"Treu und klug", Predigt zu Lukas 12, 40.42-48
12,40

"Treu und klug", Predigt zu Lukas 12, 40.42-48

Treu und klug
  
  Liebe Gemeinde!
  Am Ende des Kirchenjahres, im November, ist unsere Welt dunkel gefärbt. Trübe Tage und lange Nächte umklammern unsere Seelen. In diesen Tagen geht uns der Tod zu Herzen.
  Vielen ist er begegnet  in den vergangenen Monaten. Der Tod, der das Leben verdunkelt. Hautnah haben wir gespürt, wie der Tod Lücken reißt. Ob als Erlösung oder als Unfall, ob durch Gewalt oder Krankheit, ob zu Unzeit oder zur rechten Zeit, der Tod ist in unser Leben eingebrochen und hat es verändert.
  Wir haben unsere Verstorbenen betrauert in den vergangenen Monaten– und wir werden heute noch einmal schmerzlich an sie erinnert. Die Namen werden verlesen, eine Kerze angezündet. Noch einmal tauchen bei einigen von uns die Bilder des Todes auf, durchwachte Nächte, Begegnungen beim Abschied uvm.  Alte Wunden brechen auf. Der Gang zum Friedhof lässt uns noch einmal innehalten.
  
  Aber schon auf dem Rückweg vom Friedhof werden wir spüren: Jetzt geht es um uns. Nach dem Abschied kommt der Blick nach vorn. Unser Leben, unsere Zeit, unsere Endlichkeit. Wie leben wir nach diesem Tod, wie leben wir mit und nach unserer Trauer. Wie gehen wir um mit dem Leben, das uns bleibt?
  Der für heute vorgegebene Predigttext spricht uns genau in dieser Situation an.
  Verlesen des Predigttextes Lukas 12, 40.42-48
  Seid auch ihr bereit! Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, da ihr’s nicht meint… Wer ist denn der treue und kluge Verwalter, den der Herr über seine Leute setzt, damit er ihnen zur rechten Zeit gibt, was ihnen zusteht?
  Selig ist der Knecht, den sein Herr, wenn er kommt, das tun sieht.
  Wahrlich, ich sage euch: Er wird ihn über alle seine Güter setzen.
  Wenn aber jener Knecht in seinem Herzen sagt: Mein Herr kommt noch lange nicht, und fängt an, die Knechte und Mägde zu schlagen, auch zu essen und zu trinken und sich voll zu saufen,  dann wird der Herr dieses Knechtes kommen an einem Tage, an dem er's nicht erwartet, und zu einer Stunde, die er nicht kennt, und wird ihn in Stücke hauen lassen und wird ihm sein Teil geben bei den Ungläubigen.
  Der Knecht aber, der den Willen seines Herrn kennt, hat aber nichts vorbereitet noch nach seinem Willen getan, der wird viel Schläge erleiden müssen.
  Wer ihn aber nicht kennt und getan hat, was Schläge verdient, wird wenig Schläge erleiden. Denn wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen; und wem viel anvertraut ist, von dem wird man umso mehr fordern.
  
  ‚Seid auch ihr bereit! Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, da ihr’s nicht meint.‘
  
  Ein kalter Schauer durchfährt mich bei dem, was hier Jesus gesagt haben soll. Er benutzt ein anschauliches Beispiel aus dem Alltagsleben seiner Zeit für seine Botschaft.. Was er da schildert, der Umgang eines höher gestellten Sklavenverwalters, der die anderen Sklaven in Schacht hält, es klingt, als wäre ein Menschenleben gar nichts wert. Als Strafe vom Herrn in Stücke gehauen zu werden – das ist nicht mehr unsere Welt, Gott sei Dank Geschichte. Aber Anschaulichkeit hat das Bild: Und vielleicht sogar Aktualität. Ich denke nur  an die momentane Diskussion der Parteien um den Mindestlohn oder die  Kämpfe der Euroländer um Sparmaßnahmen in Griechenland und anderswo. Da geht es auch um Macht, und die Menschenwürde gerät dabei oft genug ins Hintertreffen. Ich denke auch an die Zunahme der  Modekrankheiten Mobbing und Burnout – vielleicht sind sie Signale dafür, welche Herausforderungen heute an  Personalchefs und -chefinnen  gestellt sind. Oder anders: Wie gehen Menschen mit ihrem Leben und dem Leben anderer um?
  So gesehen  wird deutlich, was dieses Beispiel aus der Arbeitswelt mit unseren Gedanken heute morgen zu tun hat.
  
  Seid bereit, denn die Rückkehr des Menschensohns geschieht dann, wenn ihr nicht damit rechnet.
  Das Thema also: Wie gehe ich um mit dem, was mir für mein Leben anvertraut wird in der ungewissen Zeitspanne, die mein Leben ist.
  ‚Seid auch ihr bereit! Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, da ihr’s nicht meint.‘
  Der Tod kommt – der Menschensohn kommt. Was kommt nach diesem Leben? Als Christen und Christinnen haben wir gelernt, dem ‚Danach‘ ein tiefes Vertrauen entgegen zu bringen. Wir haben gelernt, unser Leben auf die Ewigkeit hin auszurichten. Eigentlich ein entlastender, ein tröstender Gedanke, dieser Ausblick auf ein Leben nach dem Tod in Gottes Ewigkeit. Eigentlich tröstend. Da mutet es fast wie eine Mahnung an wenn wir hören: ‚Seid auch ihr bereit‘.
  
  Wie soll das gehen? Sein Leben auszurichten auf den Tag, an dem wir gehen müssen?
  
  Manche machen das: In einer Art Torschlusspanik wollen sie schnell noch alles mitnehmen, erleben, leben aus der Angst, dass morgen alles zu spät ist. Sie fragen: Soll das alles gewesen sein? Nein, ich darf nichts verpassen. Eine große Reise vielleicht, eine neue Liebe, ein ganz anderer Beruf? Nicht, dass ich hinterher bereuen muss, eine Chance nicht ergriffen zu haben. Aber – ist es das, sich ausrichten auf den Tag, an dem wir gehen müssen?
  
  Manche resignieren angesichts der Endlichkeit ihres Lebens, lassen sich schon zu Lebzeiten vom Dunkel des Todes bestimmen. Gerade jetzt im November sacken sie depressiv in sich zusammen, beklagen ihr Schicksal, sehen das Glas immer nur halb leer und finden keinen Ausweg aus dieser depressiven Stimmung. Sie sind mitten im Leben schon Sterbende. Aber - ist es das, sich ausrichten auf den Tag, an dem wir gehen müssen?
  
  Andere gehen gelassener mit dem Gedanken an den Tod um. ‚Ich habe mein Leben gelebt‘ – sagt eine ältere Frau zu mir, die Hände liegen entspannt in ihrem Schoß. Und mit der Haltung kann sie gut dem entgegensehen, was kommt.
  Ich habe einen Mann vor Augen, der  in den Wochen vor seinem Tod systematisch all die Menschen zu sich eingeladen hat, mit denen er noch etwas zu besprechen hatte. Er wollte sich verabschieden, ganz bewusst, von jedem Einzelnen.
  
  Vielleicht ist das damit gemeint, wenn Jesus vom treuen und klugen Verwalter spricht. Es geht darum treu und klug zu sein. Das Leben, das uns anvertraut ist, treu und klug zu verwalten. ‚Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden‘ – die alte Weisheit aus dem schönen Psalm 90 sagt es auch. Und als  ethische Orientierungshilfe bleibt uns die Bergpredigt. Treu und klug sein, das kann heißen: Salz der Erde sein, Licht der Welt, das Doppelgebot der Liebe als Lebensmaxime behalten.
  ‚Selig ist der Knecht, den sein Herr, wenn er kommt, das tun sieht‘.
  
  Allerdings  gilt uns schon jetzt das  große Versprechen bei all unserem Bemühen um Treue und Klugheit: Seit unserer Taufe sind wir zum ewigen Leben berufen, seit unserer Taufe leben wir von der schon geschehenen Auferstehung Jesu Christi her.
  So leben wir - zwischen Ostern und Advent-  am Ewigkeitssonntag getrost in der Gewissheit, dass der Auferstandene unser Leben und Sterben umfassen wird bis zu seiner Wiederkunft.
  
  Johannes Brahms komponierte in seinem Deutschen Requiem eine ergreifende Fuge zu den Worten:  Die Erlösten des Herrn werden wiederkommen und gen Zion kommen mit Jauchzen; Freude, ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen und Schmerz und Seufzen wird weg müssen. Was Brahms mit Hilfe der Musik leidenschaftlich in unsere Herzen tragen kann, vermag mit nüchternen Worten allein wohl niemand. Von dieser Verheißung eines fröhlichen Endes her lasst uns leben, verantwortlich leben in der Zeitspanne die uns gegeben ist, getrost und getröstet leben in der Erwartung von Gottes Ewigkeit. Lasst uns treu und klug leben angesichts des Todes.
  
  Literatur: Predigtstudien 2010/2011 S. 262-269
Perikope
Datum 20.11.2005
Bibelbuch: Lukas
Kapitel / Verse: 12,40
Wochenlied: 147
Wochenspruch: Lk 12,35