I. „umsonst!?“
Heute ist der Reliunterricht anders: Wir machen einen kleinen Ausflug, sagt der Lehrer, zieht eure Jacken an, und nehmt Euren Block und einen Stift mit. Die Klasse 5 freut sich. In eine „Ausstellung“ soll es gehen…? Am Ziel angekommen, gibt es ein Aufgabenblatt, um alles zu erkunden. Schnell legen die Jungen und Mädchen los. Paul aber kramt in seinen Kleidungstaschen: Mist – jetzt hab´ ich den Stift nicht mit. Als der Lehrer seine Suche bemerkt, zieht er einen einfachen Werbekuli aus seiner Jackentasche: Hier, schenk ich dir, den gab´s umsonst. Danke, murmelt Paul und greift zu, aber geschenkt will ich den nicht… Als die Aufgaben gelöst sind, gibt er ihn eilfertig zurück.
An diesem Tag ist es ganz anders auf der Königstrasse (=Haupteinkaufsstraße in Stuttgart). Mitten durch die Fußgängerzone zieht sich ein langer, L A N G E R Tisch: „Der längste Altar der Welt“.
Seltsam, denken Ruth und Gisela, 76 und 77 Jahre alt, was ist das denn? An diesem heißen Sommertag sind sie mit der S-Bahn nach Stuttgart gefahren, um nach schönen („und bequemen!“) Sandalen zu suchen. Jetzt, um die Mittagszeit, brennen ihre Füße allmählich, sind auch ein bisschen dicker geworden, und die Suche macht keinen Spaß mehr. Nehmen Sie doch hier Platz, sagt eine junge Frau in Weiß und deutet auf eine alte Kirchenbank. Quietschbunt bemalt ist die und steht wahrhaftig hier mitten in der Einkaufsmeile. Das ist eine Aktion der Evangelischen Kirche in Stuttgart. Ach – Hinsitzen tut gut. Gisela und Ruth atmen auf, ein Becher Wasser, ein Stück Brot wird ihnen gereicht. Ach, das ist ja nett – und was kostet das? Nichts, lacht die Junge – das ist: umsonst.
Umsonst –
liebe Gemeinde,
das ist vielleicht das wichtigste Wort in der Jahreslosung 2018. Eine ganz ungewohnte Verheißung wird da ausgesprochen: Eine Verheißung - nicht durch die junge Frau, einen Engel oder den Relilehrer. Eine Verheißung durch Gott selbst. Umsonst! gibt Gott und das ist -genau betrachtet, Hand aufs Herz- fast eine Provokation in unseren Kreisen und Zeiten. Schon Kindern wird doch beigebracht: Du sollst nichts einfach so annehmen (schon gar nicht von Fremden!) und wer von uns reagierte nicht zurückhaltend, wo uns einer etwas einfach so, gratis anbietet?
Tief in unserer Seele -und das ist vermutlich ein Infekt, der sich in Wohlstandsgesellschaften schnell ausbreitet- Tief in unserer Seele wohnt der Automatismus des „Ich gebe, weil du gibst“: Ware gegen Geldbetrag. Eine Hilfestellung gegen eine andere. Ein Geschenk zu Weihnachten, das ungefähr dem Wert des erwarteten entspricht. Wo wir etwas einfach so, ohne Gegenleistung und -wert, bekommen, da könnte etwas nicht stimmen, da haben wir nur das Kleingedruckte noch nicht gelesen.
Nimm doch den Kuli, wirklich gern! sagt der Lehrer noch einmal verstärkend - aber Paul hat sich schon weggedreht.
Umsonst – wunderwunderschön, aber für uns gar nicht so einfach!
II. „Wasser!?“
Geht schon mal vor in die Küche, sagt Maja, als sie ihren Freunden und Freundinnen die Tür öffnet, die anderen kommen grad hoch. Maja hat heute etwas zu feiern. Endlich hat sie nicht nur einen guten Job in der Großstadt, sondern sogar eine eigene kleine Wohnung. „Party!!!“ ruft auch der zweite Trupp Freunde, als der Türabsatz erreicht ist. In der Küche hat jemand schon den ersten Sektkorken knallen lassen. Wir haben das mal wörtlich genommen, zwinkert Lars, steht hier ja groß: Save water – drink champagne! - Spart Wasser, trinkt Champagner. Wasser, liebe Gemeinde, vielleicht ist das das wichtigste Wort in der Jahreslosung 2018?? Wie geht es Ihnen mit dieser Verheißung?
Wasser – umsonst? Vielleicht trinken Sie auch lieber Champagner…, ein Viertele, das Bierchen, ayurvedischen Tee, Wodka Martini, geschüttelt nicht gerührt? Kaum einer sagt: Ich trinke am liebsten Wasser. Und wenn doch, heißt es schnell: Der ist ja langweilig! Macht die Diät?
Wenn schon Wasser, dann wenigstens San Pellegrino oder noch besser Perrier – Nein, das ist out, in ist reines Quellwasser aus der Vulkaneifel. Gibt es sogar in todschicken Flaschen – kann man richtig edel auf den Tisch stellen. Wasser – das Kind in mir liebt Wasser. Das Kind in mir denkt zurück an unendlich schöne Sommertage am Strand, oder an den Jubel mit meinen Geschwistern, als wir auf der viel zu langen Wanderung eine sprudelnde Quelle fanden, an das gierige Schöpfen unserer kleinen Hände. Das Kind in mir kann Wasser noch als Kostbarkeit feiern. Auch im Herzen, auch in der Seele. Bei uns Erwachsenen kommt die Erkenntnis, dass Wasser Kostbarkeit ist, immerhin, ganz allmählich im Kopf an. Wenn wir lesen, dass wir alle zu 80 % aus Wasser bestehen…und besonders, wenn wir hören, dass die Kriege der Zukunft Kriege um Wasser sein könnten. Ja, wenn wir erfahren, dass „alle 20 Sekunden“ ein Kind stirbt, nur weil es nicht ausreichend Wasser hat. Wasser ist und bleibt das Allerwichtigste für jeden menschlichen Körper, für diese Erde (die ebenfalls zu über 70% aus Wasser besteht), das Wichtigste für das Leben. Und wussten Sie, dass nicht nur der Pfarrer Sebastian Kneipp dem Wasser besondere Heilkraft zusprach, sondern dass schon Theologen der frühen Kirche Wasser als Symbol für die Heilige Trinität verstanden: Drei in eins wie Gott. Eins in Drei wie das Wasser: als Tropfen als Dampf oder als Eis.
III. „Dem Durstigen!?“
Ganz unbeschwert also feiert das Kind in mir, in uns (?) das Wasser: Lebenselixier und kostbares Element! Und doch - hab´ ich als Kind kaum je wirklich gespürt, dass ich ganz unbedingt Wasser brauche: zum Trinken! Ich gehörte (und gehöre leider noch) zu jenen Menschen, die selten Durst spüren und so das Trinken schnell mal vergessen. Heute weiß ich das - und passe auf mich auf. Aber als Kind bekam ich oft ganz schreckliche Kopfschmerzen - deshalb. Dieses Problem habe ich nicht mehr. Wir alle achten darauf, was wir trinken, und auch wenn es nicht „sexy“ ist, Wasser Champagner vorzuziehen, greifen wir doch oft dazu. Doch – nicht zu schnell, so einfach ist es ja nicht… denn: Um welchen Durst geht es hier eigentlich? „Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst.“ Ist nicht mehr gemeint als der körperliche Durst einer trockenen Kehle? Geht es nicht vielmehr um den Durst der Seele? Den Durst nach Sinn, nach Lebendigkeit, nach Liebe - nach Gott? Und könnte es sein, dass wir diesen quälenden Durst (so wie ich als Kind) selten nur begreifen? Und das obwohl die Seele sich meldet - wie mein Körper einst durch den pochenden Schmerz?
- Ich denke an Markus, der nach einem langen Arbeitstag in der Firma, gar nicht mehr abschalten kann. Dessen Gedanken um die Aufgaben kreisen und der schon beim Frühstück am gar nicht wirklich zuhause ist, sondern bei seinem ersten Termin in der Firma.
- Ich denke an Nora, die mit drei Kindern und Teilzeit und dem großen Haus, das ja wirklich toll ist und um das sie alle beneiden, jeden Tag mit einer ellenlangen To-do-Liste beginnt… und die schon ein sich ankündigender Schnupfen beim Jüngsten aus der Spur zu kippen droht.
- Ich denke an Walter, der nach 40 Jahren Ehe mit einem Schlag allein ist, noch dazu in der Freistellungsphase der Altersteilzeit. Am liebsten wäre er gar nicht mehr „frei“, sondern möchte irgendwas arbeiten, damit er die Leere nicht spürt: Die Sehnsucht nach ihr, nach Leben, nach etwas, das doch auch für ihn noch da sein muss?
Im Hamsterrad des Lebens, beim Abhaken der tagtäglichen „to dos“, in Krisen des Übergangs, angesichts der Lebensbrüche und -grenzen, haben wir Durst, einen Durst, der nicht weniger zum Menschen gehört als der alltägliche nach sauberem Wasser. Und es ist genauso wichtig, dass wir ihn auch als solchen erkennen und stillen lassen. Nicht wenige aber nehmen ihn nicht mehr wahr, „haben keine Zeit“, Gott in der Krippe abgestellt und betäuben die Sehnsucht, womöglich durch Sucht! Eine Freundin sagte kürzlich zu mir: Nach so vielen Jahren, in denen ich eigentlich „nur“ funktioniert habe, als Lehrerin, Mutter, Ehefrau, Tochter, Freundin, in der Gemeinde möchte ich mein Leben -auch inmitten von Aufgaben- nicht einfach runterleben, ableben, abhaken, sondern bewusst erleben - auch in Berührung mit Gott, meiner Quelle.“
IV. Darum: Das Wasser ehren, Gott als Quelle feiern
Schöner kann man kaum beschreiben, was die Jahreslosung zuspricht, aber auch aufträgt. „Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst.“ Gott stillt den Durst, der uns quält. Sein Wasser des Lebens wird uns gratis geschenkt. Einfach so. Wirklich wahr! Wo wir zu ihm kommen, schenkt er neue Lebendigkeit. Und ist es nicht schön, dass sich das Bild von der Quelle und dem Wasser so wunderbar verknüpft mit ganz alltäglichen Erfahrungen?
- Wenn wir morgens das Wasser für unseren Tee aufsetzen,
- wenn der warme Strahl uns beim Duschen in den Tag einstimmt,
- wenn wir zwischendurch ein Glas Wasser trinken,
- wenn wir die im Sommer die Blumen gießen
oder uns an der frisch gewaschenen Wäsche freuen… oder………… dann wünsche ich uns, dass wir in diesem Jahr nicht nur ökologisch und besonnen mit dem Lebensmittel Wasser umgehen, sondern immer wieder in Gedanken und Gefühlen auch an jene Quelle gehen, um daraus zu trinken. Möge uns das alltägliche Wasser an das heilige erinnern. Mögen wir vertrauen, dass Gott es gibt: aus jener nie versiegenden Quelle. Wir dürfen ihn einfach darum bitten, darauf vertrauen.
Amen