Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster - Predigt zu Johannes 16,5-15 von Caroline Warnecke
16,5-15

Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster - Predigt zu Johannes 16,5-15 von Caroline Warnecke

„Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster.“
Und ein leichter Wind strömt ins Zimmer und bringt frische Luft mit, und das tut jetzt gut. Frische Luft, dieser leichte Wind, das geöffnete Fenster. Und Licht. Und der Duft von den Lindenblüten. In den Gardinen schwingt ein sanftes Wehen hin und her, und draußen singen ein paar Vögel, sonst ist es still. „Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster“. Und jetzt wird es anders weitergehen. Aber vorher ist auch viel gewesen.

Liebe Gemeinde,
der Predigttext für heute am Pfingstsonntag steht im Johannesevangelium, im 16. Kapitel.
Jesus spricht zu seinen Jüngern:
 Jetzt aber gehe ich hin zu dem, der mich gesandt hat; und niemand von euch fragt mich: Wo gehst du hin?  Doch weil ich dies zu euch geredet habe, ist euer Herz voll Trauer.
 Aber ich sage euch die Wahrheit: Es ist gut für euch, dass ich weggehe. Denn wenn ich nicht weggehe, kommt der Tröster nicht zu euch. Wenn ich aber gehe, werde ich ihn zu euch senden.  Und wenn er kommt, wird er der Welt die Augen auftun über die Sünde und über die Gerechtigkeit und über das Gericht; über die Sünde: dass sie nicht an mich glauben;  über die Gerechtigkeit: dass ich zum Vater gehe und ihr mich hinfort nicht seht;  über das Gericht: dass der Fürst dieser Welt gerichtet ist.
 Ich habe euch noch viel zu sagen; aber ihr könnt es jetzt nicht ertragen.  Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in aller Wahrheit leiten. Denn er wird nicht aus sich selber reden; sondern was er hören wird, das wird er reden, und was zukünftig ist, wird er euch verkündigen.  Er wird mich verherrlichen; denn von dem Meinen wird er's nehmen und euch verkündigen.  Alles, was der Vater hat, das ist mein. Darum habe ich gesagt: Er nimmt es von dem Meinen und wird es euch verkündigen.

Liebe Gemeinde,
ja, es ist viel gewesen und jetzt wird es anders weitergehen.

Jesus sagt seinen Jüngern, dass er weggehen wird. Die gemeinsame Zeit ist vorbei, und die Jünger ahnen, dass sie nicht mitgehen können und zurückbleiben. Traurig sind sie und vermutlich auch ratlos. Was will er uns sagen? Was hat das alles zu bedeuten? Warum soll es gut für uns sein, dass er weggeht? Warum überhaupt? Und womit versucht er uns hier zu trösten?
Große Worte fallen in traurige Menschenherzen: „der Tröster“, „Sünde“, „Gerechtigkeit“ und „Gericht“, „Der Geist und die Wahrheit.
Wer traurig und ratlos ist, wer sich fragt, wie es jetzt eigentlich weitergehen soll, wird sowas kaum hören und aufnehmen können. Und so ist es oft beim Abschied: Abschiedsworte können sehr klar und sehr deutlich sein und einen gleichzeitig völlig verwirren. Sie können die ganze Wahrheit aussprechen und einen gleichzeitig völlig im Unklaren lassen. Später, manchmal erst sehr viel später, mit Abstand und Zeit versteht man dann und begreift und bringt die Dinge zusammen, entdeckt den verborgenen Sinn.

Zu Pfingsten also diese Worte, die doch eher still und nachdenklich daherkommen.
Kein feuriges Brausen vom Himmel, keine Feuerzungen, nix Verrücktes, auch nichts Verzücktes, keine Köpfe voll süßem Wein, keine Ekstase, kein Zungenreden, auch nicht Geistausgießung für alle, keine großartige Erweckung und auch kein pfingstlicher Gemeindezuwachs, keine Massentaufe, kein „Happy Birthday, liebe Kirche“ und nicht Hunderttausende, die singen und beten wie auf dem Kirchentag.
Ein stiller und nachdenklicher Text. Man könnte auch sagen „Vom Kommen und Gehen“. Denn zwischen den großen Worten schwingen wie in einem sanften Wehen diese anderen Worte hin und her und sie bringen Bewegung mit: weggehen, fragen, gehen und kommen, senden, leiten, reden und hören, verkündigen und auftun.
„Vom Kommen und Gehen“ oder besser „Vom Gehen und Kommen“? Denn hier geht ja erstmal einer und verweist auf das, was kommt. Und das ist ja auch unsere Erfahrung: erst wenn etwas weg ist, wenn etwas zu Ende gegangen ist, wenn etwas vorbei ist, ist Platz für das Neue.
Wir müssen uns nicht wie die Jünger von Jesus verabschieden. Die haben mit ihm gelebt und die müssen verkraften, dass er nicht mehr da ist. Aber wir müssen uns in unserem Leben auch immer wieder auf Abschiede einstellen und haben auch schon viele erlebt.

- Die Kinder gehen aus dem Haus, und auch wenn sie nicht weg sind, kommen sie anders zurück. Und jetzt gerade nach dem Abi, wo sie aufbrechen und losziehen  – da wird es viele Abschiedsszenen geben. Mütter und Väter. Es ist so viel gewesen, und nun wird alles anders.  
- Es gibt Trennungen, die auf andere Weise zusetzen und schmerzen. „Die haben sich getrennt“ hören wir. „Die haben sich auch getrennt.“ flüstern wir uns zu.  Menschen verlassen einander, verlassen den anderen, den Partner, die Kinder, die Familie.
-  Wir beenden eine Lebensphase und gehen in eine andere, auch da bleibt manches zurück.
Das Ende einer Freundschaft. Der Abschied von einer langen Beziehung. Unser Körper, der uns zeigt, wie begrenzt wir leben, und der Tod mit all seinen Vorboten und seinen Schrecken, mit der Trauer, die er hinterlässt.
„Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster“.
Und ein leichter Wind strömt ins Zimmer und bringt frische Luft mit und das tut jetzt gut. Diese frische Luft, dieser leichte Wind, das offene Fenster. Und das Licht. Und jetzt wird es anders weitergehen. Auch wenn so viel gewesen ist. Wir verabschieden das, was nicht bleiben kann und lassen gehen, was gehen will und gehen muss.
Auch in anderer Weise erleben wir gerade, dass etwas zu Ende geht. Verbindungen und Bündnisse, die bisher Bestand hatten, werden brüchig. Die Weltordnung verändert sich auf dramatische und vor allem auch auf unberechenbare Weise. Die anderen und wir hier in Europa. Sicherheiten gehen verloren. „Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, sind ein Stück weit vorbei…“ (Merkel). Dieses Zitat hat in der letzten Woche ja einiges aufgewirbelt, aber auch einiges klar gestellt.
Und mittendrin unsere Kirche, in ihrer langen Geschichte, aber auch in ihrer Verantwortung. Wohin wird sie sich entwickeln? Wovon müssen wir uns verabschieden? Was ist mit den vielen Gemeinden, landauf, landab, die mit aller Kraft, manchmal auch mit allerletzter Kraft versuchen, das Bisherige zu halten und als Gemeinde verlässlich zu bleiben? Welche Stimme, welche Rolle wird unsere Kirche in Zukunft spielen. Es gehen so viele und es kommen so wenige. Auch hier Trauer- und Abschiedsprozesse. Wir können nicht mehr alle besuchen, nicht mehr alles anbieten, nicht alles erhalten. Und das zu begreifen und auch anzunehmen, fällt schwer und tut weh. Was wird da jetzt kommen?   
„Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster“.
Und ein leichter Wind strömt ins Zimmer und bringt frische Luft mit und das tut jetzt gut… Und jetzt wird es anders weitergehen. Wir öffnen uns am offenen Fenster für das, was kommt. Für das Neue, das hereinweht, für die Ideen, die uns zufliegen – und fangen schon mal an, heute zu tun, was erst morgen oder übermorgen möglich scheint.

Das mit dem geöffneten Fenster ist übrigens ein Buchtitel. „Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster“, ein Buch von der Autorin Susann Pasztor1. Manche haben es vielleicht gelesen. Ein Buch, das ein schweres Thema aufnimmt, und es sehr gefühlvoll und würdig, aber auch sehr humorvoll verarbeitet. Der Abschied vom Leben. Die Zeit, die noch bleibt. Eine Sterbebegleitung mit ungewöhnlichen, geradezu wunderbaren Wendungen. Ein letzter Weg, auf dem noch so viel Neues passiert, und keiner hätte das je für möglich gehalten. Da geht jemand, aber da kommt auch jemand. Für die einzelnen Menschen, um die es hier geht, öffnen sich völlig neue Perspektiven.

„Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster“.
Der Ausblick, den Jesus seinen Jüngern durch das offene Fenster seines Abschieds zeigt, ist erstmal nur ein Name: Der Tröster. Der Geist der Wahrheit. Aber dieser Name ist mit Jesus auf Engste verbunden. Es ist nicht irgendein Geist, der kommen wird und weht, wo er will. Der Geist der Wahrheit und des Trostes ist kein anderer als sein Geist. Der Geist, in dem Jesus selbst gelebt und gewirkt hat, der ihn selber geführt und geleitet hat auf seinem Weg durch diese Welt und ihre Abgründe. Es ist sein Geist und der seines Vaters, der Geist Gottes. Wie eine Taube kam er bei seiner Taufe herab und ließ ihm sagen „Du bist mein lieber Sohn…“ (Mk 1,11). Und dieser Geist lag auf ihm, um den Armen das Evangelium  zu verkündigen und den Gefangenen, dass sie frei sein sollen und den Blinden, dass sie sehen sollen und um die Zerschlagenen in die Freiheit zu entlassen…(Lk 4,16ff). Und das haben die Jünger dann ja schon auch hautnah erleben können: diese Umbrüche. Dieses Neue, was da in ihre kleine Welt kam. Die Erfahrung, dass es weitergeht, obwohl erstmal nichts danach aussah. Sie waren dabei als das Leben wieder zu leuchten begann und ein frischer Wind über die Gesichter zog und die Augen wieder froh wurden. Und das werden sie beim Abschied jetzt auch nochmal sehen und erinnern können: die Bilder, die Begegnungen, diese vielen Geschichten. Weißt du noch? Weißt du noch, wie er das Brot teilte. Wie alle satt wurden. Und wir hatten ja nichts. Wie ruhig er blieb, als das Boot anfing zu kentern.
Durch das geöffnete Fenster also doch nochmal ein Blick zurück:
Nein, wir sind nicht die ersten, die uns fragen, wie es weitergeht und was jetzt kommen wird. Wir sind die ersten, denen bange wird angesichts einer unsicheren Zukunft.
Der Geist Gottes hat eine lange Geschichte.
Sie beginnt, als alles begann, als der Geist Gottes noch über den Wassern schwebte und alles wüst, chaotisch war und leer: Der Geist Gottes und seine schöpferische Kraft.
Die Propheten, die beseelt und gesandt von diesem Geist hingewiesen haben auf das, was schief läuft und ungerecht ist: der Geist Gottes und seine warnende Kraft.
Die Menschen, die sich haben inspirieren lassen, über all die Jahrhunderte, die Mystikerinnen, die Liederdichter, Paul Gerhardt auch Luther und das, was wir mit den 500 Jahren Reformation dieses Jahr feiern: Der Geist Gottes und seine erneuernde Kraft.
Am geöffneten Fenster sagt uns Jesus darum auch das: der, der kommen wird, war schon da. Er kommt und geht. Sie geht und kommt. Er wird auch in Zukunft wehen, wo er will, aber er bleibt. Und da ist sie ganz verlässlich, die Heilige Geistkraft Gottes. Von Ewigkeit zu Ewigkeit.  

„Und dann steht einer auf...“.
Jesus ist auferstanden und hat uns das Fenster des Lebens und der Zukunft weit geöffnet. Und jetzt stehen wir da und schauen in die Welt. Und ein frischer Wind strömt durch unsere Herzen und wir richten uns auf. Und das tut jetzt gut. Diese Zuversicht, diese Aussicht. Und dabei wird uns bestimmt auch etwas einfallen. Diese Redewendung bewahrt ja sehr schön, wie das mit den Einfällen so ist: die kann man nicht planen oder sich vornehmen. „Da wird uns etwas einfallen“, heißt ja auch, da wird uns etwas zufallen, da wird etwas in uns einfallen. 
Pfingsten können wir nicht machen. Pfingsten sind wir ganz und gar Empfangende – wie immer, wenn es um das Wesentliche geht. Da können wir nur die Fenster weit aufmachen und die Hände ausbreiten und unsere Herzen öffnen und unsere Ohren spitzen, denn was zukünftig sein wird, wird er uns verkünden, der Heilige Geist.

Und wenn wir jetzt singen, dann können wir ja einfach mal so tun, als ob hier in der Kirche alle Fenster offen stehen und ihn so herbeibitten und zu uns singen: „O Heilger Geist, kehr bei uns ein und lass uns deine Wohnung sein…“ (EG 130)
Amen.

 

1 Susann Pásztor, Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster, Verlag Kiepenheuer und Witsch, Köln 2017