Über Handeln und Hausbau - Predigt zu Matthäus 7,24-27 von Wolfgang Vögele
7,24
Vorbemerkung: Der Predigttext, der Schluß der Bergpredigt, setzt diese voraus, anders wird das Gleichnis vom Hausbau nicht verständlich. Es empfiehlt sich deshalb, schon als Lesung eine Passage aus der Bergpredigt auszuwählen.
Die Geschichte von Theresa und vor allem das Motiv des Handelns mit Gott sind einer Erzählung von Alice Munro nachempfunden: „Pfosten und Bohlen“ in: Alice Munro, Himmel und Hölle, Frankfurt/M. 2004
Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Der Predigttext für den 9.Sonntag nach Trinitatis steht in der Bergpredigt, in Mt 7,24-27:
„Jesus sagt: Darum, wer diese meine Rede hört und tut sie, der gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf Fels baute. Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, fiel es doch nicht ein; denn es war auf Fels gegründet.Und wer diese meine Rede hört und tut sie nicht, der gleicht einem törichten Mann, der sein Haus auf Sand baute. Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, da fiel es ein und sein Fall war groß.“
Liebe Gemeinde, ich will Ihnen von Theresa erzählen.
Theresa ist eine selbstbewußte junge Frau, zweiunddreißig Jahre alt, strohblondes schulterlanges Haar. Theresa ist mit Peter, einem Software-Entwickler verheiratet. Beide haben zwei kleine Kinder, einen Jungen, Christopher, zwei Jahre, und ein Mädchen, Linda, sechs Jahre alt. Die Familie lebt in einem Reihenhaus in einem beschaulichen Vorort einer süddeutschen Großstadt.
An einem Sommertag bekommt Theresa unverhofft Besuch von Beate, ihrer jüngeren Schwester. Beate lebte bisher bei ihren Eltern, irgendwo im Schwarzwald, aber nun hat sie sich mit ihnen zerstritten. Also packte sie die notwendigsten Sachen, ließ bei den Eltern eine kurze Nachricht zurück, und nahm den Zug in die Großstadt. Beate klingelte an der Tür des Reihenhauses ihrer Schwester und ihres Schwagers.
Theresa war überrascht, als sie die Tür öffnete, sagte aber nichts. Beate war froh, erst einmal ein Dach über dem Kopf zu haben. Was zwischen ihr und den Eltern geschehen war, darüber wurde nicht gesprochen. Wie lange Beate bleiben will, darüber wurde auch nicht gesprochen. Während der Besuchstage stehen diese Fragen unbeantwortet in den kleinen Räumen des Reihenhauses. Es herrscht zwischen den Schwestern eine eigenartige Spannung. Peter, der Ehemann hat sich längst hinter die Zeitung zurückgezogen.
Zwei Wochen vergehen. Theresa machte sich Gedanken. Sie fühlte sich gestört. Peter, der Software-Entwickler war gar nicht mehr begeistert über den unerwarteten Besuch. Theresa sprach ihn an, als sie vor dem Schlafengehen im Bett lagen und noch in einem Krimi lasen. Theresa sagte: Ich traue mich nicht, meine Schwester anzusprechen. Sie ist so empfindlich. Peter drängte Theresa, der Schwester einen Termin für den Auszug zu setzen. Zuletzt einigten sich Peter und Theresa darauf, das Wochenende abzuwarten. Peter und Theresa sind zur Geburtstagsfeier einer gemeinsamen Freundin eingeladen, in einer Stadt in Norddeutschland. Beate bleibt allein zurück und hütet über das Wochenende das Reihenhaus. Theresa genießt die schöne Hochzeitsfeier der Freundin. Sie sieht alte Freundinnen und genießt unbeschwert die Feier. Es wird spät. Erschöpft fallen Theresa und Peter in ihr Bett im Hotelzimmer. Die Kinder schlafen längst.
Am nächsten Tag fährt die Familie zurück nach Hause. Die Fahrt zieht sich, sie stehen in mehreren Staus. Theresa kommt ins Grübeln, und ihre Gedanken schweifen wie von selbst zu ihrer Schwester, die das Wochenende allein im Reihenhaus verbracht hat. Vielleicht hat sie sich geärgert, daß sie nicht gebeten wurde, mitzukommen nach Norddeutschland.
Theresa fürchtet, daß es ihrer Schwester gar nicht gut geht. Theresa kommt ins Grübeln. Die Schwester weiß nicht richtig, was sie mit ihrem Leben anfangen will. Warum hat sie sich ausgerechnet das Reihenhaus ihrer Schwester als Zufluchtsort ausgesucht?
Theresa ist doch verheiratet, sie hat zwei kleine Kinder, der Familie geht es gut. Sie lebt so, wie sie gerne leben will. Will ihr die Schwester das wegnehmen? Muß sie die eigene Schwester als Konkurrentin für ihren Mann fürchten?
Auf dem Beifahrersitz hängt Theresa ihren Gedanken nach. Plötzlich überkommt sie eine schreckliche Gewißheit. Sie ist sich sicher, daß die Familie, wenn sie zurückkehrt und die Reihenhaustür öffnet, die Schwester tot auffinden wird. Bestimmt hat sie eine Schachtel Schlaftabletten genommen. Theresa kann keinen Grund für diese Gewißheit angeben. Sie weiß es eben. Und sie hat ein schlechtes Gewissen, weil sie sich zu wenig um die Schwester gekümmert hat. Sie hat nicht gefragt, wie es Beate geht. Sie hat geschwiegen und gewartet, bis sich die Schwester von selbst äußert. Sei hat gefürchtet, die Schwester sei eine Konkurrentin. Nun könnte es zu spät sein.
Mit Peter kann sie nicht reden. Er steuert das Auto auf der Überholspur nach Hause. Sie denkt weiter nach. Wenn sie sich umgebracht hat, dann steckt darin ein Vorwurf. Und sie fürchtet, diesem Vorwurf nicht standhalten zu können. Theresa fällt in ein tiefes Loch der Furcht. In ihrer verschwiegenen Not fängt sie an zu beten. Sie betet zu einem Gott, den sie nicht kennt.
Peter und sie haben sich kirchlich trauen lassen, sie haben die Kinder als Babies getauft und sie sind an Weihnachten in den Krippenspiel-Gottesdienst gegangen.
Theresa betet, weil sie sich vor dem Selbstmord ihrer Schwester fürchtet. Und betend schlägt sie in Gedanken einen Tauschhandel vor. Wenn wir zurückkommen und wir treffen Beate noch lebend an. dann will ich etwas Gutes tun: Ich will mich sozial engagieren. Dann will ich dankbar sein. Wenn Beate noch lebt, dann wäre das ein Geschenk. Und für dieses Geschenk will ich eine Gegenleistung bringen, denkt Theresa im Stillen. Es gelingt ihr, mit diesem Tauschhandel ihre Befürchtungen zu dämpfen.
Als sie in die Vorstadtstraße einbiegen, kann es Theresa kaum erwarten, bis Peter den Wagen im selbst gebauten Carport abgestellt hat. Hastig öffnet sie die Wagentür und läuft sofort zum Eingang. An der Türschwelle steht eine gut gelaunte Beate und lacht. Fröhlich begrüßt sie die Kinder, die sich freuen, daß sie wieder mit ihr spielen können.
Theresa ist für einen Moment verwundert, dann geht sie zum Kofferraum des Wagens, um die Reisetaschen ins Haus zu bringen. Über ihre Befürchtungen redet sie zunächst mit niemandem.
Liebe Gemeinde, wer diese – erfundene – Geschichte nüchtern sieht, könnte sagen: Theresa hat sich umsonst geängstigt . Den Tauschhandel mit Gott ist sie umsonst eingegangen. Und wer weiß, ob Gott sich wirklich auf den Tauschhandel eingelassen hat. Wer weiß, ob Beate wirklich Selbstmordgedanken hatte. Wir sind auf Vermutungen angewiesen, die wir nicht belegen können.
Theresa hat sich mit ihrem Mann ein Reihenhaus gekauft, Symbol familiären Glücks und einer bürgerlichen Existenz. Aber die Angst vor dem möglichen Selbstmord der Schwester zieht ihr den Boden unter den Füßen weg. Die bodenlose Tiefe ihrer Angst treibt sie in den Tauschhandel mit Gott. Sie hat Angst, daß sie einen Fehler gemacht hat. Sie leidet unter der Befürchtung, daß das Haus ihrer eigenen Seele nicht stabil genug gebaut ist. Theresa handelt um ihr Leben. Sie will nicht dafür verantwortlich gemacht werden, daß sie ihre Schwester nie auf den Grund ihrer Verzweiflung angesprochen hat. Sie verspricht Gott eine Gegenleistung, wenn er den befürchteten Selbstmord verhindert. Sie selbst sitzt im Auto und kann nicht eingreifen.
Die Geschichte geht noch weiter. Die Schwester zieht aus und sucht sich einen Studienplatz in einer anderen Stadt. Theresa greift immer wieder zu diesem Hilfsmittel des Tauschhandels mit Gott, bei wichtigen und weniger wichtigen Gelegenheiten. Sie macht Gott Angebote. Wenn dieses geschieht und jenes nicht, dann tue ich etwas für dich. Dann tue ich, was du willst. Die Tauschhandel-Aktionen geben ihrem Leben bei allen Zweifeln ein wenig Ruhe. Aber die Beruhigung löst sich schnell wieder auf.
Darum vereinbart sie schließlich einen Gesprächstermin mit einer Pfarrerin. Sie kennt die Pfarrerin aus dem Kindergarten. Sie empfängt Theresa freundlich in ihrem Arbeitszimmer. Theresa erzählt die Geschichte von ihr und ihrer Schwester Beate. Sie erzählt vom Tauschhandel mit Gott. Eigentlich fühlt sie sich sicher in ihrer Familie, und sie will das, was sie als ihr kleines Glück empfindet, nicht verlieren. Bei Gefahren gerät sie in Angstzustände.
Die Pfarrerin fragt ein paar Mal nach. Sie schweigt lange. Dann erzählt sie von den Weisheitsworten aus der Bergpredigt: Der Kluge baut sein Haus auf festem Untergrund. Der Törichte baut auf Sand.
Die Pfarrerin fährt fort: Liebe Theresa, ich bin überzeugt: Niemand muß mit Gott Handel treiben, um sich aus den Schwierigkeiten des Lebens zu befreien. Gott verteilt seinen Segen nicht nach den Vorleistungen der Menschen.
Die Menschen bauen sich Häuser, um sich vor den Gewittern des Unglücks und den Regenschauern des Leides zu schützen. Häuser bieten Obdach auf dem unsicheren und gefährlichen Weg des Lebens. In diesen Häusern kann man sich ausruhen und für die nächste Wegstrecke stärken.
Um im Bild zu bleiben: Es kommt darauf an, auf welchem Boden, auf welchem Untergrund die Menschen sich solche Häuser bauen. Das Haus erfüllt zwei Aufgaben. Es muß Schutz bieten vor den Stürmen des Lebens. Es wäre schlimm, wenn es beim ersten stärkeren Gewitter gleich überschwemmt würde. Die zweite Aufgabe: Das Haus muß genügend Fenster und Türen haben, damit man nach draußen schauen kann. Türen öffnen sich zum Besuch wie bei ihrer Schwester. Türen öffnen sich zum Gespräch. Wer mit einem anderen spricht, der kann seine Ängste einem anderen mitteilen – und umgekehrt. Geteilte Angst halbiert sich.
Theresa nickt.
Manche Menschen, sagt die Pfarrerin, bauen sich Häuser mit hohen Mauern und gigantischen Alarmanlagen. Sie wollen sich vor den Lebensgefahren retten, indem sie andere Menschen aussperren. Aber das Leben läßt sich nicht aussperren. Auch der Tod läßt sich nicht aussperren. Am Ende findet er immer eine Tür, durch die er unbemerkt in das Haus des Lebens eintritt.
Theresa fragt: Wo bleibt Gott in diesen Häusern, die wir uns bauen?
Gott ist überall, sagt die Pfarrerin. In dem Bild Jesu ist er der Untergrund, die Voraussetzung, das Fundament. Mit einem Fundament muß ich keinen Handel treiben. Das Fundament zeichnet sich dadurch aus, daß ich mich darauf verlassen kann. Ich weiß, daß mein Haus alle Stürme, Schauer und Erdbeben aushalten wird. Darauf kann ich mich verlassen.
Theresa wendet ein: Ich habe trotzdem das Gefühl, daß Gott mir immer wieder Prüfungen aufgibt. Und bei jeder Prüfung ist mein erster Impuls, daß ich mit ihm einen Handel anfange.
Sie müssen nicht Handel treiben mit Gott, Theresa, antwortet die Pfarrerin. Jesus lädt die Menschen ein, sich ein Haus zu bauen. Nicht ein Reihenhaus aus Stein und Ziegeln mit Balkon und zwei Bädern, sondern ein Haus für das Herz und die Seele. Keine Schutz- und Trutzburg mit Zinnen, Schießscharten und einer Zugbrücke, um den Eingang zu versperren. Nein, Jesus will ein offenes gastfreundliches Haus: In diesem Haus für Herz und Seele soll der Mensch seine Freiheit leben können.
Wie kann ich meine Freiheit leben, fragt Theresa, wenn ich gar nicht weiß, woran ich mich orientieren soll? Was bleibt mir dann für eine Alternative als mit Gott Handel zu treiben?
Dieses weisheitliche Bild vom symbolischen Haus der Seele, sagt die Pfarrerin, steht am Ende der größten und wichtigsten Rede Jesu, in der Bergpredigt. Bevor Jesus über das Fundament des Glaubenshauses spricht, redet er über seine Architektur.
Gleich am Anfang preist Jesus die Barmherzigen und die Friedensstifter selig. Er lehrt uns beten und schenkt uns das Vaterunser. Er zeigt uns, welche radikale Freiheit der Glaube an Gott ermöglicht: Wir Menschen sind wie Vögel und Lilien, die sich keine Sorgen machen müssen. Jesus mutet uns die Feindesliebe zu.
Die Architektur ist also vorhanden. Die Bausteine liegen bereit: Glauben und Freiheit, Gottvertrauen, Mut und Unerschrockenheit, Beständigkeit und Staunen über die Schöpfung. Die Bergpredigt nimmt Menschen in all ihren Ängsten ernst. Sie führt sie auf einen Weg heraus, der ganz und gar nicht unseren bürgerlichen Konventionen entspricht. Aber er verspricht die Chance, über unsere Ängste hinweg zu kommen. Das ist das neue Haus des Glaubens.
Mit einem architektonischen Bild: kein Historismus, der einfach das Vergangene neu kombiniert, sondern eher eine Mischung aus Neuer Sachlichkeit, Jugendstil und Postmoderne. Ein Haus voller Überraschungen, voller Zerbrechlichkeit, neuer Perspektiven. Ein Haus mit ungewöhnlichen Sichtachsen, unvermuteten Ein- und Durchblicken. Kein Reihenhaus, aber auch keine Villa. Keine baufällige Hütte, aber auch kein prachtvolles Schloß. Keine Reformruine und kein Potemkinsches Dorf. Kein Elfenbeinturm und kein Wolkenkuckucksheim. Statt dessen ein Haus des offenen, freundlichen und gelassenen Lebens. Es bietet Schutz, und es stiftet Frieden. Es ist ein Ort des Gesprächs, der Liebe und der Überwindung von Angst.
Entscheidend ist: Am Haus kann ich immer wieder bauen, nach der Anleitung der Bergpredigt oder nach der Anleitung einer anderen Geschichte Jesu.
Aber ich merke, sagt die Pfarrerin, ich fange an zu predigen.
Mich stört das nicht, sagt Theresa. Aber es ist schon nach Zwölf, ich muß gleich die Kleine vom Kindergarten abholen. Und Theresa verabschiedet sich. Die Pfarrerin sagt zum Abschied: Wenn Sie noch einmal reden wollen, können wir das gerne tun. Rufen Sie mich an.
Liebe Gemeinde, Glauben gehört nicht nur in den Gottesdienst, er gehört mitten in das Leben. Dort im Leben finden wir den Gott, auf dessen Fundamenten wir die Häuser unseres Vertrauens bauen. Amen.
Die Geschichte von Theresa und vor allem das Motiv des Handelns mit Gott sind einer Erzählung von Alice Munro nachempfunden: „Pfosten und Bohlen“ in: Alice Munro, Himmel und Hölle, Frankfurt/M. 2004
Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Der Predigttext für den 9.Sonntag nach Trinitatis steht in der Bergpredigt, in Mt 7,24-27:
„Jesus sagt: Darum, wer diese meine Rede hört und tut sie, der gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf Fels baute. Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, fiel es doch nicht ein; denn es war auf Fels gegründet.Und wer diese meine Rede hört und tut sie nicht, der gleicht einem törichten Mann, der sein Haus auf Sand baute. Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, da fiel es ein und sein Fall war groß.“
Liebe Gemeinde, ich will Ihnen von Theresa erzählen.
Theresa ist eine selbstbewußte junge Frau, zweiunddreißig Jahre alt, strohblondes schulterlanges Haar. Theresa ist mit Peter, einem Software-Entwickler verheiratet. Beide haben zwei kleine Kinder, einen Jungen, Christopher, zwei Jahre, und ein Mädchen, Linda, sechs Jahre alt. Die Familie lebt in einem Reihenhaus in einem beschaulichen Vorort einer süddeutschen Großstadt.
An einem Sommertag bekommt Theresa unverhofft Besuch von Beate, ihrer jüngeren Schwester. Beate lebte bisher bei ihren Eltern, irgendwo im Schwarzwald, aber nun hat sie sich mit ihnen zerstritten. Also packte sie die notwendigsten Sachen, ließ bei den Eltern eine kurze Nachricht zurück, und nahm den Zug in die Großstadt. Beate klingelte an der Tür des Reihenhauses ihrer Schwester und ihres Schwagers.
Theresa war überrascht, als sie die Tür öffnete, sagte aber nichts. Beate war froh, erst einmal ein Dach über dem Kopf zu haben. Was zwischen ihr und den Eltern geschehen war, darüber wurde nicht gesprochen. Wie lange Beate bleiben will, darüber wurde auch nicht gesprochen. Während der Besuchstage stehen diese Fragen unbeantwortet in den kleinen Räumen des Reihenhauses. Es herrscht zwischen den Schwestern eine eigenartige Spannung. Peter, der Ehemann hat sich längst hinter die Zeitung zurückgezogen.
Zwei Wochen vergehen. Theresa machte sich Gedanken. Sie fühlte sich gestört. Peter, der Software-Entwickler war gar nicht mehr begeistert über den unerwarteten Besuch. Theresa sprach ihn an, als sie vor dem Schlafengehen im Bett lagen und noch in einem Krimi lasen. Theresa sagte: Ich traue mich nicht, meine Schwester anzusprechen. Sie ist so empfindlich. Peter drängte Theresa, der Schwester einen Termin für den Auszug zu setzen. Zuletzt einigten sich Peter und Theresa darauf, das Wochenende abzuwarten. Peter und Theresa sind zur Geburtstagsfeier einer gemeinsamen Freundin eingeladen, in einer Stadt in Norddeutschland. Beate bleibt allein zurück und hütet über das Wochenende das Reihenhaus. Theresa genießt die schöne Hochzeitsfeier der Freundin. Sie sieht alte Freundinnen und genießt unbeschwert die Feier. Es wird spät. Erschöpft fallen Theresa und Peter in ihr Bett im Hotelzimmer. Die Kinder schlafen längst.
Am nächsten Tag fährt die Familie zurück nach Hause. Die Fahrt zieht sich, sie stehen in mehreren Staus. Theresa kommt ins Grübeln, und ihre Gedanken schweifen wie von selbst zu ihrer Schwester, die das Wochenende allein im Reihenhaus verbracht hat. Vielleicht hat sie sich geärgert, daß sie nicht gebeten wurde, mitzukommen nach Norddeutschland.
Theresa fürchtet, daß es ihrer Schwester gar nicht gut geht. Theresa kommt ins Grübeln. Die Schwester weiß nicht richtig, was sie mit ihrem Leben anfangen will. Warum hat sie sich ausgerechnet das Reihenhaus ihrer Schwester als Zufluchtsort ausgesucht?
Theresa ist doch verheiratet, sie hat zwei kleine Kinder, der Familie geht es gut. Sie lebt so, wie sie gerne leben will. Will ihr die Schwester das wegnehmen? Muß sie die eigene Schwester als Konkurrentin für ihren Mann fürchten?
Auf dem Beifahrersitz hängt Theresa ihren Gedanken nach. Plötzlich überkommt sie eine schreckliche Gewißheit. Sie ist sich sicher, daß die Familie, wenn sie zurückkehrt und die Reihenhaustür öffnet, die Schwester tot auffinden wird. Bestimmt hat sie eine Schachtel Schlaftabletten genommen. Theresa kann keinen Grund für diese Gewißheit angeben. Sie weiß es eben. Und sie hat ein schlechtes Gewissen, weil sie sich zu wenig um die Schwester gekümmert hat. Sie hat nicht gefragt, wie es Beate geht. Sie hat geschwiegen und gewartet, bis sich die Schwester von selbst äußert. Sei hat gefürchtet, die Schwester sei eine Konkurrentin. Nun könnte es zu spät sein.
Mit Peter kann sie nicht reden. Er steuert das Auto auf der Überholspur nach Hause. Sie denkt weiter nach. Wenn sie sich umgebracht hat, dann steckt darin ein Vorwurf. Und sie fürchtet, diesem Vorwurf nicht standhalten zu können. Theresa fällt in ein tiefes Loch der Furcht. In ihrer verschwiegenen Not fängt sie an zu beten. Sie betet zu einem Gott, den sie nicht kennt.
Peter und sie haben sich kirchlich trauen lassen, sie haben die Kinder als Babies getauft und sie sind an Weihnachten in den Krippenspiel-Gottesdienst gegangen.
Theresa betet, weil sie sich vor dem Selbstmord ihrer Schwester fürchtet. Und betend schlägt sie in Gedanken einen Tauschhandel vor. Wenn wir zurückkommen und wir treffen Beate noch lebend an. dann will ich etwas Gutes tun: Ich will mich sozial engagieren. Dann will ich dankbar sein. Wenn Beate noch lebt, dann wäre das ein Geschenk. Und für dieses Geschenk will ich eine Gegenleistung bringen, denkt Theresa im Stillen. Es gelingt ihr, mit diesem Tauschhandel ihre Befürchtungen zu dämpfen.
Als sie in die Vorstadtstraße einbiegen, kann es Theresa kaum erwarten, bis Peter den Wagen im selbst gebauten Carport abgestellt hat. Hastig öffnet sie die Wagentür und läuft sofort zum Eingang. An der Türschwelle steht eine gut gelaunte Beate und lacht. Fröhlich begrüßt sie die Kinder, die sich freuen, daß sie wieder mit ihr spielen können.
Theresa ist für einen Moment verwundert, dann geht sie zum Kofferraum des Wagens, um die Reisetaschen ins Haus zu bringen. Über ihre Befürchtungen redet sie zunächst mit niemandem.
Liebe Gemeinde, wer diese – erfundene – Geschichte nüchtern sieht, könnte sagen: Theresa hat sich umsonst geängstigt . Den Tauschhandel mit Gott ist sie umsonst eingegangen. Und wer weiß, ob Gott sich wirklich auf den Tauschhandel eingelassen hat. Wer weiß, ob Beate wirklich Selbstmordgedanken hatte. Wir sind auf Vermutungen angewiesen, die wir nicht belegen können.
Theresa hat sich mit ihrem Mann ein Reihenhaus gekauft, Symbol familiären Glücks und einer bürgerlichen Existenz. Aber die Angst vor dem möglichen Selbstmord der Schwester zieht ihr den Boden unter den Füßen weg. Die bodenlose Tiefe ihrer Angst treibt sie in den Tauschhandel mit Gott. Sie hat Angst, daß sie einen Fehler gemacht hat. Sie leidet unter der Befürchtung, daß das Haus ihrer eigenen Seele nicht stabil genug gebaut ist. Theresa handelt um ihr Leben. Sie will nicht dafür verantwortlich gemacht werden, daß sie ihre Schwester nie auf den Grund ihrer Verzweiflung angesprochen hat. Sie verspricht Gott eine Gegenleistung, wenn er den befürchteten Selbstmord verhindert. Sie selbst sitzt im Auto und kann nicht eingreifen.
Die Geschichte geht noch weiter. Die Schwester zieht aus und sucht sich einen Studienplatz in einer anderen Stadt. Theresa greift immer wieder zu diesem Hilfsmittel des Tauschhandels mit Gott, bei wichtigen und weniger wichtigen Gelegenheiten. Sie macht Gott Angebote. Wenn dieses geschieht und jenes nicht, dann tue ich etwas für dich. Dann tue ich, was du willst. Die Tauschhandel-Aktionen geben ihrem Leben bei allen Zweifeln ein wenig Ruhe. Aber die Beruhigung löst sich schnell wieder auf.
Darum vereinbart sie schließlich einen Gesprächstermin mit einer Pfarrerin. Sie kennt die Pfarrerin aus dem Kindergarten. Sie empfängt Theresa freundlich in ihrem Arbeitszimmer. Theresa erzählt die Geschichte von ihr und ihrer Schwester Beate. Sie erzählt vom Tauschhandel mit Gott. Eigentlich fühlt sie sich sicher in ihrer Familie, und sie will das, was sie als ihr kleines Glück empfindet, nicht verlieren. Bei Gefahren gerät sie in Angstzustände.
Die Pfarrerin fragt ein paar Mal nach. Sie schweigt lange. Dann erzählt sie von den Weisheitsworten aus der Bergpredigt: Der Kluge baut sein Haus auf festem Untergrund. Der Törichte baut auf Sand.
Die Pfarrerin fährt fort: Liebe Theresa, ich bin überzeugt: Niemand muß mit Gott Handel treiben, um sich aus den Schwierigkeiten des Lebens zu befreien. Gott verteilt seinen Segen nicht nach den Vorleistungen der Menschen.
Die Menschen bauen sich Häuser, um sich vor den Gewittern des Unglücks und den Regenschauern des Leides zu schützen. Häuser bieten Obdach auf dem unsicheren und gefährlichen Weg des Lebens. In diesen Häusern kann man sich ausruhen und für die nächste Wegstrecke stärken.
Um im Bild zu bleiben: Es kommt darauf an, auf welchem Boden, auf welchem Untergrund die Menschen sich solche Häuser bauen. Das Haus erfüllt zwei Aufgaben. Es muß Schutz bieten vor den Stürmen des Lebens. Es wäre schlimm, wenn es beim ersten stärkeren Gewitter gleich überschwemmt würde. Die zweite Aufgabe: Das Haus muß genügend Fenster und Türen haben, damit man nach draußen schauen kann. Türen öffnen sich zum Besuch wie bei ihrer Schwester. Türen öffnen sich zum Gespräch. Wer mit einem anderen spricht, der kann seine Ängste einem anderen mitteilen – und umgekehrt. Geteilte Angst halbiert sich.
Theresa nickt.
Manche Menschen, sagt die Pfarrerin, bauen sich Häuser mit hohen Mauern und gigantischen Alarmanlagen. Sie wollen sich vor den Lebensgefahren retten, indem sie andere Menschen aussperren. Aber das Leben läßt sich nicht aussperren. Auch der Tod läßt sich nicht aussperren. Am Ende findet er immer eine Tür, durch die er unbemerkt in das Haus des Lebens eintritt.
Theresa fragt: Wo bleibt Gott in diesen Häusern, die wir uns bauen?
Gott ist überall, sagt die Pfarrerin. In dem Bild Jesu ist er der Untergrund, die Voraussetzung, das Fundament. Mit einem Fundament muß ich keinen Handel treiben. Das Fundament zeichnet sich dadurch aus, daß ich mich darauf verlassen kann. Ich weiß, daß mein Haus alle Stürme, Schauer und Erdbeben aushalten wird. Darauf kann ich mich verlassen.
Theresa wendet ein: Ich habe trotzdem das Gefühl, daß Gott mir immer wieder Prüfungen aufgibt. Und bei jeder Prüfung ist mein erster Impuls, daß ich mit ihm einen Handel anfange.
Sie müssen nicht Handel treiben mit Gott, Theresa, antwortet die Pfarrerin. Jesus lädt die Menschen ein, sich ein Haus zu bauen. Nicht ein Reihenhaus aus Stein und Ziegeln mit Balkon und zwei Bädern, sondern ein Haus für das Herz und die Seele. Keine Schutz- und Trutzburg mit Zinnen, Schießscharten und einer Zugbrücke, um den Eingang zu versperren. Nein, Jesus will ein offenes gastfreundliches Haus: In diesem Haus für Herz und Seele soll der Mensch seine Freiheit leben können.
Wie kann ich meine Freiheit leben, fragt Theresa, wenn ich gar nicht weiß, woran ich mich orientieren soll? Was bleibt mir dann für eine Alternative als mit Gott Handel zu treiben?
Dieses weisheitliche Bild vom symbolischen Haus der Seele, sagt die Pfarrerin, steht am Ende der größten und wichtigsten Rede Jesu, in der Bergpredigt. Bevor Jesus über das Fundament des Glaubenshauses spricht, redet er über seine Architektur.
Gleich am Anfang preist Jesus die Barmherzigen und die Friedensstifter selig. Er lehrt uns beten und schenkt uns das Vaterunser. Er zeigt uns, welche radikale Freiheit der Glaube an Gott ermöglicht: Wir Menschen sind wie Vögel und Lilien, die sich keine Sorgen machen müssen. Jesus mutet uns die Feindesliebe zu.
Die Architektur ist also vorhanden. Die Bausteine liegen bereit: Glauben und Freiheit, Gottvertrauen, Mut und Unerschrockenheit, Beständigkeit und Staunen über die Schöpfung. Die Bergpredigt nimmt Menschen in all ihren Ängsten ernst. Sie führt sie auf einen Weg heraus, der ganz und gar nicht unseren bürgerlichen Konventionen entspricht. Aber er verspricht die Chance, über unsere Ängste hinweg zu kommen. Das ist das neue Haus des Glaubens.
Mit einem architektonischen Bild: kein Historismus, der einfach das Vergangene neu kombiniert, sondern eher eine Mischung aus Neuer Sachlichkeit, Jugendstil und Postmoderne. Ein Haus voller Überraschungen, voller Zerbrechlichkeit, neuer Perspektiven. Ein Haus mit ungewöhnlichen Sichtachsen, unvermuteten Ein- und Durchblicken. Kein Reihenhaus, aber auch keine Villa. Keine baufällige Hütte, aber auch kein prachtvolles Schloß. Keine Reformruine und kein Potemkinsches Dorf. Kein Elfenbeinturm und kein Wolkenkuckucksheim. Statt dessen ein Haus des offenen, freundlichen und gelassenen Lebens. Es bietet Schutz, und es stiftet Frieden. Es ist ein Ort des Gesprächs, der Liebe und der Überwindung von Angst.
Entscheidend ist: Am Haus kann ich immer wieder bauen, nach der Anleitung der Bergpredigt oder nach der Anleitung einer anderen Geschichte Jesu.
Aber ich merke, sagt die Pfarrerin, ich fange an zu predigen.
Mich stört das nicht, sagt Theresa. Aber es ist schon nach Zwölf, ich muß gleich die Kleine vom Kindergarten abholen. Und Theresa verabschiedet sich. Die Pfarrerin sagt zum Abschied: Wenn Sie noch einmal reden wollen, können wir das gerne tun. Rufen Sie mich an.
Liebe Gemeinde, Glauben gehört nicht nur in den Gottesdienst, er gehört mitten in das Leben. Dort im Leben finden wir den Gott, auf dessen Fundamenten wir die Häuser unseres Vertrauens bauen. Amen.
Perikope