"Um Würde beten und in Würde leben" - Predigt über Johannes 17, 1 + 6 - 8 von Ulrich Kappes
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Um Würde beten und in Würde leben
  
  Der Sonntag Palmarum ist ein Sonntag des Übergangs. I1I Jesus reitet auf einem Esel in Jerusalem ein. „Hosianna“ rufen sie … und wenige Tage später wird aus dem Umjubelten ein Verfolgter, ein Gemarterter, ein Gekreuzigter.
  Palmarum steht für Wende, für grundlegende Veränderung, für ein „Gehen müssen, wohin du nicht gehen willst“.
  In diesen Tagen wird auf nahezu allen Feuilletonseiten der großen Zeitungen der Roman der gebürtigen Ghanaerin Taye Selasi besprochen. Er erschien Anfang des Jahres. Sein Titel: „Diese Dinge geschehen nicht einfach so.“  Taye Selasi  beschreibt darin das Schicksal einer Familie von Afroamerikanern aus Ghana, die sich in den USA nieder gelassen hat.  Der Vater dieser Familie ist ein erfolgreicher Arzt in Massachusetts, ein Chirurg, und seine Kinder sind mustergültige Schüler mit Bestnoten. Eines Tages gelingt eine Operation nicht. Der einst hoch gelobte Chirurg wird verleumdet und wegen eines angeblichen Operationsfehlers entlassen.  Er erträgt das nicht, verlässt seine Familie, gibt allen Wohlstand auf und geht nach Ghana zurück.
  „Ghana must go“, der „Ghanaer muss weggehen“, hieß es 1983 in Nigeria. 700.000 Ghanaer, die Jahre zuvor willkommen waren, wurden ausgewiesen und vertrieben; ‚Du, da aus Ghana, du musst weggehen.’
  ‚Ja, ich bin doch weggegangen, ich bin aber gescheitert’, klagt der Meister – Chirurg Kwaku – Saik. Jetzt bin ich hier, aber hier kann ich nicht sein. „Ghana must go“, - aber wohin?  Er stirbt an einem Herzinfarkt. Die Familie kommt aus verschiedenen Erdteilen zur Trauerfeier. Eine Antwort auf den Tod gibt es nicht – außer, dass sie alle ihr Leben neu und tiefer sehen.
  „Ghana must go …“  - So heißt der Originaltitel im Englischen. Er ist eine Metapher, ein Gleichnis nicht nur im Leben eines Afrikaners aus Ghana. Wie oft, wie ungezählte Male erklingt das im Leben:
  ‚Du bist Schulkind und musst in die Lehre gehen.
  Du suchst eine Arbeit und gehst hin, wo du Arbeit hast. Deine Heimat lässt du hinter dir.
  Du hast deinen Glauben in deinem Elternhaus  und in der Jungen Gemeinde erhalten, aber nun musst du gehen, musst einen neuen Glauben finden, der zu Dir und der Zeit, in der Du lebst, passt. Palmarum ist der Sonntag, der uns helfen will, mit dem Gehen – Müssen fertig zu werden.
  
  Unmittelbar vor unserem Predigttext aus Johannes 17 schließt Jesu seine sog. Abschiedsreden an die Jünger mit dem Satz ab: „In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“
  Was hat meine, zu meinem Leben gehörende Angst mit seinem Sieg über die Welt zu tun?
  Es erfolgt nach den Abschiedsreden der Übergang zum sog. Hohenpriesterlichen Gebet, wie unser Predigttext seit dem 16. Jahrhundert überschrieben wird. I2I  „Vater, die Stunde ist da. Verherrliche deinen Sohn, damit der Sohn dich verherrliche.“
  Worum geht es?  Der Sohn bittet um Verherrlichung angesichts des Überganges in das qualvolle Leiden und Sterben am Kreuz. – Wie sind die Worte: „Vater, … verherrliche deinen Sohn, damit der Sohn dich verherrliche“ zu verstehen?
  
  Herrlichkeit heißt im Hebräischen kawod. Für dieses Wort gibt es fünf Übersetzungen.Einer bin ich nachgegangen. I3I
  Herrlichkeit - Wenn man bei einem vermögenden Bauern im alten Israel von seiner Herrlichkeit sprach, dann war es eine Herrlichkeit, die auf ihm ruhte, ihm eine gewisse vornehme Schwere, eine Gravität verlieh. Sie ruhte wie ein festlicher, schwerer Mantel auf ihm.
  Dieser schwere Mantel hinderte ihn, flatterig und ängstlich zu werden.
  Er machte es unmöglich, einfach weg zu rennen.
  Er gab dem Bauern Festigkeit, Ruhe und Würde. Von diesem Wort im Hebräischen ausgehend kann man, so meine ich, die Herrlichkeit, um die Jesus bittet, verstehen. ‚Verherrlichen Deinen Sohn! Lege Deinen Frieden und Deine Würde auf ihn wie einen Königsmantel. So wird er Dich, als einer, dem die Würde nicht genommen wird, verherrlichen.’
  Das Hohepriesterliche Gebet ist durchdrungen und durchzogen von der Liebe des Herrn zu seinen Jüngerinnen und Jüngern. Wie verhält sich das Gebet um Würde und Standhaftigkeit für Jesus selbst zu seinen Jüngerinnen und Jüngern?
  
  Mit den Worten des Oldenburger Bischofs Wilhelm Stählin sage ich: Jesus ist hier wie ein Kreis um einen Mittelpunkt zu sehen. I4I Im Fortgang des Hohenpriesterlichen Gebetes und des Johannesevangeliums überhaupt folgt ein weiterer Kreis, der konzentrisch um den Jesuskreis geordnet ist: die Jüngerinnen und Jünger.
  Und dann gibt es einen großen, unübersehbaren Kreis. Das sind wir, die wir durch das Wort  gläubig wurden, wir, die wir in der Welt Angst haben.
  Für sie betet, für uns betet Jesus, dass wir etwas davon abbekommen, durch den Vater verherrlicht  zu werden.
  „In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden … und so setzen wir nun fort: ‚Ich gebe euch die empfangene Würde weiter, damit auch ihr den Vater verherrlicht.’
  
  Was macht aus einem Menschen eine Jüngerin / einen Jünger? Was ist es, das ihn einen Punkt sein lässt auf dem großen, äußeren Kreis um Jesus Christus?
  Wir hörten: „Vater, du hast sie mir gegeben und sie haben dein Wort bewahrt.
  Die Worte, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben und sie haben sie angenommen…“
  Warum nehmen Menschen die Worte des Vaters und die Worte seines Sohnes an? Warum andere nicht? Warum bleiben welche ihr Leben lang bei dem Wort und andere nicht?
  Der Text schweigt. Er möchte nicht am Geheimnis der Berufung eines Menschen rühren.
  So können wir, folgen wir diesem Schweigen, nur sagen:
  Dass Menschen sich zu diesem Wort halten, mag nur oberflächlich als deren eigener Entschluss gesehen werden. In Wahrheit geschieht  etwas an ihnen unabhängig von ihnen. Der Entschluss aus der Tiefe ihrer Person, aus dem Wort zu leben, es zu bewahren, tagaus, tagein aus ihm zu leben,  ist nur anteilig ihr Werk.
  Es ist ein Geheimnis, wenn eine oder einer die Worte des Vaters und seines Sohnes liebt und bewahrt.
  Eugen Drewermann hat in einem Gespräch mit dem Fernsehjournalisten Richard Schneider vor ca. fünf Jahren gesagt: Unsere Entscheidungen „kommen aus der Tiefe der Person“ (die wir nicht ergründen können). Wir haben uns nicht in der Hand wie eine Billardkugel, die wir von links nach rechts stoßen.“ I5I
  
  An der Westminster – Abbey in London wurden über dem Hauptportal zehn Gestalten als Denkmalsfiguren aufgestellt. Es sind zehn Märtyrer des christlichen Glaubens im 20. Jahrhunderts. Zwischen Martin Luther King und Dietrich Bonhoeffer ist die Statue von Bischof Oscar Romero aus San Salvador zu sehen. I6I
  Er stand, vergleichbar Jorge Bergoglio, der seit zwei Wochen Papst Franziskus ist, zwischen den verschiedensten Fronten, nicht in Argentinien, sondern in El Salvador. Ein Bürgerkrieg löste den nächsten ab. Es gab eine gemäßigte Militärjunta, dann eine brutale, es gab gewählte Volksvertreter und eine durch reine Verwaltungsakte eingesetzte Regierung. Die am meisten Leidtragenden waren die Armen, die mehr oder weniger mittellosen Bauern, die Campesinos.
  Bischof Oscar Romero stand auf ihrer Seite. Todesschwadronen zogen durch das Land und töteten die geistige Elite, die möglicherweise ein Revolution auslösen und die Junta stürzen konnte. Zettel wurden abgeworfen: „Sei ein Patriot, töte einen Priester!“ I7I
  In der Predigt am 23. März 1980 sagte Oscar Romero in der Kathedrale von San Salvador:
  „Kein Soldat ist gezwungen, einem Befehl zu folgen, der gegen das Gesetz Gottes verstößt… Die Kirche, die Verteidigerin … der Würde des Menschen, kann angesichts dieser Gräueltaten nicht schweigen.“ I8I
  Einen Tag später, am 24. März 1980, heute vor 33 Jahren, wurde Bischof Romero von einem Scharfschützen der Todesschwadronen erschossen. Es geschah, als  er vor dem Altar in einer Krankenhauskapelle eine Messe feierte.
  
  Die Gestalt des Bischof Romero an der Fassade der Westminster – Abbey gibt meisterhaft wieder, wie er war und wie er lebte: in Ruhe und Festigkeit, in innerer Sicherheit und vor allem in Würde. Sie lag auf seinen Schultern wie ein Königsmantel. Als solcher, der mit seinem Leben voran ging, als „Lebensmeister und nicht als Lesemeister“, mahnte er sein langes Priesterleben hindurch, die Würde zu bewahren – unabhängig  von dem Kreuz, das zu tragen ist.
  Blickt man auf diese Gestalt am Westportal von Westminster - Abbey, so ist es, als würde sie auf die Frage, warum wir leben, diese eine Antwort geben:  Um die Würde zu bewahren und Gott zu verherrlichen.
  
  I1I So auch Martin Rößler, Pred. med. z. St., In Predigtstudien 2012 / 2013, 1. Halbband, 180 – 183, S. 181 und Renate Fallbrügg, Pred. med. z. St.,183 -187, S. 185.
  I2I Nach Hans – Joachim Iwand, Predigtmeditationen, Göttingen 1966, S. 632 geht die Bezeichnung auf den Rostocker Theologen David Chyträus (1531 – 1600) zurück.
  I3I Gerhard von Rad, Art. Doxa, in ThWb, Bd. 2, Tübingen 1935, 240 – 245, S. 241:
  „kawod ist … etwas Sinnfälliges, etwas Ansehnliches, eine gravitas, die die Stellung des Menschen in der Gemeinschaft erst konstituiert.“
  I4I Wilhelm Stählin, Predigthilfen, Kassel 1958, S. 480: Nach dem Gesetz der konzentrischen Kreise gilt die Fürbitte zunächst denen, die der Vater dem Sohn gegeben hat, dann in einem weiteren Kreis all denen, die durch ihr Zeugnis der Gemeinde der Glaubenden … einverleibt werden.“
  I5I Eugen Drewermann, Wie zu leben wäre. Ansichten und Einsichten. Im Gespräch mit Richard Schneider. Freiburg i. Br. 2008, S. 74.
  I6I Den Hinweis auf den Todestag von Oscar Romero, der sich am Sonntag Palmarum 2013 zum 23. Mal jährt, verdanke ich Eva Hadem, Pred. med. z. St., in: Pastoraltheologie, Jahrgang 2013/2 (Februar) ,Göttingen 2012, 166 – 171, S. 166.
  I7I Zitiert nach Wikepedia, Oscar Romero.
  I8I Zitiert nach Wikepedia.
  
   
Perikope
24.03.2013
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