... Um Gottes Willen...!? - Predigt zu Genesis 22,1-13 von Sven Evers
22,1-13

Predigt (oder zumindest so etwas ähnliches)

 

Nach diesen Geschichten versuchte Gott Abraham und sprach zu ihm: Abraham! Und er antwortete: Hier bin ich. Und er sprach: Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du lieb hast, und geh hin in das Land Morija und opfere ihn dort zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde. (Genesis  22,1f)

 

Das meint Gott doch nicht wirklich ernst? Das kann er doch nicht wirklich wollen? Einen Menschen opfern? Meinen einzigen Sohn, der mir in hohem Alter geschenkt? Wer soll die Verheißung weiter tragen, wenn er nicht mehr ist? An wem soll ich mich freuen, wenn er nicht mehr ist? Sein Lachen, seine leuchtenden Augen beim Spielen? Wer ist meine Zukunft ohne ihn?

Und Gott? Wer ist dieser Gott, den ich zu kennen glaubte; auf dessen Ruf hin ich alles verließ, was mein Leben war - um... ja, um was eigentlich? Um nun zu opfern, was er selber mir geschenkt? Lass fahren dahin - das sagt sich so leicht in der grauen Theorie. Aber ich höre sein Lachen, ich höre seinen Atmen, ich spüre seine Lust am Leben... kann Gott das wirklich wollen?

 

Schlaflos wälzt Abraham sich hin und her. Wie soll er sich entscheiden? Dem unmenschlichen, dem zynischen und lebensverachtenden Willen Gottes folgen? Oder einfach so tun, als hätte er es nicht gehört? Mit wem soll er sprechen, um seine Gedanken zu ordnen. Mit Sarah? Nein, er weiß, was sie sagen würde. Sie würde es nicht hinnehmen, dass er auch nur daran denkt, dem Befehl Gottes zu folgen. Zu sehr liebt sie Isaak. Zu sehr liebt sie auch ihn selber. Sie würde es nicht zulassen, dass er zum Mörder wird und sich in sein Unheil stürzt - um Gottes willen. Doch wenn das Gottes Wille ist, dann würde sie nichts mehr mit diesem Gott zu tun haben wollen.

 

Tränen stehen in seinen Augen. Der Blick verschwimmt. Das Sternenzelt - einst Sinnbild göttlicher Verheißung - verschwimmt zu einer breiigen Masse.

Irgendwann schläft er ein.

Irgendwann wacht er auf.

 

Da stand Abraham früh am Morgen auf und gürtete seinen Esel und nahm mit sich zwei Knechte und seinen Sohn Isaak und spaltete Holz zum Brandopfer, machte sich auf und ging hin an den Ort, von dem ihm Gott gesagt hatte. (Genesis 22,3)

 

Wer weiß, was unterwegs geschieht. Wenn ich zu Hause bleibe und so tue, als hätte ich sein Wort nicht gehört, werde ich nie erfahren, was es damit auf sich hat. Wenn ich den Kopf in den Sand stecke, bleibt mein ganzes Leben darin stecken. Und das Leben aller, die mit mir sind und die nach mir kommen werden.

Aber: Wird jemand nach mir kommen? Wird jemand nach mir sein, wenn der Kleine nicht mehr ist?

Werde ich sein können, wenn ich Gottes Wort erfülle? Wie könnte ich Sarah gegenübertreten? Wie könnte ich all jenen gegenübertreten, die sich auf mich verlassen? Wie könnte ich mir selber gegenübertreten?

 

Und doch macht Abraham sich auf den Weg. Manchmal ist ein äußerer Weg ja auch ein innerer. Manchmal geschieht etwas im Unter-wegs-Sein. Dinge werden klarer, Meinungen wandeln sich. Nicht nur die eigene. Nein, Gottes Meinung! Hatte Gott nicht in Sodom mit sich handeln lassen? Vielleicht lässt er auch dieses Mal einen Handel zu. Vielleicht ändert er seine Meinung. Erkennt, wie unmenschlich, ja, wie un-göttlich, sein Wille ist, möchte Abraham ihm geradezu entgegenrufen.. Vielleicht - hoffentlich!

 

Am dritten Tage hob Abraham seine Augen auf und sah die Stätte von ferne. (Genesis 22,4)

 

Nichts ist geschehen. Tag für Tag ist Abraham seinen Weg gegangen. Seine Knechte mit ihm. Sein Sohn mit ihm, dem er kaum in die Augen schauen mag. Der Weg ist anstrengend für den Jungen. Und immer wieder hat er gefragt, wohin es geht. Immer wieder hat er gefragt, wann sie am Ziel sind und warum überhaupt unterwegs.

Was hätte Abraham sagen sollen? Ein Brandopfer solle es werden, hat er gesagt. Die Kehle schnürte sich ihm zusammen. Ein Brandopfer. Keine Lüge - und doch auch nicht die ganze Wahrheit.

Niemals würde Isaak die Wahrheit erfahren.

Sollte Gott es sich anders überlegen, würde alles gut und es gäbe keinen Grund, ihm von dem wirklichen Grund der Reise zu erzählen.

Würde Gott es sich nicht anders überlegen, wäre Isaak.... aber daran mag Abraham gar nicht denken. Immer wieder schießen ihm Tränen in die Augen. Tränen der Trauer, der Ratlosigkeit, der Resignation, der Wut und des Hasses auf diesen Gott, der ein solches Opfer von ihm fordert. Und immer wieder schluckt er Wut und Trauer und Tränen herunter, um Isaak ein guter Vater zu sein...

Nun gibt es kein zurück mehr. Sie sind am Ziel. Oder am Ende?

 

Und Abraham sprach zu seinen Knechten: Bleibt ihr hier mit dem Esel. Ich und der Knabe wollen dorthin gehen, und wenn wir angebetet haben, wollen wir wieder zu euch kommen. Und Abraham nahm das Holz zum Brandopfer und legte es auf seinen Sohn Isaak. Er aber nahm das Feuer und das Messer in seine Hand; und gingen die beiden miteinander.

Da sprach Isaak zu seinem Vater Abraham: Mein Vater! Abraham antwortete: Hier bin ich, mein Sohn. Und er sprach: Siehe, hier ist Feuer und Holz; wo ist aber das Schaf zum Brandopfer? Abraham antwortete: Mein Sohn, Gott wird sich ersehen ein Schaf zum Brandopfer. Und gingen die beiden miteinander. (Genesis 22,5-8)

 

Es wird unerträglich. Für Abraham. Für Isaak, der nicht versteht, was hier geschieht, der aber langsam ahnt, dass etwas anders ist als sonst, wenn geopfert wurde.

Allein schon die lange Reise. Haben wir nicht sonst direkt vor dem Lager geopfert?

Das Schweigen des Vaters. Hat er nicht sonst immer mit mir gesprochen? Mir erzählt von seinem, von unserem Gott. Mir alles gezeigt und erklärt, was uns unterwegs begegnete. Haben wir nicht sonst immer zusammen gelacht. Ernsthaft und feierlich - ja, das war es wohl - aber auch gelöst und voller Freude. Heute ist alles anders.

 

Es wird unerträglich - auch für uns, die wir diese Geschichte hören. Hören müssen. Ich möchte am liebsten laut „Halt!" rufen.

Halt! Abraham - siehst Du denn nicht, was Du Deinem Sohn antust? Siehst Du nicht, was Du Dir selber antust!

Doch trotz allem, was ich gegen diese Geschichte vorbringen möchte; trotz allem, was ich dem Gott dieser Geschichte, was ich Abraham an Worten und Gedanken und Begründungen und Argumenten und an Gefühlen entgegenschleudern möchte - was, wenn hier jetzt Schluss wäre? Wenn sie beide einfach umkehrten und zurück nach Hause gingen?

 

Und als sie an die Stätte kamen, die ihm Gott gesagt hatte, baute Abraham dort einen Altar und legte das Holz darauf und band seinen Sohn Isaak, legte ihn auf den Altar oben auf das Holz. (Gen 22,9)

 

Mir fehlen die Worte. Da liegt Isaak wie ein wertloses Stück Fleisch, zum Opfer bereit. Und sagt kein Wort. Was soll ihm der Autor auch an Worten in den Mund legen, wenn mir doch schon beim Lesen die Stimme versiegt.

Auch Abraham spricht nicht mehr. Er sieht nichts mehr. Der denkt nichts mehr. Er fühlt nichts mehr.

 

Und reckte seine Hand aus und fasste das Messer, dass er seinen Sohn schlachtete. (Genesis 22,10)

 

Es dreht sich alles. Abraham. Isaak. Gott. Ich. Du. Wenn jetzt die Hand herniederkäme - wenn jetzt... Ich mag die Gedanken und Bilder nicht aussprechen. Will nichts zu tun haben mit Abraham, der seinen Sohn ermordet. Mit einem Gott, der solches von einem Menschen fordert. Mit einem Menschen, der solch Befehlen folgt.

Und doch - es muss etwas geschehen. Es kann nicht hier zu Ende sein. Die Hand kann nicht ewig oben bleiben. Der Blick Isaaks nicht starr auf das Grauen gerichtet, das er nicht versteht.

 

Da rief ihn der Engel des HERRN vom Himmel und sprach: Abraham! Abraham! Er antwortete: Hier bin ich. Er sprach: Lege deine Hand nicht an den Knaben und tu ihm nichts; denn nun weiß ich, dass du Gott fürchtest und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen. Da hob Abraham seine Augen auf und sah einen Widder hinter sich im Gestrüpp mit seinen Hörnern hängen und ging hin und nahm den Widder und opferte ihn zum Brandopfer an seines Sohnes statt. (Genesis 22,11-13)

 

Ein Stein so groß wie die ganze Welt von Abrahams Herzen.

Ein Seufzer so laut wie die ganze Welt durchdringt die Schöpfung.

Gott sei Dank!

Es geht weiter.

Mit mir, denkt Abraham.

Mit meinem Sohn.

Mit meiner Familie.

Mit meinem Gott.

 

Gott sei Dank! - Doch mir wollen diese Worte im Halse stecken bleiben.

Musste es wirklich so weit gehen? Brauchte es diesen Beweis für Abrahams Treue? Darf ein Gott des Lebens ein solches Opfer fordern?

„Die Geschichte handelt nicht von einem Gott, der blinden Gehorsam verlangt. Es geht um die Frage, ob Abrahams Glaube Bestand hat," schreibt ein Kollege (Nico ter Linden, Es wird erzählt... Von der Schöpfung bis zum gelobten Land, Gütersloh 1998).

Vielleicht ist das so.

Vielleicht haben auch jene recht, die religionsgeschichtlich argumentieren und erklären, wir hätten es in dieser Geschichte mit einer Begründung für die Abschaffung von Menschenopfern zu tun.

Vielleicht haben aber auch jene recht, die diese Geschichte für nicht predigbar halten, weil wir mit unserem Wissen um das Wohl von Kindern, mit unserem Wissen um die Grausamkeit blinden Gehorsams und die Konsequenzen religiösen Fanatismus schlicht keinen Zugang mehr finden zu dem, worum es hier vielleicht gehen mag, weil das, was vor Augen steht, so mächtig, so dunkel, so grausam ist, dass es alles verdeckt.

 

War das nun eine Predigt?

Wahrscheinlich nicht. Es war die Erzählung einer Geschichte, die eben auch zu dem Schatz unserer Texte gehört. Zu einem Schatz, der nicht nur hell erstrahlt, sondern manches Mal in bedrohlicher Dunkelheit leuchtet.

Wie weit bist Du bereit zu gehen für Deinen Gott? - die Frage, die wir mitnehmen können.

Es kam nicht bis zum äußersten - den Trost, den wir angesichts und trotz dieser Geschichte mitnehmen können.

Aber es kam schon viel zu weit.

 

Und Abraham nannte die Stätte »Der HERR sieht«. (Genesis 22,14)

 

Der HERR sieht - hoffentlich. Damals. Heute. Morgen.

Der HERR sieht - Gott sei Dank!

Amen.

Perikope
02.04.2017
22,1-13