"Trösten und ermutigen - ein Verbundsystem" - Predigt zu 2Kor 1,3-7 von Elke Markmann
1,3-7

Kamila Walijewa kommt mit gerade mal 15 Jahren nach Peking. Sie ist Eiskunstläuferin und tanzt, läuft und springt auf dem Eis, dreht Pirouetten - fast schwerelos. Sie gewinnt die Herzen der Menschen und die Goldmedaille.
Aber dann kommt ein Dopingverdacht auf. Sie steht unter enormem Druck. So stürzt sie bei ihrer letzten Kür mehrfach. Völlig verzweifelt geht sie vom Eis. Als sie zu ihrer Trainerin kommt, wird sie aber nicht etwa getröstet, sondern getadelt.
Wenn das Ihre Tochter oder Schwester oder Enkelin gewesen wäre – wie hätten Sie reagiert?

Situationen, in denen etwas nicht funktioniert – mir fallen einige ein: Die eine fällt durch die Führerscheinprüfung. Der andere steht vor dem Scherbenhaufen seiner Ehe. Manchmal ist es nur ein verbrannter Kuchen oder ein zerbrochenes Glas. Manchmal ist es sehr viel schlimmer.
Ich kann mit solchen Situationen besser umgehen, wenn ich nicht allein bin. Ich gehe mit mir selbst ähnlich um wie die Trainerin mit der Eiskunstläuferin: „Was soll denn das jetzt? Du kannst es doch eigentlich!“ Wie damals, als eine Frau an der Tür eine Geschichte erzählte, warum sie unbedingt Geld brauche für eine Fahrkarte. Und die sei teuer. Sie wohne da drüben in dem Haus. Ich könne gerne vorbei kommen, wenn ich ihr nicht glaube. Ich gab ihr das Geld. – Und sah die Frau und das Geld natürlich nie wieder. Und eigentlich wusste ich, dass diese Geschichte erfunden war.
Was mir dann hilft: Ein Mensch, der mich tröstet und ermutigt: „Ist nicht so schlimm! Beim nächsten Mal wird es besser!“ Dann kann ich die Fehler hinter mir lassen und sehen, wie ich weiter damit umgehe.

In unserem heutigen Predigttext ist sehr viel von Trost oder Ermutigung die Rede. Paulus schreibt an die Gemeinde in Korinth. Nach längerer Abwesenheit weiß er nicht mehr so genau, was die Menschen von ihm denken. Darum schreibt er gleich zu Beginn, was ihn trägt und prägt:

3Gesegnet sei Gott, wie Vater und Mutter für Jesus, den Messias und Herrn über uns!
Gesegnet sei Gott, die väterliche Quelle des Erbarmens und aller Tröstung!
4Gott tröstet uns in jeder bedrängten Lage,
so dass wir andere, die auf so viele Weisen bedrängt sind,
trösten können mit dem Trost, mit dem wir selbst von Gott getröstet werden.
5Denn so wie die Leidenserfahrungen des Messias
über die Maßen über uns hereinbrechen,
so werden wir durch den Messias auch über die Maßen getröstet.
6Wenn wir in Gefahr sind, führt das zu Trost und Rettung auch für euch.
Wenn wir getröstet werden, erfahrt auch ihr Trost.
Dieser zeigt seine Macht, wenn ihr dasselbe erleidet, was wir erleiden, ohne daran zu zerbrechen.
7Und unsere Hoffnung steht für euch auf festem Grund,
weil wir wissen: Wie ihr das Leiden teilt, so teilt ihr auch die Tröstung.

(Bibel in gerechter Sprache)

Da ist viel von Trost die Rede. Paulus hat selbst erfahren, wie gut es ist, in schwerer Zeit getröstet zu werden. Er hatte Trost bei Gott gefunden. Wenn er verfolgt wurde oder angefeindet, wenn Menschen ihn verspotteten oder verjagten, fand er immer wieder Trost in seinem Glauben. Gott tröstet ihn. Das erlebt er immer wieder.
Und so macht er weiter. Er erzählt von Jesus Christus. Auch Jesus selbst war immer wieder angegriffen und verfolgt worden. Trotzdem hielt er allen Versuchungen stand. Trotzdem redete er von der Liebe und vom Miteinander. Trotzdem ging er auf Menschen zu, die ausgestoßen oder benachteiligt waren. Jesus Christus war von Gott getröstet und tröstete. Er ermutigte die Menschen, sich und damit ihre Welt zu verändern. Das Wort, das mit „trösten“ übersetzt ist, können wir auch mit „ermutigen“ übersetzen. Das ist die andere Seite des Trostes. Das ist die stärkende Kraft des Trostes.

Trost ist oft wichtig. Wir können die Verhältnisse und Situationen nicht immer so ändern, wie wir es gerne täten. Aber wir können uns trösten. Wir können uns trösten lassen. Wir erfahren es gerade in den Friedensgebeten. Völlig entsetzt sind wir. Wir wollen und können etwas helfen. Und wir brauchen Trost. Wir finden ihn im Gebet. In unseren Friedensgebeten sitzen Menschen in der Kirche und zünden Kerzen an. Wir alle beten um Frieden. Wir legen unsere Sorgen und Ängste vor Gott. Wir sind nicht allein mit unserer Angst. Das ermutigt.

Paulus erzählt von Lebensgefahr, die er erlebt hat. In größter Gefahr wurde er von Gott getröstet. Paulus lobt Gott dafür. Er wurde getröstet und damit ermutigt. Die schlimmste Lebensgefahr überstand er und konnte so weiter von Gott erzählen und Gott loben.
Das lese ich heute und weiß gleichzeitig, dass viele Menschen in der Ukraine nicht überleben. Trotz ihres Gottvertrauens. Nicht alle entkommen der Lebensgefahr. Aber manche schaffen es. Viele sind schon bei uns angekommen, finden in unseren Städten und Dörfern neue Lebensorte. Sie brauchen Trost. Sie brauchen Ermutigung.

Paulus erlebt das Trösten wie einen Kreislauf: Gott tröstet – ich bin getröstet und ermutigt und danke Gott – ich kann andere trösten und lobe Gott – Gott tröstet andere und wird gelobt. Der Trost fließt immer weiter. Luise Schottroff sprach hier von einem „Trost-Verbundsystem“. Wir empfangen Trost und geben Trost weiter. Aber es ist nicht irgendein menschlicher Trost, sondern Trost und Ermutigung, die direkt von Gott kommen.
Diesen Trost empfangen wir und geben ihn weiter. An geflüchtete Ukrainerinnen und ihre Kinder und Enkel. Bei großen und kleinen Katastrophen. Trost und Ermutigung, das Gebet und die Gemeinschaft bilden ein Trost-Verbundsystem, in dem wir uns mit Gott verbinden und gegenseitig trösten.

 

Die Geschwister Scholl sind ein ermutigendes Beispiel für Menschen, die sich in ihrem Handeln von Gott getröstet und getragen wissen. Am 15. Juli 1942 schreibt Sophie Scholl in ihr Tagebuch: „Mein Gott, … Ich bitte Dich von ganzem Herzen, … öffne doch mein kaltes Herz …, nimm Dich meiner an und tue mit mir nach Deinem guten Willen.“ (zitiert nach https://www.ndr.de/kirche/Das-Kirchenlexikon-Sophie-Scholl,sophiescholl108.html)
Nach aktiven Jahren beim Bund deutscher Mädchen ringt sie in Gebeten um einen neuen Weg. Die Begeisterung für den Nationalsozialismus schlägt um in Widerstand. Sie engagiert sich in der Widerstandsgruppe „Die weiße Rose“. Bei allem Mut braucht sie aber auch immer wieder Trost.
Sie bangt um ihren Verlobten an der Front. Sie macht sich Sorgen um ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter im Widerstand. Immer wieder erfährt sie von ihrer Familie und ihren Freundinnen und Freunden Trost und Ermutigung. Sie war eine junge Frau, die ihren Weg ging und sich nicht entmutigen ließ, weil sie andere um sich hatte. Sie hielten zusammen, trösteten und ermutigten sich.
Am 22. Februar 1943 wurden Sophie und Hans Scholl hingerichtet.
Heute sind viele Schulen nach den Geschwistern Scholl benannt. Damit und mit vielen anderen Erinnerungen wird ihr Beispiel zur Ermutigung. Zum Trost.

Es geht weiter. Manchmal nicht sofort und manchmal nicht so, wie von mir gewünscht. Aber es geht für Kamila Wlijewa weiter. Es ging für Paulus weiter und die Gemeinde in Korinth. Es geht für die Ukraine weiter.
Es wird schwierig, wenn wir mutlos werden. Die Zukunft wird trüb, wenn wir uns ver-trösten lassen. Es wird leichter und weniger schwer, wenn wir uns trösten und ermutigen.

Amen.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Pfarrerin Elke Markmann

1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Vor Augen habe ich eine gemischte Gemeinde. In der Kirche sitzen vor allem ältere Menschen. Manche von ihnen haben eigene Flucht und Vertreibung hinter sich. Viele von ihnen kommen in die wöchentlichen Friedensgebete (jeweils freitags kommen ca. 40-80 Menschen). Zu einem großen Teil sind es Eltern und Großeltern. Am 27. März habe ich auch eine Tauffamilie im Gottesdienst. Ich habe zwei Gottesdienste hintereinander, erst in einem kleinen Gemeindezentrum, dann ich der großen Stadtkirche.

2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Ich habe die Szene der Eiskunstläuferin vor Augen – und eigenes Versagen. Ich kenne mich mit meiner lauten inneren Kritikerin. Beflügelt hat mich das Wort vom Trostverbundsystem von Luise Schottroff, das ich mir vor allem selbst zusprechen möchte.

3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Ich weiß es schon längst – und vergesse es immer mal wieder: Es ist oft viel wichtiger zu trösten und da zu sein, statt Rat-Schläge zu geben. Manches kann einfach nur gemeinsam ausgehalten werden. Dabei vertraue ich darauf, dass ich den Trost nicht aus mir selbst heraus schöpfen muss. Trost hat eine tiefere Quelle, einen göttlichen Ursprung. So wächst aus gutem Trost neuer Mut. Ich selbst bin dankbar, dass ich einen Menschen an der Seite habe, der mich immer wieder tröstet und ermutigt.

4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Die Anmerkungen des Lektors haben mir geholfen, einerseits die Predigt zu aktualisieren in Bezug auf den Krieg in der Ukraine. Andererseits konnte ich konkreter von mir reden. Das hatte ich erst vermieden, weil ich es möglichst allgemein halten wollte. Ich hoffe, dass Nutzer*innen das für sich personalisieren können.

Perikope