Umdenken und Umkehr - Predigt zu Lukas 13,6-9 von Thomas Bautz
13,6-9

Umdenken und Umkehr

Liebe Gemeinde!

Das eingangs gehörte Gleichnis vom unfruchtbaren Feigenbaum weckt Hoffnung auf ein gutes Ende, mahnt aber auch eindringlich zur Umkehr, zum Umdenken, zur „Buße“ hin. Es gehört zu den Botschaften, die zur Erneuerung des Denkens und der Einstellung zum Leben sowie der Haltung gegenüber den Mitmenschen auffordern. Inhaltlich erinnert es an den Ruf Johannes des Täufers zum umfassenden Sinneswandel, zur inneren Umkehr, die entscheidend Veränderungen in unserem Sozialverhalten bewirken soll:

„Bringt Früchte, die der Buße würdig sind, die der Umkehr entsprechen, (…). Schon ist aber auch die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt, und jeder Baum, der nicht gute Früchte bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen. (Da fragt ihn die Volksmenge: Was sollen wir denn tun? - Er gibt ihnen zur Antwort:) Wer zwei Röcke (oder: Anzüge) hat, der gebe einen davon dem, der keinen hat, und wer zu essen hat, mache es ebenso! - Und Zöllnern sagt er: Fordert nicht mehr (Geld von den Leuten), als euch vorgeschrieben ist“ (Lk 3,8-13)!

Mit Eindeutigkeit und Härte hat schon der Prophet Jeremia (Jer 8,3) verkündet:

„Will ich bei meinem Volk ernten, sagt der HERR, so ist keine Traube und keine Feige zu finden und das Laub ist verwelkt. Darum habe ich dieses Volk aufgegeben; sollen die Fremden es doch zertreten!“ (Gute Nachricht Bibel) „Einsammeln werde ich sie! Spruch des Herrn. Am Weinstock sind keine Trauben mehr und am Feigenbaum keine Feigen, und die Blätter sind verwelkt. So habe ich es für sie bestimmt: man wird über sie herfallen!“ (Neue Zürcher Bibel)

Das Prophetentum hat in der Geschichte Israels - bis zu Johannes dem Täufer -  Erbauliches und Niederschmetterndes, Froh- und Drohbotschaften zu verkünden. Vieles, was Propheten zu verkündigen haben, bezieht sich auf die aktuelle außen- oder innenpolitische Lage, auf soziale und wirtschaftliche Verhältnisse im Lande und auf die Authentizität der religiösen Einstellung: Wie wirkt sich die Religiosität auf das gesellschaftliche Leben, auf den Umgang mit den sozial Schwachen und Benachteiligten, auf das Verhältnis zu den Armen, den Witwen, den Waisen und den Kranken aus?

Jesus greift die Gerichtspredigt an Israel auf, betont aber auch die universale Komponente, was bereits bei Propheten des AT deutlich ist: Androhung des Endgerichts und Einladung zur Umkehr gilt jedem Volk und jedem einzelnen Menschen. - Gegen Harmansa: Die Zeit der Entscheidung (1995).

Für Erich Fromm besteht der Inhalt, der Kern des Prophetismus darin: Gotteserkenntnis und deren Ausbreitung auf Israel und die Menschheit, eine Gottesidee, die weit davon entfernt ist, dogmatisch zu sein. Hier wurzelt ein starkes Vertrauen in „Gott“ und in den Messias, aber kein Glaube an Aussagen über „Gott“ oder an Aussagen über den Messias; s. Erich Fromm: Das jüdische Gesetz (1922; 1989).

„Am Ende der Tage wird der Berg des Hauses des Ewigen gegründet stehen auf dem höchsten Berg, und er wird erhaben sein über die Hügel, und es werden zu ihm strömen die Völker, und viele Völker werden gehen und sprechen: Auf, laßt uns hinaufsteigen zum Berge des Ewigen und zum Hause des Gottes Jakobs, daß er uns lehre seine Wege und daß wir wandeln in seinem Pfade, denn von Zion geht die Lehre aus und das Wort Gottes von Jerusalem. Und er wird richten zwischen vielen Völkern und Recht sprechen zwischen mächtigen Nationen bis in die Ferne (…). Nicht wird erheben ein Volk das Schwert gegen das andere, und sie werden nicht mehr lernen den Krieg, und sie werden sitzen ein jeder unter seinem Weinstock und unter seinem Feigenbaum und niemand wird sie aufschrecken“ (Micha 4,1-4).

Eine Frohbotschaft: einhelliges, friedliches Miteinander unter Weinstock und Feigenbaum!

Lebendiger Glaube, Gottvertrauen, zeitigt Früchte, bringt Werke der Barmherzigkeit hervor, wie es dem Gleichnis vom Weltgericht (Mt 25,31-46) vergangenen Sonntag zu entnehmen war. Glaube in Israel und im Verständnis des (jüdischen!) Rabbi Jesus geht nicht auf in einer frommen Gedankenwelt, ist nicht identisch mit traditionellen Ritualen, drückt sich nicht allein aus im regelmäßigen Besuch des Tempels oder einer Kirche. „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, sagt Rabbi Jesus, habt ihr keinen Anteil am „Reich Gottes“.

Ich bin überzeugt, dass wir als Erwachsene und als scheinbar gereifte religiöse Menschen, gemeinhin „Christen“ genannt, wieder umkehren müssen zu einem Status, einem Zustand, wie wir uns - wenn überhaupt - einst als Kind haben wahrnehmen dürfen: Verletzlich, zart, der täglichen Nahrung und Pflege bedürftig - ein Pflänzlein, aber stetig wachsend; das eine früher, das andere später die ersten Früchte hervorbringend.

Ich verlasse die Metaphorik: Als Kinder sind wir anfangs noch voller Vertrauen, bis dieses das erste und leider nicht das letzte Mal enttäuscht wird. Wir sind angewiesen auf den Schutz durch Stärkere; wir sind abhängig von der Verlässlichkeit der Erwachsenen: der Eltern, der Lehrer, Ärzte usw. Wir werden geliebt, versorgt, erhalten Fürsorge. Wir schenken umgekehrt unser Vertrauen, unser Zutrauen in die Lebenserfahrungen und Kompetenzen Erwachsener.

Dann merken wir, dass wir nicht nur vieles empfangen; wir können auch vieles beitragen zum Wohl der Gemeinschaft, in der wir aufwachsen. Wir können uns im Alltag einbringen, damit viele Vorgänge besser und leichter ablaufen, damit das soziale Gefüge besser funktioniert. Wir werden auf diese Weise durchaus Früchte ebenso im religiösen Sinne tragen, auch wenn uns das nicht unbedingt bewusst sein wird. Dem Gleichnis vom Weltgericht (bei Mt) gemäß, werden gute Taten oder Werke der Barmherzigkeit in Unwissenheit, eben unbewusst, getan.

Ein Kind handelt oft, wenn nicht meist spontan; es muss nicht reflektieren, nicht Für und Wider des Handelns abwägen. Sein Wesen und Motive sind häufig: Freude; anderen Freude bereiten; Naivität; Fröhlichkeit; Spaß; spielerisches Begreifen; Kreativität; Dankbarkeit; Gerechtigkeitssinn; Hilfsbereitschaft; Begeisterungsfähigkeit; Ehrlichkeit; aber auch Ernst; Betrübnis; Trauer; Verletzlichkeit; ein Kind kann sehr enttäuscht sein.

Ich muss einem Kind normalerweise keine Dankbarkeit beibringen; man sieht ihm an, wie dankbar es ist. Aus meiner Sicht ist es auch nicht notwendig, schon einem Kleinkind zu sagen: „Sag Danke!“ Mir ist die innere und nach außen meist sichtbare Haltung des Dankes wichtig. Kinder lassen sich ziemlich leicht motivieren, und sie stellen sich gern Herausforderungen.

Wollte ich Kinder mit Feigenbäumen vergleichen, dürfte ich doch wohl behaupten, dass sie recht viele gute Früchte hervorbringen; es sei denn, sie wachsen unter widrigen Umständen und schlechten Bedingungen auf: Menschen, deren natürliche Gaben und Eigenschaften von Kind auf verkümmern, weil sie unzureichend oder gar nicht gepflegt werden.

Der lukanische Jesus setzt voraus, dass die natürlichen Bedingungen für den Feigenbaum im Gleichnis vorhanden sind und er dennoch seit drei Jahren keine Früchte trägt. Immerhin wird der Weingärtner, der Winzer, zu seinem Fürsprecher, indem er mit dem Besitzer aushandelt, den (scheinbar) unfruchtbaren Feigenbaum noch ein Jahr lang fachmännisch zu pflegen. Falls dies nicht fruchtet, müsse er ihn halt fällen (umhauen).

Im Rahmen einer Umkehrpredigt, im Kontext einer Aufforderung zur Buße, zum Umdenken, mutet diese Bitte um Aufschub wie der Nachdruck einer Drohrede an. Nach unserem Denken wäre der Tenor der Botschaft etwa folgender: Wenn dein Leben so fruchtlos bleibt; wenn du nicht effizienter arbeitest; wenn du nicht erfolgreich bist; dann kannst du dich für immer verabschieden; dann wirst du zwangsläufig entlassen; dann gibt es für dich keinen Ausweg. Die Bitte des Winzers um Aufschub ist ungewöhnlich, weil das Fällen eines unfruchtbaren Baumes ganz üblich war und Feigenbäume in der Regel als außerordentlich fruchtbar galten. (cf. Gemünden: Vegetationsmetaphorik im NT und seiner Umwelt, 133)

Wenn wir die Bildersprache des Gleichnisses so in die Alltagssprache übersetzen, ins tägliche Leben übertragen, wird die Brisanz der Umkehrbotschaft zwar transparent. Auf diese Weise käme das Gleichnis dem ungeschriebenen Gesetz und der verbreiteten Lebensart in unserer Leistungsgesellschaft entgegen. Doch würde das Gleichnis vom unfruchtbaren Feigenbaum der befreienden Kernbotschaft des Nazareners entrissen, seiner tieferen Bedeutung entfremdet und für unsere Zwecke instrumentalisiert. Ich sehe einen Firmenchef vor meinem geistigen Auge: Hinter seinem riesigen Schreibtisch aus Mahagoni und dem komfortablen Bürosessel hängt für alle erkennbar ein sachlich gerahmtes Schild mit folgender Aufschrift an der Wand:

„Erfolg haut unsere Kunden um. Wer bei uns keine Früchte hervorbringt, wird umgehauen!“

Mein Beispiel ist freilich konstruiert und wirkt vielleicht klischeehaft, aber ich finde es nicht weltfremd. Natürlich will, muss eine Firma, ein Betrieb, Industrie und Wirtschaft allgemein, ein Krankenhaus, eine Arztpraxis, Schulen und Hochschulen, Gerichte, Polizei, Feuerwehr, Hilfsorganisationen, Pflegeheime, Familien, Alleinerziehende, Singles erfolgreich sein. Aber das ist nicht das fruchtbare Leben, das die Propheten, Johannes der Täufer und Rabbi Jesus meinen. All das, worin für uns ein erfolgreiches, ertragreiches Leben besteht, ist in sich nichts Verkehrtes, aber genügt es auch Kriterien, die tiefer gehen, die unsere Motive hinterfragen?

Verdanke ich z.B. meine beruflichen Erfolge nicht unwesentlich der Unterstützung durch den Kreis der Kollegen, weil Mitarbeiter mir hilfreich zuarbeiten? Bin ich ihnen spürbar dankbar? Zolle ich ihnen genügend Anerkennung? Oder stelle ich mich als erfolgreichen Macher und Alphatypen dar? Lasse ich meine Familie teilhaben an Freuden und Sorgen, oder spiele ich das gleichbleibend erfolgreiche Familienoberhaupt, das nichts umhaut (!)? Widme ich mich meinen Kindern (dem Kinde) so, dass sie mir ganz offen, vertrauensvoll begegnen können und nicht den Eindruck haben müssen, dass sie nur ein Störfaktor sind? Bin ich bereit, von den Kindern zu lernen, ein Stück weit zu dem umzukehren, was sie an guten Eigenschaften mitbringen und entfalten? Vielleicht kann ich mich von ihnen positiv anstecken lassen!

Obst- und Gemüsegärten, kleine oder große Plantagen mit Obstbäumen - alle bringen eine Vielzahl und vielerlei Früchte hervor, mal mehr, mal weniger ertragreich. Es gibt auch Zeiten, in denen Bäume mitunter wenig oder gar keine Früchte tragen. Dann ist Geduld angebracht. Die Fruchtmetaphorik hat in der biblischen Sprache (AT + NT) Tradition und verweist auf menschliche Handlungen, Taten und deren Folgen (Gemünden: Vegetationsmetaphorik, 143). Sie ist auch ein wichtiges religiöses Unterscheidungskriterium, das Jesus von Nazareth betont:

„Hütet euch vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, im Inneren aber räuberische Wölfe sind. An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen. Kann man etwa Trauben lesen von Dornbüschen oder Feigen von Disteln? So bringt jeder gute (gesunde) Baum gute Früchte, ein fauler Baum (mit verdorbenen Säften) aber bringt schlechte Früchte; ein guter Baum kann keine schlechten Früchte bringen, und ein fauler Baum kann keine guten Früchte bringen. Jeder Baum, der nicht gute Früchte bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen. Also: an ihren Früchten werdet ihr sie erkennen. Nicht alle, die ‚Herr, Herr‘ zu mir sagen, werden (darum schon) ins Himmelreich eingehen, sondern nur, wer den Willen meines himmlischen Vaters tut“ (Mt 7,15-21).

Manche Früchte sind allerdings erst als faule oder schlechte Früchte erkennbar, wenn man sie aufschneidet und ihres Inneren gewahr wird. Im Übrigen lässt sich diese Metaphorik wie jede Bildsprache überhaupt nicht direkt auf Menschen übertragen. Dennoch verhelfen diese Bilder zu mehr Achtsamkeit und Vorsicht. Gerade mit der Religion, auch mit der christlichen, lässt sich so viel Schindluder treiben. Man sollte traditionelle „Gottesbilder“ zerschlagen; einfache Antworten auf schwierige Probleme hinterfragen; religiöse, intellektuelle Zweifel zulassen; das aufrichtige Suchen vieler Menschen ernstnehmen, sie nicht mit abgedroschenen Phrasen vertreiben oder sie mit vorgefertigten Meinungen oder gar Dogmen vor den Kopf stoßen.

Wir sollten uns nicht zu schnell ein Urteil bilden oder gar über einen Menschen richten:

„Unentschuldbar bist du, Mensch, der da richtet! Worin du nämlich den anderen richtest, verurteilst du dich selbst; dasselbe nämlich tust du, der du richtest. (…) Rechnest du aber damit, Mensch, (…), daß du entfliehen wirst dem Gericht Gottes? Oder verachtest du den Reichtum seiner Güte und Geduld und Langmut, verkennend, daß Gottes Güte dich zur Umkehr (Buße, Sinnesänderung) führen will?“ (Paulus in Röm 2,1-4)

Nach meiner Erfahrung leitet ungeheuchelte Güte eher zum Umdenken und zur Umkehr an als eine verbale Drohgebärde, Androhung von Strafe oder ein vernichtendes Urteil über die Zukunft. Das hat sich in der Erziehung meines Kindes und anhand vieler Negativbeispiele aus dem belasteten Leben anderer Kinder und zum Teil aus meiner eigenen Kindheit bestätigt. Mögen wir uns immer wieder von dieser unbegreiflichen, unaussprechlichen Macht getragen, gestärkt und liebevoll getröstet wissen, die wir in unserer Kultur „Gott“ nennen. Und mögen uns die weisheitlichen Worte des Jesus von Nazareth stets neu zum Umdenken herausfordern, damit wir das große Wagnis seiner Nachfolge anzutreten bereit werden.

Amen.

Literatur

François Bovon: Das Evangelium nach Lukas, EKK III/2 (1996), 369-389; Michael Wolter: Das Lukasev., HNT 5 (2008), 474-480; H.-Konrad Harmansa: Die Zeit der Entscheidung. Lk 13,1-9 als Beispiel für das lukanische Verständnis der Gerichtspredigt Jesu an Israel, EThSt 69 (1995); Marius Reiser: Die Gerichtspredigt Jesu. Eine Untersuchung zur eschatologischen Verkündigung Jesu und ihrem frühjüdischen Hintergrund, NTA 23 (1990), 232-242 (zu Lk 13,1-5); Petra von Gemünden: Vegetationsmetaphorik im Neuen Testament und seiner Umwelt. Eine Bildfelduntersuchung, NTOA 18 (1993), 122ff, 130-151; Susanne Talabardon: Unterm Feigenbaum. Rekonstruktionen zu einem jüdisch-christlichen Thema, Juden - Christentum - Islam. Interreligiöse Studien 9 (2011), 17-20; Erich Fromm: Das jüdische Gesetz. Zur Soziologie des Diaspora-Judentums (Diss., 1922; 1989); s. haGalil onLine 05-02-2003: www.hagalil.com/judentum/philosophie/fromm/fromm-b.htm

 

 

Perikope
18.11.2015
13,6-9