreichen Lebensweg abbildet, als Eltern, Kinder und als Gesellschaft. Und im Zentrum steht eine Kehre um 180 Grad.
Sie steht für Transformation durch uns und mit Gottes Hilfe, für ein gutes Leben, für ein Leben im Einklang mit der Zukunft dieser Schöpfung und der kommenden Generationen[4].
Also kehrt um!
Amen
 


[2] www.epd.de/landesdienst. Abgerufen am  29.6.2014

[3] Den Hinweis auf das Labyrinth von Chartre verdanke ich Matthias Freudenbergs Predigtmeditation zum 3. Sonntag nach Trinitatis in den Göttinger Predigtmeditationen, S.333-339

[4] Vgl dazu : Menschen Klima Zukunft? Wege zu einer gerechten Welt, Jahrbuch Gerechtigkeit V, 2012

 

Perikope
06.07.2014
18,1-4.21-24.30-32