Gnade sei mit uns und Friede, vom Gott, unserem Vater und von unserem Herrn Jesus Christus, Amen!
Liebe Gemeinde -
heute gehen wir über den Jordan.
Na, habe ich Sie und Euch erschreckt? Diese Redensart bedeutet ja; Hier wird gestorben, mindestens aber: Hier geht etwas unwiederbringlich kaputt. Beispiele gefällig? „Und die Firmen, die diesen Mist gesponsert haben, dürfen von mir aus bei der nächsten Pleitewelle auch gleich mit über den Jordan gehen.“
„Mir ist richtig viel Kohle überhaupt nicht wichtig, denn was nützt dir das ganze Geld, wenn du über den Jordan gehst?“
„Ach, die blöde Karre ist längst über den Jordan gegangen.“
Wahlweise geht, je nach Landschaft, einer auch über die Wupper oder über den Deister oder etwas geht den Bach runter.
Heute gehen wir über den Jordan. Echt jetzt. Wir schauen uns nämlich heute genau die Szene in der Geschichte Israels an, in der die im gelobten Land ankommen. Und dazu müssen sie über den Jordan. Es wird erzählt, die aus Ägypten befreiten israelitischen Sklaven seien nun nach vierzig Jahren der Wüstenwanderung nun endlich an der Grenze zum einst den Vorvätern versprochenen Landes angekommen, dem Land, in dem Milch und Honig fließen sollen, endlich. Mose, so wird erzählt, hat sie bis hierher geführt, betreten wird das Land nicht mehr, aber anschauen kann er es noch, bevor er stirbt. Josua heißt der neue Anführer des wandernden Gottesvolkes. Am Fluss, der die Grenze zwischen Wüste und bewohnbarem Land markiert, lässt Josua sie erst einmal rasten.
Dann aber ist es soweit. Es soll nun über den Jordan gehen. Der Jordan ist zu normalen Zeiten kein reißendes Gewässer, eher ein Flüsschen als ein Strom. Nur wenn im Libanon Gebirge, wo der Jordan seine Wasser her hat, der Schnee schmilzt, dann tritt er auch im weiteren Verlauf einmal über die Ufer. Um den Übergang etwas dramatischer erscheinen zu lassen, wird genau diese seltene Situation vorausgesetzt.
Und so erzählt es das Buch Josua im 3. Kapitel:
Josua sprach zum Volk: Heiligt euch, denn morgen wird der HERR Wunder unter euch tun. Und zu den Priestern sprach er: Hebt die Bundeslade auf und geht vor dem Volk her! Da hoben sie die Bundeslade auf und gingen vor dem Volk her.
Und der HERR sprach zu Josua: Heute will ich anfangen, dich groß zu machen vor ganz Israel, damit sie wissen: Wie ich mit Mose gewesen bin, so werde ich auch mit dir sein.
Und du gebiete den Priestern, die die Bundeslade tragen, und sprich: Wenn ihr an das Wasser des Jordans herankommt, so bleibt im Jordan stehen. Und Josua sprach zu den Israeliten: Herzu! Hört die Worte des HERRN, eures Gottes!
Daran sollt ihr merken, dass ein lebendiger Gott unter euch ist und dass er vor euch vertreiben wird die Kanaaniter, Hetiter, Hiwiter, Perisiter, Girgaschiter, Amoriter und Jebusiter: Siehe, die Lade des Bundes des Herrschers über alle Welt wird vor euch hergehen in den Jordan.
Und die Priester, die die Lade des Bundes des HERRN trugen, standen still im Trockenen mitten im Jordan. Und ganz Israel ging auf trockenem Boden hindurch, bis das ganze Volk über den Jordan gekommen war.
Liebe Gemeinde,
trockenen Fußes gelangen sie nun über den Jordan. Ein kurzer Weg ist das nur im Vergleich zu dem jahrelangen Weg, den sie hinter sich haben, ein letzter Schritt noch, um anzukommen. Und es erscheint wie ein Wunder: Als die Priester mit der Bundeslade mit den nackten Fußsohlen das Wasser berühren, vielleicht so wie wir mit den Zehenspitzen beim Schwimmengehen die Wassertemperatur testen, da staut sich das Wasser des Jordan viele Kilometer oberhalb, nach unten zum Toten Meer läuft es ab und siehe da: Ein Übergang ohne nasse Füße wird möglich. Alles sieht so ein wenig aus wie die undramatische Wiederholung des Schilfmeerwunders, als die Israeliten mit knapper Not den ägyptischen Verfolgern entkamen und deren Rosse und Reiter jämmerlich ertranken.
Wie auch immer dieser Übergang historisch stattgefunden haben mag: Dieser Übergang über den Jordan aus der Wüste ins verheißene Land gehört zu den Gründungserzählungen Israels, eine Erzählung die immer wieder nacherzählt und ausgeschmückt und überarbeitet wurde, was sich in unzähligen Brüchen, Doppelungen und Erzählfäden in den beiden Kapiteln des Buches Josua wiederfindet. Darum interessiert mich diese Frage auch nicht besonders. Spannend finde ich diese Geschichten vom Übergang über den Jordan als ein Beispiel für Übergänge, für Schwellen und Grenzüberschreitungen, die jede und jeder von uns in seinem Leben durchleben muss. Und nicht erst dann, wenn es für uns heißt: Sie oder er ist über den Jordan gegangen.
Damit Übergänge gelingen können, so wie das Volk hier gut rüber kam über ihren Jordan, gibt es in dieser Geschichte ein paar Gesichtspunkte, die auch uns in unseren Schwellensituationen, vor Schritten und an Grenzen helfen könnten.
Da ist einmal der Zeitpunkt. Wann ist es Zeit für den ersten, oder auch für den nächsten Schritt? Als die Israeliten nach dieser unendlichen mühsamen Wanderung durch Wüste und Gebirge endlich fast da sind, machen sie erst einmal Rast, sie schlagen ihre Zelte auf, warten ab. Der richtige Zeitpunkt für den nächsten Schritt scheint noch nicht gekommen. Das kennen wir ja auch aus unserem Leben. Will ich meinen Job kündigen und mich beruflich noch einmal neu orientieren? Da zögern wir, halten inne, horchen in uns hinein. Soll ich meine Liebste fragen, ob sie mich heiraten will? Wann ist der richtige Zeitpunkt gekommen? Sollen wir es wagen, die Wohnung zu kaufen, auch wenn wir uns dabei bis zum Hals verschulden müssen? Wann ist es Zeit? Wir wissen alle aus unserem eigenen Leben Beispiele zu erzählen, dass es da beides gibt: Ein zu schnelles, spontanes Handeln, dessen nicht mitbedachte Folgen uns auf die Füße fallen. Und ein zu langes Zaudern, durch das uns Chancen und Aufbrüche davoneilen und wir hinterher schauen wie einer davonfahrenden U-Bahn. Die Bibel kennt zwei Bedeutungen von Zeit. Da ist einmal Chronos, die unbeirrt laufende Zeit, die Minute zu Minute, Stunde, Tag und Jahr dahinströmt. Und da ist der Kairos: Der eine richtige Zeitpunkt, an dem alles stimmt und der Schritt gegangen werden kann, Gottes Zeit. Das ist die Zeit, von der die Bibel spricht, wenn sie sagt: Ein jegliches hat seine Zeit und jedes Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde. (Übrigens ist die Ausstellung in unserer Kirche eben diesem Thema gewidmet)
Da ist zum zweiten: Wo geht es hin? Habe ich eine Vision, eine Ahnung, einen Traum ein Ziel? Die Israeliten damals am Jordan hatten das seit Generationen, ein Land, in dem sie frei und unbedroht würden leben können. Diese Vision wurde im Grunde niemals Wirklichkeit, und das biblische Israel war – ebenso wie das gegenwärtige – immer Bedrohungen und Gefahren ausgesetzt von außen wie von innen. Aber ohne diesen Traum wäre das Volk schon damals, vor dem Schritt über den Jordan untergegangen. In persönlichem und kleineren Maßstab geht es aber auch um uns: Was ist der nächste Schritt in meinem Leben? Habe ich noch ein Ziel oder mehrere? Wovon träume ich und wonach sehne ich mich? Ich persönlich glaube, dass wir Menschen so etwas brauchen, solange wir leben, um uns lebendig zu fühlen. Welchen Fluss müssen wir dazu überqueren, welche Schwellen überschreiten, welche Grenzen ausprobieren? Und da gibt es eben auch den großen Unterschied zwischen den Übergängen, die wir selber in der Hand haben und die planbar auf uns zukommen, wie in meinem Fall der nahende Ruhestand und da gibt es die Zustände, in die wir vom Leben hineingeworfen werden, wie eine plötzliche schlimme Krankheit. Aber mit alledem können wir es im Leben zu tun bekommen. Ich weiß nur: Verdrängen, verleugnen und ausweichen ist der schlechteste Plan.
Und wenn es dann um den nächsten Schritt geht, ist da immer wieder zwischendrin: Der hemmende Konjunktiv. … eigentlich wollte ich doch, im Grunde müsste ich, vielleicht sollte ich mal. Wo ist das aus Lebenserfahrung heraus gebotene Vorsicht und wo ist es der berüchtigte innere Schweinehund, der mich hindert? Das unterscheiden zu können ist schon einmal hilfreich.
Da ist zum dritten: Wer begleitet mich? Wer zeigt mir den richtigen, den gangbaren Weg? Damals, als es über den Jordan ging, war es so: Josua, du gebiete den Priestern, die die Bundeslade tragen, und sprich: Wenn ihr an das Wasser des Jordans herankommt, so bleibt im Jordan stehen. Und Josua sprach zu den Israeliten: Herzu! Hört die Worte des HERRN, eures Gottes! Daran sollt ihr merken, dass ein lebendiger Gott unter euch ist: Siehe, die Lade des Bundes des Herrschers über alle Welt wird vor euch hergehen in den Jordan. Hier geht Gott nicht nur mit, er geht voran. Wir hören diese Botschaft am Ende der Weihnachtszeit. Wir haben den gefeiert, von dem wir glauben: Er ist für uns. Er ist für uns in diesem Kind in diese Welt gekommen und trägt den Namen Immanuel, Gott ist mit uns. Damals galt: Haltet euch vom Heiligsten fern, haltet 2000 Ellen Abstand. Das Heiligste hilft euch, rettet euch, stoppt das Wasser von Schilfmeer und Jordan, aber kommt ihm nicht zu nahe. Nach Weihnachten können wir ihn, den Herrn der Welt, berühren und uns von ihm berühren lassen. Welche Schwelle, Grenze oder welcher Übergang auch vor uns liegt; Wir gehen ihn nicht allein. Aber.
Da ist zum vierten: Kann ich vertrauen, darf ich vertrauen, will ich vertrauen? Darauf müssen wir alle unsere persönliche Antwort finden. Ich weiß Ihre und Eure Antwort nicht. Ich weiß nur für mich selber: Ich werde nicht aufhören, es zu versuchen. Amen