Trost und Feindschaft – wie geht das zusammen? - Predigt zu Johannes 15,26-16,4 von Christoph Schweizer
15,26-16,4

Trost und Feindschaft – wie geht das zusammen?

Ein Foto. Darauf ist eine Dose zu sehen mit einem Kreuz drauf.

Eine katholische Bekannte hat das Foto gemacht und im Internet veröffentlicht, auf Facebook.
Dazu schrieb sie: „Es ist schön, dem Muttertag mit diesem ‚Geschenk‘ Ausdruck zu geben.“
Dann hat jemand nachgefragt, was das für eine Dose ist.
Und sie erklärt: „Meinen Eltern geht es beiden nicht so gut und ich habe ihnen die Kommunion nach Hause gebracht, in einem Minigottesdienst mit ihnen. Ist sehr berührend.“

Das fand ich dann auch berührend.
Die Tochter, die ihren kranken Eltern den Gottesdienst nach Hause bringt, mit den Oblaten von der Kommunion.
Was für eine schöne Geste. Liebe. Trost. Geist.

Ich werde später auf diese kleine Geschichte zurückkommen.
Doch nun lassen Sie uns zuerst den Predigttext hören.
Er steht im Johannesevangelium Kap 15,26 bis 16,4.
Dort sagt Jesus:

26 Wenn aber der Tröster kommen wird, den ich euch senden werde vom Vater, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht – der wird Zeugnis geben von mir.
27 Und auch ihr seid meine Zeugen, denn ihr seid von Anfang an bei mir gewesen.
16,1 Das habe ich zu euch geredet, damit ihr nicht abfallt.
2 Sie werden euch aus der Synagoge ausstoßen. Es kommt aber die Zeit, dass, wer euch tötet, meinen wird, er tue Gott einen Dienst damit. 3 Und das werden sie darum tun, weil sie weder meinen Vater noch mich erkennen.
4 Aber dies habe ich zu euch geredet, damit, wenn ihre Stunde kommen wird, ihr daran denkt, dass ich's euch gesagt habe. Zu Anfang aber habe ich es euch nicht gesagt, denn ich war bei euch.

Zwei Tonlagen in einem Text.
Der Abschnitt beginnt mit ganz positiven Formulierungen und Wörtern, die schmeicheln oder auch unsere Neugier wecken:
Wenn „der Tröster kommen wird“ – ja, Trost ist gut.
Bei Trost sein.
Getröstet – nicht vertröstet.

Wahrheit, Geist. „Geist der Wahrheit.“

Ich und der Vater – und ihr. Wir gehören zusammen.
Wir reden, einer im Namen des andern. Denn wir gehören zusammen, wir tragen Gottes Botschaft in die Welt.
Der Geist redet von mir – „gibt Zeugnis von mir“.
Und auch ihr seid meine Zeugen.
Wenn ihr da seid, ist etwas von mir da. Und von dem Vater. Und von dem Geist.

Es geht um Beziehung.
Jesus, und Gott – und wir. Wir haben es miteinander zu tun.
Schön!

Aber der Text hat zwei Seiten.
Beziehung ist die eine. Abgrenzung die andere.

Denn da sind andere. Feinde. Die wollen uns an den Kragen.
Jesus macht die Jünger mit dem, was er da sagt, zu Mitstreitern in einem Kampf.
„Wir müssen zusammenhalten. Ihr dürft nicht abfallen. Sie wollen euch töten.“

Von was für einem Kampf redet er?
Na, zum einen macht der Zusammenhang deutlich:
Unser heutiger Abschnitt gehört zu den Abschiedsreden Jesu.
Kurz darauf wird Jesus tatsächlich verraten und hingerichtet.

Und wir, die wir das lesen, wir, die wir ihm nachfolgen…
uns bereitet er darauf vor, dass es uns nicht besser geht.
Dass wir in einer feindlichen Welt leben. Dass man uns an den Kragen will.

Aber was sind das für Feinde?
In der Dramaturgie des Johannesevangeliums sind es zunächst die Juden. Das ist kein Zufall. Es hat historische Gründe.
Die Erinnerung an die Rivalität und Feindschaft zwischen Juden und Christen ist noch frisch.
Beide rangen miteinander um das richtige Verständnis der Schrift.
Juden werfen Christen vor, dass Jesus mit seinem Anspruch, Gottes Sohn zu sein, Gott gelästert hat.
Christen werfen Juden vor, es nicht begreifen zu wollen, dass Jesus der lang ersehnte Messias ist.
Ein tiefes Unverständnis, Rivalität, Feindschaft. Feindschaft – unter Verwandten. Das ist ja oft die bitterste Feindschaft.
Nämlich die unter Leuten, die sich eigentlich nahe sind, und die gerade deshalb besonders bitter voneinander enttäuscht sind.

Durchs ganze Johannesevangelium zieht sich dieses Motiv:
Hier sind wir, auf der einen Seite, in einem engen und immer enger und vertrauter werdenden Vertrauensverhältnis: Jesus, der Vater, der Tröster-Geist – und die Gemeinde, die Menschen, die zu Jesus, zu dieser guten, innigen Beziehung halten.

Und dort: Die andern. Die feindliche Welt. Die ihn nicht aufnimmt. Die ihn ausstößt. Angreift. Tötet.
Die Juden zuerst. Aber eigentlich stehen sie im Johannesevangelium ganz allgemein für die feindliche Welt.

Und was ich mich dabei die ganze Zeit frage, ist dies:
Hat der Text – hat Jesus, oder genauer: hat der Jesus des Johannesevangeliums eigentlich recht mit dieser harschen Gegenüberstellung?
Hier wir, die Gemeinde, und Jesus und Gott und der Geist, die wir uns liebevoll zugetan sind –
und dort die Feinde, die Welt, die, die falsch glauben und uns ans Leben wollen?

Das ist die Frage, an der ich herumkaue, so lange ich mich mit diesem Text beschäftige. Ich kämpfe dabei mit  zwei ganz widersprüchlichen Impulsen:

Der eine Impuls: Der Predigttext hat nicht recht. Das geht doch nicht so! Das ist doch Fundamentalismus oder Sekte pur, wenn ich dauernd durch die Welt laufe mit dem Gefühl: Das sind alles meine Feinde. Nur wir in der Gemeinde sind die Guten.

Und der andere Impuls:
 Ich kann doch Jesus nicht so harsch widersprechen.
Wer bin ich denn?
Und Fakt ist doch: Er wird tatsächlich hingerichtet, auf übelste Weise. Sein Weg der Liebe führte ihn tatsächlich bis in den Tod – den Tod für uns.
Es gab Feinde. Und vielerorts gibt es sie noch – gibt es die Situation, dass Menschen sich wegen ihrer Religion umbringen.
Es gibt die Gräuel des IS – gegen alle andersgläubigen, seien es Muslime oder Leute mit anderer Religion.
Es gab und gibt auch Gräuel im Namen des Christentums, leider.
In Nordirland und anderswo gingen Christen im Namen ihrer Konfession aufeinander los.
Auch die Konflikte im untergehenden Ex-Jugoslawien waren oft religiös und konfessionell geprägt.
Und Gewalt im Namen der Religion ist universell.
Wir lesen in der Zeitung von Anschlägen radikaler Hindus, von fanatischen ultraorthodoxen Siedlern in Israel. Die Liste der religiös motivierten oder zumindest religiös gefärbten Gewalt ist lang.

Es scheint also Fakt zu sein: Religion redet von Verständnis, und Liebe, Solidarität und Gemeinschaft. Religion hat es aber ganz oft mit Konflikt, Auseinandersetzung und Feindschaft zu tun.

Entweder, weil Religion missbraucht wird, um Konflikte zu legitimieren. Oder aber, weil es wirklich um Religion geht, um das intensive Ringen darum, wer nun wirklich recht hat.

Jesus bereitet die seinen darauf vor, dass dieses Ringen durchaus gewaltsam und leidvoll sein kann.
Er schwört sie darauf ein, bloß nicht abzufallen.
Bei ihm zu bleiben. In Beziehung. Mit ihm, dem Vater, dem Geist.

Was für zwei unterschiedliche Welten sich öffnen in den beiden Teilen! Bei den einen Worten gehen das Herz und der Himmel auf.
Bei den anderen schnürt sich alles zu, wird es angstvoll und eng. Da klingt es nach Durchhalteparolen.

Gehört beides zusammen? Ist das zwingend so?

Oder kann es sein, dass beides richtig ist?
Liebe, Verständnis, Gemeinschaft, Trost – diesen Zusammenhalt gibt es nur, wenn wir gleichzeitig auch die andere Seite sehen: Die feindliche Welt, die genau diese Liebe, dieses Verständnis, die Gemeinschaft und den Trost rauben will und gegen die wir bestehen müssen.

Und gleichzeitig: Liebe, wahre Liebe und damit auch echten Glauben gibt es nur da, wo wir die Rüstungen ablegen. Wo wir uns ins Auge schauen, uns nicht mehr misstrauen.
Wahre Liebe und wahren Glauben kann es gerade nicht um den Preis geben, dass wir uns abschotten und irgendwelchen möglichen Feinden misstrauen.

Für das Johannesevangelium lag ja die Abgrenzung, das Rechnen mit Anfeindungen von denen da draußen nahe. Da ist ja nicht nur die Erinnerung an die alte Familienfeindschaft zwischen Christen und Juden. Sondern da ist auch die tägliche Erfahrung, dass die noch kleine Gruppe der Christen im römischen Reich in einem Umfeld sich behaupten muss, in dem religiös zwar ganz vieles möglich ist. Es gibt viele verschiedene Kulte im römischen Reich, in den verschiedenen Regionen.  

Aber eines müssen alle: Den Kaiser wie einen Gott verehren.
Da machen die Christen nicht mit (die Juden übrigens auch nicht).
Und darum sind sie Außenseiter in der römischen Gesellschaft.
Die Welt ist tatsächlich feindlich ihnen gegenüber, auf vielerlei Weise.
Von vielen kleinen alltäglichen Benachteiligungen und Ausgrenzungen bis hin zu offener Feindschaft, vieles war möglich. Feindseligkeit ist ja äußerst erfinderisch und nimmt viele Formen an.

Und hier kommt der Knackpunkt:
Die Situation der ersten Christengemeinden ist nämlich mit unserer Situation überhaupt nicht zu vergleichen. Und darum können wir Texte wie den Predigttext nicht eins zu eins auf uns übertragen!
Dass die Welt gegenüber Gott und der Gemeinde feindselig eingestellt ist – vielleicht ist was dran, das müssen wir uns noch genauer anschauen.
Aber sicher ist diese Feindseligkeit nicht vergleichbar mit der Situation vor 2.000 Jahren.

Seit 1.700 Jahren hat die Kirche großen Anteil am öffentlichen Leben.
Und darum kann bei uns keiner mehr so tun, als könne man sich zurückziehen in eine weltfreie Kirche.
Die gibt es nicht. Kirche und Welt sind bei uns eng aufeinander bezogen, miteinander verschränkt.
Das Christentum hat unsere westliche Welt entscheidend mitgeprägt.
Sie auseinanderzuhalten ist vielleicht unmöglich, auf alle Fälle aber sehr kompliziert.

Uff, das war schwere Kost bisher.
Der Versuch, argumentativ mit dem Text klarzukommen.
Mit der Gegenüberstellung von Liebe und Gemeinschaft und Verständnis auf der einen Seite, in der Gemeinde, und dem Thema Feindschaft und Ablehnung auf der anderen Seite, die wir wahrnehmen und beim Namen nennen und mit denen wir rechnen müssen.

Mit beidem zu rechnen, ist richtig. Einerseits.
Es nicht zu tun, wäre eine anbiedernde Kuscheltheologie, über die viele lästern, oft zu Recht.
Es wäre eine Theologie, die so tut, als wäre alles gut und alles irgendwie eins und alles voller Verständnis und klar.
Nein, ist es nicht!
Unser Leben ist nicht gut und eins und klar, und unser Glaube und unsere Kirche sind es auch nicht.

Mit beidem zu rechnen, mit Liebe und Verständnis und mit Feindschaft, ist also wichtig.
Es kann aber auch sehr falsch sein.
Wenn es nämlich dazu führt, dass wir Rüstungen anziehen, Mauern hochziehen, vor lauter uns-einstellen-auf Feindschaft selber feindselig werden.
Und so tun, als wäre unsere Situation so ähnlich wie die in der frühen Christenheit, als Kirche und Welt sich tatsächlich fremd und feindlich gegenüberstanden.

Es ist ja viel vertrackter.
Wir sind nämlich zugleich Kirche – und Teil der Welt. Jede und jeder von uns.
Wir nehmen Teil in der Sphäre von Liebe und Verständnis, wir erleben tiefe Gemeinschaft und Sinn.
Und zugleich sind wir selbst, jede und jeder von uns, Teil der feindlichen, der feindseligen Welt.
Die Spaltung geht doch mitten durch uns durch.

Manchmal sehen wir sie.
Manchmal leiden wir darunter, dass wir das Böse wahrnehmen – und doch selbst auch Dinge tun, von denen wir wissen oder ahnen, dass sie nicht gut sind.
Manchmal leiden wir darunter, dass wir es einfach nicht besser hinkriegen.

Und manchmal freuen wir uns, weil dann doch, inmitten der oft undurchsichtigen Welt, unserer Welt, etwas aufblitzt von Gottes Welt.

Sie erinnern sich an die Szene vom Anfang.
An dieses besondere Muttertagsgeschenk:
An die Bekannte, die ihren kranken Eltern die Kommunion nach Hause gebracht hat.

Was für eine schöne Geste. Liebe. Trost. Geist.
So kann sie aussehen, die Gemeinschaft, von der unser Predigttext spricht. In der Vater und Sohn und Geist und wir alle zusammengehören, alle Familie sind, einander trösten und beistehen und Freude und Hoffnung machen.

Doch der Riss von Gottes Heil und feindseliger Welt geht mitten durch unser Leben hindurch. Da gibt es diese Szene von der Tochter, die sich um ihre alten Eltern sorgt.
Aber wir erfahren nichts darüber, was zwischen Tochter und Eltern an den anderen Tagen passiert.
Ich weiß nur: die Tochter hat einen verantwortungsvollen Job.
Gut denkbar, dass sie das Gefühl hat, viel zu selten zu ihren Eltern zu kommen. Gut möglich, dass sie oft ein schlechtes Gewissen hat.
Und dass die Dankbarkeit der Eltern, wenn sie sich mal sehen lässt, ihr schlechtes Gewissen noch vergrößert.

Und wie sieht die Geschichte aus der Perspektive der Eltern aus?
Die sich heute freuen über die rührende Geste der Tochter und den Hausgottesdienst – und denen es morgen wieder nicht so gut geht?
Die Schmerzen haben und Angst?

Es geht ein Riss durch unsere Welt.
Und wir können nicht so tun, als würden wir nur auf der einen, auf der heilen, göttlichen Seite existieren.

Aber wir können uns Geschichten der Hoffnung erzählen und Bilder des Trostes zeigen.
Bilder und Geschichten, die aufblitzen lassen, wie Gott es meint mit uns. Und das inmitten unseres oft heillosen Durcheinanders.

Diese Geschichten sind manchmal ganz unspektakulär.
Eine kleine Dose mit einem Kreuz darauf.
So geht Kirche. So geht Glaube. So geht Trost.
Und dann aber auch: Hinschauen, wo das Leben nicht gut ist, wo wir ratlos sind, wo wir widersprechen sollen. Beides gehört zusammen.
Amen.

 

Perikope
17.05.2015
15,26-16,4